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Berliner Kurier 08.10.2019

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AKTUELL<br />

Eine Woche Ausnahmezustand –<br />

die Umweltorganisation<br />

Extinction Rebellion hat<br />

Berlin erreicht.Für die<br />

Autofahrer kann es in dieser<br />

Woche unbequem werden.<br />

Party-Rebellen<br />

feiern leereStraßen<br />

Die Umweltaktivisten von Extinction Rebellion blockieren die<br />

Stadt –und feiern dabei. Eine Woche soll der Protest dauern<br />

Von<br />

MELANIE REINSCH<br />

und<br />

NADJADILGER<br />

Berlin – Sie wollen ihn jetzt. Sie<br />

wollen ihn hier: Den Systemwandel<br />

für mehr Klimagerechtigkeit<br />

auf der Welt. Und wenn nötig,<br />

sind sie bereit, bis zum Äußersten<br />

zu gehen. Wie weit –davon konnte<br />

man sich in Berlin am Montag<br />

einen ersten Eindruck machen.<br />

Die Klimaaktivisten der Umweltorganisation<br />

Extinction Rebellion<br />

(XR) haben am Montag in der Stadt<br />

mehrere Straßen und Plätze blockiert,<br />

um auf ihr Anliegen aufmerksam<br />

zu machen. Sie wollen die Regierung<br />

mit ihren Aktionen in die<br />

Knie zwingen, damit diese den Klimanotstand<br />

anerkennt und ausruft.<br />

So sollen die Treibhausgas-Emissionen<br />

bis 2025 auf netto-null gesenkt<br />

werden. Man stehe vor einem „ökologischen<br />

Kollaps“, heißt es von den<br />

Aktivisten.<br />

Die gesamte Woche wollen die<br />

Umweltschützer in Berlin gegen die<br />

Klimapolitik demonstrieren und zivilen<br />

Ungehorsam üben. Friedlich,<br />

wie stets betont wird.<br />

Den Auftakt ihrer Aktionen machten<br />

sie am Montag, als die „Rebellen“<br />

mitten in der Nacht die Zufahrtsstraßen<br />

Richtung Siegessäule<br />

blockierten. „Berlin, wach auf! Wir<br />

schwärmen aus!“ –mit dieser Nachricht<br />

über den Messenger Telegram<br />

versuchten die Aktivisten, mobil zu<br />

machen. Vier Uhr nachts war es da.<br />

Viele waren allerdings schon um<br />

drei Uhr nachts auf den Beinen. So<br />

wie Helena, die extra für ihren Protest<br />

aus Freiburg angereist ist und<br />

bereit ist, die Besetzung die ganze<br />

Nacht weiter aufrechtzuerhalten.<br />

Wenn nicht jetzt, wann dann?<br />

Am Morgen sperrte die Polizei die<br />

Zufahrtsstraßen dann selbst ab und<br />

duldete die Demonstrationen an der<br />

Siegessäule. Dort sitzt man am Mittag<br />

in der Sonne, singt Lieder, pustet<br />

Seifenblasen in die Luft oder versucht<br />

mit Yoga-Übungen, den<br />

steifen und kalten Körper zu<br />

aktivieren, während am Himmel<br />

ein überdimensionierter<br />

schwarzer Luftballon mit dem<br />

obligatorischen XR-Symbol,<br />

der Sanduhr, durch die Luft<br />

schwebt. „Entschuldigen Sie<br />

die Störung, aber es geht ums<br />

Überleben“ steht auf einem<br />

Transparent, das über der Straße<br />

hängt.<br />

Der 19-jährige Abiturient Niko<br />

Meins aus Hamburg sitzt, in<br />

eine Decke eingewickelt, mit einer<br />

kleinen Musikgruppe vor der Siegessäule,<br />

an der Einfahrt zur Straße<br />

des 17. Juni. „Von der blauen Erde<br />

kommen wir, unser Klima stirbt genauso<br />

früh wie wir“, stimmen sie auf<br />

eine bekannte Kindermelodie an.<br />

Die Sonne blinzelt ihnen ins Gesicht,<br />

