People 2019_eMag
People - architektur der Zukunft - architekt - architect - architekten im gespräch - architektinnen - projekte - nachhaltigkeit - architektur der zukunft - planer - bauen - baubranche - wissensgesellschaft - autocad - edv
People - architektur der Zukunft - architekt - architect - architekten im gespräch - architektinnen - projekte - nachhaltigkeit - architektur der zukunft - planer - bauen - baubranche - wissensgesellschaft - autocad - edv
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FACHMAGAZIN<br />
WISSEN, BILDUNG, INFORMATION FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT<br />
Erscheinungsort Perchtoldsdorf, Verlagspostamt 2380 Perchtoldsdorf. P.b.b. 02Z033056; ISSN: 1606-4550<br />
Architektur für<br />
die Zukunft
architektur PEOPLE<br />
2<br />
Stephan Ferenczy von BEHF<br />
A place<br />
to retreat.<br />
NEU<br />
Showroom Wien Gumpendorfer Straße 15 / 9 1060 Wien<br />
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Die Office Cube-Lösung<br />
für offene Bürolandschaften.<br />
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3<br />
Intro<br />
Architektur für<br />
die Zukunft<br />
Bei der Gestaltung der Zukunft weist die Gesellschaft<br />
eine nahezu unüberschaubare Menge an Erwartungen<br />
und Aufgaben der Verantwortung der Architektur und<br />
damit den in diesem Bereich handelnden Personen zu.<br />
Dass diese Gruppe diesen Anforderungen im richtigen<br />
Rahmen gerecht werden kann oder könnte, zeigen<br />
weltweit viele recht unterschiedliche Umsetzungen: Die<br />
Bauschaffenden können bewiesener Maßen ökologisch,<br />
nachhaltig, umwelt- und ressourcenschonend, energiesparend,<br />
für Generationen flexibel, sozial verträglich,<br />
optisch ansprechend und noch vieles mehr – und das<br />
alles auch noch zusammenhängend – planen und bauen,<br />
wenn man sie nur lässt und diese Eigenschaften auch<br />
fordert und forciert.<br />
Unsere heutige Gegenwart ist (war) die Zukunft früherer<br />
Generationen – also gestalten wir heute die spätere Gegenwart<br />
unserer Kinder und Kindeskinder. Grund genug<br />
also, sich mit dem Thema Zukunft in unserem Wirkungsbereich<br />
auseinander zu setzen und zu fragen: Was hat<br />
die Architektur eigentlich von der Zukunft und umgekehrt<br />
zu erwarten. Diese Fragen bilden das Leitthema<br />
dieser Ausgabe von architektur PEOPLE.<br />
Auf Projektberichte haben wir „PEOPLE-like“ wieder<br />
verzichtet und dafür eine Reihe von interessanten Menschen<br />
zu Wort kommen lassen. Von ArchitektenInnen<br />
unterschiedlicher Generationen und Spezialisierungen<br />
über Architektur-Professoren und prämierte Designer<br />
bis zum Landschaftsvisionär oder Immobilienspezialisten<br />
– in Statements und Interviews weisen sie uns auf<br />
den folgenden Seiten ihren Weg in die Zukunft.<br />
Lesen, reflektieren und selber gestalten!<br />
Die Zukunft ist wie immer schon Herausforderung und<br />
Chance zugleich.<br />
Walter Laser<br />
Coverbild:<br />
© Snøhetta / Filippo Bolognese<br />
Original auf S. 30<br />
MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER Laser Verlag GmbH; Hochstraße 103, A-2380 Perchtoldsdorf, Österreich<br />
CHEFREDAKTION Ing. Walter Laser (walter.laser@laserverlag.at) REDAKTION Alexandra Ullmann, mag. arch. Peter Reischer, Mag. Heidrun Schwinger<br />
GESCHÄFTSLEITUNG Silvia Laser (silvia.laser@laserverlag.at) MEDIASERVICE Nicolas Paga (nicolas.paga@laserverlag.at) Tel.: +43-1-869 5829-14<br />
GRAFISCHE GESTALTUNG Andreas Laser WEB Michaela Strutzenberger DRUCK Bauer Medien & Handels GmbH
architektur PEOPLE<br />
4<br />
Inhalt<br />
Den sozialen Wiener Wohnbau<br />
in die Zukunft führen<br />
Statement von Stadträtin Kathrin Gaál<br />
Doch einer der Großen<br />
Interview mit Architekt Heinz Neumann<br />
Antworten auf anstehende Energiefragen geben<br />
Statement von Univ. Prof. Brian Cody<br />
Das Ausgleichen von kompakten Wohnungen<br />
Interview mit Architektin DI Katharina Bayer<br />
Der Sprung der Fünfzig<br />
Interview mit Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />
Architektur ist immer Zukunft!<br />
Interview mit dem Zukunftsforscher Franz Kühmayer<br />
Architektur der Zukunft – Zukunft der Architektur<br />
Statement von Arch. DI Arkan Zeytinoglu<br />
Die wahren architektonischen<br />
Fragestellungen beantworten<br />
Interview mit Architekt Patrick Lüth<br />
Zukunft der Architektur und digitale Städte<br />
Statement von Landschaftsarchitektin<br />
Prof. DI Maria Auböck<br />
Bauen als Ausdruck der Gesellschaft<br />
Interview mit Architekt Dieter Blocher<br />
Design auch wieder aus der Welt schaffen<br />
Interview mit Designer Dr. Harald Gründl<br />
Die Nähe wiederentdecken<br />
Interview mit dem Verkehrsplaner DI Helmut Koch<br />
Architektur und Vermarktung<br />
Interview mit Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger,<br />
GF Raiffeisen Immobilien<br />
Die Architektur hochhalten<br />
Interview mit Architekt Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />
Vegetation in der Stadt von morgen<br />
Interview mit Gartenarchitekt Mag. DI Markus Meyer<br />
Zeitlos und energieautark<br />
Interview mit den Architekten<br />
DI Andrea und DI Dr. Herwig Ronacher<br />
Mehr als die einzelnen Teile<br />
Interview mit den noa* Architekten<br />
Stefan Rier und Lukas Rungger<br />
6<br />
8<br />
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5<br />
Inhalt<br />
„Die Zukunft hat<br />
jedenfalls schon begonnen.<br />
Genau jetzt.“<br />
sagt unser Gründer und Weichensteller Dr. Werner Siblik<br />
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Jedes Zuhause ist anders. Jedes Büro und jeder<br />
Zweckbau auch. Denn Architektur, Ausstattung und<br />
Funktion folgen bestimmten Vorlieben und Maßgaben.<br />
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architektur PEOPLE<br />
6<br />
Stadträtin Kathrin Gaál<br />
Den sozialen Wohnbau<br />
in die Zukunft führen<br />
Statement von Stadträtin für Wohnen, Wohnbau,<br />
Stadterneuerung und Frauen, Kathrin Gaál<br />
Seit Mai 2018 ist Kathrin Gaál amtsführende<br />
Stadträtin für Wohnbau, Stadterneuerung<br />
und Frauen in Wien. Die soziale Nachhaltigkeit<br />
von neuen Wohnbauprojekten liegt ihr dabei<br />
besonders am Herzen.<br />
Für mich stehen Architektur der Zukunft<br />
und Zukunft der Architektur ganz im Zeichen<br />
der großen, erfolgreichen und kontinuierlich<br />
fortgesetzten Tradition des sozialen<br />
Wohnbaus in Wien. Schon in der Zeit des<br />
,Roten Wien‘, der Geburtsstunde der Wiener<br />
Gemeindebauten vor 100 Jahren, war es der<br />
Anspruch, möglichst vielen Menschen ein<br />
sicheres und schönes Zuhause zu ermöglichen.<br />
Grünräume, eine gute Infrastruktur,<br />
gemeinschaftsfördernde Einrichtungen – all<br />
das wurde damals bereits mitgedacht.<br />
Wien hat das soziale und leistbare Wohnen<br />
ständig ausgebaut – mit rund 220.000 Gemeindewohnungen<br />
und fast noch einmal so<br />
vielen geförderten Wohnungen genießt unsere<br />
Stadt heute Weltruf. Gerade in Zeiten, in<br />
denen Städte vor massive Herausforderungen<br />
gestellt werden, steht Wien damit auch<br />
im Bereich des Wohnens auf einem sehr soliden,<br />
trag- und zukunftsfähigen Fundament.<br />
Wien kann auf bewährte Partnerschaften<br />
mit hervorragenden Architektinnen und Architekten<br />
und Bauträgern, die im sozialen<br />
Wiener Wohnbau tätig sind, zählen. Sie führen<br />
den sozialen Wohnbau gemeinsam mit<br />
der Stadt in eine Zukunft, in der die Architektur<br />
den baulich-gestalterischen Rahmen<br />
für ein sozial sicheres und selbstbestimmtes<br />
Leben im 21. Jahrhundert schafft.<br />
Mein Bezug zur Architektur und insbesondere<br />
zur Zukunft der Architektur ist eng<br />
mit den Kernthemen meines Ressorts verknüpft:<br />
dem leistbaren Wohnen und dem<br />
Ziel, verstärkt Wohnmodelle anzubieten, die<br />
den Bedürfnissen und Chancen von Frauen<br />
entsprechen.<br />
© David Bohmann / PID<br />
Dabei ist es mir ein Anliegen, den Nutzerinnen<br />
und Nutzern und insbesondere Frauen<br />
und Seniorinnen und Senioren in den verschiedensten<br />
Lebenslagen alltagsgerechte<br />
Lösungen zur Verfügung zu stellen. Dazu<br />
zählt auch ein gebautes Umfeld, das Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern die Bewältigung<br />
des Alltags und die Teilnahme an sozialen<br />
Netzwerken erleichtert. Ich habe deshalb im<br />
vergangenen Jahr, gleich zu Beginn meiner<br />
Tätigkeit als Wohnbaustadträtin, ein neues<br />
Wohnungsprogramm für Alleinerziehende<br />
ins Leben gerufen. Zusammen mit der<br />
Steigerung des besonders kostengünstigen<br />
Wohnungsangebots – der SMART-Wohnungen<br />
– sowie 4.000 neuen Gemeindewohnungen<br />
hat die Stadt wichtige Schritte für<br />
eine gute und leistbare Wohnzukunft der<br />
Wienerinnen und Wiener gesetzt.<br />
Die Architektur steht aber nicht nur vor<br />
Aufgaben wie einer zunehmend vielfältigen<br />
Gesellschaft, sondern auch vor klimatischen<br />
und technischen Herausforderungen, die<br />
sie integrieren muss. Hier geht es meines<br />
Erachtens einerseits darum, umweltschonende<br />
Verfahren und Abläufe kreativ zu entwickeln<br />
und umzusetzen, aber andererseits<br />
auch auf Altbewährtes, wie z.B. den außenliegenden<br />
Sonnenschutz, zurückzugreifen.<br />
Wir wollen, insbesondere auch mit dem Einsatz<br />
unserer Wohnbauförderung erreichen,<br />
dass die Wienerinnen und Wiener, egal, in<br />
welchem Familienstand und Alter sie sich<br />
befinden, ein Zuhause haben, auf das sie<br />
sich verlassen können. Das stellt eine große<br />
Herausforderung für die Architektur<br />
dar, weil nicht nur die Wohnungsgrundrisse<br />
zählen, sondern das ganze Viertel oder<br />
Grätzel in der Lage sein muss, ein solches<br />
Zuhause-Gefühl zu vermitteln.<br />
Die Fachleute haben uns gezeigt, dass der<br />
Einsatz moderner Technologien und die<br />
Nutzung der Vorteile der Digitalisierung<br />
Möglichkeiten darstellen, mit denen wir<br />
auch in Zukunft den geförderten Wohnbau<br />
auf qualitativ hohem Niveau weiterentwickeln<br />
können. Wir wissen, dass die Umsetzung<br />
des neuen sozialen Wohnens und<br />
die bauplatzübergreifende Organisation<br />
von sozialen Angeboten in Quartieren gute<br />
technische Hilfsmittel benötigen, die seitens<br />
der digitalen Welt angeboten werden.<br />
Mit der „IBA_Wien Neues Soziales Wohnen“<br />
setzen wir als Stadt und insbesondere als<br />
Ressort für Frauen und Wohnen auch in diese<br />
Richtung ein starkes Zeichen.<br />
Wohnbaupolitik ist für mich eine große<br />
Leidenschaft. Denn ich bin zutiefst davon<br />
überzeugt, dass leistbares und lebenswertes<br />
Wohnen ein Grundrecht ist. Gemeinsam<br />
mit unseren Architektinnen und Architekten<br />
die einzigartige Erfolgsgeschichte des<br />
sozialen Wiener Wohnbaus in die Zukunft<br />
zu führen, ist für mich eine ehrenvolle und<br />
wunderschöne Aufgabe.
