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Berliner Zeitung 04.06.2019

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16 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 127 · D ienstag, 4. Juni 2019<br />

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Wissenschaft<br />

Ein Mann lässt sich seine Tätowierung mit Hilfe eines starkenLasersentfernen.<br />

DPA/FREDRIK VON ERICHSEN<br />

Für immer gezeichnet<br />

Moderne Laser sollen Tattoos ohne bleibende Spuren entfernen. Doch das Verfahren ist nicht nur unzuverlässig, sondern kann auch gefährliche Folgen haben<br />

VonMichael Brendler<br />

Auch früher –bevor Tattoos<br />

eine Massenerscheinung<br />

wurden –gab es schon Probleme.Wenn<br />

sich etwa ein<br />

Matrose den Namen seiner Herzensdame<br />

auf den Oberarm tätowieren<br />

ließ, sich aber dann in eine andere<br />

verliebte. Die Entfernung eines Tattoos<br />

war mit großen Unannehmlichkeiten<br />

verbunden. Zu den Methoden<br />

gehörten: kräftiges Scheuernmit groben<br />

Salzkörnern, Wegätzen mit Salpetersäure<br />

und Terpentin, eine höllisch<br />

brennende Spritze Tanninsäure<br />

unter die Haut, gefolgt von Silbernitrat<br />

zum Einrubbeln. Hatte man<br />

Glück, war das Tattoo großenteils verschwunden.<br />

Aber eine Narbe blieb.<br />

Tinte vongestern<br />

All das ist dunkle Vergangenheit, verkünden<br />

die Hautärzte von heute.<br />

Ganz schmerzfrei arbeiten zwar ihre<br />

Laser auch nicht. Aber sie sollen zumindest<br />

garantieren, dass das Tattoo<br />

einen nicht mehr auf dem ganzen<br />

Lebensweg begleitet. Auch schwierig<br />

zu entfernende Farben seien damit<br />

endgültig Tinte von gestern, um einen<br />

der Werbesprüche zu nennen.<br />

Was ist dran an diesen Versprechen?<br />

Ist ein Tattoo heute wirklich<br />

nur noch ein Körperschmuck auf<br />

Zeit? Wolfgang Bäumler, Dermatologe<br />

an der Universitätsklinik Regensburg,<br />

würde das bestreiten. „Ich<br />

kenne kein Tattoo, das komplett beseitigt<br />

wurde“, sagt der Leiter der<br />

Forschungsgruppe Laser und Photobiologie.<br />

Womöglich bemerke es<br />

nicht jeder Außenstehende auf den<br />

ersten Blick. „Aber man selbst wird<br />

immer sehen, dass da mal etwas gewesen<br />

ist.“ Im vergangenen Jahr<br />

wurde das Thema in Dresden von<br />

der Deutschen Gesellschaft für Dermatochirurgie<br />

diskutiert. Das Fazit:<br />

Mit den Farben Gelb, Ocker, Türkis<br />

und Weiß hat selbst der Laser regelmäßig<br />

seine Schwierigkeiten. Aber<br />

auch bei Blau, Grün und Rot inder<br />

Haut kann es sein, dass noch Schlierenoder<br />

Schatten übrigbleiben.<br />

Voreiniger Zeit machte Wolfgang<br />

Bäumler mit Kollegen eine Online-<br />

Umfrage dazu, wie Kunden die Ergebnisse<br />

beurteilen: Jeder dritte von<br />

157 Probanden gab in einer Fachzeitschrift<br />

an, unglücklich mit dem<br />

Resultat zu sein. Nur 38Prozent berichteten,<br />

dass von der Hautzeichnung<br />

nichts mehr zu sehen sei.<br />

Auch modernste Pikosekundenlaser<br />

können oft nicht alles entfernen.<br />

Nach Aussagen ihrer Hersteller haben<br />

diese Laser den Vorteil, dass sie<br />

gründlicher und mit weniger Schaden<br />

für die Umgebung arbeiten als<br />

ihreVorgänger aus dem Nanosekunden-Bereich.<br />

Um das zu verstehen,<br />

muss man etwas tiefer in die Materie<br />

