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Berliner Kurier 20.10.2019

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zes Meer<br />

Ankara<br />

Mersin<br />

Nikosia<br />

TÜRKEI<br />

ZYPERN<br />

Hatay<br />

Shadi Al-Jasam und Ibrahim Jadoh<br />

flohen aus Syrien nach Zypern.<br />

Idlib<br />

SYRIEN<br />

Damaskus<br />

ge leiden an der<br />

verordneten Untätigkeit,<br />

aber wir<br />

arbeiten mit NGOs<br />

zusammen, die ihnen<br />

hier Griechisch-, Theateroder<br />

Computerkurse anbieten“,<br />

erklärt Varnavas.<br />

Er macht seinen Besucher mit<br />

dem Ehepaar Ali und Azita, beide<br />

Anfang 30, bekannt.<br />

Die zwei Iraner<br />

aus Teheran reisten<br />

ganz legal als Touristen<br />

ein und baten dann um politisches<br />

Asyl. Sie haben neun<br />

Monate auf ihr „Interview“ mit<br />

dem Asylamt gewartet, wurden<br />

immer wieder hingehalten.<br />

„Jetzt haben wir zwar einen<br />

Termin, aber hier passiert alles<br />

im Schneckentempo“, sagt die<br />

Software-Ingenieurin Azita.<br />

Der frühere Firmenmanager<br />

Ali wird im Iran mit Haftbefehl<br />

gesucht, weil er ein Tagebuch-<br />

Blog führte,indem er auch israelfreundliche<br />

Videos publizierte.<br />

Er hat für die allgemeine Lage<br />

nur Sarkasmus übrig. „Wir<br />

leben inmitten von Käfern und<br />

Kakerlaken, die Toiletten sind<br />

eklig, und die Langeweile erstickt<br />

dich.“<br />

Andreas Varnavas kann die<br />

Flüchtlinge bis zu einem gewissen<br />

Grad verstehen. „Die Leute<br />

versauern hier und bekommen<br />

psychische Probleme. Dabei<br />

sind sie oft gut ausgebildet“,<br />

sagt er. Ginge es nach ihm, so<br />

würde er die meisten sofort in<br />

Lohn und Brot bringen. „Wenn<br />

wir doch nur endlich die Bürokratie<br />

beschleunigen könnten“,<br />

seufzt er.<br />

Der gewaltige Rückstau von<br />

15000 unerledigten Asylanträgen<br />

sei die größte Herausforderung,<br />

bestätigt in Nikosia die<br />

Projektkoordinatorin Emilia<br />

Strovolidou vom UN-Flüchtlingshilfswerk<br />

UNHCR. „Die<br />

Ämter sind völlig unterbesetzt.“<br />

Sie kritisiert auch die<br />

2014 verfügte Familiennachzugssperre<br />

für Flüchtlinge, die<br />

keinen sicheren Asylstatus<br />

haben –also fast alle. „Das ist<br />

unmenschlich und verfehlt den<br />

Zweck, denn die Leute kommen<br />

trotzdem.“<br />

Für den<br />

Innenminister<br />

ist klar, wer<br />

Schuld hat<br />

am Strom der<br />

Flüchtlinge:<br />

die Türkei.<br />

Leider reagierten viele Zyprioten<br />

sehr negativ auf den massiven<br />

Zustrom von Flüchtlingen,<br />

klagt die agile Projektmanagerin.<br />

„Die Leute sagen, es kämen<br />

zu viele Migranten, sie brächten<br />

Kriminalität mit sich, sie<br />

würden absichtlich von der<br />

Türkei geschickt.“ Das habe<br />

auch mit der populistischen<br />

Rhetorik von Politikern zu tun.<br />

„Dabei kennen wir Flucht und<br />

Vertreibung aus eigener Erfahrung.<br />

Unser Grundproblem ist:<br />

Es gibt keine kohärente Integrationspolitik.“<br />

Konfrontiert man den südzyprischen<br />

Innenminister Constantinos<br />

Petrides mit der Kritik,<br />

wird er fuchsig. „Leider gibt<br />

es hier wie in anderen Ländern<br />

Organisationen, die am liebsten<br />

all diese Menschen integrieren<br />

wollen.“ Das aber sei auf der<br />

kleinen Insel unmöglich, sagt<br />

der 45-jährige stämmige Politiker<br />

der konservativen Regierungspartei<br />

Disy in seinem riesigen<br />

Büro in einem alten englischen<br />

Kolonialgebäude. „Die<br />