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7<br />
ICH KANN<br />
MICH NICHT<br />
UM ALLES<br />
KÜMMERN.<br />
DI Anna Detzlhofer und DI Sabine Dessovic<br />
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Wir sorgen dafür, dass Ihre großen Visionen nicht an kleinen<br />
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von der Planung über das Projektmanagement bis hin zur<br />
Bauausführung. In uns haben Sie 1 Ansprechpartner bis zur<br />
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architektur FACHMAGAZIN<br />
8<br />
Heinz Neumann<br />
Doch einer<br />
der Großen<br />
Interview mit Architekt Heinz Neumann<br />
© HNP<br />
Einer der bekanntesten österreichischen (Wiener) Architekten ist Heinz Neumann. Er kokettiert zwar gerne damit, kein sogenannter<br />
Stararchitekt zu sein, macht das aber so offensichtlich, dass man um ihn nicht herumkommt. Er hat mittlerweile zwei<br />
Partner (Arch. DI Florian Rode und Arch. DI Oliver Oszwald) und das Architekturbüro firmiert unter HNP architects. Auf der<br />
Homepage ganz oben steht der Slogan: „Wenn Sie über Architektur sprechen wollen ... rufen Sie uns an.“ Sinngemäß auch<br />
auf englisch: „If you want to talk about architecture ... contact us.“ Peter Reischer folgte dieser Aufforderung und führte mit<br />
Architekt Heinz Neumann in einem wunderschön revitalisierten Backsteinbau in Wien Döbling folgendes Gespräch.<br />
Herr Architekt Neumann, hat die<br />
Architektur eine Zukunft?<br />
Eine stehende Redewendung von mir<br />
ist: „Architektur ist ein Spiegelbild<br />
der Gesellschaft.“ Das ist die Realität<br />
und jeder, der daran vorbeibaut,<br />
kann zwar sehr berühmt werden, ist<br />
aber ein dürrer Ast.<br />
Dann will ich meine Frage präzisieren:<br />
Was haben wir jetzt für eine Gesellschaft<br />
und was haben wir für eine<br />
Architektur?<br />
Wenn ich jetzt sehr kritisch bin, dann<br />
sage ich: Wir haben eine Gesellschaft<br />
ohne Werte. Wir haben weder ein<br />
sinnvolles Geld – das wird ständig<br />
abgewertet, noch haben wir Moralbegriffe<br />
wie Treue, Tapferkeit, Mut<br />
usw., die existieren in der heutigen<br />
Zeit nahezu nicht mehr. Wenn Sie<br />
die Aufsätze von Solschenizyn lesen<br />
– er hat in einem kommunistischen<br />
Land gelebt und die westliche Welt<br />
beurteilt – da kommt das klar zum<br />
Ausdruck. Sieger ist der, der sich die<br />
besten Rechtsanwälte leisten kann<br />
und das ist ein trauriges Zeichen.<br />
Welche Architektur ergibt sich aus<br />
dieser Festsetzung? Eine Gesellschaft<br />
ohne Werte, bedingt das auch<br />
eine wertelose Architektur?<br />
Wir haben eine sehr gleichförmige<br />
Architektur, die sich leider internationalisiert<br />
hat, aber das Wunderbare<br />
an den alten Bauwerken ist ja das<br />
Lokalkolorit. Wenn ich mir die Bauten<br />
in der islamischen Welt anschaue,<br />
sprechen die eine andere Sprache<br />
als die Bauwerke, die bei uns stehen.<br />
Französische, deutsche, italienische,<br />
englische Architektur war immer ablesbar,<br />
das ist heute alles zu einem<br />
Einheitsbrei geworden.<br />
Der Architekt Richard Meyer (der sicher<br />
ein großartiger Architekt ist) ist<br />
international ablesbar, er baut seine<br />
weiß gekastelten Häuser in Frankfurt,<br />
in Hongkong, in Amerika und<br />
überall gleich. Es kann doch nicht
www.architektur-online.com<br />
9<br />
Heinz Neumann<br />
sein, dass jeder Bauplatz die gleiche<br />
architektonische Antwort verdient.<br />
Meyer würde das wahrscheinlich mit<br />
seiner individuellen architektonischen<br />
Sprache begründen?<br />
Ja, das ist eine Antwort, aber ob das<br />
eine sinnvolle Vorgangsweise ist, das<br />
stelle ich infrage. Ich kann nicht im<br />
Hochgebirge eine Flachdachkiste<br />
aus weißem Blech hinstellen und sagen:<br />
Das ist Architektur!<br />
Sie sagen, die Architektur ist nicht<br />
mehr ablesbar. Wenn sie nach China<br />
schauen, dann weiß man bei den<br />
Bauten der sogenannten Stararchitekten<br />
nicht mehr, ob es sich um ein<br />
Museum, einen Bahnhof, ein Kunstoder<br />
Sport- oder Shoppingzentrum<br />
oder um einen Flugplatz handelt.<br />
Jetzt frage ich Sie, ob dieser Architekturexport,<br />
den der Westen in<br />
die Ostländer und die sogenannten<br />
Entwicklungsländer betreibt, nicht<br />
ein Fortschreiben eines Kolonialisierungsgehabes<br />
ist?<br />
Im Zuge der Globalisierung wird<br />
man das schwer kritisieren können.<br />
Wir sind uns ja in allen unseren gesellschaftlichen<br />
Ausprägungen sehr<br />
ähnlich geworden. Ob das jetzt die<br />
Kleidung oder unser Gehabe oder<br />
die Architektur ist.<br />
Ich will da eine kleine Anekdote erzählen.<br />
Es gab einmal einen skandalösen<br />
Wettbewerb: Der Prado hatte<br />
eine Umgestaltung des Museums<br />
ausgeschrieben und da haben sich<br />
900 internationale Architekten beworben.<br />
Ich bin natürlich auch ins<br />
Flugzeug gestiegen und hingeflogen,<br />
beim Besuch des Prados traute<br />
ich meinen Augen nicht. Rund herum<br />
hat es von lauter schwarz gekleideten<br />
Männlein und Weiblein mit Umhängetasche<br />
und Fotoapparat gewimmelt<br />
– eben lauter Architekten.<br />
Die Menschen fahren nicht nach<br />
Bilbao um Bilbao zu sehen, sondern<br />
weil dort Frank Gehry das Guggenheimmuseum<br />
gebaut hat. Trägt also<br />
die Architektur zu einem Verlust der<br />
Orte bei?<br />
In diesem Fall stimmt das, weil die<br />
Stadt durch diese Architektur zerstört<br />
worden ist. Das Museum steht<br />
wie ein Flugzeugträger in einem kleinen<br />
Küstenhafen da.<br />
Sehen Sie bei so einer internationalen<br />
Stararchitektur noch einen Konnex<br />
zum Menschen?<br />
Nein, der ist nicht vorhanden.<br />
Wie stehen Sie dem Starkult um die<br />
Architekten gegenüber?<br />
Ich will da nicht das eigene Nest<br />
beschmutzen, es ist ja schön als<br />
Architekt hervorzutreten und etwas<br />
Sinnhaftes, Ästhetisches, etwas<br />
Finanzierbares – wo der Bauherr<br />
nicht in den Konkurs geht – zu entwickeln.<br />
Bei Zaha Hadid, die eine Bibliothek<br />
gebaut hat, bei der man im<br />
Seitenschritt über die Stiege gehen<br />
muss, weil sie so schräg ist – da werde<br />
ich sehr nachdenklich.<br />
Können wir nochmals zum Ausgangspunkt,<br />
zur Zukunft der Architektur<br />
zurückkehren?<br />
Die Zukunft können wir nicht voraussagen,<br />
nicht die Architekten machen<br />
die Architektur – der Architekt erfindet<br />
ja kein Großraumbüro. Das ist<br />
ein Gedanke, der aus dem Wunsch,<br />
möglichst wenig Bürofläche den Mitarbeitern<br />
zur Verfügung zu stellen,<br />
entstanden ist.<br />
Das ist der Maximierungszwang, unter<br />
dem unsere Gesellschaft leidet.<br />
Das ist es! Nicht der Architekt entwickelt<br />
neue Fassadensysteme, die Industrie<br />
und die Wirtschaft sind das.<br />
Wir benutzen diese Produkte nur, die<br />
Ressourcen werden immer geringer,<br />
wir verbrauchen so viel Sand für Betonerzeugung,<br />
dass weltweit bereits<br />
eine Sandknappheit entstanden ist –<br />
da liegen die Fragen der Zukunft. Die<br />
Architektur ist wie eine Pflanze, sie<br />
wächst mit einer Selbstverständlichkeit<br />
mit der Industrie und der Wirtschaft,<br />
Auswüchse verdorren eben.<br />
Eine Maxime von mir ist eine „Architektur<br />
der Selbstverständlichkeit“.<br />
Was definieren Sie als Kriterien für<br />
diese „Selbstverständlichkeit“?<br />
Keine unnötigen bautechnischen<br />
Kunststücke, keine mutwillige Farbgebung,<br />
keine sinnlosen Details ...<br />
kein Krampf. Die Finanzierbarkeit,<br />
die Bauzeit und die Akzeptanz durch<br />
die Menschen. Diese „Wundergebäude“<br />
(der Stars) werden oft von den<br />
Menschen gar nicht akzeptiert.<br />
Der Office Park<br />
4 am Flughafen<br />
Wien ist in puncto<br />
Nachhaltigkeit<br />
ein Vorzeigeprojekt<br />
von HNP<br />
architects.
architektur PEOPLE<br />
10<br />
Heinz Neumann<br />
Beim gesamten<br />
Bauvorhaben<br />
ist die TU Wien<br />
von Anfang an<br />
eingebunden um<br />
einen schonenden<br />
Umgang mit<br />
Ressourcen zu<br />
sichern.<br />
Würden Sie als Kriterien auch die<br />
Nachhaltigkeit nennen?<br />
Ein wunderbares Beispiel ist die Nachhaltigkeit,<br />
das hat man vor 20 Jahren<br />
nicht berücksichtigt. Damals hat man<br />
über die Wiederverwendbarkeit eines<br />
Bauwerkes oder der Materialien nicht<br />
nachgedacht. Heute muss ich nachdenken,<br />
ob es in 10 Jahren noch Sand<br />
zum Betonieren geben wird – das sind<br />
die Dinge, die Architektur heute und<br />
morgen ausmachen.<br />
Gibt es aus Ihrem Portfolio ein Beispiel,<br />
bei dem Sie eine größtmögliche,<br />
erreichbare Nachhaltigkeit konstatieren<br />
würden?<br />
Ja, das ist im Moment im Bau und es<br />
ist der Office Park 4 am Flughafen<br />
Wien. Für den Betrieb lässt sich jetzt<br />
schon eine Reduktion des CO 2 -Ausstoßes<br />
auf 70 Prozent prognostizieren.<br />
Bei dem ganzen Bauvorhaben ist<br />
die TU Wien eingebunden, um vorbildhaft<br />
einen schonenden Umgang<br />
mit der Energie und den Ressourcen<br />
sicherzustellen. Das wird ein Vorzeigeprojekt!<br />
Wie sieht es mit der sozialen Komponente<br />
der Selbstverständlichkeit der<br />
Architektur aus?<br />
Wenn die Architektur selbstverständlich<br />
ist, ist sie menschlich<br />
und hat Maßstäbe, die der Mensch<br />
akzeptiert. Ein Bau, wie das T Center<br />
in St. Marx (von meinem Freund<br />
Domenig) ist maßstabslos, diese gigantischen<br />
Hallen kann ich bei einer<br />
Kirche, aber nicht bei einem Bürogebäude<br />
machen.<br />
Das ist aber auch das, was Sie zuerst<br />
gesagt haben, ein Spiegelbild<br />
unserer Gesellschaft: Maßlosigkeit.<br />
Ist das nicht eine sehr bedauerliche<br />
Entwicklung?<br />
Ja, das ist es!<br />
Wie können wir angesichts der Tatsache,<br />
dass der sogenannte Welterschöpfungstag<br />
(Earth Overshoot<br />
Day) heuer schon am 29. Juli war,<br />
wir also noch ein halbes Jahr vor uns<br />
aber keine erneuerbaren Ressourcen<br />
mehr zur Verfügung haben – überhaupt<br />
noch Architektur machen,<br />
noch Bauen?<br />
Ich glaube, dass wir den Menschen<br />
in seinem Gehaben kaum verändern<br />
können. Der Mensch ist ein Irrläufer<br />
der Evolution. Er hat mit jeder Maßnahme,<br />
die er gesetzt hat, eigentlich<br />
mehr zerstört, als er repariert hat.<br />
Deshalb wird unser Aufenthalt auf<br />
dieser Kugel ziemlich endlich sein. Wir<br />
gehen sehenden Auges diesen Weg.<br />
Die Politiker sollten hier regulierend<br />
eingreifen und nicht im Brustton der<br />
Überzeugung die abermalige Steigerung<br />
des Bruttosozialproduktes<br />
verkünden. Wir als Wähler sind auch<br />
schuld, weil wir voll narkotisierte Bewusstseinsbankrotteure<br />
wählen, die<br />
dann nichts anderes im Kopf haben,<br />
als die permanente, sich perpetuierende<br />
Machtausübung. Statt zu tun,<br />
was dem Volk zugute käme.<br />
Was meinen Sie im Hinblick auf die<br />
Bildungspolitik, die ja diese Entwicklung<br />
mitverursacht. Sollte die Architektur<br />
nicht als Fach in den Schulprogrammen<br />
verankert werden?<br />
Ja, unbedingt!<br />
Wo würden Sie sich als Architekt,<br />
stilmäßig einordnen?<br />
Darüber habe ich nicht nachgedacht.
www.architektur-online.com<br />
11<br />
Heinz Neumann<br />
LINDNER AUSTRIA<br />
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Die Lindner GmbH beweist Qualität im Detail, z. B. als Komplettanbieter für den Innenausbau und bei individuellen<br />
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architektur PEOPLE<br />
12<br />
Univ. Prof. Brian Cody<br />
Antworten auf anstehende<br />
Energiefragen geben<br />
Statement von Univ. Prof. Brian Cody<br />
Ab 2020 muss laut EU-Richtlinie jeder Neubau in<br />
Europa als „Nearly-Zero-Energy-Building“ gebaut<br />
werden. Das ist ein Anfang. Die beschlossenen Ziele<br />
hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung sind<br />
damit alleine natürlich nicht zu erreichen. Vielmehr<br />
bedarf es einer radikalen Umstrukturierung unserer<br />
physischen Infrastruktur; wir müssen die Stadt als<br />
System neu denken. Mit einer bloßen Optimierung<br />
der bestehenden Strukturen werden wir die notwendige<br />
Halbierung unseres derzeitigen Energiebedarfs<br />
in Europa nicht erreichen.<br />
Gebäude stellen jedenfalls bei Weitem den größten<br />
Energieverbraucher der technischen Infrastruktur<br />
unserer Gesellschaft dar und bilden somit einen großen<br />
Teil des Problems ab. Architektur kann damit ein<br />
Großteil der Lösung sein. Alte Architekturkonzepte<br />
mit Wärmedämmung und Fotovoltaik-Paneelen zu<br />
bekleiden, löst das Problem jedoch nicht. Die Architektur<br />
muss architektonische Antworten auf die anstehenden<br />
Energiefragen liefern.<br />
Gebäudeplaner haben sich bisher vorwiegend damit<br />
beschäftigt, die Schutzfunktionen der von ihnen<br />
entworfenen Gebäude zu optimieren. Alleine<br />
die Begriffe, welche im Bauwesen heute verwendet<br />
werden, zeigen die Denkweise des verfolgten Ansatzes:<br />
Wärmedämmung, Sonnenschutz, Windschutz,<br />
Dampfbremsen etc. Es ist an der Zeit, einen Paradigmenwechsel<br />
im Denken und Handeln zu vollziehen –<br />
statt immer effektivere Schutzmaßnahmen gegen die<br />
natürlichen Kräfte, warum diese Kräfte nicht nutzen?<br />
Statt darauf zu fokussieren, wie der negative Impakt<br />
des entworfenen Gebäudes auf die Umgebung minimiert<br />
werden kann, sollten wir versuchen, seinen<br />
positiven Impakt zu maximieren – Gebäude, welche<br />
nicht nur nehmen, sondern auch geben!<br />
Das Energiekonzept für das neue „Science and Technology<br />
Museum“ in Xingtai, China, das wir in Zusammenarbeit<br />
mit dem Architekturbüro Coop Himmelb(l)au<br />
entwickelt haben, zeigt den Ansatz von<br />
„Buildings which give“. Der Entwurf hat den internationalen<br />
Wettbewerb für den neuen Museumsbau<br />
im vergangenen Sommer gewonnen und beinhaltet<br />
eine Vielfalt von passiven und aktiven energetischen<br />
Strategien, welche den thermischen Komfort und<br />
die Luftqualität für Besucher und Angestellte bei<br />
gleichzeitig minimiertem Energiebedarf optimieren.<br />
Das Konzept geht jedoch weit darüber hinaus und ist<br />
weitaus ambitionierter als die bisher bekannte energieeffiziente<br />
Gebäudeplanung.<br />
Xingtai, mit einer Bevölkerung von über 7 Millionen<br />
Menschen, gilt als die am stärksten luftverschmutzte<br />
Stadt in einem Land, das infolge des Industrieausmaßes<br />
und der in den letzten Dekaden rasanten<br />
wirtschaftlichen Entwicklung mit starken Luftverschmutzungsproblemen<br />
in den meisten seiner vielen<br />
Städte und Metropolen kämpft. Das Ziel bei unserem<br />
Konzept war, über die Systemgrenzen des Gebäudes<br />
hinaus zu gehen und das urbane Mikroklima und die<br />
Luftqualität in der unmittelbaren Umgebung des Gebäudes<br />
zu verbessern. Das Gebäude leistet dabei einen<br />
wichtigen Beitrag zur Qualitätsverbesserung der<br />
Luft in seiner Umgebung. Ein Gebäude, das gibt und<br />
nicht nur nimmt. Das entwickelte Konzept zeigt, wie<br />
individuelle Gebäude einen Beitrag zur Optimierung<br />
des Gesamtsystems Stadt leisten können.<br />
Der Gebäudeentwurf sieht eine vertikale Schichtung<br />
der Nutzungen vor, bei der esich in begrünter großzügiger<br />
öffentlicher Außenraum im Zentrum des Gebäudevolumens<br />
befindet. In einem nahegelegenen<br />
Park haben wir zwei hohe Türme geplant, welche die<br />
vorherrschenden Winde einfangen und mithilfe von<br />
Niedrigdruck-Axialventilatoren die Luft anschließend<br />
in einem unterirdischen System von Erdkanälen<br />
durchleiten, wobei sie mittels Luftwäscher und einem<br />
Niedrigdruck-Luftfiltersystem von der atmosphärischen<br />
Luftverschmutzung gereinigt wird. u
www.architektur-online.com<br />
13<br />
Univ. Prof. Brian Cody<br />
Als Universitätsprofessor am Institut für Gebäude<br />
und Energie an der TU Graz setzt Brian Cody seinen<br />
Schwerpunkt auf die Maximierung der Energieperformance<br />
von Gebäuden und Städten. Auch einer breiteren<br />
Öffentlichkeit möchte er die Thematik mit seinem<br />
Buch „form follows energy“ näher bringen.<br />
© Hatice Cody
architektur PEOPLE<br />
14<br />
Univ. Prof. Brian Cody<br />
Nachdem die Luft gereinigt und durch das Erdreich<br />
temperiert wird, tritt sie durch „Luftbrunnen“ im<br />
zentral gelegenen öffentlichen Außenraum ein, wo<br />
sie zur Schaffung eines angenehmen Mikroklimas<br />
und verbesserten Luftqualität beiträgt. Von hier aus<br />
strömt die Luft hinaus in die Gebäudeumgebung.<br />
Die Energie, die benötigt wird, um dieses Luftreinigungssystem<br />
zu betreiben, liefern großflächige<br />
solare Module, welche im Gebäudedach und in den<br />
Turmoberflächen integriert sind. Mittels integrierter<br />
Mediasysteme in den Fassaden der Türme wird die<br />
Öffentlichkeit über den aktuellen Status der Luftreinigungsprozesse<br />
informiert. Die Systeme bilden einen<br />
integralen Teil des Ausstellungskonzeptes für<br />
das neue Science and Technology Museum.<br />
Die Zukunft der Architektur wird im Wesentlichen<br />
dadurch bestimmt, in wieweit architektonische Antworten<br />
zu den anstehenden Herausforderungen<br />
einer nachhaltigen Entwicklung – und damit neue<br />
hierfür geeignete architektonische Formen – gefunden<br />
werden können. Architektur „verbraucht“ nicht<br />
Energie, Architektur ist Energie. Jede gezeichnete<br />
Linie auf Papier, welche eine architektonische Intention<br />
darstellt, impliziert auch Jahrzehnte und mitunter<br />
gar Jahrhunderte von damit einhergehenden<br />
Energie- und Stoffströmen. Vor dem Hintergrund des<br />
Klimawandels, der rasant zu Neige gehenden fossilen<br />
Energieressourcen, des exponentiellen Bevölkerungswachstums<br />
und der aus der Ungewissheit der<br />
zukünftigen Energieversorgung resultierenden geopolitischen<br />
Instabilität, zusammengenommen mit der<br />
Tatsache, dass Gebäude für etwa 40% des weltweiten<br />
Energieverbrauches verantwortlich sind, ist es<br />
naheliegend, dass es keine gute Architektur ohne ein<br />
gutes Energiekonzept mehr geben kann.<br />
Dabei muss ein Paradigmenwechsel im Denken noch<br />
vollzogen werden. Im Namen der Nachhaltigkeit wurde<br />
während der letzten 20 Jahre immer mehr bei der<br />
Planung von Gebäuden der Versuch unternommen,<br />
den negativen Impact des geplanten Gebäudes auf<br />
seine Umgebung zu minimieren. Das ist jedoch noch<br />
zu wenig. Vielmehr muss es darum gehen, den positiven<br />
Impact des Gebäudes auf sein Umfeld zu maximieren.<br />
Aus meiner Sicht suggeriert auch der Begriff<br />
Nachhaltigkeit eine viel zu konservative Haltung. Es<br />
kann nicht lediglich darum gehen, alles so zu erhalten<br />
wie es ist, sondern vielmehr darum, wie wir mit<br />
unseren Handlungen die Situation jetzt und für die<br />
Zukunft viel besser machen können.
