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Berliner Kurier 13.06.2019

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KULTUR<br />

SEITE17<br />

BERLINER KURIER, Donnerstag, 13. Juni 2019<br />

Menschenbild<br />

im Wandel<br />

Man soll ja nicht schadenfroh<br />

sein, aber es<br />

ist in gewisser Weise<br />

ein Glück, dass sich die Münchner<br />

Glyptothek gerade im Umbau<br />

befindet. „Die geben uns<br />

jetzt Objekte, die sie sonst nie<br />

rausrücken würden“, freut sich<br />

der Archäologe und stellvertretende<br />

Direktor des Alten Museums,<br />

Dr. Martin Maischberger<br />

(54). Allein diesem Umstand ist<br />

es zu verdanken, dass die 20<br />

hochwertigen Leihgaben der<br />

Münchner zusammen mit ausgewählten<br />

Objekten aus eigenem<br />

Bestand in einem Umfang<br />

zusammenfinden, der bisher<br />

noch nie dagewesen ist. „Starke<br />

Typen. Griechische Porträts<br />

der Antike“ heißt die hochkarätige<br />

archäologische Ausstellung.<br />

Gemeint sind weniger die<br />

körperlichen Eigenschaften<br />

der Porträtierten. „Muskelprotze<br />

haben wir hier genug herumstehen“,<br />

sagt Maischberger. Es<br />

gehe vielmehr um „das Spannungsfeld<br />

von Ideal und Individualisierung“.<br />

Zu sehen sind<br />

marmorne Köpfe bedeutender<br />

Dichter und Denker, Herrscher<br />

und Königinnen.<br />

Aus München kommen die<br />

Konterfeis von Homer, Autor<br />

der Ilias und der Odyssee, der<br />

Philosophen Meander, Platon<br />

und Metrodoros oder von Königen<br />

aus dem griechischen Hellenismus:<br />

„Alexander der Große,<br />

der erste Weltherrscher,<br />

dessen Reich später zerfiel. Es<br />

sind überwiegend Männer,<br />

aber auch eine Frau, die ägyptische<br />

Königin Kleopatra, die ja<br />

eine Griechin aus der Ptolemäer-Dynastie<br />

und die siebte Königin<br />

dieses Namens war“, sagt<br />

Maischberger.<br />

Die Büste der berühmten<br />

Herrscherin bleibt allerdings<br />

auch während der Schau im<br />

Sonderausstellungsraum, an ihrem<br />

gewohnten Platz im Alten<br />

Museum neben Julius Cäsar,<br />

der allein wegen ihr als Römer<br />

auch Teil der „starken Typen“<br />

ist: „Sie waren ja liiert und wollen<br />

nicht getrennt werden“. Berenike<br />

und Arsinoe sind ebenso<br />

zu nennen. Das älteste Stück ist<br />

die Darstellung einer adligen<br />

Frau, Ornithe, gefunden im<br />

Heiligtum der Göttin Hera auf<br />

Samos.<br />

„Starke Typen ist ein Wortspiel,<br />

denn es sind ja Typen, die<br />

starke Persönlichkeiten waren<br />

wie Perikles, Alexander oder<br />

Foto: Markus Wächter<br />

„Starke Typen“ im Alten Museum: Erstmals sind Porträts<br />

der griechischen Antike in diesem Umfang vereint<br />

Kleopatra, die der Welt die<br />

Stirn geboten haben.“ Doppeldeutig<br />

ist der Titel auch insofern,<br />

als es sich bei den Marmorköpfen<br />

um „stark typisierte<br />

Porträts“ handelt, erklärt<br />

Maischberger. „Natürlich zeigen<br />

die Bildnisse die Personen<br />

Dr.Martin<br />

Maischberger<br />

mit der Büste<br />

des Perikles.<br />

nicht wie sie wirklich waren,<br />

sondern sie folgen dem Zeitgeschmack.<br />

So werden die Personen<br />

in der griechischen Frühzeit<br />

oft lächelnd dargestellt.<br />

Seit der klassischen Zeit ab dem<br />

5. Jahrhundert vor Christus<br />

haben die Leute ernste Gesichter.“<br />

Als ein mögliches Erklärungsmodell<br />

dafür führt der Archäologe<br />

die äußere Bedrohung<br />

durch die Perser und die<br />

Perserkriege sowie den Beginn<br />

der Demokratie an. „Das Menschenbild<br />

wandelte sich hin zu<br />

dieser klassischen Ernsthaftigkeit.<br />

In Athen hatte man die<br />

Herrschaft der Tyrannen abgeschüttelt,<br />

einen Ältestenrat und<br />

eine Volksversammlung eingeführt,<br />

die Frauen, Sklaven und<br />

Fremde allerdings ausschloss“,<br />

sagt Maischberger. Die Bildnisse<br />

sollten dementsprechend<br />

staatstragendes Gebaren und<br />

Unerschrockenheit transportieren.<br />

„In diesem Überblick ist es die<br />

erste Ausstellung, die den Bogen<br />

spannt vom sechsten Jahrhundert<br />

vor bis zum ersten<br />

Jahrhundert nach Christus“.<br />

Eine kleine Sensation bilden allein<br />

die beinahe zwei Meter hohen<br />

Bronzestatuen der „Krieger<br />

von Riace“ aus dem 5. Jahrhundert<br />

v. Chr., die 1972 vor der<br />

Küste von Riace aus dem Meer<br />

geborgen und 1980 erstmals in<br />

Florenz ausgestellt wurden.<br />

Aus dem Frankfurter Liebighaus<br />

sind jetzt die rekonstruierenden<br />

Nachgüsse in der Rotunde<br />

des Alten Museums zu<br />

sehen. Etliche Vasen und Kleinkunstobjekte<br />

aus dem Archiv<br />

des Hauses sowie Leihgaben<br />

aus dem Münzkabinett vervollständigen<br />

das Bild des griechischen<br />

Konterfeis –oder besser<br />

neudeutsch: ihres Images.<br />

„Starke Typen. Griechische<br />

Porträts der Antike“, Ausstellung,<br />

Altes Museum, Bodestraße 1–3,<br />

19. Juni bis 2. Februar 2020<br />

Kuhns<br />

Kulturstück<br />

Helmut Kuhn<br />

schaut,liest<br />

und hörtfür<br />

den KURIER.

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