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HINTERGRUND<br />
Sommer<br />
am Fluss<br />
Der Sommer ist da –mit<br />
Temperaturen über 30<br />
Grad und langen, lauen<br />
Abenden. Da zieht es die<br />
Großstädter an ihren<br />
Fluss. Jahrhundertelang<br />
konnten sie dortbaden –<br />
bis sie ihreSpree zu stark<br />
verdreckt und vergiftet<br />
hatten. Doch bald soll das<br />
Baden zumindest an einem<br />
Abschnitt am Schlosswieder<br />
möglich sein. Der Bau<br />
einer Treppe ins Wasser<br />
istbeschlossen.<br />
Von<br />
MarittaTkalec<br />
Baden am Schloss, mitten<br />
in der Stadt, in einem<br />
Spreearm –was vor 150<br />
Jahren die <strong>Berliner</strong> zu Zehntausenden<br />
freute, soll bald wieder<br />
möglich sein. Das Projekt<br />
des Vereins Flussbad e.V., 835<br />
Meter des derzeit nahezu ungenutzten<br />
Spreekanals in Berlins<br />
historischer Mitte als Badestrecke<br />
herzurichten, wird immer<br />
konkreter. Der Senat will es,<br />
auch CDU und FDP –soviel politische<br />
Einigkeit ist selten.<br />
Im April gaben der Bund und<br />
das Land Berlin bekannt, dass<br />
die erste Freitreppe als Wasserzugang<br />
an der Schlossfreiheit<br />
finanziert wird –3,78 Millionen<br />
Euro kommen vom Bau-und-<br />
Heimatministerium, die Senatsverwaltung<br />
für Stadtentwicklung<br />
legt 2,635 Millionen<br />
dazu. Schon heute kann man sagen:<br />
Das wird ein Hit –dort zu<br />
sitzen, am Wasser, mit Badeabsicht<br />
oder nicht. Dann hätten<br />
auch <strong>Berliner</strong> wieder einen<br />
Grund, in diesen Teil der alten<br />
Mitte zu gehen – nicht bloß<br />
Touristen.<br />
Die „Badeanstalt hinter den<br />
Werderschen Mühlen an der<br />
Stadtschleuse“ lag fast an derselben<br />
Stelle wie die jetzt vorgesehene<br />
Treppe. In den ersten<br />
Jahren nach Eröffnung des<br />
Bades 1857 hatten ausschließlich<br />
Männer Zugang. Um 1890<br />
öffnete die Anstalt nach einem<br />
Umbau als Doppelbad für beide<br />
Geschlechter.Die Umkleidekabinen<br />
für 120 Personen<br />
schwammen wie Hausboote<br />
auf der Spree, Es gab ein<br />
Sprungbrett ins Bassin. In zwei<br />
Brauseräumen reinigten sich<br />
die Gäste. Als die Schlossfreiheit<br />
1894 abgerissen wurde,<br />
mussten die Badefreunde umziehen<br />
–andie Waisenbrücke<br />
oder an die Jungfernbrücke im<br />
Mühlengraben.<br />
<strong>Berliner</strong> früherer Jahrhunderte<br />
haben die Spree und ihre<br />
Arme immer zum Baden genutzt,<br />
die Ufer waren ursprünglich<br />
flach. Der Historiker Felix<br />
Berlin mit<br />
Badehose<br />
Ach, wie schön wäreesdoch,<br />
nach dem Bummeln einfach in<br />
die Spree zu springen! Vor100<br />
Jahren war das völlig normal<br />
Escher spricht von einem „amphibischen<br />
Gelände“. Das änderte<br />
sich mit zunehmender<br />
Bebauung. 1842 wurde das Baden<br />
außerhalb sichtgeschützter<br />
Einrichtungen verboten. An<br />
vielen einst natürlichen Badestellen<br />
entstanden Anstalten –<br />
erst private, dann auch städtische.<br />
Manche boten echte Spektakel:<br />
In einem 1849 an der Lohmühleninsel<br />
geöffneten Bad<br />
machte eine Dampfmaschine<br />
Wellen. Am Landwehrkanal<br />
schlug im Auerbachschen Wellenbad<br />
ein Schaufelrad Wogen.<br />
In dem Buch „Bäderbau in Berlin“<br />
von Uta Maria Bäumer und<br />
Jost Lehne ist auch zu lesen,<br />
wie die Badeanstalten im sozialen<br />
Gefüge der Stadt wirkten.<br />
So gab es in der ersten Hälfte<br />
des 19. Jahrhunderte solche für<br />
die körperliche Ertüchtigung<br />
der zahlreichen Militärpersonen<br />
–zum Beispiel die Pfuelsche<br />
Anstalt in Kreuzberg und<br />
den Garnisonsbadeplatz oberhalb<br />
des Schlossgartens in<br />
Charlottenburg. Volkserzieherisch<br />
ausgerichtet waren solche<br />
wie die an der Charlottenburger<br />
Röntgenbrücke für die Angestellten<br />
der Cauerschen Erziehungsanstalt.<br />
Auf Privatgrundstücke erkannte<br />
man an über Holzgerüsten<br />
aufgespannten Zelten, dass<br />
dort Hausbesitzer mit Familie<br />
sittsam ins Wasser tauchten.<br />
Nach der Revolution von<br />
1848/49 kümmertesichauch die<br />
Stadtverwaltung stärker um die<br />
Bewohner: 1850 entstand die<br />
erste städtische Flussbadeanstalt<br />
für arme Männer an der Waisenbrücke.<br />
1855 folgte ein städtisches<br />
Männerflussbad zwischen<br />
Mühlendamm und heutigerRathausbrücke.<br />
Stück für Stück gestand<br />
man auch den Frauen –in<br />
Fotos: Flussbad e.V.; Ullstein (2)<br />
Wasschertdie Leute das<br />
Badeverbot,wenn das Wetter schön<br />
ist: 1930 hatte sich in an der<br />
Mühlendammschleuse auf einem<br />
Schuttabladeplatz das wilde<br />
„Freibad Padde“ etabliert.<br />
abgetrennten Abteilungen –das<br />
Baden zu. Das Bedürfnis wuchs<br />
ins Massenhafte: Je mehr Mietskasernenentstanden,destomehr<br />
Menschen wollten zumindest<br />
gelegentlich baden.Sommers boten<br />
sich die Flussbäder an –<br />
Volkswannenbäder kamen später<br />
hinzu.<br />
Zugleich gossen die Menschen<br />
ihre Fäkalien ins Flusswasser.<br />
Hier eine kleine Ekel-<br />
Chronik: Über Jahrhunderte<br />
entleerten die <strong>Berliner</strong> ihren<br />
Urin in die Rinnsteine, den Kot<br />
trugen Nachteimerfrauen in die<br />
Spree. Seit 1707 durften die Eimer<br />
nur von der Mitte der jeweiligen<br />
Brücke in die Strömung<br />
hinein entleert werden,<br />
ab 1815 erst nach 23 Uhr. Um<br />
1820 wurden jährlich 200000<br />
Fäkalieneimer in die Spree gekippt<br />
–500 pro Nacht.<br />
1831 brach die erste Choleraepidemie<br />
aus – entlang der<br />
Quartiere an der Spree. Fortan<br />
sollten Häuser im Hof Sickergruben<br />
haben. Doch diese waren<br />
entweder undicht oder