einsteigen. Für die Hautgravur werden<br />

mit den Tätowiernadeln Farbteilchen<br />

in etwa ein bis zwei Millimetern<br />

Tiefe verteilt. Als Fremdkörper alarmieren<br />

sie dort die Fresszellen des<br />

Immunsystems,die mit ihren Beseitigungsversuchen<br />

zunächst scheitern,<br />

weil sie die Pigmente nicht zerstören<br />

können. Ein Teil der Makrophagen<br />

schleppt sich mit der Last zu den<br />

Lymphknoten weiter, andere bleiben<br />

BEI MÄNNERN AM ARM, BEI FRAUEN AM KNÖCHEL<br />

Jeder vierte Deutsche ab<br />

18 Jahren ist tätowiert. Das<br />

ergab 2017 eine Statistika-<br />

Umfragemit 1029 Teilnehmern.<br />

10 Prozent der Befragten<br />

hatten mehrere Tattoos,<br />

14 Prozent nur eins. 21 Prozent<br />

ziehen eine Tätowierung<br />

in Betracht, für 55 Prozent<br />

kommt sie nicht in Frage.<br />

Bevorzugte Stellen für Tätowierungen<br />

sind bei Männern:<br />

Oberarme (65 Prozent), Rücken<br />

und Schultern(je 58<br />

Prozent) und Unterarme (55<br />

Prozent). Bei Frauen sind es<br />

Fuß und Knöchel (61 Prozent),<br />

Schultern, Rücken,<br />

Oberarme und Körperseiten<br />

(43 bis 51 Prozent).<br />

Als Motive geben vieleTätowiertean:<br />

die Herausstellung<br />

vonIndividualität, größere sexuelleAnziehungskraft<br />

in der<br />

gleichgesinnten Zielgruppe.<br />

Psychologen stellten fest:Tätowierte<br />

sind experimentierfreudiger<br />

und abenteuerlustiger,<br />

neigen also zu einem riskanteren<br />

Lebensstil.<br />

in der Haut und sorgen so dafür,dass<br />

auch die Farbe vorOrt bleibt.<br />

Schon in den 1970er-Jahren kam<br />

die Idee auf, dass man Tattoos mit<br />

dem Laser beseitigen könnte,indem<br />

man die Farben in den Zellen so<br />

stark aufheizt, dass sie zerplatzen.<br />

Dasgroße Problem dabei: Manmuss<br />

sehr genau auf die Pigmente zielen,<br />

um nicht auch andere Gewebe in<br />

Mitleidenschaft zu ziehen. Bei dunkelhäutigen<br />

Menschen und Solariumanhängern<br />

ist zum Beispiel<br />

manchmal zu beobachten, dass der<br />

Laser ihnen auch die normalen<br />

Hautpigmente zerschießt. An das<br />

frühere Kunstwerk erinnert dann<br />

noch lange Zeit ein heller Schatten.<br />

Aber man wusste sich zu helfen:<br />

Bestrahlt man die Tattoos nur mit<br />

bestimmten Wellenlängen, saugen<br />

vorallem die Farbpigmente die Photonen-Energie<br />

auf. Jede Farbe muss<br />

dazu mit einer speziellen Wellenlänge<br />

erwischt werden. Zudem haben<br />

die verschiedenen Farbteilchen<br />

unterschiedlich lange thermale Relaxationszeiten.<br />

Damit wird die<br />

Spanne bezeichnet, die sie brauchen,<br />

um wieder abzukühlen. Der<br />

Laserimpuls sollte möglichst kurz<br />

sein. Je länger es braucht, um Energie<br />

in die Pigmente zu pumpen,<br />

desto größer die Gefahr, dass auch<br />

die Umgebung verglüht wird. Hier<br />

liegt die Stärke des Pikosekundenlasers.<br />

Dank seiner hohen Geschwindigkeit<br />

mit ultrakurzen Lichtimpulsen<br />

kann er auch kleinere Teilchen<br />

ins Visier nehmen. Mitden schnelleren<br />

Geräten könne man deshalb<br />

noch weiterarbeiten, wenn die alten<br />

Laser an den Resttrümmern scheitern,<br />

erklärt Laurence Imhof, Leiterin<br />

für Physikalische Therapie und<br />

Ästhetische Dermatologie des Universitätsspitals<br />

Zürich.<br />

Letztlich haben aber auch diese<br />