Masseneinwanderung überfordert<br />

unser System. Wir können<br />

das nicht mehr allein schultern.“<br />

Im August hat Petrides deshalb<br />

einen SOS-Brief an die EU-<br />

Kommission und alle Mitgliedstaaten<br />

geschickt und sie darum<br />

gebeten, seinem Land 5000<br />

Flüchtlinge abzunehmen. Die<br />

Reaktion? „Wir sehen keine<br />

wirkliche Solidarität.“ Immerhin<br />

unterstütze die EU bereits<br />

15<br />

viele Projekte mit Geld, Dolmetschern<br />

und Fachkräften.<br />

Der Innenminister weiß auch,<br />

dass Zypern ein einmaliger<br />

Problemfall ist. Ja, die Green<br />

Line sei löchrig wie ein Sieb, gesteht<br />

er ein. Für ihn steht aber<br />

außer Zweifel, wer die Schuld<br />

daran trägt: die Türkei. „Praktisch<br />

alle Flüchtlinge kommen<br />

über die Türkei“, knurrt Petrides.<br />

Die Regierung in Ankara<br />

wäre verpflichtet, das Loch zu<br />

verschließen. „Aber sie tut es<br />

nicht.“ Und da das oberste<br />

Staatsziel Südzyperns die Wiedervereinigung<br />

ist, komme der<br />

Bau eines massiven Zauns wie<br />

zum Beispiel in Ungarn „niemals“<br />

infrage.<br />

Die Lage sei komplex, räumt<br />

der Minister ein, und eigentlich<br />

nur durch die Wiedervereinigung<br />

Zyperns zu lösen. Doch<br />

das große Staatsziel rückt in<br />

immer weitere Ferne, und der<br />

globale Migrantenstrom rückt<br />

immer näher. Zyperns Politiker<br />

kennen die gefährliche Dynamik,<br />

weshalb sie das Thema am<br />

liebsten ganz ignorieren.<br />

Eine Ausnahme ist die Abgeordnete<br />

Skevi Koukouma von<br />

der oppositionellen sozialistischen<br />

Akel-Partei. Kürzlich hat<br />

sie sich intensiv mit der Lage<br />

Tausender Frauen von den<br />

Philippinen befasst, die seit<br />

Jahren als Haushaltshilfen auf<br />

Zypern arbeiten und trotzdem<br />

fast rechtlos sind.<br />

Als im Frühjahr bekannt wurde,<br />

dass ein Serienmörder fünf<br />

ausländische Hausangestellte<br />

umgebracht, die Polizei aber alle<br />

Fahndungshinweise ignoriert<br />

hatte, sei das wie ein<br />

Wecksignal gewesen, sagt sie.<br />

„Die toten Filipinas brachten<br />

den Umgang mit Migranten auf<br />

die nationale politische Agenda.“<br />

Selbst die Regierung sehe<br />

Migranten in erster Linie als<br />

Bedrohung an. „Das schürt die<br />

Fremdenfeindlichkeit, die jene<br />

Populisten anheizen, die von einer<br />

,reinen‘ Insel ohne Muslime<br />

und Afrikaner fantasieren.“<br />

Eine solche Forderung<br />

spricht nicht nur der jahrtausendelangen,<br />

von Einwanderern<br />

geprägten Geschichte Zyperns<br />

Hohn. Sie widerspricht<br />

auch der Verfassung, die eine<br />

Wiedervereinigung des griechisch-christlichen<br />

und türkisch-muslimischen<br />

Inselteils<br />

vorsieht.<br />

„Integration ist unser gesetzlicher<br />

Auftrag“, sagt Skevi Koukouma.<br />

Auch ihrem Engagement<br />

ist es zu verdanken, dass<br />

ein EU-Projekt jetzt erstmals<br />

Integrationskurse anbietet, in<br />

denen Geflüchtete Griechisch<br />

lernen und mit der zypriotischen<br />

Geschichte und Kultur<br />

vertraut gemacht werden.<br />

Cliff und Kingsley aus Kamerun<br />

gehören zu den Ersten, die<br />

den Kurs besuchen. „Sie haben<br />

uns erklärt, wie die Gesetze Zyperns<br />

funktionieren und wie<br />

man hier Erfolg haben kann“,<br />

berichtet Cliff. „Aber sie haben<br />

auch gesagt, dass wir keine Firmen<br />

gründen dürfen. Wie sollen<br />

wir aber dann Erfolg<br />

haben?“ Er hebt ratlos die<br />

Schultern.<br />

Frank Nordhausen

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