die kühle Temperatur merkt man ihnen<br />

nicht an. Am Sonntag ist Meins<br />

angereist, bei einer „Fridays for Future“-Demo<br />

in Hamburg hätte er<br />

von XR und der Veranstaltung in<br />

Berlin erfahren. Was ihn dazu bewegt,<br />

für das Klima zu streiken? „Ich<br />

hatte einen Moment in dem ich<br />

dachte, wir sind am Arsch“, sagt<br />

Meins ernst. „Und dann wollte ich<br />

etwas tun.“<br />

Jetzt bloß ausharren, denn auch<br />

wenn die Sonne es meist durch die<br />

Wolken schafft: Es ist kalt. Immer<br />

wieder kommen Aufrufe, die Zufahrtsstraßen<br />

weiter zu belagern,<br />

auch wenn die Performances sich<br />

eher an der Mittelinsel abspielen. An<br />

den Kreuzungen zum Kreisverkehr<br />

kampierten daher jeweils rund 50<br />

Aktivisten –teilweise eingehüllt in<br />

Bunter Protest: Am Großen Stern gabes<br />

den ganzen TagAktionen. Bereits in den<br />

Morgenstunden warendie Straßen an<br />

der Siegessäule besetzt worden.<br />

gold-glitzerne Rettungsdecken oder<br />

eingekuschelt in Hängematten, die<br />

die Demonstranten zwischen den<br />

Schildern aufgehängt haben.<br />

Gegen Mittag trat in der eigens für<br />

Aktion gebauten „Arche“ auch die<br />

Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete<br />

auf, die den „Rebellen“ Mut zusprach,<br />

„Berlin Tag und Nacht zu<br />

blockieren“. Die Arche hätte eigentlich<br />

direkt auf dem Stern auf der<br />

Straße aufgebaut werden sollen. Das<br />

hatte die Polizei den Demonstranten<br />

allerdings untersagt. So entstand die<br />

Holzarche „Rebella“, die als Bühne<br />

für die Redner fungierte, auf der<br />

Mittelinsel, neben der Siegessäule.<br />

„Sagt die Wahrheit“ malten die Aktivisten<br />

auf den Schiffsrumpf.<br />

Über die Nachrichtendienste der<br />

Umweltschützer verbreitete sich am<br />

Nachmittag dann die Warnung, dass<br />

die Polizei am Abend die Zufahrtsstraßen<br />

zum Großen Stern räumen<br />

wolle. Die Polizei bestätigte das<br />

nicht. Man setze auf Kommunikation<br />

und friedliche Lösungen,<br />

sagt eine Sprecherin: „Wir wollen,<br />

dass es gewaltfrei bleibt und<br />

eine Lösung, mit der alle zufrieden<br />

sind.“ Flexibel bleiben, so<br />

die Devise der Polizei – und<br />

wohl auch die der Aktivisten.<br />

Die beiden Münchner Susanne<br />

und Kristof waren froh, dass der<br />

Protest bisher so friedlich verlaufen<br />

sei. „Wenn es Krawall<br />

gibt, gibt es zwar vielleicht mehr<br />

Öffentlichkeit, aber das bringt<br />

uns überhaupt nicht weiter“, sagt er.<br />

Auch zum Potsdamer Platz kamen<br />

rund 2000 Menschen, um gegen den<br />

Klimawandel zu protestieren. Die<br />

angemeldete Demo wurde am Nachmittag<br />

zwar zunächst offiziell beendet,<br />

aber einige Demonstranten hatten<br />

sich festgekettet. Später begann<br />

die Polizei, Blockierer wegzutragen.<br />

Aber um 22.23 Uhr twitterten die<br />

Protestler: „Räumung abgebrochen!“<br />

Die Polizei wollte das dem<br />

KURIER nicht bestätigen, die Verkehrsleitzentrale<br />

des Senats jedoch<br />

meldete ebenfalls, dass der Potsdamer<br />

Platz nicht weiter geräumt werde<br />

und vorerst gesperrt bleibe.

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