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zes Meer<br />
Ankara<br />
Mersin<br />
Nikosia<br />
TÜRKEI<br />
ZYPERN<br />
Hatay<br />
Shadi Al-Jasam und Ibrahim Jadoh<br />
flohen aus Syrien nach Zypern.<br />
Idlib<br />
SYRIEN<br />
Damaskus<br />
ge leiden an der<br />
verordneten Untätigkeit,<br />
aber wir<br />
arbeiten mit NGOs<br />
zusammen, die ihnen<br />
hier Griechisch-, Theateroder<br />
Computerkurse anbieten“,<br />
erklärt Varnavas.<br />
Er macht seinen Besucher mit<br />
dem Ehepaar Ali und Azita, beide<br />
Anfang 30, bekannt.<br />
Die zwei Iraner<br />
aus Teheran reisten<br />
ganz legal als Touristen<br />
ein und baten dann um politisches<br />
Asyl. Sie haben neun<br />
Monate auf ihr „Interview“ mit<br />
dem Asylamt gewartet, wurden<br />
immer wieder hingehalten.<br />
„Jetzt haben wir zwar einen<br />
Termin, aber hier passiert alles<br />
im Schneckentempo“, sagt die<br />
Software-Ingenieurin Azita.<br />
Der frühere Firmenmanager<br />
Ali wird im Iran mit Haftbefehl<br />
gesucht, weil er ein Tagebuch-<br />
Blog führte,indem er auch israelfreundliche<br />
Videos publizierte.<br />
Er hat für die allgemeine Lage<br />
nur Sarkasmus übrig. „Wir<br />
leben inmitten von Käfern und<br />
Kakerlaken, die Toiletten sind<br />
eklig, und die Langeweile erstickt<br />
dich.“<br />
Andreas Varnavas kann die<br />
Flüchtlinge bis zu einem gewissen<br />
Grad verstehen. „Die Leute<br />
versauern hier und bekommen<br />
psychische Probleme. Dabei<br />
sind sie oft gut ausgebildet“,<br />
sagt er. Ginge es nach ihm, so<br />
würde er die meisten sofort in<br />
Lohn und Brot bringen. „Wenn<br />
wir doch nur endlich die Bürokratie<br />
beschleunigen könnten“,<br />
seufzt er.<br />
Der gewaltige Rückstau von<br />
15000 unerledigten Asylanträgen<br />
sei die größte Herausforderung,<br />
bestätigt in Nikosia die<br />
Projektkoordinatorin Emilia<br />
Strovolidou vom UN-Flüchtlingshilfswerk<br />
UNHCR. „Die<br />
Ämter sind völlig unterbesetzt.“<br />
Sie kritisiert auch die<br />
2014 verfügte Familiennachzugssperre<br />
für Flüchtlinge, die<br />
keinen sicheren Asylstatus<br />
haben –also fast alle. „Das ist<br />
unmenschlich und verfehlt den<br />
Zweck, denn die Leute kommen<br />
trotzdem.“<br />
Für den<br />
Innenminister<br />
ist klar, wer<br />
Schuld hat<br />
am Strom der<br />
Flüchtlinge:<br />
die Türkei.<br />
Leider reagierten viele Zyprioten<br />
sehr negativ auf den massiven<br />
Zustrom von Flüchtlingen,<br />
klagt die agile Projektmanagerin.<br />
„Die Leute sagen, es kämen<br />
zu viele Migranten, sie brächten<br />
Kriminalität mit sich, sie<br />
würden absichtlich von der<br />
Türkei geschickt.“ Das habe<br />
auch mit der populistischen<br />
Rhetorik von Politikern zu tun.<br />
„Dabei kennen wir Flucht und<br />
Vertreibung aus eigener Erfahrung.<br />
Unser Grundproblem ist:<br />
Es gibt keine kohärente Integrationspolitik.“<br />
Konfrontiert man den südzyprischen<br />
Innenminister Constantinos<br />
Petrides mit der Kritik,<br />
wird er fuchsig. „Leider gibt<br />
es hier wie in anderen Ländern<br />
Organisationen, die am liebsten<br />
all diese Menschen integrieren<br />
wollen.“ Das aber sei auf der<br />
kleinen Insel unmöglich, sagt<br />
der 45-jährige stämmige Politiker<br />
der konservativen Regierungspartei<br />
Disy in seinem riesigen<br />
Büro in einem alten englischen<br />
Kolonialgebäude. „Die<br />
Masseneinwanderung überfordert<br />
