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Berliner Kurier 01.11.2019

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SEITE19<br />

BERLINER KURIER, Freitag, 1. November 2019<br />

Berlin gearbeitet, dem<br />

großen und einzigen Mineralölbetrieb<br />

der DDR.<br />

Lange Jahre war sie dort die<br />

rechte Hand des Betriebsdirektors.<br />

Nach der Wende<br />

wechselte sie die Unternehmen<br />

und arbeitete bis zum Eintritt<br />

der Rente bei einer Tochter<br />

der Deutschen Bahn. Sie<br />

hat eine Tochter, die sie allein<br />

großgezogen hat.<br />

Eigentlich nicht verwunderlich,<br />

dass der Ruhestand für sie<br />

kein Ausruhen bedeutet:<br />

Schöffin und Vollzugshelferin<br />

sind weitere Aktivitäten, die<br />

sie in ihrer Zeit als Rentnerin<br />

aufnahm. Für ersteres ist sie<br />

heute zu alt, denn 70 Jahre ist<br />

die Altersgrenze, letzteres<br />

lässt sie zurzeit ruhen. Der<br />

Strafgefangene, den sie lange<br />

betreute, ist rückfällig geworden.<br />

„Er ist wieder in Haft und<br />

hat mich als Helferin angefordert,<br />

aber ich möchte imMoment<br />

nicht.“<br />

Ruhe-Inseln benötigt Brigitte<br />

Gloger auch. Ein Handy hat<br />

sie nicht und ihre Wohnung in<br />

Pankow ist ihr Reich, in dem<br />

sie Kraft tankt. Manchmal<br />

fährt sie mit ihrer Tochter in<br />

den Urlaub. Das schafftihr Erinnerungen,<br />

von denen sie lange<br />

zehrt.<br />

Ein Urlaub hat sie nach Tansania<br />

geführt. „Wenn ich mich<br />

mal nicht gut fühle, denke ich<br />

daran, wie ich in Afrika war.<br />

Morgens habe ich aus der Tür<br />

geblickt und den Kilimandscharo<br />

gesehen“,sagt sie dankbar.<br />

Sie wird nachdenklich. „Es<br />

ist ein merkwürdiges Gefühl<br />

zu wissen: Es ist der letzte Abschnitt<br />

des Lebens“, sagt sie,<br />

„ich will mir nicht sagen: Ich<br />

habe es nicht versucht!“ Nur<br />

aufdem Sofa zu sitzen, kommt<br />

für sie nicht infrage. „Machen“,<br />

lautet auch ihre Empfehlunganandere.<br />

„In sich reingucken und rausfinden,<br />

was einem gefällt, wozu<br />

man Lust hat und dann los“,<br />

sagt sie. Auf ihrer eigenen Entdeckungsreise<br />

ins Alter lässt<br />

sich Brigitte Gloger auf jeden<br />

Fall nicht aufhalten.Der Blog<br />

ist auch eine Brücke.<br />

Lesen Siemorgen:<br />

Liebe und Erotik im Alter<br />

Die aktive<br />

Frau guckt selten fern,<br />

geht nie zu Kaffeekränzchen:<br />

„Mein Thema ist das<br />

Leben“.<br />

Oder doch noch<br />

ein bisschen<br />

weiterarbeiten?<br />

Weiterarbeiten: Werseine<br />

reguläre Rente später in<br />

Anspruch nehmen und eine<br />

Zeit lang weiterarbeiten<br />

möchte, wird vonder Rentenversicherung<br />

belohnt.<br />

Für jeden Monat, den er<br />

odersie weiter arbeitet und<br />

keine Rente bezieht,gibt es<br />

einen Rentenzuschlagvon<br />

0,5Prozent.<br />

Rentenzuschlag: Die<br />

Rente um ein Jahr hinauszuschieben,<br />

bedeutet einen<br />

Zuschlag vonsechs<br />

Prozent.Zusätzlich erhöht<br />

sich die Rente durch die<br />

laufendeBeitragszahlung<br />

zur Rentenversicherung.<br />

Beiträge zur Arbeitslosenversicherung<br />

müssen nicht<br />

mehr gezahlt werden.<br />

Beispiel: Bernd H. ist<br />

Durchschnittsverdiener.<br />