Geräte ihre Grenzen: Das liegt zum<br />

einen daran, dass manche Bruchstücke<br />

in tiefereSchichten wandern, wo<br />

sie die Laser kaum noch erreichen.<br />

Zumanderen geht der Plan der Ärzte<br />

oft nicht auf: Eigentlich sollen frische<br />

Fresszellen die Trümmer abräumen.<br />

Manchmal ziehen diese aber nicht<br />

wie geplant Richtung Lymphknoten<br />

weiter, sondern rühren sich nicht<br />

vonder Stelle.Dann können sich die<br />

unsichtbaren kleinen Fragmente in<br />

ihrem Inneren wieder zu sichtbaren<br />

großen zusammenballen.<br />

Zudem steht nicht für jede Farbe<br />

immer die passende Wellenlänge zur<br />

Verfügung. Bei Blau und Schwarz<br />

kann der Laser seine Stärken zeigen,<br />

auf sie lässt sich gleich mit mehreren<br />

Wellenlängen zielen. Für Gelb, Grün<br />

und Rotgibt es dagegen praktisch nur<br />

eine einzige. Für Türkis gar keine. In<br />

diesem Fall müsse man, sagt Laurence<br />

Imhof, schon ein bisschen mit<br />

den Einstellungsparametern des Gerätes<br />

spielen. Und jeweniger Spielraum<br />

man hat, desto schwieriger wird<br />

es auch, tiefer sitzende Pigmente zu<br />

erwischen. Wellenlänge und Strahldurchmesser<br />

bestimmen auch über<br />

die Eindringtiefe.<br />

Die meisten Tattoo-Entfernungen<br />

scheitern aber, sagt die Dermatologin,<br />

weil den Trägern entweder<br />

Geld oder Geduld ausgehen. Was<br />

nicht erstaunt: ZurEntfernung eines<br />

bunten Hautgemäldes muss man<br />

durchschnittlich zehn- bis zwanzigmal<br />

wiederkommen. Weil man dem<br />

Immunsystem zwischen den Sitzungen<br />

mindestens sechs Wochen Zeit<br />

geben muss, kann sich die Kur über<br />

Monate bis Jahre ziehen. Und jede<br />

Sitzung kostet je nach Größe des Tattoos<br />

zwischen 100 und 600 Euro.<br />

JörgLaske,Dermatologe am Universitätsklinikum<br />

Dresden, ist zu<br />

dem Thema gekommen, weil ihn immer<br />

wieder Menschen mit einer der<br />

schwersten Tattoo-Komplikation<br />

aufsuchen: juckende und brennende<br />

Allergien, vor allem auf die<br />

rote Farbe. Mit dem Laser ist hier<br />

nicht mehr viel auszurichten. Der<br />

Experte kann die Farbteilchen samt<br />

der umgebenden Haut nur mit einem<br />

Dermatom abhobeln. In der<br />

Regel unter Inkaufnahme einer Narbenbildung.<br />

Auch das Zerstören von<br />

Farbpigmenten, sagt er, kann solche<br />

Abstoßungsreaktionen auslösen.<br />

Unddas ist womöglich nicht die einzige<br />

Nebenwirkung.<br />

Krebserregende Stoffe<br />

Schon 2015 stellte das deutsche Bundesinstitut<br />

für Risikobewertung fest,<br />

dass unter Laser-Beschuss aus den<br />

Pigmenten krebserregendes Benzol<br />

und Blausäure entweichen – „in<br />

Konzentrationen, die hoch genug<br />

wären, Zellschäden zu verursachen“.<br />

Das galt für die Farbe Blau,<br />

andere Pigmente wiederum setzen<br />

potenziell kanzerogene Amine frei.<br />

Auch sie könnten einem ein Leben<br />

lang erhalten bleiben. Wie sich die<br />

Gifte im Körper verteilen und welche<br />

Langzeitfolgen sie haben, gelte als<br />

ungeklärt, so das Institut.<br />

Eingriff ins Erbgut: Schutz vor Aids erhöht Risiko für andere Leiden<br />

Die Entfernung des Gens CCR5 gilt als Weg, den Körper vor HIV zu schützen. Die Folgen sind jedoch unklar.Eine Analyse zeigt jetzt zum Beispiel, dass die Lebenserwartung sinken würde<br />