unser System. Wir können<br />
das nicht mehr allein schultern.“<br />
Im August hat Petrides deshalb<br />
einen SOS-Brief an die EU-<br />
Kommission und alle Mitgliedstaaten<br />
geschickt und sie darum<br />
gebeten, seinem Land 5000<br />
Flüchtlinge abzunehmen. Die<br />
Reaktion? „Wir sehen keine<br />
wirkliche Solidarität.“ Immerhin<br />
unterstütze die EU bereits<br />
15<br />
viele Projekte mit Geld, Dolmetschern<br />
und Fachkräften.<br />
Der Innenminister weiß auch,<br />
dass Zypern ein einmaliger<br />
Problemfall ist. Ja, die Green<br />
Line sei löchrig wie ein Sieb, gesteht<br />
er ein. Für ihn steht aber<br />
außer Zweifel, wer die Schuld<br />
daran trägt: die Türkei. „Praktisch<br />
alle Flüchtlinge kommen<br />
über die Türkei“, knurrt Petrides.<br />
Die Regierung in Ankara<br />
wäre verpflichtet, das Loch zu<br />
verschließen. „Aber sie tut es<br />
nicht.“ Und da das oberste<br />
Staatsziel Südzyperns die Wiedervereinigung<br />
ist, komme der<br />
Bau eines massiven Zauns wie<br />
zum Beispiel in Ungarn „niemals“<br />
infrage.<br />
Die Lage sei komplex, räumt<br />
der Minister ein, und eigentlich<br />
nur durch die Wiedervereinigung<br />
Zyperns zu lösen. Doch<br />
das große Staatsziel rückt in<br />
immer weitere Ferne, und der<br />
globale Migrantenstrom rückt<br />
immer näher. Zyperns Politiker<br />
kennen die gefährliche Dynamik,<br />
weshalb sie das Thema am<br />
liebsten ganz ignorieren.<br />
Eine Ausnahme ist die Abgeordnete<br />
Skevi Koukouma von<br />
der oppositionellen sozialistischen<br />
Akel-Partei. Kürzlich hat<br />
sie sich intensiv mit der Lage<br />
Tausender Frauen von den<br />
Philippinen befasst, die seit<br />
Jahren als Haushaltshilfen auf<br />
Zypern arbeiten und trotzdem<br />
fast rechtlos sind.<br />
Als im Frühjahr bekannt wurde,<br />
dass ein Serienmörder fünf<br />
ausländische Hausangestellte<br />
umgebracht, die Polizei aber alle<br />
Fahndungshinweise ignoriert<br />
hatte, sei das wie ein<br />
Wecksignal gewesen, sagt sie.<br />
„Die toten Filipinas brachten<br />
den Umgang mit Migranten auf<br />
die nationale politische Agenda.“<br />
Selbst die Regierung sehe<br />
Migranten in erster Linie als<br />
Bedrohung an. „Das schürt die<br />
Fremdenfeindlichkeit, die jene<br />
Populisten anheizen, die von einer<br />
,reinen‘ Insel ohne Muslime<br />
und Afrikaner fantasieren.“<br />
Eine solche Forderung<br />
spricht nicht nur der jahrtausendelangen,<br />
von Einwanderern<br />
geprägten Geschichte Zyperns<br />
Hohn. Sie widerspricht<br />
auch der Verfassung, die eine<br />
Wiedervereinigung des griechisch-christlichen<br />
und türkisch-muslimischen<br />
Inselteils<br />
vorsieht.<br />
„Integration ist unser gesetzlicher<br />
Auftrag“, sagt Skevi Koukouma.<br />
Auch ihrem Engagement<br />
ist es zu verdanken, dass<br />
ein EU-Projekt jetzt erstmals<br />
Integrationskurse anbietet, in<br />
denen Geflüchtete Griechisch<br />
lernen und mit der zypriotischen<br />
Geschichte und Kultur<br />
vertraut gemacht werden.<br />
Cliff und Kingsley aus Kamerun<br />
gehören zu den Ersten, die<br />
den Kurs besuchen. „Sie haben<br />
uns erklärt, wie die Gesetze Zyperns<br />
funktionieren und wie<br />
man hier Erfolg haben kann“,<br />
berichtet Cliff. „Aber sie haben<br />
auch gesagt, dass wir keine Firmen<br />
gründen dürfen. Wie sollen<br />
wir aber dann Erfolg<br />
haben?“ Er hebt ratlos die<br />
Schultern.<br />
Frank Nordhausen