www.architektur-online.com<br />
15<br />
Architektin Marion Gruber von PLOV<br />
Simplex 3D. Drehstuhl mit dreidimensionaler Beweglichkeit – multifunktional und universell einsetzbar. Design: Greutmann Bolzern<br />
www.girsberger.com/simplex
architektur PEOPLE<br />
16<br />
DI Katharina Bayer<br />
Das Ausgleichen von<br />
kompakten Wohnungen<br />
Interview mit Architektin DI Katharina Bayer<br />
Das Wiener Architekturbüro einszueins<br />
architektur lässt Einfamilienhäuser<br />
hinter sich und beschäftigt sich lieber<br />
mit Baugruppen, Partizipation und<br />
kooperativer Stadtplanung. Über diese<br />
(noch) besondere Spezialisierung sprachen<br />
wir mit Katharina Bayer.<br />
© He Shao Hui
www.architektur-online.com<br />
17<br />
DI Katharina Bayer<br />
Frau Architektin, sehen Sie die Zukunft<br />
der Architektur positiv oder<br />
negativ?<br />
Positiv. Als Architektin braucht man<br />
eine positive Einstellung, um den Herausforderungen<br />
begegnen zu können.<br />
Was soll die Architektur der Zukunft<br />
ermöglichen?<br />
Die Architektur soll sich auf die gesellschaftlichen<br />
Herausforderungen<br />
konzentrieren. Der Klimawandel und<br />
der demografische Wandel sind Themen,<br />
mit denen sich Architektur auseinandersetzen<br />
muss. Sie soll Lösungen<br />
für komplexe Probleme bieten.<br />
In welche Richtung soll sich die Architektur<br />
im Hinblick auf den Wohnbau<br />
entwickeln?<br />
Durch die Spezialisierung unseres<br />
Büros auf Baugruppenprojekte verfolgen<br />
wir einen besonderen Ansatz.<br />
Auch wir haben mit der Planung von<br />
Einfamilienhäusern und anonymen<br />
großvolumigen Wohnbauten begonnen.<br />
Bei beiden sehen wir Defizite:<br />
der hohe Flächenverbrauch beim<br />
Einfamilienhaus und die Anonymität<br />
und fehlende Selbstermächtigung<br />
beim großvolumigen Wohnbau. Die<br />
Individualisierung und die Ökologie<br />
sowie soziale Vielfältigkeit haben wir<br />
als das Positive aus beidem genommen.<br />
Durch unseren Schwerpunkt<br />
integrieren wir die NutzerInnen frühzeitig<br />
in den Planungsprozess von<br />
mehrgeschossigen Wohnbauten. Dadurch<br />
können sie mitgestalten und<br />
ihre individuellen Wohnbedürfnisse<br />
miteinbringen. Es entstehen vielfältige<br />
und nachhaltige Wohnformen<br />
für den Wohnbau. Das gilt als wesentliche<br />
Grundlage für zukünftigen<br />
Wohnbau, der keine Fließbandlösungen<br />
zur Verfügung stellen kann und<br />
auf Bedürfnisse und Situationen eingehen<br />
muss.<br />
Baugruppenprojekt am Nordbahnhof in der Krakauerstraße in Wien<br />
als Teil des Gesamtbauvorhabens „Wohnen mit Alles“<br />
Welche Wohnmodelle wird es in Zukunft<br />
geben?<br />
Die Wohnformen werden sich immer<br />
stärker ausdifferenzieren. Man<br />
muss auf die stärkere Individualisierung<br />
eingehen, aber auch auf den<br />
Bedarf nach neueren Wohnformen<br />
beispielsweise in Bezug auf Pflege.<br />
Das kann wohl nicht mehr in großen<br />
Modellen oder Systemlösungen<br />
abgedeckt werden, sondern durch<br />
kleinteiligere maßgeschneiderte Lösungen.<br />
Insofern sind gemeinschaftliche<br />
Wohnformen wichtig, bei denen<br />
Partizipation der NutzerInnen möglich<br />
ist. Flexibilität und Anpassbarkeit<br />
sind wichtige Schlagworte für<br />
den zukünftigen Wohnbau.<br />
Wie kann das Thema Gemeinschaftlichkeit<br />
stärker in der Architektur<br />
umgesetzt werden?<br />
Bei unseren bewusst gemeinschaftlich<br />
angelegten Baugruppenprojekten<br />
gibt es schon viele Möglichkeiten,<br />
Gemeinschaft, Solidarität und Sharing<br />
zu leben. Auch bei geförderten<br />
Wohnbauten wird die soziale Nachhaltigkeit<br />
dadurch schon vielfach<br />
umgesetzt. Bei ganz vielen Wohnformen<br />
im frei finanzierten Wohnbau<br />
gibt es aber noch immer zu wenige<br />
Möglichkeiten dafür. Da werden die<br />
Wohnungen aufgrund der Leistbarkeit<br />
immer kompakter. Es geht weniger<br />
darum, im geförderten Wohnbau<br />
noch mehr gemeinschaftliche Angebote<br />
zu schaffen, sondern das mehr<br />
in die Breite zu bringen und auch den<br />
frei finanzierten Bereich dabei zu integrieren.<br />
Die Stadt Wien ist dabei<br />
in vielen Bereichen schon auf einem<br />
sehr guten Weg, aber es braucht natürlich<br />
Anstrengung, damit das so<br />
bleibt und nicht die Investoreninteressen<br />
im Vordergrund stehen.<br />
Kann man also sagen, dass die Wohnungen<br />
immer kleiner werden zugunsten<br />
der Gemeinschaftsbereiche?<br />
Im Idealfall stimmt das. Wir glauben,<br />
dass der Trend der kompakten Wohnungen<br />
an sich kein schlechter ist. Im<br />
Sinne der Nachhaltigkeit ist es auch<br />
wichtig, wie wir mit Raumressourcen<br />
umgehen und vor allem, wie wir diese<br />
verteilen. Der Hauptgrund, wieso<br />
Wohnungen immer kleiner werden,<br />
ist aber, dass Wohnraum sehr teuer<br />
geworden ist. Diese Reduktion ist oft<br />
unfreiwillig und passiert hauptsächlich<br />
bei sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen.<br />
Man muss diesen<br />
Trend also differenziert betrachten.<br />
Manchmal ist er durchaus positiv zu<br />
sehen, wenn die Kompaktheit durch<br />
Gemeinschaftsflächen kompensiert<br />
wird. Problematisch ist er zu sehen,<br />
wenn er Ausdruck von fehlender<br />
Leistbarkeit und fehlenden Möglichkeiten<br />
ist. Wir unterstützen diesen<br />
Weg, dass Räume aus dem individuellen<br />
Bereich geholt und in den gemeinschaftlichen<br />
verlagert werden,<br />
wenn das Sinn macht. Dazu zählen<br />
zum Beispiel Gästezimmer oder Kinderspielräume.<br />
Ist der Begriff „Smartwohnung“ zu<br />
einem reinen Marketingvokabel geworden?<br />
Die Idee der Smartwohnung ist,<br />
dass man alltagstaugliche kompakte<br />
Grundrisse schafft z.B. ohne sinnlose<br />
Gangflächen, um das Wohnen<br />
günstiger zu machen. Grundsätzlich<br />
ist das unterstützenswert und Marketing<br />
gehört natürlich auch dazu.<br />
Man muss darauf schauen, was als<br />
Ausgleich dafür in den Allgemeinbereichen<br />
geschaffen wird. Durch<br />
die kleineren Wohnungen muss man<br />
öfters hinaus und dazu soll es auch<br />
Möglichkeiten geben. Dass parallel<br />
zu den kompakteren Wohnungen<br />
keine Ausgleichsflächen oder gemeinschaftliche<br />
Angebote entstehen,<br />
darf so nicht sein.<br />
u<br />
© Hertha Hurnaus
architektur PEOPLE<br />
18<br />
DI Katharina Bayer<br />
Flexibilität und<br />
Mehrwert für alle<br />
beim Baugruppenprojekt<br />
am Wiener<br />
Nordbahnhof in der<br />
Krakauerstraße von<br />
einzueins architektur.<br />
Wie ist das Feedback der Bewohner<br />
zu den Gemeinschaftsräumen bei Ihren<br />
Projekten?<br />
Bei unseren Projekten werden die<br />
Gemeinschaftsflächen so genutzt,<br />
wie sie geplant wurden, denn die<br />
künftigen Bewohner entscheiden<br />
mit, welche Räume sie nutzen wollen<br />
und wie diese ausgestattet werden<br />
sollen. Das hängt auch damit zusammen,<br />
dass sich die Hausgemeinschaft<br />
schon vorher organisiert und<br />
Regeln für diese Flächen festlegt.<br />
Problematisch ist das bei Projekten,<br />
wo es keine Partizipation in der<br />
Gestaltung und keinen Prozess des<br />
Kennenlernens gibt. Eine soziale Begleitung<br />
für die Besiedlungsphase ist<br />
hier vor allem im geförderten Wohnbau<br />
notwendig. Wenn so etwas komplett<br />
fehlt, ist eine gute und intensive<br />
Nutzung der Gemeinschaftsräume<br />
unwahrscheinlich. Man darf die Bewohner<br />
mit dieser Aufgabe nicht alleine<br />
lassen.<br />
Wie viel Mehraufwand stellt die aktive<br />
Miteinbeziehung der Bewohner in<br />
die Planung dar?<br />
Bei umfassender Partizipation muss<br />
man mit einem Drittel Mehraufwand<br />
in der Planung rechnen. Das ist aber<br />
ein Mehraufwand, der von beiden<br />
Seiten geschätzt wird und in der Regel<br />
auch von den Bewohnern finanziert<br />
wird.<br />
Planen Sie auch Einfamilienhäuser?<br />
Aus ideologischen Gründen unterstützen<br />
wir die Alternativen zum Einfamilienhaus.<br />
Einfamilienhäuser sind<br />
für uns nicht nachhaltig, weder auf<br />
gesellschaftlicher Ebene noch auf individueller<br />
Ebene. Wenn es eine Veränderung<br />
geben soll, muss ein Umdenken<br />
auf verschiedenen Ebenen<br />
passieren und Alternativen müssen<br />
angeboten werden. Unser Ziel ist, an<br />
diesen Alternativen zu arbeiten.<br />
Wird es in Zukunft noch<br />
Einfamilienhäuser geben?<br />
Es wird auch in Zukunft Einfamilienhäuser<br />
geben. Unser Büro hat da<br />
einen ersten Schritt gemacht, Alternativen<br />
aufzuzeigen. Die Politik muss<br />
Schritte setzen, um wichtige Raumplanungs-<br />
und Raumordnungsfragen<br />
zu klären. Ein einzelner Architekt<br />
oder ein einzelnes Architekturbüro<br />
wird da nicht die große Veränderung<br />
bereden können, denn es braucht<br />
politische Anstrengung dafür. Die<br />
Sehnsucht nach dem Haus im Grünen<br />
führt auf individueller Ebene oft<br />
zu nicht nachhaltigen Entscheidungen.<br />
Das sollte von der Politik aber<br />
nicht weiter gefördert werden.<br />
Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?<br />
Die Grunddefinition, dass es um ökologische,<br />
ökonomische und soziale<br />
Nachhaltigkeit geht, unterstütze ich.<br />
Beim Bauen geht es dabei nicht nur<br />
um Baustoffe und Energieverbrauch,<br />
sondern um eine breitere Sicht auf das<br />
Thema. Nachhaltig ist, was den Herausforderungen<br />
der Zukunft begegnet<br />
und auch für kommende Generationen<br />
die Lebensgrundlage erhält.<br />
Wie wohnen Sie aktuell?<br />
Ich bin gerade in ein Baugruppenprojekt<br />
im Sonnwendviertel eingezogen.<br />
Unser Büro haben wir ja auch in so<br />
einem Projekt. Insofern versuche<br />
ich, im Selbstversuch zu leben, was<br />
wir auch planen. In diesem gemeinschaftlichen<br />
Wohnprojekt bin ich<br />
sehr zufrieden.<br />
Welche Anforderungen stellen Sie<br />
persönlich an eine Wohnung?<br />
Die Wohnung muss meiner aktuellen<br />
Lebenssituation entsprechen. Mit<br />
Kindern als Patchwork-Familie brauchen<br />
wir Platz. Für mich ist wichtig,<br />
dass es die Möglichkeit eines<br />
Freiraumes und des Austausches<br />
mit anderen gibt. Mein Wohnen soll<br />
nicht an der Wohnungstür aufhören,<br />
sondern ein Umfeld und eine aktive<br />
Nachbarschaft haben. Ich wohne<br />
gerne in der Stadt und möchte alle<br />
Möglichkeiten zu Fuß erreichen. Eine<br />
gute Infrastruktur ist wichtig, damit<br />
ich meinen Alltag einfach und ohne<br />
Auto bewältigen kann.<br />
Wie kann man es schaffen, gute,<br />
langfristig funktionierende Architektur<br />
zu gestalten?<br />
Grundsätzlich soll das Planen für das<br />
Hier und jetzt passieren. Im Idealfall<br />
stehen Gebäude aber hundert Jahre<br />
oder länger. Dadurch muss die Architektur<br />
auch Möglichkeiten für Veränderung<br />
und Flexibilität lassen. Bei<br />
den partizipativen Projekten beachten<br />
wir, dass es eine Baukonstruktion<br />
gibt, die Umbaubarkeit und eine Anpassung<br />
der Raumstruktur langfristig<br />
zulässt. Insofern sind flexible statische<br />
Systeme und das Einplanen<br />
von Möglichkeiten der Veränderung<br />
eines Gebäudes notwendig.<br />
Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />
für die Zukunft?<br />
Das Hunziker Areal in Zürich ist für<br />
uns ein Vorbild für nachhaltige Quartiersentwicklung.<br />
Wir haben immer<br />
noch den Wunsch, dass es über das<br />
Einzelprojekt hinaus einen integrativen<br />
Planungsansatz gibt. In Wien<br />
passiert das in Teilbereichen und<br />
könnte noch stärker sein. Sonst gibt<br />
es eigentlich nie das eine Projekt. Es<br />
ist wichtig, sich den örtlichen Herausforderungen<br />
zu stellen und diese zu<br />
bewältigen. Alle Projekte, die da einen<br />
Schritt weitergehen und neue Lösungen<br />
anbieten, sind bewundernswert.<br />
Die Zukunft der Architektur/Architektur<br />
der Zukunft ist für mich …<br />
….ein Prozess, der sich mit den aktuellen<br />
Herausforderungen des Lebens<br />
beschäftigt.<br />
© Hertha Hurnaus
www.architektur-online.com<br />
19<br />
Najjar & Najjar Architekten<br />
Fotos © Göllner<br />
GELUNGENER STILBRUCH<br />
IN MATTSCHWARZ<br />
INSPIRATIONS<br />
CLOSE TO YOU<br />
Die Vision eines Kundenehepaars<br />
von zwei außergewöhnlichen Einfamilienhäusern<br />
reizte Innenarchitekt<br />
Jens Göllner so sehr, dass er<br />
den Auftrag nicht nur annahm, sondern<br />
kurze Zeit später sogar als aktiver<br />
Käufer in das Projekt einstieg.<br />
„Genauso wie ich waren die Auftraggeber<br />
sehr gestaltungsorientiert<br />
und hatten Lust, etwas Neues auszuprobieren“,<br />
erzählt der Geschäftsführer<br />
von RUGE + GÖLLNER. Mit der<br />
Holzfassade sollten stilistisch die<br />
Kunde: Privat<br />
Architekturbüro: RUGE + GÖLLNER GmbH<br />
Projekt: Bau privater Einfamilienhäuser<br />
Herausforderung: moderner Stilbruch<br />
in Holzfassade<br />
Lösung: Duropal XTerior compact<br />
eingesetztes Dekor: Pfleiderer U12000,<br />
Vulkanschwarz<br />
Oberflächenstruktur: Exterior Matt (EM)<br />
alten Kotten aus der Region Vechta<br />
wiederaufgegriffen werden. Als stilbrechendes<br />
Element dient dabei der<br />
große schwarze Monolith aus dem<br />
matten Fassadenmaterial XTerior<br />
compact von Pfleiderer, der wie eingeschoben<br />
wirkt und die beiden<br />
Häuser auf einzigartige Weise miteinander<br />
verbindet. Göllner: „Wir<br />
haben uns sehr darüber gefreut,<br />
nun auch das neue Fassadenmaterial<br />
austesten zu können. Denn im<br />
Innenbereich setzen wir seit Jahren<br />
sehr gerne Produkte von Pfleiderer<br />
ein – dort sind die Materialien durch<br />
ihre Kratzfestigkeit und Beständigkeit<br />
nur schwer zu toppen. Und so<br />
konnten wir nun Innen und Außendesign<br />
perfekt aufeinander abstimmen.“<br />
Das vulkanschwarze Dekor<br />
U12000 verwendete Jens Göllner<br />
daher sowohl als Fassadenmaterial<br />
für den prägnanten Monolithen als<br />
auch in seiner Küche: „Diese matten<br />
Oberflächen wirken einfach nur absolut<br />
edel und sind stets ein wahrer<br />
Hingucker.“<br />
Anfang November 2018 wurden die<br />
privaten Wohnhäuser beim niedersächsischen<br />
Holzbaupreis für ihre<br />
ökologische Bauweise mit dem zweiten<br />
Platz honoriert.<br />
Mehr zu XTerior compact auf<br />
www.pfleiderer.com
architektur PEOPLE<br />
20<br />
Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />
Der Sprung<br />
der Fünfzig<br />
Interview mit Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />
Durch seine Ausbildung in der<br />
Meisterklasse von Roland Rainer an<br />
der Akademie der bildenden Künste<br />
wurde Architekt Gerhard Steixner<br />
nachhaltiges Gestalten von Architektur<br />
vermittelt. Seit 2009 ist er selbst<br />
Universitätsprofessor an der TU Wien<br />
und möchte das ebenso den Studierenden<br />
näher bringen.<br />
Herr Architekt, würden Sie eher behaupten,<br />
dass die Zukunft die Architektur<br />
beeinflusst oder die Architektur<br />
die Zukunft?<br />
Die Architektur der Zukunft ist jene<br />
die wir heute bauen.<br />
© Gerhard Steixner<br />
Befindet sich die Architektur auf einem<br />
richtigen Weg?<br />
Wir müssen mehr mit der Natur arbeiten<br />
und sie nicht aus den Städten<br />
treiben. Das ist schon lange bekannt,<br />
das haben wir nur wieder vergessen.<br />
Begrünte Dächer und Fassaden sind<br />
dafür zu wenig und sind nur Greenwashing<br />
mit oftmals beträchtlichem<br />
Ressourceneinsatz. Wir sind dabei<br />
noch nicht am richtigen Weg. Es<br />
geht auch nicht darum, Gebäude mit<br />
Schaum einzupacken und dann zu<br />
begrünen, sondern für den Wohnbau<br />
Gebäudestrukturen nach den<br />
Wünschen und Bedürfnissen der BewohnerInnen<br />
und den ökologischen<br />
Erfordernissen für die grüne Stadt<br />
anzulegen. Die Typologie des Terrassenhauses<br />
wurde schon in den 20er<br />
Jahren des vorigen Jahrhunderts<br />
„erfunden“ und in den 1960er- und<br />
70er Jahren dann auch europaweit<br />
weiter entwickelt und in wunderbaren<br />
Beispielen realisiert. Die Leute<br />
können dabei auf ihren Terrassen<br />
selbst anpflanzen, was sie haben<br />
möchten. Die Gebäude mit ihren<br />
hängenden Gärten verändern sich<br />
dann auch mit der Jahreszeit und<br />
durch die Aktivitäten der Bewohner.<br />
Das ist nicht nur ein ästhetischer<br />
Mehrwert, sondern vor allem auch<br />
ein ökologischer für die Stadt und<br />
heute im Kontext des Klimawandels<br />
wichtiger denn je.