Eine genetische Veränderung, die<br />

unempfindlich gegen den Aids-<br />

Erreger HIV macht, erhöht das Sterberisiko<br />

durch andere Krankheiten.<br />

Menschen mit der Genveränderung<br />

haben eine um 21 Prozent verminderte<br />

Chance,das Alter von76Jahren<br />

zu erreichen, wie US-Forscher im<br />

Fachjournal NatureMedicine berichten.<br />

Bekanntheit erlangte diese Mutation<br />

vor einem halben Jahr, als der<br />

chinesische Biotechnologe He Jiankui<br />

verkündete, esseien zwei Mädchen<br />

geboren worden, deren Erbgut<br />

er entsprechend veränderthabe.<br />

Bei der Veränderung geht es um<br />

das Gen CCR5. Der Aidserreger HIV<br />

nutzt als Haupteintrittspforte in die<br />

Zellen ein Eiweiß, das von diesem<br />

Gen codiert wird. He hatte das<br />

CCR5-Gen bei den Zwillingsschwestern<br />

imRahmen einer künstlichen<br />

Befruchtung entfernt, um die Kinder<br />

vor Aids zu schützen. Zur Entfernung<br />

des Gens hatte er die<br />

GenschereCrispr/Cas9 genutzt –ein<br />

relativ neuesVerfahren, mit dem sich<br />

Gene gezielt manipulieren lassen.<br />

Sein Vorgehen löste eine weltweite<br />

Welle des Protests aus. Heverteidigte<br />

seine Strategie in einem weiteren<br />

Video.Und er behauptete,dass<br />

etwa 100 Millionen Menschen, die<br />

wegen der genetischen Mutation<br />

Delta 32 kein CCR5-Protein bilden,<br />

gesund seien.<br />

He Jiankui empörte die Welt mit den genmanipulierten Crispr-Babys. MARK SCHIEFELBEIN/AP/DPA<br />

Ob die Mutation nicht doch Auswirkungen<br />

auf die Gesundheit von<br />

Menschen hat, untersuchten Xinzhu<br />

Wei und Rasmus Nielsen von der<br />

University of California in Berkeley<br />

mittels der britischen Gen-Datenbank<br />

UK Biobank. Darin ist von<br />

mehr als 400 000 Menschen im Alter<br />

von 40 bis 78 Jahren verzeichnet,<br />

welche Varianten von CCR5 sie tragen.<br />

Weil jedes Gen doppelt vorhanden<br />

ist, kann es sein, dass die Delta-<br />

32-Mutation beide CCR5-Gene betrifft,<br />

nur eines von beiden oder keines<br />

vonbeiden.<br />

DieAnalyse zeigte: Menschen mit<br />

der zweifach vorhandenen Delta-32-<br />

Mutation haben eine um 21 Prozent<br />

geringere Wahrscheinlichkeit, 76<br />

Jahre alt zu werden, als solche, die<br />

keine oder nur eine Delta-32-Mutation<br />

geerbt hatten.<br />

Welche Probleme die Mutation<br />

verursacht, ist noch nicht klar. Untersuchungen<br />

ergaben, dass die<br />

Delta-32-Mutation zwar möglicherweise<br />

auch Schutz gegen Krankheitserreger<br />

wie Pocken und einige<br />

andere Viren bietet. Andererseits ist<br />

die Sterblichkeitsrate bei einer<br />

Grippe-Infektion einer früheren Studie<br />

zufolge um das Vierfache erhöht.<br />

He wurde mittlerweile von seiner<br />

Universität im südchinesischen<br />

Shenzhen entlassen, weitere Forschung<br />

wurde ihm untersagt. (dpa)

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