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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 155 · M ontag, 8. Juli 2019 – S eite 18 *<br />
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Sport<br />
Ganz schön viele eiserne Fußballspieler,und einige waren noch nicht mal auf dem Feld.<br />
JÜRGEN ENGLER<br />
Magathsche Verhältnisse<br />
Der 1. FC Union geht mit einem üppig besetzten Kader ins Trainingslager nach Österreich. Dort startet ein harter Konkurrenzkampf<br />
VonMathias Bunkus<br />
Die größte Angst der Fans<br />
des 1. FC Union konnte<br />
am Sonnabend gegen<br />
14.30 Uhr als gebannt<br />
betrachtet werden. Nicht wenige<br />
fürchteten nach dem Transferfeuerwerk,<br />
mit dem Manager Oliver<br />
Ruhnert die Zugänge elf und zwölf<br />
beschert hatte, dass sie auch bei<br />
der offiziellen Saisoneröffnung der<br />
Eisernen kurzfristig weitereNamen<br />
lernen müssen.<br />
Das blieb ihnen erspart. Doch<br />
Christian Arbeit, Mediendirektor<br />
der Köpenicker Fußballer, musste<br />
sich bei seinem Job als Stadion-<br />
Conférencier mächtig sputen, ehe<br />
er alle 34 Mann auf den Rasen gebeten<br />
und vorgestellt hatte. Es<br />
fehlte schließlich nur Suleiman Abdullahi,<br />
dessen Passprobleme laut<br />
Arbeit immerhin mittlerweile<br />
überstanden sein sollen. Der nigerianische<br />
Stürmer kann nach verpasster<br />
erster Übungswoche aus<br />
seiner Heimat ausreisen und den<br />
Trip ins Trainingslager nach Oberösterreich<br />
mit antreten.<br />
Nicht wenige fühlen sich übrigens<br />
angesichts von Unions Kadergröße<br />
an Magathsche Dimensionen<br />
erinnert. Auch Sebastian Polter,<br />
der einst unter Felix Magath in<br />
Wolfsburggewirkt hatte.„Derhat ja<br />
auch gerne mal einen mehr verpflichtet“,<br />
erinnert sich der 28-Jährige,<br />
der am Sonnabend beim 2:1<br />
im Testspiel gegen Bröndby IFdas<br />
erste Tor des Neu-Bundesligisten<br />
erzielt hat.<br />
Subotic und Gentner fehlen<br />
„Klar ist es in der Summe relativ<br />
viel geworden. Aber ich glaube,<br />
dass man für die Bundesliga einen<br />
breiteren Kader braucht. Man darf<br />
in dieser Saison ja zwei Spieler<br />
mehr mitnehmen. Ichhabe gehört,<br />
dass der Trainer davon gern Gebrauch<br />
machen möchte – gerade<br />
auswärts. Eswird jeden individuell<br />
stärker machen“, gibt sich Polter<br />
gelassen. Er präsentierte sich zum<br />
Startjedenfalls bestens vorbereitet.<br />
Mit seinem Laktatwert von 4,1 erreichte<br />
er eine persönliche Bestmarke.<br />
Nie zuvor hatte er in seiner<br />
Laufbahn die 3,95 übertroffen.<br />
Der 28-Jährige steht allerdings<br />
auch ziemlich unter Druck. Für<br />
den zentralen Angriff holte Union<br />
den bundesligaerfahrenen Anthony<br />
Ujah sowie den Dänen Marcus<br />
Ingvartsen, der auch als hängende<br />
Spitze agieren kann. Auch<br />
Sebastian Andersson wird seinen<br />
Vorjahres-Stammplatz nicht freiwillig<br />
räumen wollen. Unddass Urs<br />
Fischer sein bevorzugtes System<br />
mit einer Spitze aufgibt, auf ein 4-<br />
4-2 oder gar 3-5-2 umstellt −das<br />
Personal dafür wäre mittlerweile<br />
vorhanden − darf bezweifelt werden.<br />
Die beiden Spitzentransfers<br />
Christian Gentner und Neven Subotic<br />
waren am Wochenende indes<br />
noch außen vor. Weil beiden noch<br />
jedwedes Teamtraining fehlt, entschied<br />
sich Urs Fischer dafür, kein<br />
unnötiges Risiko einzugehen und<br />
„Alles, was es im Trainingslager braucht,<br />
sind ein gutes Bett, gutes Essen<br />
und ein guter Platz.“<br />
Christopher Trimmel hat als Kapitän des 1. FC Union die entscheidenden Faktoren<br />
ausgemacht, die es für eine gute Saisonvorbereitung braucht.<br />
ließ sie beim Testspiel gegen<br />
Bröndby ebenso draußen wie die<br />
eingetrudelten Nationalspieler Sebastian<br />
Andersson (Schweden),<br />
Rafal Gikiewicz (Polen), Cihan Kahraman<br />
(U21 Türkei) und Marcus<br />
Ingvartsen (U21 Dänemark). Auch<br />