www.architektur-online.com<br />
21<br />
Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />
© Archiv HB2<br />
Ausstellung von Studierendenarbeiten der TU Wien zum Thema „Luxus für alle – Prototypen für die grüne Stadt“<br />
Wann und warum wurde der Weg<br />
verlassen, dass man die Natur in die<br />
Wohnbaukultur holt?<br />
Harry Glück war nicht der einzige<br />
und erste, der diesen Ansatz hatte.<br />
Auch zuvor und parallel gab es diesen<br />
in ganz Europa, etwa in Frankreich,<br />
England, Italien, Deutschland<br />
und im ehemaligen Jugoslawien.<br />
„Das größtmögliche Glück für die<br />
größtmögliche Zahl“ war ein politisches<br />
Bekenntnis. Man wollte allen<br />
zugestehen, was sich zuvor nur die<br />
Reichen leisten konnten. Gegen<br />
Ende der 1970er Jahre ist man dann<br />
von diesem Weg abgekommen. Bis<br />
dahin waren die Kurven der Produktivitätssteigerung<br />
und die der Löhne<br />
deckungsgleich. Ab diesen Zeitpunkt<br />
haben sie sich voneinander gelöst.<br />
Die Produktivität ist enorm angestiegen,<br />
im Unterschied zum Lohn,<br />
der schon lange stagniert. Es ist eine<br />
Frage der Verteilungsgerechtigkeit.<br />
Wir bauen heute schlechter als wir<br />
es könnten, weil wir wieder zurück in<br />
feudale Strukturen kommen.<br />
Wird sich das in Zukunft ändern?<br />
Es wird sich noch weiter zuspitzen,<br />
bis wir die Talsohle erreicht haben.<br />
Dann kommt es zu einem Wandel.<br />
Wie dieser erfolgen wird, wissen wir<br />
nicht, aber wir können uns schon<br />
jetzt auf das Neue vorbereiten.<br />
Würden Sie sagen, dass das Grün in<br />
der Architektur als Marketinginstrument<br />
verwendet wird?<br />
Das ist vollkommen okay, wenn es<br />
richtig eingesetzt wird. Nur Kritik daran<br />
zu üben, ist zu wenig. Man muss<br />
vorgeben, wohin es gehen soll, damit<br />
PolitikerInnen ein Verständnis dafür<br />
entwickeln können. Dann können sie<br />
dieses auch vertreten und die Rahmenbedingungen<br />
für eine Weiterentwicklung<br />
festlegen.<br />
Werden die Architekten<br />
mehr zu Politikern?<br />
Als Architekt muss man ein politischer<br />
Mensch sein. Wir sind die<br />
Anwälte der NutzerInnen. Es ist<br />
seltsam, wenn man das sagen muss,<br />
denn es scheint selbstverständlich.<br />
Es muss vielmehr ins Bewusstsein<br />
rücken, dass wir für Menschen bauen<br />
und nicht für kurzfristige Kapitalund<br />
Wirtschaftsinteressen.<br />
Was sind weitere Kompetenzen,<br />
die ein Architekt braucht?<br />
Der Architektenberuf ist ein Beruf<br />
des Generalisten, sozusagen ein<br />
Spezialist für alles. Er ist einzigartig.<br />
Wir müssen die Gesamtheit der<br />
Phänomene in einem Entwurf zur<br />
Deckung bringen. Wenn das gelingt,<br />
dann ist es gute Architektur. Ein breites<br />
Wissen ist also notwendig, ebenso<br />
wie Empathie für die NutzerInnen.<br />
Wenn wir auf die Bauten der 1960er<br />
und 70er Jahre zurückschauen, können<br />
wir sehr gut sehen, was angenommen<br />
und geliebt wird.<br />
Was ist für Sie Nachhaltigkeit?<br />
Nachhaltigkeit ist nur ein Wort. Zu<br />
meiner Studienzeit bei Roland Rainer<br />
haben wir es nicht benutzt, aber das<br />
Denken und Handeln war natürlich<br />
ein umweltbewusstes und nutzerorientiertes.<br />
Es sollte eine Selbstverständlichkeit<br />
sein, dass man mit<br />
Ressourcen sparsam umgeht.<br />
Stellen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit<br />
für Sie einen Widerspruch dar?<br />
Mit der Ökologie und dem Sozialen<br />
gehört auch die Ökonomie zu den<br />
Säulen der Nachhaltigkeit. Das ist<br />
kein Widerspruch. Harry Glück hat<br />
in seiner Dissertation nachgewiesen,<br />
dass seine Terrassenhäuser trotz der<br />
Schwimmbäder am Dach zu niedrigeren<br />
Kosten realisiert wurden als<br />
andere geförderte Wohnbauten aus<br />
derselben Zeit.<br />
Brauchen wir in Zukunft mehr Vorgaben<br />
bzw. Richtlinien, um der Nachhaltigkeit<br />
mehr Gewichtung zu geben?<br />
Grundsätzlich haben wir schon zu<br />
viele davon. Es braucht aber ein Reformprogramm<br />
für die Wohnbauförderung,<br />
in dem es klare Richtlinien<br />
gibt, welche Maßnahmen gefördert<br />
werden, und diese müssen vorrangig<br />
die Bedürfnisse und Wünsche der<br />
Bewohner reflektieren, da sie es ja<br />
sind, die die Mittel dafür in Form von<br />
Steuern bereitstellen.<br />
Wie beurteilen Sie die Miteinbeziehung<br />
der künftigen Bewohner in die<br />
Planung von Wohnbauten?<br />
Das gab es schon in den 1970er Jahren.<br />
Damals wie heute ist das aber ein<br />
sehr unbedanktes Bemühen, denn bei<br />
einem Wohnungsgrundriss von 70 m 2<br />
gibt es nicht viel Spielraum und die<br />
Klientel dafür ist überschaubar. Es<br />
geht heute eher um die Bereitstellung<br />
von privaten und gemeinschaftlichen<br />
Freiräumen und um Gemeinschaftseinrichtungen,<br />
um Aneignungsoptionen.<br />
Das Verhältnis von Stadt und<br />
Natur muss neu gedacht werden,<br />
sonst bleiben die Bewohner Statisten<br />
in Architekturkulissen.<br />
u
architektur PEOPLE<br />
22<br />
Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />
Was sind Gestaltungskriterien,<br />
auf die Sie viel Wert legen?<br />
Jede Wohnung sollte einen direkt<br />
erreichbaren Freiraum in Form einer<br />
Terrasse haben und die Möglichkeit,<br />
dort etwas anzupflanzen. Wenn wir<br />
uns die Qualitätssprünge der 1920er<br />
und der 1970er anschauen, dann sehen<br />
wir, dass es bald wieder soweit<br />
sein könnte für einen Schub in Richtung<br />
grüne Stadt, für die Emanzipation<br />
der großen Zahl.<br />
Also denken Sie, kommt es wieder zu<br />
einem Umschwung?<br />
Ja klar, auf alle Fälle.<br />
In welchen Bereichen wird sich der<br />
am stärksten auswirken?<br />
Am stärksten wird er sich im Bewusstsein<br />
auswirken, dass Wohnen<br />
ein Menschenrecht ist. Diesbezüglich<br />
gibt es seit einiger Zeit das Problem<br />
der Leistbarkeit. Die Wohnkosten<br />
sind viel stärker gestiegen als die<br />
Haushaltseinkommen. Mittelfristig<br />
wird es notwendig sein, die Wohnungsfrage<br />
von der Marktlogik zu<br />
entkoppeln, zusammen mit der Vergemeinschaftung<br />
von Grund und<br />
Boden. Ich bin zuversichtlich, dass<br />
wir wieder in Bahnen kommen, wo<br />
es aufwärts geht. 1968 war das Bild<br />
vom Mond aus auf den blauen Planeten<br />
ein sehr starkes. Das „Wir“ ist uns<br />
dabei bewusst geworden. Die Idee<br />
von Gesellschaft ist dann allerdings<br />
wieder erodiert bis hin zur Ich-AG.<br />
Ein neuerlicher Anlauf in Richtung<br />
Demokratisierung und Ökologisierung<br />
von Architektur und Städtebau<br />
ist notwendig. Der Sprung der fünfzig<br />
Jahre steht bevor. Vor allem die<br />
Jungen müssen das Gefühl dafür<br />
© Gerhard Steixner<br />
Der Architekt Harry Glück möchte mit einem seiner Terrassenhäuser<br />
– hier Terrassenhaus Arndtstraße 21 – das Grüne in die Stadt bringen.<br />
entwickeln, sich einbringen und sich<br />
nicht von fragwürdigen Effizienzforderungen<br />
einschüchtern lassen.<br />
Auch nicht während des Studiums.<br />
Inwiefern beeinflussen Sie die Trends,<br />
die es aktuell gibt, bei der Lehre?<br />
In Bezug auf die Digitalisierung zeige<br />
ich den Studierenden manchmal,<br />
wie wir früher gearbeitet haben. Wie<br />
wir etwa auf einen Tisch Papier gespannt<br />
und nass gemacht haben. Im<br />
getrockneten Zustand war es dann<br />
gespannt und eine super Arbeitsfläche.<br />
Mit der Reißschiene und dem<br />
Lineal wurde dann gearbeitet. Wir<br />
brauchten keine Software und auch<br />
keinen Strom. Jeder konnte das machen.<br />
Das war ein demokratisches<br />
Werkzeug. Es ist schon bemerkenswert,<br />
wie sehr wir in die totale Abhängigkeit<br />
der Softwareindustrie<br />
geraten sind, zumal die heutigen<br />
Bauten mit diesen Tools ja nicht besser,<br />
kostengünstiger oder schneller<br />
errichtet werden.<br />
© Gerhard Steixner<br />
Welche Tipps geben Sie den Architekturstudenten<br />
mit auf den Weg für<br />
die Zukunft?<br />
Machen Sie nur das, was sie wirklich<br />
vertreten können. Das Studium ist<br />
nicht nur Ausbildung, sondern auch<br />
Bildung, nehmen Sie sich Zeit dafür.<br />
Nützen Sie den Freiraum für Ausflüge<br />
in die Politik, Kunst und Kultur,<br />
Wissenschaft. Nehmen Sie aktiv und<br />
auf Augenhöhe am Stadtwerden teil.<br />
Was ist für Sie ein Leitprojekt für die<br />
Zukunft?<br />
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren<br />
mit der Architektur zwischen<br />
1958 und 1978 in Europa und auch<br />
außerhalb. Da gibt es wunderbare<br />
Gebäude, die nicht nur eine gute<br />
Ausstrahlung haben, sondern auch<br />
sehr benutzerfreundlich sind. Heute<br />
wären viele dieser Bauten in Bezug<br />
auf Bauphysik, Barrierefreiheit und<br />
„Sicherheit“ gar nicht mehr erlaubt.<br />
Der Ressourceneinsatz bei diesen<br />
Gebäuden ist sehr kontrolliert und<br />
minimal. Wenn man das Ganze hochrechnet,<br />
stellt man fest, dass sie aber<br />
im besten Sinne nachhaltig sind. Für<br />
die Zukunft des Wohnbaus sehe ich<br />
die Typologie des Terrassenhauses<br />
als eine leitende. Mit unserer Ausstellung<br />
Luxus für Alle! im Jahr 2017<br />
ist es uns gelungen, die Idee der<br />
grünen Stadt zu visualisieren und<br />
ein Bewusstsein für das Mögliche zu<br />
wecken.<br />
Ausblick vom Innenraum über den davorliegenden<br />
Freiraum der Wohnhausanlage Bessemerstraße in<br />
Wien von Architekt Gerhard Steixner.<br />
Die Zukunft der Architektur/Architektur<br />
der Zukunft ist für mich…<br />
...klar positiv.
