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Berliner Kurier 03.06.2019

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HINTERGRUND<br />

Sommer<br />

am Fluss<br />

Der Sommer ist da –mit<br />

Temperaturen über 30<br />

Grad und langen, lauen<br />

Abenden. Da zieht es die<br />

Großstädter an ihren<br />

Fluss. Jahrhundertelang<br />

konnten sie dortbaden –<br />

bis sie ihreSpree zu stark<br />

verdreckt und vergiftet<br />

hatten. Doch bald soll das<br />

Baden zumindest an einem<br />

Abschnitt am Schlosswieder<br />

möglich sein. Der Bau<br />

einer Treppe ins Wasser<br />

istbeschlossen.<br />

Von<br />

MarittaTkalec<br />

Baden am Schloss, mitten<br />

in der Stadt, in einem<br />

Spreearm –was vor 150<br />

Jahren die <strong>Berliner</strong> zu Zehntausenden<br />

freute, soll bald wieder<br />

möglich sein. Das Projekt<br />

des Vereins Flussbad e.V., 835<br />

Meter des derzeit nahezu ungenutzten<br />

Spreekanals in Berlins<br />

historischer Mitte als Badestrecke<br />

herzurichten, wird immer<br />

konkreter. Der Senat will es,<br />

auch CDU und FDP –soviel politische<br />

Einigkeit ist selten.<br />

Im April gaben der Bund und<br />

das Land Berlin bekannt, dass<br />

die erste Freitreppe als Wasserzugang<br />

an der Schlossfreiheit<br />

finanziert wird –3,78 Millionen<br />

Euro kommen vom Bau-und-<br />

Heimatministerium, die Senatsverwaltung<br />

für Stadtentwicklung<br />

legt 2,635 Millionen<br />

dazu. Schon heute kann man sagen:<br />

Das wird ein Hit –dort zu<br />

sitzen, am Wasser, mit Badeabsicht<br />

oder nicht. Dann hätten<br />

auch <strong>Berliner</strong> wieder einen<br />

Grund, in diesen Teil der alten<br />

Mitte zu gehen – nicht bloß<br />

Touristen.<br />

Die „Badeanstalt hinter den<br />

Werderschen Mühlen an der<br />

Stadtschleuse“ lag fast an derselben<br />

Stelle wie die jetzt vorgesehene<br />

Treppe. In den ersten<br />

Jahren nach Eröffnung des<br />

Bades 1857 hatten ausschließlich<br />

Männer Zugang. Um 1890<br />

öffnete die Anstalt nach einem<br />

Umbau als Doppelbad für beide<br />

Geschlechter.Die Umkleidekabinen<br />

für 120 Personen<br />

schwammen wie Hausboote<br />

auf der Spree, Es gab ein<br />

Sprungbrett ins Bassin. In zwei<br />

Brauseräumen reinigten sich<br />

die Gäste. Als die Schlossfreiheit<br />

1894 abgerissen wurde,<br />

mussten die Badefreunde umziehen<br />

–andie Waisenbrücke<br />

oder an die Jungfernbrücke im<br />

Mühlengraben.<br />

<strong>Berliner</strong> früherer Jahrhunderte<br />

haben die Spree und ihre<br />

Arme immer zum Baden genutzt,<br />

die Ufer waren ursprünglich<br />

flach. Der Historiker Felix<br />

Berlin mit<br />

Badehose<br />

Ach, wie schön wäreesdoch,<br />

nach dem Bummeln einfach in<br />

die Spree zu springen! Vor100<br />

Jahren war das völlig normal<br />

Escher spricht von einem „amphibischen<br />

Gelände“. Das änderte<br />

sich mit zunehmender<br />

Bebauung. 1842 wurde das Baden<br />

außerhalb sichtgeschützter<br />

Einrichtungen verboten. An<br />

vielen einst natürlichen Badestellen<br />

entstanden Anstalten –<br />

erst private, dann auch städtische.<br />

Manche boten echte Spektakel:<br />

In einem 1849 an der Lohmühleninsel<br />

geöffneten Bad<br />

machte eine Dampfmaschine<br />

Wellen. Am Landwehrkanal<br />

schlug im Auerbachschen Wellenbad<br />

ein Schaufelrad Wogen.<br />

In dem Buch „Bäderbau in Berlin“<br />

von Uta Maria Bäumer und<br />

Jost Lehne ist auch zu lesen,<br />

wie die Badeanstalten im sozialen<br />

Gefüge der Stadt wirkten.<br />

So gab es in der ersten Hälfte<br />

des 19. Jahrhunderte solche für<br />

die körperliche Ertüchtigung<br />

der zahlreichen Militärpersonen<br />

–zum Beispiel die Pfuelsche<br />

Anstalt in Kreuzberg und<br />

den Garnisonsbadeplatz oberhalb<br />

des Schlossgartens in<br />

Charlottenburg. Volkserzieherisch<br />

ausgerichtet waren solche<br />

wie die an der Charlottenburger<br />

Röntgenbrücke für die Angestellten<br />

der Cauerschen Erziehungsanstalt.<br />

Auf Privatgrundstücke erkannte<br />

man an über Holzgerüsten<br />

aufgespannten Zelten, dass<br />

dort Hausbesitzer mit Familie<br />

sittsam ins Wasser tauchten.<br />

Nach der Revolution von<br />

1848/49 kümmertesichauch die<br />

Stadtverwaltung stärker um die<br />

Bewohner: 1850 entstand die<br />

erste städtische Flussbadeanstalt<br />

für arme Männer an der Waisenbrücke.<br />

1855 folgte ein städtisches<br />

Männerflussbad zwischen<br />

Mühlendamm und heutigerRathausbrücke.<br />

Stück für Stück gestand<br />

man auch den Frauen –in<br />

Fotos: Flussbad e.V.; Ullstein (2)<br />

Wasschertdie Leute das<br />

Badeverbot,wenn das Wetter schön<br />

ist: 1930 hatte sich in an der<br />

Mühlendammschleuse auf einem<br />

Schuttabladeplatz das wilde<br />

„Freibad Padde“ etabliert.<br />

abgetrennten Abteilungen –das<br />

Baden zu. Das Bedürfnis wuchs<br />

ins Massenhafte: Je mehr Mietskasernenentstanden,destomehr<br />

Menschen wollten zumindest<br />

gelegentlich baden.Sommers boten<br />

sich die Flussbäder an –<br />

Volkswannenbäder kamen später<br />

hinzu.<br />

Zugleich gossen die Menschen<br />

ihre Fäkalien ins Flusswasser.<br />

Hier eine kleine Ekel-<br />

Chronik: Über Jahrhunderte<br />

entleerten die <strong>Berliner</strong> ihren<br />

Urin in die Rinnsteine, den Kot<br />

trugen Nachteimerfrauen in die<br />

Spree. Seit 1707 durften die Eimer<br />

nur von der Mitte der jeweiligen<br />

Brücke in die Strömung<br />

hinein entleert werden,<br />

ab 1815 erst nach 23 Uhr. Um<br />

1820 wurden jährlich 200000<br />

Fäkalieneimer in die Spree gekippt<br />

–500 pro Nacht.<br />

1831 brach die erste Choleraepidemie<br />

aus – entlang der<br />

Quartiere an der Spree. Fortan<br />

sollten Häuser im Hof Sickergruben<br />

haben. Doch diese waren<br />

entweder undicht oder

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