Kulturfenster Nr. 05|2019 - Oktober 2019
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Arge Lebendige tracht<br />
Heimatpflege<br />
Zwei glatt, zwei verkehrt…<br />
Zwei bitte was?<br />
Vom Ende handgestrickter Trachtenstutzen<br />
Musterbrief für Grieser Trachtenstrumpf<br />
Stricken eines Frauenstrumpfes<br />
Über die Entstehung des Strickens ist wenig<br />
bekannt. Die älteste Darstellung ist wohl die<br />
des Meisters Bertram aus dem Buxtehuder<br />
Altar um 1400, wo die Gottesmutter Maria<br />
an einem Kittelchen strickt. Seit wann bei<br />
uns getrickt wird, ist nicht bekannt, bestimmt<br />
aber schon seit ein paar Jahrhunderten.<br />
Gestrickt wurde hauptsächlich aus Schafwolle.<br />
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
Sommerstrümpfe auch aus Seide.<br />
Die Baumwolle kam erst viel später dazu.<br />
Alte Handwerkskunst<br />
Früher war es eine Selbstverständlichkeit,<br />
dass jedes Mädchen Strümpfe stricken<br />
konnte. Ganze Truhen voll handgestrickter<br />
Strümpfe, wahre Meisterwerke, sind uns erhalten<br />
geblieben. Je feiner der Faden und<br />
die Nadeln, desto zarter der Strumpf. So an<br />
die 300-400 Stunden musste man für ein<br />
paar schöne Strümpfe locker aufwenden.<br />
Auch das Lesen der Musterbriefe war gar<br />
nicht so einfach. Reden durfte man beim<br />
Stricken nicht, nur zählen und sich voll<br />
auf das Muster konzentrieren. Ein Fehler<br />
wirkte sich fatal aus.<br />
Muster voll Symbolkraft<br />
Zu einem schönen Strumpf gehören schöne<br />
Muster. Sechs verschiedene sollten es<br />
schon sein. Die Muster wurden früher unter<br />
den Frauen ausgetauscht wie Kochrezepte.<br />
Meterlange Musterbänder wurden<br />
gestrickt, um ja kein Muster zu vergessen.<br />
Jedes Muster hatte einen eigenen Namen.<br />
Da gab es Glöggelen, Nelken und Himmelsloaterlen,<br />
Katzntreppen und Hennensteige,<br />
Tiroler Adler und natürlich auch die Brennende<br />
Liab. Mit jeder Masche, so sagte<br />
man, stricke man viele gute Wünsche für<br />
den Stutzenträger mit hinein.<br />
Wahrer Blickfang<br />
Zu einer Lederhose gehören schöne Strümpfe,<br />
und wenn sie dann noch handgestrickt<br />
sind, sind die Wadl der Männer ein wahrer<br />
Blickfang für die Frauen. Und wie sieht es<br />
bei den Frauen aus? Dort sollte der Rock<br />
nur so lang sein, dass man den handgestrickten<br />
Strumpf noch sehen konnte, also<br />
ungefähr eine Spanne vom Boden entfernt.<br />
Ob rundherum gemodelt oder nur seitlich<br />
mit einem Lebensbaum geschmückt – immer<br />
zeugen Trachtenstrümpfe von einer<br />
geschickten Frauenhand.<br />
Aussterbende Handwerkskunst<br />
Wer kann heute überhaupt noch stricken?<br />
Und dann noch Trachtenstutzen dazu? Wir<br />
sind dabei, ein kleines Stück unserer Volkskultur<br />
für immer zu verlieren. Denken wir<br />
daran, wenn wir das nächste Mal die Konfektions-Strümpfe<br />
anziehen!<br />
Agnes Andergassen<br />
Blauer Burggräfler Seidenstrumpf<br />
<strong>Nr</strong>. 05 | <strong>Oktober</strong> <strong>2019</strong> 51