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Berliner Kurier 20.10.2019

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JOURNAL<br />

Die Insel der<br />

Immer mehr Flüchtlinge kommen auf Zypern an –<br />

dassesfast unmöglich ist,von dortaufs<br />

Es sei so friedlich an<br />

diesem Ort, sagt Shadi<br />

Al-Jasam leise auf die<br />

Frage, wie er sich fühle.<br />

So sicher. Der 23-jährige Syrer<br />

ist zusammen mit seinem<br />

besten Freund Ibrahim Jadoh<br />

drei Tage zuvor im einzigen<br />

Auffanglager für Flüchtlinge<br />

auf der Insel Zypern im östlichen<br />

Mittelmeer angekommen.<br />

Dem Krieg in der letzten<br />

syrischen Rebellenprovinz Idlib<br />

entronnen, wirken die beiden<br />

jungen Männer auf eine<br />

tastende, vorsichtige Weise<br />

entspannt.<br />

Das kleine Lager von Pournara<br />

mit Platz für 150 Menschen<br />

liegt am Rand eines Gewerbegebiets<br />

nahe der Inselhauptstadt<br />

Nikosia; es wird gerade<br />

umgebaut und erweitert. Al-<br />

Jasam und Jadoh sitzen an diesem<br />

heißen Tag unter einem<br />

Wellblechdach zusammen mit<br />

anderen Syrern aus Idlib,<br />

schwatzen und blicken auf eine<br />

Gruppe Afrikaner, die soeben<br />

in Zelte eingewiesen wird.<br />

Ihre Heimat Idlib ist der neue<br />

Brennpunkt im syrischen Bürgerkrieg,<br />

und Zypern das erste<br />

Land, das die Auswirkungen zu<br />

spüren bekommt. „Es kommen<br />

jetzt wieder viel mehr Syrer<br />

an“, bestätigt Georgios Kouppas,<br />

der bullige Sicherheitschef<br />

des Erstaufnahmelagers,<br />

in dem die Neuankömmlinge<br />

drei Tage bleiben. Sie werden<br />

medizinisch untersucht, müssen<br />

ihre Fingerabdrücke abgeben,<br />

Fragebögen ausfüllen.<br />

Dann werden sie entlassen. Die<br />

Zahlen seien konstant hoch,<br />

sagt Kouppas. „Pro Tag kommen<br />

50 bis 100 Leute.“<br />

Zypern ist das jüngste Ziel<br />

des großen Flüchtlingstrecks<br />

nach Europa. Bis vor zwei Jahren<br />

galt es als unattraktiv, weil<br />

es zwar zur EU, aber nicht zum<br />

Schengen-Raum gehört, was<br />

die Weiterreise erschwert.<br />

Doch seit die Balkan- und vor<br />

allem die zentrale Mittelmeerroute<br />

nach Italien weitgehend<br />

dicht sind, haben Menschenschmugglerdie<br />

Insel, die drittgrößte<br />

im Mittelmeer, als neuen<br />

Weg entdeckt, um Flüchtlinge<br />

nach Europa zu lotsen –<br />

über das türkisch besetzte<br />

Nordzypern in den griechischen<br />

Teil der Insel. Die Migranten<br />

kommen mit Booten<br />

aus der nahen Türkei, aus dem<br />

Libanon oder mit dem Flugzeug<br />

aus Istanbul.<br />

Um die Flucht<br />

zu bezahlen,<br />

verkaufte er<br />

das Land<br />

seiner<br />

Familie<br />

an Mafiosi.<br />

Die jungen Syrer Al-Jasam<br />

und Jadoh, beide mit modisch<br />

gestutztem Vollbart, sind tatendurstig<br />

und optimistisch.<br />

Sie haben sich bewusst für Zypern<br />

entschieden, weil sie wissen,<br />

dass auf der Insel viele<br />

Landsleute leben. „Sie haben<br />

uns erzählt, dass man Flüchtlinge<br />

hier willkommen heißt“,<br />

berichten sie. Sobald die Aufnahmeformalitäten<br />

erledigt<br />

sind, wollen sie möglichst<br />

schnell Geld verdienen, um<br />

auch ihren Eltern und Geschwistern<br />

einen Weg aus der<br />

Bombenhölle von Idlib zu ermöglichen.<br />

Während sich der Student Al-<br />

Jasam das Geld für die Schlepper<br />

zusammenborgen musste,<br />

war es dem Bauernsohn Jadoh<br />

gelungen, vor der Flucht das<br />

Land seiner Familie an Mafiosi<br />

zu verkaufen –„für einen Apfel<br />

und ein Ei“, wie er zornig sagt.<br />

Die Freunde bezahlten je 800<br />

US-Dollar für den Weg ins südtürkische<br />

Hatay. „Unsere<br />

zwölfköpfige Gruppe kam<br />

durch, aber die hinter uns<br />

wurde von türkischen Soldaten<br />

beschossen, zwei Männer<br />

starben.“<br />

Über die Hafenstadt Mersin<br />

gelangten sie mit einem<br />

Schleuserboot nach Nordzypern,<br />

von dort über die grüne<br />

Grenze in den griechischen Süden,<br />

Kostenpunkt je 4500 Dollar.<br />

„Das Boot war überfüllt, es<br />

war sehr gefährlich“, erzählt<br />

Jadoh.<br />

Offiziell beantragten im vergangenen<br />

Jahr 7761 Flüchtlinge<br />

Asyl in der Republik Zypern<br />

–fast doppelt so viele wie 2017.<br />

Seit Jahresbeginn stieg die<br />

Zahl auf rund 1000 Gesuche<br />

pro Monat. Nach Angaben des<br />

UN-Flüchtlingshilfswerks<br />

UNHCR kommt die Hälfte der<br />

Geflüchteten aus asiatischen<br />

Ländern wie Bangladesch, Indien<br />

und Pakistan, etwa 30 Prozent<br />

aus Syrien, die übrigen aus<br />

Afrika.<br />

Rund 11000 Menschen sind<br />

als Flüchtlinge registriert,<br />

mehr als 15000 Asylanträge<br />

der vergangenen drei Jahre<br />

sind noch unbearbeitet. Auf<br />

Zypern leben knapp 860000<br />

Menschen; ins Verhältnis zur

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