Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
AKTUELL<br />
Eine Woche Ausnahmezustand –<br />
die Umweltorganisation<br />
Extinction Rebellion hat<br />
Berlin erreicht.Für die<br />
Autofahrer kann es in dieser<br />
Woche unbequem werden.<br />
Party-Rebellen<br />
feiern leereStraßen<br />
Die Umweltaktivisten von Extinction Rebellion blockieren die<br />
Stadt –und feiern dabei. Eine Woche soll der Protest dauern<br />
Von<br />
MELANIE REINSCH<br />
und<br />
NADJADILGER<br />
Berlin – Sie wollen ihn jetzt. Sie<br />
wollen ihn hier: Den Systemwandel<br />
für mehr Klimagerechtigkeit<br />
auf der Welt. Und wenn nötig,<br />
sind sie bereit, bis zum Äußersten<br />
zu gehen. Wie weit –davon konnte<br />
man sich in Berlin am Montag<br />
einen ersten Eindruck machen.<br />
Die Klimaaktivisten der Umweltorganisation<br />
Extinction Rebellion<br />
(XR) haben am Montag in der Stadt<br />
mehrere Straßen und Plätze blockiert,<br />
um auf ihr Anliegen aufmerksam<br />
zu machen. Sie wollen die Regierung<br />
mit ihren Aktionen in die<br />
Knie zwingen, damit diese den Klimanotstand<br />
anerkennt und ausruft.<br />
So sollen die Treibhausgas-Emissionen<br />
bis 2025 auf netto-null gesenkt<br />
werden. Man stehe vor einem „ökologischen<br />
Kollaps“, heißt es von den<br />
Aktivisten.<br />
Die gesamte Woche wollen die<br />
Umweltschützer in Berlin gegen die<br />
Klimapolitik demonstrieren und zivilen<br />
Ungehorsam üben. Friedlich,<br />
wie stets betont wird.<br />
Den Auftakt ihrer Aktionen machten<br />
sie am Montag, als die „Rebellen“<br />
mitten in der Nacht die Zufahrtsstraßen<br />
Richtung Siegessäule<br />
blockierten. „Berlin, wach auf! Wir<br />
schwärmen aus!“ –mit dieser Nachricht<br />
über den Messenger Telegram<br />
versuchten die Aktivisten, mobil zu<br />
machen. Vier Uhr nachts war es da.<br />
Viele waren allerdings schon um<br />
drei Uhr nachts auf den Beinen. So<br />
wie Helena, die extra für ihren Protest<br />
aus Freiburg angereist ist und<br />
bereit ist, die Besetzung die ganze<br />
Nacht weiter aufrechtzuerhalten.<br />
Wenn nicht jetzt, wann dann?<br />
Am Morgen sperrte die Polizei die<br />
Zufahrtsstraßen dann selbst ab und<br />
duldete die Demonstrationen an der<br />
Siegessäule. Dort sitzt man am Mittag<br />
in der Sonne, singt Lieder, pustet<br />
Seifenblasen in die Luft oder versucht<br />
mit Yoga-Übungen, den<br />
steifen und kalten Körper zu<br />
aktivieren, während am Himmel<br />
ein überdimensionierter<br />
schwarzer Luftballon mit dem<br />
obligatorischen XR-Symbol,<br />
der Sanduhr, durch die Luft<br />
schwebt. „Entschuldigen Sie<br />
die Störung, aber es geht ums<br />
Überleben“ steht auf einem<br />
Transparent, das über der Straße<br />
hängt.<br />
Der 19-jährige Abiturient Niko<br />
Meins aus Hamburg sitzt, in<br />
eine Decke eingewickelt, mit einer<br />
kleinen Musikgruppe vor der Siegessäule,<br />
an der Einfahrt zur Straße<br />
des 17. Juni. „Von der blauen Erde<br />
kommen wir, unser Klima stirbt genauso<br />
früh wie wir“, stimmen sie auf<br />
eine bekannte Kindermelodie an.<br />
Die Sonne blinzelt ihnen ins Gesicht,<br />