www.architektur-online.com<br />
23<br />
Einladung am 19. November <strong>2019</strong> in die Bauwerk Parkettwelt Wien<br />
«TOWARDS A CIRCULAR<br />
ARCHITECTURE»<br />
Lecture von Arthur Mamou-Mani<br />
Najjar & Najjar Architekten<br />
Am 19.11.<strong>2019</strong>, ab 18.30 Uhr<br />
in der Bauwerk Parkettwelt Wien<br />
Gonzagagasse 17, 1010 Wien<br />
Vortrag in Englisch.<br />
Anmeldung: wien@bauwerk.com<br />
Begrenzte Plätze!<br />
Zu seinen bedeutendsten Arbeiten<br />
zählt der Burning Man Tempel Galaxia.<br />
GLAXIA - Burning Man Tempel 2018, Nevada.<br />
Fotos: Jamen Percy und Christine Bärnthaler
architektur PEOPLE<br />
24<br />
Franz Kühmayer<br />
Architektur ist<br />
immer Zukunft!<br />
Interview mit dem Zukunftsforscher Franz Kühmayer<br />
Wo liegt die Zukunft der Architektur, wie wird sie<br />
aussehen und was bedeutet das für die Gesellschaft.<br />
Mit diesen Fragen konfrontierte Peter Reischer<br />
den Zukunftsforscher Franz Kühmayer vom<br />
Zukunftsinstitut in Frankfurt und Wien.<br />
Herr Kühmayer, Sie sind Zukunftsforscher –<br />
wenn man den Aspekt auf FORSCHEN legt,<br />
was kann man da erforschen, wie würden<br />
Sie Ihre Aufgabe beschreiben?<br />
Es ist immer die Frage, ob das, was man in<br />
der Zukunftsforschung, in der Trendforschung<br />
prognostiziert – überhaupt eintritt,<br />
ob man die Zukunft vorhersehen kann. Ich<br />
finde es spannend, welche mentalen Modelle<br />
wir uns für oder über die Zukunft machen.<br />
Das ist entscheidender, als der ganz<br />
exakte Inhalt einer Prognose.<br />
Wer sich die Zukunft linear vorstellt, also<br />
sagt, das Morgen wird eine Variante des<br />
Heute sein, der wird sich auch mit Menschen<br />
und Systemen umgeben, die in diese<br />
Richtung zeigen. Wer allerdings glaubt,<br />
dass das Morgen mit dem Heute wenig zu<br />
tun hat, also für eine exponentielle Veränderung<br />
eintritt (so wie das in der Start-up<br />
Branche oder in der Digitalisierung der Fall<br />
ist), der wird sich mit anderen Menschen<br />
und Systemen umgeben. Das sieht man<br />
auch daran, dass größere Organisationen<br />
und Firmen mit diesem „Auseinanderspreizen“<br />
ringen. Da kann Trendforschung ein<br />
wenig helfen.<br />
In welchen Zeitspannen denken<br />
und arbeiten Sie dabei?<br />
Veränderungsströme, die Jahrzehnte übergreifend<br />
wirksam sind – das bezeichnen wir<br />
als Megatrends. Was es nicht gibt, ist der Megatrend<br />
im Burgenland <strong>2019</strong>. Wir beobachten<br />
Themenlagen, zum Beispiel wenn man<br />
über gute Arbeit spricht – da bekommen wir<br />
von unseren Eltern andere Antworten als<br />
von unseren Kindern. Die Veränderungen,<br />
die sich in den Antworten ausdrücken sind<br />
„epochal“ und komplexer, als man annimmt.<br />
Sie sind nicht linear, sondern da gibt es auch<br />
Schleifen und Rekursionen.<br />
© Zukunftsinstitut<br />
Sie bewegen sich ja hauptsächlich in den Gebieten<br />
der Arbeit, der „Working Scene“. Diese<br />
findet jedoch unbestritten in Architektur<br />
statt. Also beeinflusst das eine das andere.<br />
Das ist 100%ig richtig, das sind kommunizierende<br />
Gefäße!<br />
Wie sieht nun ein Zukunftsforscher die Zukunft<br />
der Architektur oder die Architektur<br />
der Zukunft?<br />
Den zweiten Teil der Frage kann man metaphysisch<br />
betrachten, aus welchen Bausteinen<br />
besteht die Zukunft?
www.architektur-online.com<br />
25<br />
Franz Kühmayer<br />
Wenn man beim ersten Teil – Zukunft der<br />
Architektur – bleibt, ist die erste Erkenntnis:<br />
Architektur ist immer Zukunft. Weil sie<br />
nach vorne gerichtet ist und ihr Ergebnis<br />
meist jahrzehntelangen Bestand hat. Da tut<br />
sich Büroarchitektur in den letzten Jahren<br />
schwerer als früher, weil sich die Veränderungszyklen<br />
in ihrer Dynamik unterscheiden.<br />
Arbeit verändert sich schneller als Architektur<br />
Schritt halten kann. Das gilt aber<br />
auch für andere Systeme, wie zum Beispiel<br />
die Kultur.<br />
Wenn ich Sie jetzt nach der Zukunft der Architektur<br />
frage, ist das nicht ein bisschen,<br />
wie aus der Glaskugel oder aus dem Kaffeesud<br />
lesen, gerade auch wegen der angesprochenen<br />
schnellen Veränderungen?<br />
Wenn wir darüber nachdenken, ist der Ausgangspunkt<br />
die Frage: Wie wollen wir in<br />
Zukunft arbeiten? Wir sind ja nicht Opfer<br />
einer Veränderung, wir sind Täter, wir verändern<br />
selbst. Ein wesentlicher Fehler, den<br />
Unternehmen machen, ist zu sagen, wie<br />
bauen andere das Büro oder die Architektur<br />
der Zukunft – und dem muss ich mich jetzt<br />
anschließen. Dabei vergisst man „zukunftsversessen“<br />
den Sinn der Architektur. Und<br />
der ist nicht der, Funktionalität zu erzeugen,<br />
sondern Kultur zu fördern, vielleicht sogar zu<br />
erzeugen. Architektur hat viel mit Identität<br />
zu tun, wer sind wir? Das muss ich in die Zukunft<br />
projizieren können und nur dann kann<br />
ich über eine Architektur der Zukunft reden.<br />
Eine der Grundfunktionen der Architektur<br />
war immer „shelter“ also die Schutzfunktion.<br />
Die ist aber in der heutigen Architektur<br />
nicht mehr vorhanden. Heute bauen wir nur<br />
auf Funktionalität und auf Image.<br />
Der Einwand mit „shelter“ ist vollkommen<br />
richtig, es gibt aber noch einen zweiten<br />
Begriff, die „community“, die da mitspielt.<br />
„Community“ kann eine Kraftquelle sein<br />
(kolaboratives Arbeiten, Kommunikation),<br />
kann aber auch störend wirken. Bei der Büroarchitektur<br />
der 60er und 70er ist dieser<br />
Schutz vor der Gemeinschaft im Mittelpunkt<br />
gestanden, damals war es der Rückzug<br />
auf die Individualität.<br />
Der Leitgedanke der letzten Jahre war: Das<br />
Büro ist NICHT mehr der einzige Ort für<br />
Einzelproduktivität. Es ist ein Ort der Teamproduktivität.<br />
Dem entspricht auch das<br />
Phänomen der „Büroflucht“ in größeren Unternehmen,<br />
wenn Mitarbeiter in Ruhe und<br />
konzentriert arbeiten wollen oder müssen.<br />
Sehen Sie die Zukunft der Architektur eher<br />
in sozialen, partizipativen oder in Cocooning-Bereichen?<br />
Die klassische Antwort lautet: beides! Wenn<br />
ich mir die Mischbüros und die Open-Space-Büros<br />
ansehe, dann glaube ich, dass der<br />
Gedanke der Community, des Sozialen hier<br />
als eine Pendelbewegung zu stark ausgeschlagen<br />
hat.<br />
Ist die Gesellschaft wieder einmal<br />
in das Extreme gewandert?<br />
Vielleicht hat es dieses Extrem auch gebraucht,<br />
um Verkrustungen aufzubrechen,<br />
um sich aus der Isolierung des Einzelbüros<br />
hinauszubewegen. Sowohl ergonomisch<br />
wie auch psychologisch ist das Büro als<br />
Kaffeehaus oder Bar nicht das Letzte. Das<br />
funktioniert nur in einem Start-up, solange<br />
ich 25 bin und das zwei Jahre lang mache.<br />
Der Gedanke der Ergonomie muss wieder<br />
kommen, denn man will sicher nicht ein Leben<br />
lang auf Holzpaletten sitzen und Latte<br />
macchiato schlürfen.<br />
Sehen sie – auf die Architektur bezogen<br />
– das Problem des Klimawandels, als ein<br />
Gesamtes oder als die Summe vieler Probleme?<br />
Kann der Einzelne gewisse Schritte<br />
setzen, oder ist er machtlos?<br />
Wir sind nie machtlos, ich habe ein sehr optimistisches<br />
Zukunftsbild. Wir sind als Arbeitnehmer<br />
nicht machtlos, weil Ansprüche<br />
formuliert werden. Als Konsumenten stellen<br />
wir die Frage, ob wir überhaupt kaufen<br />
sollen oder nicht. Wenn ich solche Fragen<br />
stelle, übe ich Macht auf das System aus.<br />
Damit diese sich manifestiert, braucht es<br />
Multiplikation.<br />
Ein gutes Beispiel ist „Friday for Future“!<br />
Genau! Aber es muss nicht immer diese<br />
explizite Gemeinschaft geben, es gibt auch<br />
das implizite – das ist der Wertewandel. Die<br />
Automobilindustrie kämpft damit, dass die<br />
Jugend sagt: Besitz (eines Autos) interessiert<br />
mich nicht mehr! Der Besitz von Fahrzeugen<br />
hat als Statussymbol nachgelassen.<br />
Das „Haben und Sein“ (Erich Fromm) hängen<br />
insofern zusammen, weil wir etwas haben<br />
wollen, um jemand zu sein. Das merkt man<br />
bei der Architektur sehr stark, das Image, die<br />
Herrschaftsarchitektur, im Büro brauche ich<br />
ein Einzelbüro, nicht weil ich konzentriert arbeiten<br />
will, sondern weil ich etwas darstellen<br />
will. Und genau dieses Denken zerbricht gerade,<br />
weil die Erfolgsgleichung der Vergangenheit<br />
immer stärker (hauptsächlich von<br />
der Jugend) hinterfragt wird. Das Geld, der<br />
Bonus als Schweizermesser für die Motivation<br />
funktioniert nicht mehr.<br />
Á propos positives Denken: Für mich ist die<br />
Tatsache, dass aus der Jugend, also Bottom<br />
up ein Druck auf die Gesellschaft in Richtung<br />
(Werte)Wandel aufgebaut wird, die<br />
größte Hoffnung auf eine Wende zum Guten,<br />
auch in der Architektur.<br />
Die Kraft der Jugend zieht sich durch die<br />
Geschichte. Revolutionen haben immer mit<br />
Jugend zu tun und kommen von unten. Da<br />
steckt die Unvernunft (im positiven Sinn)<br />
dahinter.<br />
Das Querdenken?<br />
Ja, denn Vernunft will sich anpassen, ist<br />
systemkonform. Veränderung kann nur<br />
durch Unvernunft ausgelöst werden.<br />
Da müsste man eigentlich im Hinblick auf<br />
die Architektur sagen: „Stop building – hört<br />
auf zu bauen!“<br />
Der erste Ansatz, um radikal über neue Architektur<br />
nachzudenken, ist die Frage: Warum<br />
bauen wir? Und da kann die Antwort ja<br />
nicht lauten, weil alle anderen es auch tun.<br />
Da kommt man mit Unvernunft viel näher<br />
an den Sinn der Frage.<br />
Sehen sie eine Krise, die uns zum<br />
Umdenken zwingt, auch in der Architektur?<br />
Ich sehe sie, aber noch zu wenig. Ich sehe<br />
sie dort, wo die Besitzverhältnisse (Büroarchitektur)<br />
nicht mehr so im Vordergrund<br />
stehen. Das Eckbüro hat nicht nur an Status<br />
eingebüßt, sondern löst, vor allem bei jungen<br />
Menschen, sogar das Gegenteil aus.<br />
Wir müssen heute anerkennen, dass wir die<br />
Veränderungen in der Welt ausgelöst haben,<br />
und dass wir uns verändern müssen, damit<br />
wir nicht vom Aussterben bedroht sind.<br />
Manchmal braucht es wahrscheinlich krisenhafte<br />
Situationen, um uns unserer Veränderungsbereitschaft<br />
bewusst zu werden.<br />
Eine Tatsache ist, dass wir mit Migration<br />
zu tun haben und um passende Lösungen<br />
ringen. Diese Entwicklung wird an Dynamik<br />
noch zunehmen, wenn das Klima uns um die<br />
Ohren fliegt, die Klimaflüchtlinge werden<br />
deutlich mehr werden. Vielleicht braucht<br />
es das, um uns die Konsequenzen unseres<br />
Handelns bewusst zu machen.
architektur PEOPLE<br />
26<br />
DI Arkan Zeytinoglu<br />
Neben Architektur und Musik beschäftigt sich Architekt Zeytinoglu mit Menschen,<br />
Kulturen, Licht, zukunftsfähigen sowie ganzheitlichen Konzeptionen und plädiert<br />
für die Skizze als wesentliches Entwurfselement. Nach dem Studium in Graz und<br />
New York gründete er 1995 sein Architekturbüro in Wien. Seitdem hat das Büro<br />
Arkan Zeytinoglu Architects zahlreiche Projekte mit Schwerpunkt Hotelbau im Inund<br />
Ausland realisiert.<br />
© Deborah Sarah Drexler
www.architektur-online.com<br />
27<br />
DI Arkan Zeytinoglu<br />
Architektur der Zukunft –<br />
Zukunft der Architektur<br />
Statement von Arch. DI Arkan Zeytinoglu<br />
Über die Zukunft der Architektur wird wohl wie über<br />
das Weltbild zur Zeit der Aufklärung diskutiert werden<br />
müssen.<br />
Paradoxerweise meinen viele noch immer, dass die<br />
Erde eine Scheibe ist. Aber wie in der Renaissance,<br />
der empirischen Antike oder der industriellen Revolution,<br />
wo es auf Reformen zur Gegenreformation<br />
kam, ist in Anbetracht des Zustandes der Erde Feuer<br />
am Dach der Architektur. Es geht hier nicht mehr um<br />
Schönes oder Wohlproportioniertes, Modernes oder<br />
Funktionelles. Auch nicht mehr um Stararchitekten<br />
oder Eleganz und Coolness. Nicht die Erde ist am<br />
Ende ihrer Ressourcen, sondern der Mensch samt<br />
bisherigem Architekturverständnis.<br />
So wie in sozialen, politischen und gesellschaftlichen<br />
Belangen hat aufgrund der zunehmenden Verbrennung<br />
der Erde bzw. unseres Lebensraums ein Paradigmenwechsel<br />
zu erfolgen. Das Weltbild der heutigen<br />
Gesellschaft bzw. die zukünftige Architektur hat<br />
sich insofern zu ändern, als der Mensch mit der Natur<br />
und Umwelt lebt, statt gegen sie zu wirken.<br />
Das Weltbild, in welchem die Erde bzw. der Mensch<br />
das Zentrum alles Geschaffenen ist, hat sich überholt,<br />
dennoch agieren wir auf unserem Planeten, als<br />
wären wir die einzige Gattung, welche die Regeln für<br />
alles Dagewesene bzw. die Zukunft erstellt.<br />
Es scheint auch nicht verwerflich, dass gerade jene<br />
Länder, Völker und Gemeinschaften, welche durch<br />
den Erdölverkauf an energiehungrige Nachbarn satte<br />
Profite machen, in Wüstengebieten Wolkenkratzer<br />
aus Glas errichten. Im Gegenzug wird das Glas samt<br />
Konstruktion, produziert mit und aus Erdöl, Planung<br />
und Arbeitern reimportiert. Ob das sinnvoll ist, gilt es<br />
zu hinterfragen.<br />
Auch drängt sich die Frage auf, ob unsere Gesellschaften<br />
sich letztendlich so angleichen (wollen),<br />
dass sich in Zukunft ungeachtet des Klimas und der<br />
topografischen Gegebenheiten identische Architekturen<br />
entwickeln. Die globale Architektur für ein<br />
ausgeglichenes Gesellschaftsbild. Wie Instagram,<br />
Pinterest und Co wird die Architektur als binärer Algorithmus<br />
weltweit verbreitet. Sie generiert sich von<br />
selbst. Vielleicht schafft es eben dieser, unsere Probleme<br />
in Zukunft zu lösen.<br />
Auch hier gibt es Gegenbewegungen: zurück zur<br />
Natur! Nur, was ist das? Eine romantische Sehnsucht<br />
nach verloren gegangenem Idyll? Bauen wir jetzt<br />
den Wald in der Stadt? Beispiele für Dachgärten und<br />
begrünte Fassaden gibt es schon zuhauf, nur funktionieren<br />
sie noch nicht so richtig, weil sie nur ein<br />
Bruchteil einer Lösung sind, um einen ökologischen<br />
Kosmos nachzubilden.<br />
Die Zukunft der Architektur ist somit keine Gestaltungsfrage,<br />
sondern eine Einstellung in der über<br />
Millionen von Jahren von der Evolutionsgeschichte<br />
geschaffenen Balance, die es zu erreichen gilt.<br />
© Zeytinoglu ZT GmbH<br />
Die Neuinterpretation einer Jurte im Hotelbetrieb von La Donaira,<br />
einem 5-Sterne Eco-Resort: als Gestaltung und funktionaler Ansatz<br />
nachhaltiger Architekturtypologie übersetzt als „nicht-nomadischer”<br />
Gebäudetypus. Ausgezeichnet mit dem Hotel Application Award 2017<br />
in der Kategorie „Best Innovative Concept“.