Er ist 1954 geboren und erreicht<br />

seine Regelaltersgrenze<br />

mit 65 Jahren und<br />

acht Monaten. Bis zu diesem<br />

Zeitpunkt hater45<br />

Jahre lang Beiträge gezahlt.Erwürde<br />

aktuell eine<br />

Bruttorente von1.487,25<br />

Euro in den alten Bundesländern<br />

erhalten. Schiebt<br />

er seinen Rentenbeginn<br />

um zwei Jahre hinaus und<br />

arbeitet weiter wie vorher,<br />

erhöht sich seine Rente<br />

nach heutigen Werten auf<br />

1.739,75 Euro. Dasist eine<br />

Steigerung um rund 17<br />

Prozent.<br />

Fotos: Sabine Gudath (3), privat<br />

Achim Lampe (74)<br />

Mein Rentner-<br />

Leben ist Musik<br />

Mit dem Ruhestand kehrte die<br />

Musik in Hans-Joachim Lampes<br />

Leben zurück.Als Kind hatte<br />

er Klavier gelernt, als Student<br />

in Beatbands gespielt.<br />

Doch als er mit 26 Jahren als<br />

Maschinenbaukonstrukteur im<br />

VEB Kombinat Dampferzeugerbau<br />

in Berlin anfing, wurde<br />

ihm die Musik zu viel. Er hängte<br />

sie an den Nagel. Nach der<br />

Wende schaffte Lampe sich ein<br />

E-Piano RolandRD-300 an und<br />

fing langsam wieder an. 2003<br />

trat er einem<br />

Chor bei, woer<br />

als zweiter Tenor<br />

die hohen<br />

Töne zum<br />

Schwingen<br />

bringt und 2013,<br />

drei Jahre nach<br />

Beginn seines<br />

Ruhestands, ging es richtiglos.<br />

Achim Lampe, wie er genannt<br />

wird, trat in Köpenick einem<br />

Orchester als Pianist bei und<br />

wurde Mitglied eines Gesangs-<br />

Sextetts. Jetzt, mit 74 Jahren,<br />

ist er so aktiv wie nie zuvor:<br />

„Ich habe drei Proben in der<br />

Woche: Montags gehe ich zum<br />

Kiezorchester Wendenschloss,<br />

dienstags singe ich bei der Cöpenicker<br />

Liedertafel 1875 und<br />

freitags beim Bären-Sextett von<br />

Hirschgarten.“<br />

Am Wochenende gibt es Aufführungen<br />

und hin und wieder<br />

Reisen des Chors oder Orchesters.<br />

In der Woche schreibt<br />

Lampe am Computer Noten<br />

und überarbeitet alte Songs.<br />

<strong>Berliner</strong> Lieder von Anfang des<br />

20. Jahrhunderts gefallen ihm,<br />

Stimmungslieder, aber auch<br />

Adaptionen von Santiano-Hits.<br />

„Musik macht einfach Spaß!<br />

Man sitzt nicht den ganzen Tag<br />

in der Ecke und überlegt, wie<br />

man den Tag rumbringt“, sagt<br />

der sympathische Rentner.Und<br />

bei Aufführungen mache man<br />

anderen Menschen zudem<br />

noch eine Freude. Allerdings –<br />

das ist ihm wichtig –ist Musik<br />

nicht sein einziges Hobby. Er<br />

liebt seine Familie, hat einen<br />

Garten und hat eine Simson-<br />

Schwalbe wieder aufgebaut,<br />

mit der er gerne herumkurvt.<br />

Die Musikalitäthat er von seiner<br />

Mutter, sagt Lampe. Er<br />

selbst sei kein Solist und doch<br />

sei es ein Traum, einmal ein<br />

Lied allein zusingen. Zurzeit<br />

bearbeiteterden alten Schlager<br />

„Das Sumpfhuhn“ von 1905, in<br />

dem es um einen zechfreudigen<br />

<strong>Berliner</strong> geht. Das Lied vor<br />

Publikum vorzutragen, wäre<br />

sein Ziel. Eines, das in erreichbare<br />

Nähe gerückt ist. Bei einer<br />

Kiezfeier wird Lampe demnächst<br />

mit seinen Freunden<br />

auftreten. Das könnte der Moment<br />

für sein Solo sein. mec.

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