die kühle Temperatur merkt man ihnen<br />
nicht an. Am Sonntag ist Meins<br />
angereist, bei einer „Fridays for Future“-Demo<br />
in Hamburg hätte er<br />
von XR und der Veranstaltung in<br />
Berlin erfahren. Was ihn dazu bewegt,<br />
für das Klima zu streiken? „Ich<br />
hatte einen Moment in dem ich<br />
dachte, wir sind am Arsch“, sagt<br />
Meins ernst. „Und dann wollte ich<br />
etwas tun.“<br />
Jetzt bloß ausharren, denn auch<br />
wenn die Sonne es meist durch die<br />
Wolken schafft: Es ist kalt. Immer<br />
wieder kommen Aufrufe, die Zufahrtsstraßen<br />
weiter zu belagern,<br />
auch wenn die Performances sich<br />
eher an der Mittelinsel abspielen. An<br />
den Kreuzungen zum Kreisverkehr<br />
kampierten daher jeweils rund 50<br />
Aktivisten –teilweise eingehüllt in<br />
Bunter Protest: Am Großen Stern gabes<br />
den ganzen TagAktionen. Bereits in den<br />
Morgenstunden warendie Straßen an<br />
der Siegessäule besetzt worden.<br />
gold-glitzerne Rettungsdecken oder<br />
eingekuschelt in Hängematten, die<br />
die Demonstranten zwischen den<br />
Schildern aufgehängt haben.<br />
Gegen Mittag trat in der eigens für<br />
Aktion gebauten „Arche“ auch die<br />
Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete<br />
auf, die den „Rebellen“ Mut zusprach,<br />
„Berlin Tag und Nacht zu<br />
blockieren“. Die Arche hätte eigentlich<br />
direkt auf dem Stern auf der<br />
Straße aufgebaut werden sollen. Das<br />
hatte die Polizei den Demonstranten<br />
allerdings untersagt. So entstand die<br />
Holzarche „Rebella“, die als Bühne<br />
für die Redner fungierte, auf der<br />
Mittelinsel, neben der Siegessäule.<br />
„Sagt die Wahrheit“ malten die Aktivisten<br />
auf den Schiffsrumpf.<br />
Über die Nachrichtendienste der<br />
Umweltschützer verbreitete sich am<br />
Nachmittag dann die Warnung, dass<br />
die Polizei am Abend die Zufahrtsstraßen<br />
zum Großen Stern räumen<br />
wolle. Die Polizei bestätigte das<br />
nicht. Man setze auf Kommunikation<br />
und friedliche Lösungen,<br />
sagt eine Sprecherin: „Wir wollen,<br />
dass es gewaltfrei bleibt und<br />
eine Lösung, mit der alle zufrieden<br />
sind.“ Flexibel bleiben, so<br />
die Devise der Polizei – und<br />
wohl auch die der Aktivisten.<br />
Die beiden Münchner Susanne<br />
und Kristof waren froh, dass der<br />
Protest bisher so friedlich verlaufen<br />
sei. „Wenn es Krawall<br />
gibt, gibt es zwar vielleicht mehr<br />
Öffentlichkeit, aber das bringt<br />
uns überhaupt nicht weiter“, sagt er.<br />
Auch zum Potsdamer Platz kamen<br />
rund 2000 Menschen, um gegen den<br />
Klimawandel zu protestieren. Die<br />
angemeldete Demo wurde am Nachmittag<br />
zwar zunächst offiziell beendet,<br />
aber einige Demonstranten hatten<br />
sich festgekettet. Später begann<br />
die Polizei, Blockierer wegzutragen.<br />
Aber um 22.23 Uhr twitterten die<br />
Protestler: „Räumung abgebrochen!“<br />
Die Polizei wollte das dem<br />
KURIER nicht bestätigen, die Verkehrsleitzentrale<br />
des Senats jedoch<br />
meldete ebenfalls, dass der Potsdamer<br />
Platz nicht weiter geräumt werde<br />
und vorerst gesperrt bleibe.