architektur PEOPLE<br />
28<br />
Patrick Lüth<br />
Die wahren architektonischen<br />
Fragestellungen beantworten<br />
Interview mit Architekt Patrick Lüth<br />
In einer kollektiven<br />
Arbeitsweise<br />
sieht Patrick<br />
Lüth die Zukunft<br />
der Architektur.<br />
Seit 2011 leitet er<br />
dieser Haltung<br />
entsprechend das<br />
Snøhetta Studio<br />
in Innsbruck und<br />
gestaltet Gebäude<br />
mit Mehrwert.<br />
Es geht darum, einen Mehrwert auf<br />
verschiedenen Ebenen zu schaffen.<br />
Neben einem etwaigen gesellschaftlichem<br />
Mehrwert sind unsere<br />
Powerhouse-Projekte beispielsweise<br />
CO 2 -positiv. Das heißt, sie sind keine<br />
Passivhäuser, die im Verbrauch<br />
relativ wenig Energie benötigen. Es<br />
sind Gebäude, die über ihren Lebenszyklus<br />
gerechnet mehr Energie<br />
produzieren als sie selbst verbrauchen<br />
können. Die gesamte graue<br />
Energie ist dabei mit eingerechnet.<br />
Welche der verschiedenen Ebenen<br />
mehr Gewichtung hat, ist dabei projektabhängig.<br />
In der Bearbeitung von<br />
unseren Projekten ist der Kontext<br />
ja immer sehr unterschiedlich. Aber<br />
dass unsere Projekte sozial und ökologisch<br />
nachhaltig sind, steht bei uns<br />
ganz weit oben auf der Agenda.<br />
Was ist das Prägende an der zeitgenössischen<br />
Architektur?<br />
Das sind für mich Projekte, bei denen<br />
einer größeren Benutzergruppe<br />
ein Mehrwert ermöglicht wird. Ein<br />
gutes Beispiel ist dabei die Oper in<br />
Oslo. Das Gebäude ist eigentlich ein<br />
Opernhaus und gleichzeitig auch<br />
ein öffentlicher Platz. Es geht darum,<br />
dass Architektur etwas in einem<br />
© Thomas Schrott<br />
gesellschaftlichen Diskurs bewirken<br />
kann. Es sollte Grundvoraussetzung<br />
sein, dass ein Projekt nicht nur die<br />
eigene Funktion beleuchtet, sondern<br />
auch über das Projekt hinaus gedacht<br />
wird.<br />
Ist der Mehrwert von Gebäuden auch<br />
immer die Grundlage für die Projekte<br />
von Snøhetta?<br />
Wie geht man in Zukunft<br />
an Entwurfsaufgaben heran?<br />
Für uns ist beim Entwurf „Co-Creation“<br />
schon immer ein wichtiges Thema,<br />
das meiner Meinung nach künftig<br />
noch wichtiger wird. In moderierten<br />
Workshops versuchen wir, gemeinsam<br />
mit unterschiedlichen Akteuren<br />
wie Auftraggebern und anderen Stakeholdern<br />
eine gemeinsame Basis,<br />
ein gemeinsames Verständnis der<br />
Entwurfsaufgabe und der übergeordneten<br />
Fragen herzustellen, um<br />
dann aus dem jeweiligen Kontext<br />
spezifische Lösungen zu entwickeln.<br />
Auf Basis der im Workshop erarbeiteten<br />
Ideen und Ergebnisse entwickeln<br />
wir den Entwurf weiter.<br />
In dieser Phase ist es mir wichtig, das<br />
gesamte Repertoire an Gestaltungswerkzeugen<br />
zur Verfügung zu haben,<br />
um für die spezifische Aufgabe<br />
das beste auswählen zu können. Wir<br />
haben im Büro eine große Werkstatt,
www.architektur-online.com<br />
29<br />
Patrick Lüth<br />
© Ketil Jacobsen<br />
170 Snøhetta Mitarbeiter beim jährlichen Treffen im Dovre Nationalpark in der von Snøhetta<br />
entworfenen Tverrfjellhytta, einem Pavillon zur Rentier-Beobachtung.<br />
einen 3D-Drucker, ein VR-Setup und<br />
auch Leute, die mit komplexen geometrischen<br />
Modellen umgehen können.<br />
Die Simultanität dieser Medien<br />
ist wahnsinnig wichtig. Es ist auch<br />
hilfreich, um unsere eigene Arbeit<br />
zu evaluieren. Die Parallelität von<br />
analog und digital ist wichtig, damit<br />
man dieser Überprüfung standhalten<br />
kann. Das Analoge brauchen wir.<br />
Durch die haptische Komponente,<br />
durch das Auseinandersetzen mit<br />
einem Material und durch das Bauen<br />
eines Modells wird nicht nur die<br />
Wahrnehmung, sondern auch der<br />
Intellekt angesprochen. Im besten<br />
Fall denkt man dabei darüber nach,<br />
wieso der Entwurf so ausschaut, wie<br />
er ausschaut.<br />
Wird das analoge Arbeiten seinen<br />
hohen Stellenwert beibehalten?<br />
Ich bin ein Verfechter des Modells.<br />
Auch deshalb, weil es auch ein wichtiges<br />
Kommunikationswerkzeug ist.<br />
Das dürfen wir in dieser von Bildern<br />
dominierten Welt nicht aufgeben.<br />
Jedes Modell hat nämlich einen wesentlich<br />
höheren Abstraktionsgrad<br />
als zum Beispiel ein Rendering. Für<br />
Renderings muss man Entscheidungen<br />
treffen, die in einem frühen<br />
Entwurfsstadium noch überhaupt<br />
nicht relevant sind. Bei einem Modell<br />
unterhalten wir uns zuerst über<br />
Form, Geometrie, Wirkung oder auch<br />
Städtebau. Im Unterschied zum Rendering<br />
ist VR dafür auch ein dankbares<br />
Medium, weil es dabei auch<br />
möglich ist, das Modell untexturiert<br />
zu betrachten.<br />
Steigen Sie dann bei neuen Entwurfsaufgaben<br />
vom Analogen erst<br />
nach einiger Zeit ins Digitale um oder<br />
läuft das von Anfang an parallel?<br />
Das kommt darauf an. Grundsätzlich<br />
liegt der Unterschied darin, ob man<br />
mit dem Bauherrn etwas entwickelt<br />
oder ob es ein anonymer Wettbewerb<br />
ist. Ersteres ist uns lieber, denn<br />
wir arbeiten lieber im Dialog. Da ist es<br />
so, dass wir bei Workshops mit dem<br />
Auftraggeber unsere ersten Ideen in<br />
handgreiflichen Modellen erarbeiten.<br />
Wenn das nicht der Fall ist, starten<br />
wir meistens schon digital. Es gibt<br />
immer viele Grundlagen, die man<br />
beachten muss. Diese kann man gut<br />
digital vorbereiten. Ich muss schon<br />
zugeben, dass viel vom Entwurfsprozess<br />
digital abläuft. Die Gewichtung<br />
ist dabei sicherlich 80 Prozent digital<br />
und 20 Prozent analog, mehr ist davon<br />
nicht übrig.<br />
Was kann die Architektur-<br />
Software noch nicht?<br />
In der Entwurfsthematik stellt sich<br />
diese Frage nicht. Denn da kann sie<br />
alles und es wird sogar überbewertet,<br />
was sie können muss. Bei der<br />
Ausführung sehe ich durch BIM viel<br />
Potenzial, aber auch viel Gefahr. Die<br />
Industrie kann dadurch einen so<br />
starken Einfluss entwickeln, dass wir<br />
Architekten in unserer Bedeutungsfreiheit<br />
sehr stark beeinträchtigt<br />
werden. Für den sozialen Wohnbau<br />
ist es hilfreich, nicht aber wenn es<br />
um innovative Lösungen geht. Die<br />
Architektur darf nicht auf der Strecke<br />
bleiben und dafür muss es flexibler<br />
werden.<br />
Inwiefern beeinflussen digitale Gestaltungsmethoden<br />
den Entwurf?<br />
Ich glaube, dass wir da drüber stehen.<br />
In den frühen 2000er Jahren<br />
war das wesentlich stärker, dass<br />
man versucht hat auszuprobieren,<br />
was alles mit dem Computer und den<br />
3D-Programmen möglich ist. Jetzt<br />
verstehen wir, dass es nicht unbedingt<br />
notwendig ist, solche Geometrien<br />
zu machen. Es geht darum,<br />
die wahren architektonischen Fragestellungen<br />
zu beantworten. Dazu<br />
kommt, dass man es nicht geschafft<br />
hat, solche Geometrien wirtschaftlich<br />
zu realisieren. Die Verhältnismäßigkeit<br />
der eingesetzten Mittel muss<br />
zu dem gesellschaftlichen Nutzen<br />
betrachtet werden. Man muss sich<br />
fragen: Warum mache ich das und<br />
kann ich das nicht mit einer simpleren<br />
Geometrie bewerkstelligen? Für<br />
grundlegend relevante städtebauliche<br />
Aufgaben sind diese überhaupt<br />
nicht notwendig. Wir haben ein Kulturzentrum<br />
in Saudi-Arabien mit extrem<br />
komplexen Geometrien realisiert.<br />
Der Entwurf stammt noch aus<br />
dem Jahr 2007/2008, also noch vor<br />
der Krise. Ich glaube, dass wir so etwas<br />
nicht mehr machen werden, weil<br />
sich der Diskurs verändert hat.<br />
Würde es Snøhetta ohne die<br />
Digitalisierung geben?<br />
Das ist eine sehr spekulative Frage,<br />
die ich nicht genau beantworten<br />
kann. Unser Weg wurde dadurch<br />
stark beeinflusst und sie ist sicher<br />
ein Teil unserer Geschichte. Aber<br />
am Anfang stand auch der Wettbewerbsgewinn<br />
für die Bibliothek in<br />
Alexandria. Dieser Entwurf wurde<br />
komplett von Hand gezeichnet. Die<br />
digitalen Mittel schaffen weitere<br />
wichtige Handwerkszeuge, die einiges<br />
erleichtern und auch ermöglichen.<br />
Aber was am Ende zählt sind<br />
die grundlegenden Ideen. u
architektur PEOPLE<br />
30<br />
Patrick Lüth<br />
Soll der Kontakt zwischen Auftraggeber<br />
und Architekt persönlich hergestellt<br />
werden?<br />
Ja, der persönliche Kontakt zwischen<br />
Auftraggeber und Architekt<br />
ist sehr wichtig. Am Anfang eines<br />
Projektes muss man sich auf jeden<br />
Fall persönlich treffen. Das tut mir<br />
zwar weh, wegen dem CO 2 -Fußabdruck<br />
durch das Fliegen. Ich versuche<br />
aber, so viel wie möglich mit dem<br />
Zug zu fahren. Man muss sich aber<br />
physisch treffen und an einen Tisch<br />
zusammensetzen. Wenn das einmal<br />
gemacht wurde, funktioniert auch<br />
eine Videokonferenz tadellos. Aus<br />
meiner Erfahrung braucht es eine<br />
persönliche Ebene.<br />
Brauchen wir in Zukunft noch konventionelle<br />
Darstellungsmethoden?<br />
Auf jeden Fall. Vielleicht nicht alle,<br />
aber nehmen wir zum Beispiel den<br />
Grundriss. Prinzipiell erfüllt er unterschiedliche<br />
Aufgaben. Er ist ein<br />
Kommunikationswerkzeug einerseits<br />
zwischen Architekt und Auftraggeber,<br />
zwischen Auftraggeber<br />
und Käufer, zwischen Auftraggeber<br />
und Baufirma oder zwischen Architekten<br />
und Baufirma. Es ist ein sehr<br />
universelles Medium, das sich über<br />
Jahrhunderte etabliert und gut bewährt<br />
hat und das wir nicht ganz<br />
hinter uns lassen können. Man muss<br />
die unterschiedlichen Schnittstellen<br />
betrachten. Zwischen Architekt<br />
und Baufirma hat ein BIM-Modell<br />
Vorteile. Jedoch sind da noch einige<br />
Fragen ungeklärt, wie zum Beispiel<br />
Haftungsfragen. Neben den konventionellen<br />
werden sich auch zusätzliche<br />
Darstellungsmethoden, wie BIM<br />
und VR etablieren, und zwar an anderen<br />
Schnittstellen. Ganz ersetzen<br />
werden sie Grundrisse, Schnitte und<br />
Ansichten aber nicht.<br />
Wie können sich Architekturwettbewerbe<br />
verändern?<br />
Ich fände es gut, wenn es auch bei<br />
© Snøhetta / Filippo Bolognese<br />
2018 gewann Snøhetta den internationalen städtebaulichen Wettbewerb für einen neuen, gemischten<br />
Stadtteil in Budapest. Wasser prägt nicht nur die Identität des neuen Quartiers, sondern schafft auch<br />
neue Freiräume am Wasser, die auch als Retentionsflächen und für eine ökologische Wasserbewirtschaftung<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Wettbewerben eine Reihe unterschiedlicher<br />
Formate gäbe, auch<br />
nicht anonymisierte Verfahren. Bei<br />
vielen Fragestellungen wäre es wesentlich<br />
besser, wenn man sich auch<br />
bereits im Wettbewerb mit dem Auftraggeber<br />
unterhalten kann. Ich habe<br />
schon oft beobachtet, dass bei anonymen<br />
Wettbewerben dem Auftraggeber<br />
schlussendlich kein Projekt<br />
uneingeschränkt gefallen hat. Zu beachten<br />
ist, dass es auch um Chemie<br />
geht. Zwischen Auftraggeber und<br />
Architekt gibt es ein persönliches<br />
Verhältnis und die Frage ist, ob beide<br />
miteinander zurechtkommen. Wenn<br />
nicht, dann gibt es oft genug danach<br />
ein Problem. Das ist uns auch schon<br />
ein paar Mal passiert. Architekturwettbewerbe<br />
sollten generell weniger<br />
Teilnehmer haben, damit man<br />
einen Dialogprozess führen kann.<br />
Dadurch wird die Qualität besser und<br />
man kann mit dem Auftraggeber gemeinsam<br />
einen Prozess entwickeln.<br />
Das ist natürlich für den Auftraggeber<br />
schwieriger, lohnt sich aber.<br />
Wie kann man dabei die Wettbewerbsfähigkeit<br />
gewährleisten?<br />
Ich traue den Auftraggebern zu, dass<br />
sie professionell differenzieren können.<br />
Braucht es diese persönliche Ebene in<br />
Zukunft auch für ein Architekturbüro<br />
in Form eines physischen Standortes?<br />
Ein physischer Standort ist sehr<br />
wichtig, weil Leute gerne in Gruppen<br />
arbeiten und sind. Dafür braucht es<br />
einen Raum. Darüber hinaus sind<br />
die Atmosphäre des Raumes, das<br />
Licht und die Akustik wichtig für<br />
den kreativen Output. Und für die<br />
Art der Zusammenarbeit, die wir<br />
präferieren. Ich bin ein Befürworter<br />
einer möglichst kollektiven Strategie,<br />
Ideenfindung und auch Büroführung.<br />
Für mich ist die Zeit des<br />
Meisterdenkens vorbei. Mit meiner<br />
Meinung unterscheide ich mich sehr<br />
stark von anderen Architekturbüros,<br />
speziell im deutschsprachigen Raum.<br />
Aber unsere bebaute Umwelt ist so<br />
komplex, dass wir viel Wissen aus<br />
unterschiedlichen Disziplinen brauchen.<br />
Meine Rolle als Leiter eines Architekturbüros<br />
ist es, diese Prozesse<br />
zu organisieren und zum Teil auch<br />
zu moderieren. Ich möchte nicht der<br />
sein, der eine Idee vorgibt. Ob andere<br />
das auch so sehen weiß ich nicht,<br />
aber für mich ist das das einzig legitime<br />
Zukunftsszenario.<br />
Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />
für die Zukunft?<br />
Unser Städtebau-Projekt für das<br />
South Gate Projektin Budapest ist<br />
für mich ein zukunftsweisendes Projekt.<br />
Dabei geht es um multifunktionale<br />
Landschaften, um Resilienz und<br />
um möglichst offene und demografische<br />
Durchmischung.<br />
Die Zukunft der Architektur/Architektur<br />
der Zukunft ist für mich …<br />
kollektiv.
www.architektur-online.com<br />
31<br />
Angelika Fitz<br />
FORM FOLLOWS<br />
PERFECTION<br />
Die Dinge in Perfektion zu vollenden. Dafür steht AXOR. Diesen Anspruch unterstreichen<br />
die Brauseprodukte von AXOR. Sie sind das Nonplusultra in der Dusche. Ein<br />
perfektes Beispiel: der AXOR ShowerHeaven 1200⁄300 4jet mit dem sanft umhüllenden,<br />
innovativen PowderRain. Die Inszenierung von Wasser. Einzigartig.<br />
In jeder Dimension.<br />
axor-design.de
architektur PEOPLE<br />
32<br />
Prof. DI Maria Auböck<br />
Zukunft der Architektur<br />
und digitale Städte<br />
Statement von Landschaftsarchitektin Prof. DI Maria Auböck<br />
Maria Auböck führt seit 1987 mit János Kárász das Atelier Auböck + Kárász in Wien.<br />
Von 1999 bis 2017 war sie Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in München.<br />
© Atelier Auböck und Kárász<br />
Der folgende Text basiert teilweise auf der Veröffentlichung<br />
„Digitale Städte brauchen public design“ in<br />
„Garten und Landschaft “ 8/219.<br />
Kennen Sie den Schwarzplan von Rom, den Giovanni<br />
Battista Nolli 1748 präsentierte? Er zeigt auf einmalige<br />
Weise die Straßen und Plätze der italienischen Hauptstadt<br />
gemeinsam mit den Erdgeschosszonen. Er wurde<br />
zum Vorbild des Städtebaus und des public design.<br />
Im Digitalzeitalter ist diese Zusammenschau wieder<br />
topaktuell. Jetzt geht es darum, für die Architektur<br />
das alltägliche Leben und seinen osmotischen Austausch<br />
in der Stadtlandschaft zu erhalten. Dafür<br />
müssen wir beginnen, die richtigen Fragen nach den<br />
Bauformen, deren Gebrauch und der Haltung zur<br />
Wandlung der Stadträume zu stellen. Wir müssen<br />
die Architektur in ihrer Rolle der Raumbildung in den<br />
Diskurs miteinbeziehen und uns fragen, ob Smart Cities<br />
alleine dank der Technologien ein vitales Stadtleben<br />
garantieren können – wie es beispielsweise die<br />
spanische Stadt Santander zeigt – oder ob die Umstellung<br />
auf neue Technologien Teil der Architekturdiskussion<br />
ist.<br />
Christopher Alexander beschrieb in seinem Standardwerk<br />
„Pattern Language“ 1977 umfassend die<br />
zeitlosen Bedürfnisse der Menschen – quer durch<br />
Generationen und Kulturen. Kevin Lynch vermittelte<br />
durch seine Stadtkartierungen – wie zum Beispiel<br />
„Good City Form“, 1981 – Generationen von Planern<br />
die Bedeutung der Architektur der Stadtlandschaft<br />
als kleinteiliges komplexes System und unterstützte<br />
damit deren kritisches Denken zu den damals bereits<br />
erkennbaren Erosionen der Stadtlandschaft.