Rückkehrer Marvin Friedrich −neben<br />
Michael Parensen von den<br />
rund 12 000 Fans am lautesten begrüßt<br />
−und Sheraldo Becker durften<br />
die Atmosphäre imStadion An<br />
der Alten Försterei zunächst noch<br />
vonden Rängen aus einsaugen. Zudem<br />
musste Florian Hübner wegen<br />
einer Blessur zuschauen.<br />
Laut Urs Fischer soll er aber im<br />
Trainingslager in Windischgarsten<br />
zum Teil schon wieder ins Mannschaftstraining<br />
einsteigen können.<br />
Da ist zumindest das Ambiente<br />
schon mal großartig. Sonne, grüne<br />
Wiesen und die malerischen Gipfelzüge<br />
der Kalkalpen. Auch wenn<br />
die Kicker davon wohl wenig mitbekommen<br />
werden. „Ich habe immer<br />
gesagt, alles, was es im Trainingslager<br />
braucht, sind ein gutes<br />
Bett, gutes Essen und ein guter<br />
Platz. Für mehr ist da nicht Zeit“,<br />
gab daher auch Unions Kapitän<br />
Christopher Trimmel zum Besten.<br />
Ein neuer „Tusche“<br />
Der 32-Jährige suchte am Wochenende<br />
merklich die Nähe von Christian<br />
Gentner und Neven Subotic,<br />
denen absolute Führungsrollen im<br />
Bundesligateam der Köpenicker<br />
zugetraut werden. „Die beiden sind<br />
sportlich eine Bereicherung. Sie<br />
sind absolute Leadertypen und<br />
sehr erfahren. Das hilft natürlich“,<br />
sagt der Rechtsverteidiger. Man<br />
darf gespannt sein, ob er recht behält.<br />
Dass niemand sich auf neue Namen<br />
einstellen musste, stimmt allerdings<br />
doch nicht so ganz. Maurice<br />
Opfermann, mit vollständigem<br />
Namen Maurice Noel Miguel Opfermann<br />
Arcones, firmiert künftig<br />
nur noch unter der recht kurzen<br />
Form: Maurice Arcones. Wer sich<br />
das nicht merken kann: Im Team<br />
wird er seit langem nur „Tusche“<br />
gerufen, weil er bei den C-Junioren<br />
wegen seiner Rückennummer 17<br />
von einem Trainer so betitelt worden<br />
war. Die trug ja einst der große<br />
Torsten Mattuschka. Und dessen<br />
Namen kennt bekanntlich jeder in<br />
Köpenick.<br />
Mathias Bunkus<br />
kennt die Namen aller<br />
Union-Profis bereits.<br />
Der nächste Streich<br />
Für Fifa-Boss Gianni Infantino scheint der Frauenfußball ein Vehikel zu sein, um seine Vision vom Weltfußball durchzudrücken, was Weltmeister-Kapitänin Megan Rapinoe widerstrebt<br />
VonFrank Hellmann, Lyon<br />
Die Geschichte von Cameron<br />
und Harmony Gerst DeVaughn<br />
ist selbst für amerikanische Verhältnisse<br />
fast schon zu kitschig. Kennengelernt<br />
hat sich das seit dem Frühjahr<br />
verheiratete Paar aus Colorado<br />
nämlich bei einem Länderspiel der<br />
Männer:USA gegenVenezuela im Januar<br />
2012. Er entdeckte sein Faible<br />
für den Fußball über die Frauen, als<br />
er beim Endspiel der WM 1999 unter<br />
mehr als 90 000 Zuschauernsaß. Ihn<br />
hatte damals sein Kumpel an der<br />
High School, US-Nationalspieler<br />
und Bundesligaprofi Landon Donovan,<br />
in die Rose Bowl nach Pasadena<br />
mitgenommen. Er hat noch das Bild<br />
vor Augen, wie sich die US-Spielerin<br />
Brandi Chastain nach dem letzten<br />
Elfmeter das Trikot vomLeib riss.<br />
Frisch vermählt haben sich die<br />
beiden in aktuellen US-Jerseys das<br />
Finale der Frauen-WM 2019 im<br />
Stade de Lyon angesehen. Sie jubelten,<br />
als Kapitänin Megan Rapinoe ihr<br />
Team zum vierten WM-Titel führte.<br />
Die USA besiegten Europameister<br />
Niederlande mit 2:0 (0:0), Rapinoe<br />
gewann den Goldenen Ball für die<br />
beste Spielerin der WM sowie den<br />
Goldenen Schuh für die beste Torschützin.<br />
Zuvor hatte sie den von<br />
Fifa-Präsident Gianni Infantino und<br />
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel<br />
Macron überreichten WM-Pokal<br />
in den Himmel vonLyongereckt.<br />
Camron Gerst DeVaughn konnte<br />
nicht fassen, wie sich der Frauenfußball<br />
in 20 Jahren entwickelt hat.„It’sa<br />
great game!“ Ein großartiges Spiel.<br />
Wenn solch ein Turnier sogar den<br />
