Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
*<br />
DER WEISHEIT<br />
LETZTER SCHUSS<br />
SEITE25<br />
BERLINER KURIER, Mittwoch, 6. November 2019<br />
Fotos: City-Press.Hertha BSC<br />
Davie Selke(l.) und Jordan<br />
Torunarigha zeigen, wie<br />
Herthas Trikot zum<br />
Mauerfall-Jubiläum<br />
aussieht.<br />
Dashat schon was<br />
vonMauerfall-Spiel<br />
Die Trikots, die<br />
Hertha BSC im<br />
November 1989<br />
im Spiel gegen<br />
Wattenscheid<br />
trug, dienen als<br />
Vorlage für die<br />
aktuellen Shirts.<br />
Andreas Baingo<br />
Michael<br />
Jahn<br />
Samstag gegen Leipzig werden Erinnerungen<br />
an den 11. November 1989 wieder lebendig<br />
I<br />
ndiesen Tagen<br />
kommt bei mir<br />
der Ärger wieder<br />
hoch. Es<br />
geht um den<br />
Frust, einst ein<br />
ganz, ganz wichtiges Spiel<br />
von Hertha nicht gesehen zu<br />
haben, obwohl ich durchaus<br />
die Chance zum Besuch des<br />
Olympiastadions besaß. Die<br />
Mauer war gerade gefallen<br />
und Hertha traf nur zwei Tage<br />
später, am 11. November 1989,<br />
auf Wattenscheid 09. Ost-<strong>Berliner</strong><br />
bekamen zum ersten Mal<br />
die Gelegenheit, Hertha live<br />
zu erleben, anstatt lediglich<br />
im Westfernsehen. Ein Zweitligaduell<br />
geriet plötzlich auf<br />
die politische Weltbühne.<br />
Und ich war nicht dabei.<br />
Nun trifft Hertha BSC,<br />
längst gestandener Erstligist,<br />
an diesem Sonnabend, zum 30.<br />
Jahrestag des Mauerfalls, im<br />
Olympiastadion auf RB Leipzig.<br />
Dort werden auch viele<br />
Spielerinder Arena<br />
sein, die einst Geschichte<br />
geschrieben<br />
haben. <strong>Berliner</strong> und<br />
Wattenscheider. Hertha<br />
hat diejenigen Profis<br />
eingeladen, die am 11.<br />
November 1989 das Spitzenspiel<br />
der Zweiten Liga<br />
bestritten,das 1:1 endete. Eine<br />
wunderbare Idee.<br />
Auch vor 30 Jahren reagierte<br />
Hertha schnell auf die turbulenten<br />
Ereignisse und stellte<br />
10000 Freikarten für DDR-<br />
Bürger zur Verfügung. Die<br />
Fans aus dem Osten mussten<br />
lediglich ihren Personalausweis<br />
vorzeigen, um ins Stadion<br />
zu kommen. Der Kaiserdamm<br />
und die Heerstraße rochen<br />
für West-<strong>Berliner</strong>Nasen<br />
nach eher seltsamem Benzin.<br />
Viele Ost-<strong>Berliner</strong> reisten mit<br />
Fahrzeugen der legendären<br />
Marken Trabant und Wartburg<br />
an. Am Ende wurden offiziell<br />
44174 Zuschauer angegeben,<br />
es sollen aber rund<br />
60000 gewesen sein, davon<br />
etwa 11000 aus dem Osten.<br />
Ich selbst habe bislang als<br />
Reporter etwa450 Spiele von<br />
Hertha gesehen, darunter<br />
großartige Siege und bittere<br />
Niederlagen. Aber am 11. November<br />
1989 war ich statt im<br />
großen Olympiastadion in der<br />
kleinen Sporthalle am Anton-<br />
Saefkow-Platz in Lichtenberg<br />
und habe für die <strong>Berliner</strong> Zeitung<br />
vom „Tischtennis-Turnier<br />
der Tausende“, einer damals<br />
sehr beliebten Breitensportaktion,<br />
berichtet. Warum<br />
ich als noch recht junger<br />
Reporter nicht zu Hertha geschickt<br />
worden war? Keine<br />
Ahnung. So kurz nach dem<br />
Mauerfall lebten auch wir Redakteure<br />
in einem Ausnahmezustand.<br />
Und der Profifußball<br />
spielte inder Zeitung bis dahin<br />
nur eine kleine Rolle.<br />
Das Hertha-Spiel gegen<br />
Wattenscheid haben wir in<br />
seiner Dimension total unterschätzt.<br />
Der tiefe Blick ins Archiv<br />
offenbartdrastischunsere<br />
vergebene Chance. In der<br />
Ausgabe vom Montag, den<br />
13. November 1989, bekam ich<br />
auf der Sportseite den Aufmacher-Text<br />
vom Tischtennis<br />
der Freizeitsportler. UndHertha?<br />
In der Rubrik „Sport in<br />
Zahlen“ wurde das Resultat<br />
Hertha-Wattenscheid 1:1 in<br />
kleiner 6-Punkt-Schrift vermeldet<br />
und dazu die Tabellenspitze<br />
der 2. Bundesliga.Naja,<br />
immerhin druckte meine <strong>Berliner</strong><br />
Zeitung schon<br />
zuvor immer am<br />
Montag wenigstens<br />
die Resultate<br />
samt Tabelle der<br />
Ersten Bundesliga<br />
ab.<br />
Hertha stieg damals mit solchen<br />
Profis wie Walter Junghans,<br />
Theo Gries, Mike Lünsmann<br />
oder Sven Kretschmer<br />
am Ende der Saison zusammen<br />
mit Wattenscheid in die<br />
Erste Liga auf. Dort gab Hertha<br />
aber nur ein einjähriges<br />
Intermezzo. Jetzt sollen die<br />
Akteurevon 1989, die meisten<br />
inzwischen Mitte oder Ende<br />
50, am Sonnabend eine große<br />
Bühne bekommen und auf<br />
dem Rasen symbolisch die<br />
Mauer noch einmal einreißen.<br />
Herthas Trainer Werner<br />
Fuchs, der schon 1999 verstorben<br />
ist, sagte im November<br />
vor 30 Jahren: „Wir saßen alle<br />
vor diesem Spiel gegen Wattenscheid<br />
schweigend in der<br />
Kabine. Alle waren wie gelähmt<br />
vor Rührung, aber auch<br />
durch den Druck des historischen<br />
Spiels.“<br />
Niklas Stark, Per Skjelbred<br />
oder Vedad Ibisevic werden<br />
nun gegen Leipzig in den neu<br />
produzierten weißen Trikots<br />
mit dem <strong>Berliner</strong> Bären auf<br />
der Brust spielen, die ihre<br />
Vorgänger einst gegen Wattenscheid<br />
trugen. Das sollte<br />
keine Last sein, sondern Lust<br />
machen auf ein großes und<br />
vor allem erfolgreiches Spiel.<br />
Michael Jahn