www.architektur-online.com<br />
33<br />
Prof. DI Maria Auböck<br />
© Archiv Atelier Auböck<br />
Einblick in neue Arbeitswelten: Erste Campus, Wien Henke-Schreieck Architekten.<br />
Strategie im digitalen Zeitalter: Partizipation<br />
Gelten diese Überlegungen heute noch? Im Zeitalter<br />
der Digitalisierung ändert sich das Gesicht der Stadt<br />
– unter anderem durch Interneteinkäufe und deren<br />
Anlieferung mittels präziser Transportlogistik. Schon<br />
bald wird es keine Vitrinen, Verkaufskultur mehr geben.<br />
Die städtischen Verwaltungen können auf diese<br />
Veränderungen nicht parzellenscharf reagieren.<br />
Neue Strategien sind nötig.<br />
Ein möglicher Ansatz ist der der Beteiligung. Auf diese<br />
setzt die Stadtplanerin Christa Reicher von der RWTH<br />
Aachen. Sie fordert in den „Aachener Nachrichten“ im<br />
November 2018 von der Stadt Aachen, Teilhabe und<br />
Verantwortung für die Stadt zu organisieren. „Stadtgestaltung<br />
ohne Partizipation funktioniert heute nicht<br />
mehr. Die Herausforderung besteht darin, einen aktiven<br />
Diskurs mit der Stadtgesellschaft mit fachlichem<br />
Leadership intelligent zu verbinden.“<br />
Amazon, Facebook und Google ersetzen keinesfalls<br />
die direkte Kommunikation auf Augenhöhe, den<br />
Austausch der Menschen und deren Suche nach<br />
Beteiligung und Geborgenheit. Wie können innovative<br />
Bauwerke reagieren? Die Fachwelt ist sowohl für<br />
den Wohnbau wie die Gewerbebauten gefordert. Das<br />
kleinteilige Gewerbe und der Einzelhandel wird aus<br />
den Straßen verschwinden. Dazu kommt die Verarmung<br />
der Wohngebiete, deren Erdgeschosszonen<br />
fensterlose Fassaden oder einfache Lüftungselemente<br />
für Müllräume und Garagenplätze zeigen.<br />
Künftig bestellen Stadtbewohner ihre Waren vom<br />
Bildschirm aus, die Päckchen bringt dann der Drohnen-Lieferdienst<br />
zum Küchenfenster oder auf den<br />
Balkon. Und die neuen Entwicklungen betreffen nicht<br />
nur DHL oder UPS, auch andere Lieferanten wie<br />
Uber und die rasante Entwicklung der autonomen<br />
Fahrzeuge verändern die Benutzung der Stadt. Architekten,<br />
Stadtgestalter und Planer von public design<br />
werden dazu reagieren müssen und strategische<br />
Überlegungen zur Architektur der Zukunft anstellen.<br />
Richard Sennett wies in seinen Publikationen wie<br />
„Handwerk“, 2008 und „Die offene Stadt“, 2018, die<br />
von der Stadt und dem Handwerk im digitalen Zeitalter<br />
handeln, auf diese Phänomene hin und heizte die<br />
aktuelle Debatte der Planer an.<br />
Es gilt zu handeln, denn das nächste Päckchen ist<br />
schon bestellt.<br />
Wohnen mit Balkon im halböffentlichen Raum, am<br />
Beispiel In der Wiesen, artec Architekten, Wien.<br />
© Archiv Atelier Auböck
architektur PEOPLE<br />
34<br />
Dieter Blocher<br />
Bauen als Ausdruck<br />
der Gesellschaft<br />
Interview mit Architekt Dieter Blocher<br />
Gemeinsam mit seiner Frau Jutta<br />
Blocher gründete Dieter Blocher 1989<br />
blocher partners, ein international führendes<br />
multidisziplinäres Architekturund<br />
Designbüro. Zu den Schwerpunkten<br />
zählen die Bereiche Wohnungsbau,<br />
öffentliche Bauten, Hybridbauten und<br />
Handel. Neben der strategischen Ausrichtung<br />
verantwortet Dieter Blocher<br />
in der Unternehmensgruppe mit mehr<br />
als 210 Mitarbeitern an den Standorten<br />
Stuttgart, Berlin, Mannheim und Ahmedabad<br />
unter anderem die Bereiche<br />
Projektentwicklung, nachhaltiges<br />
Bauen und die internationalen Hochbauprojekte.<br />
© blocher partners/Bernd Kammerer
www.architektur-online.com<br />
35<br />
Dieter Blocher<br />
Der aus zwei 17-geschossigen Türmen mit einer Höhe von 70 Metern bestehende Bürokomplex Mondeal Heights<br />
prägt die Skyline der indischen Millionenstadt Ahmedabad. Für das moderne Business-Center in minimalistisch<br />
angelegter Architektursprache wurden blocher Partners mit dem Reality Plus Excellence Award ausgezeichnet.<br />
© Purnesh Dev Nikhanj<br />
Warum braucht es auch in<br />
Zukunft Architekten?<br />
Weil Häuser auch in Zukunft für<br />
Menschen gebaut werden und nicht<br />
für Algorithmen. Offenbar gehören<br />
Architekten nicht zu den Berufen,<br />
die durch Big Data und AI unmittelbar<br />
gefährdet sind. Kreativität entzieht<br />
sich glücklicherweise Formeln.<br />
Architektur hat die große Chance,<br />
sich die neuen Technologien als<br />
Werkzeuge zu eigen zu machen, um<br />
in einer hochkomplexen, vernetzten<br />
Welt für Menschen zu entwerfen.<br />
Welche Eigenschaften werden in<br />
Zukunft für einen Architekten noch<br />
wichtiger sein als heute?<br />
Die Kunst, einen Schritt zurückzutreten<br />
und sich gezielte Auszeiten<br />
zu nehmen vom „Immer-Online“.<br />
Man darf ruhig mal einem Gedanken<br />
nachhängen. Sind die Batterien<br />
wieder aufgeladen, ist auch das<br />
Sensorium wieder geschärft für das<br />
Eigentliche: Lösungen für Menschen<br />
zu schaffen. Wer das versteht, kann<br />
vernetzt denken, über die eigene<br />
Disziplin hinaus. Denn es wird nichts<br />
mehr gehen ohne transdisziplinäres<br />
Arbeiten. Architektur war schon immer<br />
eine Querschnittsaufgabe, die<br />
angewandte Soziologie und Psychologie<br />
ebenso umfasste wie Statik<br />
oder Bauphysik. In Zukunft wird dieses<br />
Denken entscheidend werden.<br />
Welche Voraussetzungen für Architektur<br />
müssen geschaffen oder verbessert<br />
werden?<br />
Vielleicht lohnt es, zwischen Planung<br />
und Realisierung zu unterscheiden.<br />
Vor allem die Umsetzung ist Ausdruck<br />
einer Gesellschaft. Warum<br />
aber wird hier so wenig gestritten –<br />
und wenn, dann nur über Kosten und<br />
Termine? Architektur braucht mehr<br />
direkte und informelle Kontakte in<br />
die Gesellschaft, für die sie arbeitet.<br />
Dann müssen wir auch nicht mehr<br />
über Fassaden streiten, wenn eigentlich<br />
wichtige Funktionen gemeint<br />
sind, die sich eben nicht auf den ersten<br />
Blick erschließen, dann können<br />
wir Streitkultur als Baukultur erleben.<br />
Was muss sich Ihrer Meinung nach<br />
ändern, damit der Beruf des Architekten<br />
auch in Zukunft nicht an Bedeutung<br />
verliert?<br />
Gegenfrage: Warum sollte er an Bedeutung<br />
verlieren in einer Welt, die<br />
immer mehr nach Anhaltspunkten<br />
und Orientierung sucht?<br />
Ist ein Paradigmenwechsel in der Architektur<br />
notwendig?<br />
Dieser Paradigmenwechsel ist in vollem<br />
Gange! Bald wird es nicht mehr<br />
notwendig sein, die Nachhaltigkeit<br />
von Gebäuden herauszustellen, weil<br />
es sinnlos wird, nicht-nachhaltig zu<br />
bauen. Ein Haus nach 30 Jahren abzureißen<br />
und etwas völlig Neues zu<br />
bauen, werden wir uns nicht mehr<br />
leisten können. Was ist darüber hinaus<br />
notwendig? Zwei Dinge: Das<br />
Bauen muss preiswerter werden.<br />
Wir bauen immer noch wie im Mittelalter.<br />
Vorfertigung (in der Fabrik)<br />
und vernetzte Logistik auf der Baustelle<br />
können tatsächlich Kosten<br />
senken helfen (bei höherer Qualität).<br />
Schließlich sollten wir uns dem ausufernden<br />
Gestrüpp an Vorschriften<br />
stellen und kritisch hinterfragen, ob<br />
stetig wachsende Vorgaben zu besseren<br />
Häusern führen.<br />
u
architektur PEOPLE<br />
36<br />
Dieter Blocher<br />
© Diringer und Scheidel Unternehmensgruppe | Fabian Aurel Hild<br />
Fünf neue Stadthäuser mit hundert Wohnungen formen ein markantes Ensemble mit einem hohen gestalterischen Anspruch<br />
im Mannheimer Glückstein-Quartier, mit der Innenstadt in nächster Nähe und dem großen Park unmittelbar nebenan.<br />
Was sind die derzeit größten Herausforderungen<br />
für ein Architektenbüro?<br />
Unsere Mitarbeiter sind das größte<br />
Kapital. Sie zu entwickeln und uns<br />
mit ihnen, ist eine wunderbare Herausforderung.<br />
Neue Mitarbeiter zu<br />
finden, ist in Zeiten des Booms ebenfalls<br />
spannend. Der „War for Talents“<br />
zieht sich von Amerika bis Indien und<br />
von Berlin bis Stuttgart. Wir als international<br />
tätiges Büro freuen uns über<br />
kreative Stimmen, neue Einsichten<br />
und überraschende Ansichten, die<br />
uns flexibler und schneller machen,<br />
wenn es darum geht, die (Bau)- Aufgaben<br />
der Zukunft anzugehen.<br />
blocher partners hat neben Planungsbüros<br />
in Deutschland auch ein<br />
Büro in Indien. Was sind die wesentlichen<br />
Unterschiede? Gibt es Themen,<br />
die die Sichtweise beeinflussen und<br />
direkte Auswirkungen auf die Planung<br />
im jeweiligen Land haben?<br />
Wir sind ja in vielen asiatischen Märkten<br />
tätig, nicht nur in Indien, wo wir<br />
seit mehr als zehn Jahren ein Büro in<br />
Ahmedabad haben. Generell hilft uns<br />
die Rückbesinnung auf die uralten<br />
Kulturen. Ein immer wichtiger werdendes<br />
Thema ist auch in Indien die<br />
Nachhaltigkeit, auch weil der spätere<br />
Käufer sehr genau hinschaut.<br />
Welches Thema beschäftigt<br />
Sie besonders?<br />
Unsere Arbeit prägt von jeher das<br />
vernetzte Denken. Das wird noch<br />
wichtiger in Zukunft. Daher geht es<br />
darum, auch im Büro Strukturen zu<br />
schaffen, die flexibel und ergebnisoffen<br />
sind und die dafür sorgen, dass<br />
die jeweils beste Idee gewinnt.<br />
Die Zukunft der Architektur / Architektur<br />
der Zukunft ist für mich? Mein ganz<br />
persönlicher frommer Wunsch heißt?<br />
Die Gestaltung der Städte als l(i)ebens -<br />
werte Orte ...<br />
Das in der Nachkriegszeit entworfene Baudenkmal in Hannover<br />
verwandelten die Architekten von blocher partners in ein modernes<br />
Parlamentsgebäude, das sich nun besonders offen und<br />
transparent zeigt.<br />
Mit hoher räumlicher Flexibilität und maximalem Gestaltungsfreiraum folgt<br />
das AOK Projekthaus auf dem GETRAG Areal in Ludwigsburg ganz den<br />
Leitgedanken des New Workspace.<br />
© Joachim Grothius © Joachim Grothius
www.architektur-online.com<br />
37<br />
Maximilian und Julia Kneussl
architektur PEOPLE<br />
38<br />
Dr. Harald Gründl<br />
Design auch wieder<br />
aus der Welt schaffen<br />
Interview mit Designer Dr. Harald Gründl<br />
Mit ihren Produkten möchte das Designteam<br />
EOOS die Welt in eine positive<br />
Zukunft lenken. Harald Gründl betont<br />
dabei die Wichtigkeit des fächerübergreifenden<br />
Denkens und von Kreisläufen.<br />
© Elfie Semotan
www.architektur-online.com<br />
39<br />
Dr. Harald Gründl<br />
© Stefan Lux/MAK<br />
Bei der diesjähringen Vienna Biennale for Change <strong>2019</strong> zeigen EOOS bei ihrer Ausstellung "KLIMAWANDEL! Vom Massenkonsum<br />
zur nachhaltigen Qualitätsgesellschaft" fünf Designinstallationen, die diese Transformation unterstützen können.<br />
Ist Design eher etwas künstlerisches<br />
oder funktionales?<br />
Die künstlerische Konnotation von<br />
Design kommt eher aus der Vergangenheit<br />
und stellt eine sehr elitäre<br />
Wahrnehmung dar. Die frühere<br />
Zuschreibung des Designs zur<br />
angewandten Kunst umfasst beide<br />
Begriffe. Heute ist es nicht auf eine<br />
spezifische Berufsgruppe eingrenzbar,<br />
sondern ein kooperativer Prozess.<br />
Designprozesse sind interdisziplinär<br />
und stammen nicht von einer<br />
Einzelperson, die im Atelier hinter<br />
einem Schreibtisch sitzt und sich<br />
etwas ausdenkt. Durch Partizipation<br />
können komplexe Probleme entsprechend<br />
gelöst werden, was ja auch auf<br />
die Architektur zutrifft.<br />
Was kann in Zukunft als Maßstab für<br />
gutes Design gelten?<br />
Weltverträglichkeit. Um das zu erreichen<br />
darf man sich nicht nur einzelne<br />
Dinge anschauen, sondern ganze<br />
Lebensstile. Es geht darum, wie uns<br />
das Ding hilft, ein gutes weltverträgliches<br />
und solidarisches Leben<br />
zu führen. Die Beurteilung des Dinges<br />
an sich ist dabei nicht relevant,<br />
sondern die Beziehung, die es zu anderen<br />
Dingen hat. Es kann ein Ding<br />
sein, das schlecht ist, wenn es mir<br />
gehört, aber es kann gut sein, wenn<br />
ich es mit anderen teile.<br />
Die Weltverträglichkeit ist also bei<br />
EOOS die wichtigste Grundlage?<br />
Genau, je nach Kontext, in dem wir<br />
gerade arbeiten, kann das beispielsweise<br />
auch die Langlebigkeit sein.<br />
Sie stellt einen Unterbegriff von Weltverträglichkeit<br />
dar. Was kurz lebt,<br />
schnell weggeworfen wird und wofür<br />
es noch kein kreislauffähiges System<br />
gibt, fällt nicht unter diesen Begriff.<br />
Die Langlebigkeit ist ein wichtiges<br />
Kriterium für viele unserer Projekte.<br />
Was machen Sie, damit ihre Produkte<br />
die Zeit überstehen?<br />
Das ist eine Frage des schönen Alterns<br />
und des modisch Seins zu einer<br />
bestimmten Zeit. Wir arbeiten in einem<br />
Designsegment, wo Mode nicht<br />
in dieser Kurzlebigkeit auftritt wie in<br />
anderen Bereichen wie beispielsweise<br />
Kleidung, obwohl es auch für Möbel<br />
gewisse Moden gibt. Auch Dinge,<br />
die lange eine Bedeutung haben,<br />
sind auch nicht immer unter dem Begriff<br />
„zeitlos“ einzuordnen. Nichts ist<br />
zeitlos. Bei EOOS entwickeln wir Dinge<br />
aus unserer Haltung und unseren<br />
Werten heraus mit Firmen, die diese<br />
teilen. So entstehen dann Dinge, die<br />
länger Bestand haben. Etwas zeitlos<br />
zu nennen, ist hohe Spekulation,<br />
denn viele „zeitlosen“ Designklassiker<br />
waren damals radikal und haben<br />
mit gängigen Wahrnehmungen gebrochen.<br />
Sie bestehen nicht dadurch,<br />
dass sie damals zeitlos waren, sondern<br />
mit ihrer Zeit gebrochen haben.<br />
Sie finden es also nicht notwendig, immer<br />
die neuesten Produkte zu haben?<br />
Am Ende zählt die Gesamtbilanz eines<br />
Lebensstils. Wie die individuellen<br />
Schwerpunkte dabei gesetzt werden<br />