Flitterwochen das besondere Flair<br />
verleiht, ist einiges passiert.<br />
Infantino jedenfalls hat die achte<br />
Auflage als „phänomenal, unglaublich,<br />
und fantastisch“ bezeichnet.<br />
Und natürlich war es für den zu Superlativen<br />
neigenden Schweizer „die<br />
beste Frauen-WM aller Zeiten“. Das<br />
trifft weniger auf die Zahl der Stadionbesucher<br />
(1,16 Millionen) als bei<br />
den Fernsehzuschauernzu: weltweit<br />
die Rekordmarke von einer Milliarde.<br />
Die größte Aufmerksamkeit<br />
generierte<br />
dabei das Achtelfinale<br />
Frankreich gegen Brasilien:<br />
58,7 Millionen. Mehr<br />
als 35 Millionen in der<br />
Heimat von Marta, die<br />
kurzzeitig gar Neymar in<br />
den Schatten stellte.<br />
Eingedenk dieser Resonanz<br />
soll die Frauen-<br />
WM 2023 von 24auf 32<br />
Teilnehmer aufgestockt werden.<br />
Neun Länder haben Interesse angemeldet:<br />
Argentinien, Bolivien, Brasilien<br />
und Kolumbien aus Südamerika,<br />
Australien und Neuseeland, Japan<br />
und Südkorea (eventuell mit<br />
Nordkorea), dazu Südafrika. Biszum<br />
4. Oktober muss die Bewerbung offi-<br />
ziell werden, über die im März 2020<br />
entschieden wird. In der Ausschreibung<br />
war zunächst nur von 24Teilnehmerndie<br />
Rede,doch so etwas hat<br />
Infantino noch nie gekümmert.<br />
Bei den Männern ist<br />
der 49-Jährige mit der<br />
handstreichartigen Erweiterung<br />
für die WM<br />
2022 in Katar gescheitert,<br />
aber bei den Frauen kann<br />
man es ja mal versuchen.<br />
„Ich hoffe,dass die Council-Mitglieder<br />
mir folgen,<br />
sonst werde ich darauf<br />
Frauenfußball-Versteher?<br />
Infantino<br />
DPA/GOLLNOW<br />
bestehen.“ Ohnehin<br />
scheint ihm der Frauenfußball<br />
als Vehikel willkommen, um<br />
durchzudrücken, was bei den Männern<br />
auf Widerstand stieß: eine<br />
Klub-WM undWeltliga. DieFrage ist,<br />
ob nicht eine nachhaltige Entwicklung<br />
besser helfen würde.<br />
Noch immer gibt es große Lücken<br />
an der Basis der Frauen.Vonden 13,3<br />
Millionen registrierten Spielerinnen<br />
sind laut neuester Fifa-Studie die mit<br />
Abstand meisten in Nordamerika<br />
beheimatet: allein 9,5 Millionen in<br />
den USA, 290 000 in Kanada, dann<br />
knapp 200 000 in Deutschland. In<br />
rund einem Drittel der Fifa-Mitgliedsverbände<br />
bestreiten Frauen-<br />
Nationalteams weniger als fünf Länderspiele<br />
im Jahr −odersie existieren<br />
gar nicht erst. In Asien oder Afrika<br />
hat die Hälfte nicht an denWM-Qualifikationsspielen<br />
teilgenommen. Infantino<br />
will für Projekte zur Förderung<br />
des Frauen- und Mädchenfußballs<br />
nun sogar eine Milliarde Dollar<br />
für vier Jahre locker machen. Und<br />
auch das Preisgeld für die WM 2023<br />
soll von30Millionen Dollar mindestens<br />
verdoppelt werden.<br />
Aber ausgerechnet Megan Rapinoe,<br />
die streitbare US-Fußballerin<br />
vomlinken Flügel, hat den Fifa-Boss<br />
als zweites Feindbild nach US-Präsident<br />
Donald Trump ausgemacht.<br />
Die Geringschätzung der Frauen<br />
könne schon daran festgemacht<br />
werden, dass am selben Tag die<br />
Männer-Finals der Copa América<br />
und beim Gold Cup angesetzt seien.<br />
„Eine furchtbareIdee!“ DasPreisgeld<br />
sei auch nicht ausreichend, kritisierte<br />
die 34-Jährige,wenn die Lücke<br />
zu den Männern(440 Millionen Dollar<br />
2022) noch größer werde.<br />
Und überhaupt: „Wenn man es<br />
schafft, eine WM nach Katar zu vergeben,<br />
muss auch anderes möglich<br />
sein.“ Ihre Attacken schienen vor<br />
dem Finale Teil einer ausgeklügelten<br />
Strategie des US-amerikanischen<br />
Fußballverbandes (USSF) zu sein,<br />
der selbst noch eine Klage seiner<br />
Spielerinnen nach besserer Bezahlung<br />
behandeln muss. US-Medienchef<br />
Aaron Heifetz klatschte die Vorkämpferin<br />
nach der Pressekonferenz<br />
am Sonnabend fast so kräftig ab wie<br />
sich Cameron und Harmony Gerst<br />
DeVaughn nach jedem Tordrückten.