,überlasse ich jedem selbst. Insgesamt<br />
müssen wir so leben, dass es<br />
sich für alle ausgeht. Es wäre wichtig,<br />
ein Feedback für den eigenen<br />
Lebensstil zu bekommen, um zu sehen,<br />
ob dieser ökologisch und sozial<br />
verträglich ist.<br />
Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?<br />
Diesem Wort sind wir mittlerweile<br />
schon ein bisschen überdrüssig geworden,<br />
auch weil es von der Werbung<br />
ständig für Greenwashing verwendet<br />
wird. Bei der Nachhaltigkeit<br />
geht es um das maßvoll sein und auch<br />
um ein Denken über Generationen hinaus.<br />
Sie bezieht sich auf unser heutiges<br />
Wirken und setzt es in Relation zu<br />
zukünftigen Generationen. u
architektur PEOPLE<br />
40<br />
Dr. Harald Gründl<br />
Das modulare Kühlschrank-System „Greenfreeze 2“<br />
Wo kann das Design der Zukunft<br />
eine Inspirationsquelle finden?<br />
In der Natur gibt es eine unglaubliche<br />
Vielfalt an Lösungen, die die Erde<br />
aber über all die Jahre nicht kaputt<br />
gemacht haben. Das Kreislaufdenken<br />
in der Wirtschaft ist im Grunde durch<br />
die biologischen Kreisläufe der Natur<br />
inspiriert. Auch für das Design und<br />
die Architektur ist es wichtig, den<br />
Kreislauf fertig zu denken. Man soll<br />
sich nicht nur überlegen, wie man<br />
Dinge in die Welt schafft, sondern<br />
auch wie man sie wieder aus der Welt<br />
schafft. In Australien muss für neue<br />
Gebäude auch wieder ein Plan hinterlegt<br />
werden, wie man es wieder<br />
weg bekommt. In einem kleineren<br />
Maßstab wird das auch für Design<br />
notwendig sein. Für Materialien muss<br />
ein Bewusstsein geschaffen werden,<br />
wo diese herkommen, unter welchen<br />
Bedingungen diese hergestellt werden<br />
und ob sie später ein zweites<br />
Leben haben können. Dieses von der<br />
Natur inspirierte Wirtschaftsdenken<br />
in Kreisläufen muss in Design und Architektur<br />
ganz schnell Einzug halten.<br />
Welche Aufgaben wird dann Design<br />
in der Zukunft zu erfüllen haben?<br />
Es muss uns klarmachen, dass unsere<br />
Zukunft nicht alternativenlos<br />
ist, wie uns das die Politik und Wirtschaft<br />
zum Teil weismachen möchte.<br />
Es gibt viele Alternativen für alle<br />
Bereiche unseres Lebens. Design<br />
ist ein wunderbares Werkzeug, um<br />
uns Menschen zu zeigen, welche<br />
Zukünfte vor uns liegen. Bestimmte<br />
Zukünfte sollen dadurch zur Diskussion<br />
gestellt und gesellschaftliche<br />
Prozesse sollen angestoßen werden.<br />
Unsere aktuelle Ausstellung im MAK,<br />
die mit „Klimawandel“ übertitelt ist,<br />
versucht genau das. Wir müssen<br />
jetzt Formen und auch Institutionen<br />
schaffen, durch die wir unsere<br />
Zukunft verhandeln können. Design<br />
ist dafür das Werkzeug. Es soll auch<br />
spekulative Zukünfte in den Raum<br />
stellen, wo wir gemeinsam als Gesellschaft<br />
herausfinden und diskutieren<br />
können, wo wir hin wollen.<br />
Sehen Sie der Zukunft<br />
positiv entgegen?<br />
Die Zukunft ist das, was wir daraus<br />
machen. Eine der wichtigsten Aufgaben<br />
von Design ist es, die gesellschaftliche<br />
Rolle ernst zu nehmen.<br />
Die Transformation vom Massenkonsum<br />
zu einer nachhaltigeren Gesellschaft<br />
soll es aktiv mitgestalten und<br />
Lösungen in den Raum stellen. Wir<br />
müssen kritisch sein und auch bleiben,<br />
vielleicht sogar noch kritischer<br />
werden. Wenn das Design lediglich<br />
einer Marktlogik folgt, würde diese<br />
transformative Kraft nicht entfaltet<br />
werden können. Leider muss man sagen,<br />
dass in der Wirtschaft kurzfristiges<br />
Handeln und das nicht Abgehen<br />
von alten Geschäftsmodellen einem<br />
Wandel extrem im Weg stehen.<br />
Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />
für die Zukunft?<br />
Eine Grundbedingung für ein Leitprojekt<br />
für die Zukunft ist ein vernetztes<br />
und systematisches Denken über die<br />
Disziplin hinaus. Abstrakt gesehen<br />
soll es schnell diesen Wandel hin zu<br />
einer Kreislaufgesellschaft ermöglichen.<br />
Gute Lösungen müssen vielen<br />
Menschen schnell zugute kommen.<br />
Alte Geschäftsmodelle müssen neu<br />
gedacht werden, obwohl Copyrights<br />
und Patente sicher noch länger existieren<br />
werden. Für EOOS ist dabei<br />
ein Projekt ganz wichtig, an dem wir<br />
seit fast zehn Jahren mit der Bill &<br />
Melinda Gates Foundation arbeiten:<br />
eine Toilettenlösung, bei der der<br />
Urin in der Toilette abgetrennt wird.<br />
Dieser kleine Schritt hat große Auswirkungen,<br />
denn man kann ihn dazu<br />
benutzen, um weniger Dünger zu verwenden<br />
und in weiterer Folge gibt es<br />
dadurch weniger Stickstoffeintrag in<br />
die Flüsse. Mit einer Reform hin zu einer<br />
biologischen Landwirtschaft würden<br />
wir den Einsatz von künstlichen<br />
Dünger zukünftig vermeiden können.<br />
Man sieht, dass eine kleine Sache riesengroße<br />
Auswirkungen haben kann<br />
und das nur, weil man sie systemisch<br />
denkt. Alle Projekte, die dem Klimawandel,<br />
der Umweltzerstörung und<br />
der sozialen Ungleichheit Lösungen<br />
gegenüberstellen, sind Leitprojekte<br />
für die Zukunft. Es braucht neue<br />
Akteure, ein fächerübergreifendes<br />
Denken und ein kritisches Auge auf<br />
die aktuellen Geschehnisse. Unsere<br />
schwierige Situation ist nicht unveränderlich.<br />
In diese haben wir uns jetzt<br />
hineingebracht, aber da kommen wir<br />
mit der Kreativität von allen wieder<br />
hinaus und dazu zählen eben nicht<br />
nur Designer.<br />
Die Zukunft des Designs/Design der<br />
Zukunft ist für mich …<br />
weltverträglich.
www.architektur-online.com<br />
41<br />
Architekt Professor Klaus Loenhart
architektur PEOPLE<br />
42<br />
DI Helumt Koch<br />
Die Nähe<br />
wiederentdecken<br />
Interview mit dem Verkehrsplaner DI Helmut Koch<br />
Als Leiter des Verkehrsplanungsbüros<br />
komobile in Gmunden engagiert sich<br />
Dipl.-Ing. Helmut Koch für innovative<br />
Verkehrslösungen, aktive Mobilität und<br />
den öffentlichen Verkehr. Im Zuge des<br />
Interviews betont er immer wieder die<br />
Wichtigkeit des öffentlichen Raumes<br />
und der Multimodalität im Verkehr.<br />
© Helmut Koch<br />
Herr Diplomingenieur Koch, wie<br />
glauben Sie, werden wir uns in Zukunft<br />
fortbewegen?<br />
In Zukunft wird es regional sehr unterschiedliche<br />
Mobilitätsmuster geben.<br />
Dabei wird sich der städtische<br />
Raum weiterhin vom ländlichen Raum<br />
unterscheiden. Durch die fortlaufende<br />
Urbanisierung wird aber das Mobilitätsverhalten<br />
in der Stadt maßgeblich<br />
sein. Dort wird man aktiver sein, also<br />
sich aus eigener Kraft mit dem Fahrrad,<br />
E-Bike, Scooter oder Ähnlichem<br />
fortbewegen. Mobilität wird multimodaler,<br />
also abwechslungsreicher und<br />
es werden vermehrt Mobilitätsservices<br />
– wie CarSharing oder BikeSharing<br />
– in Anspruch genommen. Man<br />
borgt sich lieber ein Fahrzeug aus als<br />
es privat zu besitzen. Im ländlichen<br />
Raum wird der private PKW weiterhin<br />
seinen Stellenwert behalten. Kraftfahrzeuge<br />
werden aber nicht fossil<br />
angetrieben sein, sondern, wie es derzeit<br />
aussieht, elektrisch.<br />
Was sind mögliche Verbindungen<br />
zwischen dem städtischen und ländlichen<br />
Raum?<br />
Für die Schnittstelle zwischen Umland<br />
und Stadt Lösungen zu finden,<br />
ist sicherlich am schwierigsten. Der<br />
problemverursachende Straßenverkehr<br />
in den Städten ist ja vor allem<br />
Stadt-Umland-Verkehr. Die Mobilität<br />
von Stadtbewohnern und jener des<br />
Umlandes unterscheiden sich signifikant.<br />
Eine stärkere Kooperation zwischen<br />
Städten und Umlandgemeinden<br />
ist notwendig. Es gibt aktuell<br />
immer noch zu viele Kompetenzgrenzen.<br />
Attraktive ÖV-Achsen, vorzugsweise<br />
auf der Schiene, müssen ausgebaut<br />
werden und in der Region gut<br />
erreichbar sein. Ein Denken in Agglomerationen<br />
über die Stadtgrenzen hinaus<br />
ist unbedingt notwendig.<br />
Worin sehen Sie weitere Problematiken<br />
bei der aktuellen Verkehrssituation<br />
in Österreich?<br />
Man denkt immer noch zu oft in großen<br />
Lösungen. Wir brauchen aber<br />
mehr Lösungen für die Nähe. Knapp<br />
die Hälfte aller mit dem Auto zurückgelegten<br />
Wege ist kürzer fünf<br />
Kilometer. Hier bestehen große Po-
www.architektur-online.com<br />
43<br />
DI Helumt Koch<br />
Auch in Kleinstädten sind<br />
nachhaltige Mobilitätslösungen<br />
möglich. In Gmunden<br />
wurde durch den<br />
Neubau einer 700 Meter<br />
langen Gleisverbindung<br />
die attraktive Traunsee-<br />
Tram geschaffen.<br />
© Stern&Hafferl Verkehr<br />
tenziale für mehr aktive Mobilität,<br />
die es zu heben gilt. Wenn die Rahmenbedingungen<br />
passen und die<br />
Motivation stimmt, werden diese<br />
Wege auch problemlos zu Fuß, mit<br />
dem Fahrrad oder E-Bike zurückgelegt.<br />
Auch wenn es auf den ersten<br />
Blick paradox erscheint: Radwege<br />
und gemischte urbane Strukturen<br />
lösen Verkehrsprobleme effizienter<br />
als neue Autobahnen. Das Verkehrssystem<br />
reagiert sehr flexibel auf die<br />
bereitgestellte Infrastruktur.<br />
Sind die Städte der Zukunft<br />
also autofrei?<br />
In den Kernbereichen wird es autofreier<br />
werden, dass es aber überall<br />
Fußgängerzonen gibt glaube ich<br />
nicht. Das ist auch nicht notwendig.<br />
Die Anzahl der Kraftfahrzeuge wird<br />
in den Städten zurückgehen. In den<br />
Wohngebieten wird es künftig größere<br />
autofreie Bereiche geben. Dadurch<br />
entstehen wieder qualitativ<br />
hochwertige öffentliche Räume und<br />
mehr Nähe. Fahrzeuge parken nicht<br />
am Straßenrand, sondern in Sammelgaragen,<br />
von denen aus man auf<br />
kurzem Weg das Ziel erreicht. Motorisierten<br />
Individualverkehr wird es<br />
weiterhin geben, die Motorisierung<br />
wird aber weiter zurückgehen.<br />
Wird der Mensch weiterhin die Verkehrsmittel<br />
steuern?<br />
Vollständig autonomes Fahren wird in<br />
den Städten erst in einigen Jahrzehnten<br />
alltäglich sein. Die aktuelle Euphorie<br />
ist verfrüht, es gibt noch eine<br />
Reihe von ernsten technischen Problemen,<br />
die zu lösen sind. Autonomes<br />
Fahren wird sich zuerst in einfach zu<br />
beherrschenden Umgebungen durchsetzen<br />
– das sind die Autobahnen.<br />
Selbstfahrende Busse, der jetzt probeweise<br />
eingesetzt werden, könnten<br />
einen Beitrag zur Attraktivierung des<br />
öffentlichen Verkehrs leisten.<br />
Wie kommen Sie persönlich eigentlich<br />
täglich zur Arbeit?<br />
Ich wohne in einer Kleinstadt, deren<br />
kompakte Struktur mir kurze Wege<br />
ermöglicht. Von Zuhause gehe ich<br />
zu Fuß ins Büro. Wenn ich keine<br />
Auswärtstermine habe, brauche ich<br />
tagelang keine motorisierten Verkehrsmittel.<br />
Ich lebe damit in einer<br />
privilegierten Situation. Ziel der Planung<br />
müsste es ein, für mehr Menschen<br />
ähnlich privilegierte Situationen<br />
zu schaffen.<br />
Was bedeutet Mobilität für Sie?<br />
Mobilität heißt Beweglichkeit, also<br />
die Möglichkeit sich zu verändern.<br />
Räumlich gesehen geht es um Ortsveränderungen.<br />
Der Begriff ist gesellschaftlich<br />
sehr positiv besetzt.<br />
Eingriffe in die räumlichen Mobilitätsmöglichkeiten<br />
werden häufig<br />
emotional diskutiert. Politiker sind<br />
deshalb sehr vorsichtig, wenn Entscheidungen<br />
getroffen werden müssen.<br />
Es dominiert eine egoistische<br />
Grundeinstellung: Jeder möchte<br />
möglichst in einer Fußgängerzone<br />
wohnen, mit dem eigenen PKW aber<br />
möglichst ungehindert und schnell<br />
überall hinfahren können. Mit dieser<br />
Diskrepanz muss man als Politiker,<br />
aber auch als Verkehrsplaner leben.<br />
Finden Sie es notwendig,<br />
ständig mobil zu sein?<br />
Nein. Auch hier gibt es einen Zwiespalt<br />
im Menschen. Einerseits will<br />
man nicht gezwungen sein, täglich<br />
viele Kilometer zu fahren, andererseits<br />
stört es die Leute nicht, freiwillig<br />
weite Strecken zurückzulegen,<br />
zum Beispiel in der Freizeit. Wir beobachten<br />
noch immer zunehmende<br />
Distanzen, zum Beispiel zwischen<br />
Wohn- und Arbeitsort. Steigende<br />
Pendeldistanzen werden für eine<br />
(vermeintlich) höhere Wohnqualität<br />
am Land oder geringere Wohnkosten<br />
in Kauf genommen. Manches davon<br />
ist nicht notwendig und könnte zum<br />
Beispiel durch Homeworking ersetzt<br />
werden. Wir Planer sollten Strukturen<br />
schaffen, wo man mehr Aktivitäten<br />
im Nahbereich durchführen kann.<br />
Diese erlauben es, mobil zu sein und<br />
gleichzeitig nachhaltiger zu leben.<br />
Wie wird das Sammeln von Daten<br />
den Verkehr und die Verkehrsplanung<br />
in Zukunft beeinflussen?<br />
Wir sind schon heute durch unsere<br />
Handys ein „offenes Buch“, auch<br />
wenn es Vielen nicht bewusst ist.<br />
Durch das Tracken von Bewegungsmustern<br />
unserer Handys können<br />
Fahrzeiten in Routenplanern genau<br />
prognostiziert werden. Das erzeugt<br />
einerseits Unbehagen, andererseits<br />
sind das für die Verkehrsplanung<br />
wertvolle Grundlagen. Durch Digitalisierung<br />
wird der ohnehin sehr komplizierte<br />
öffentliche Verkehr leichter<br />
nutzbar. Ich sehe das Sammeln von<br />
Daten und die Digitalisierung grundsätzlich<br />
positiv, wenn persönliche<br />
Daten nicht in unangemessener Weise<br />
weitergegeben werden. u
architektur PEOPLE<br />
44<br />
DI Helumt Koch<br />
© Helmut Koch<br />
Wie wird das Thema Mobilität die Architektur<br />
der Zukunft beeinflussen?<br />
Die Architektur muss sich künftig<br />
umfassender mit den Ansprüchen<br />
der Mobilität befassen. Neben den<br />
heute üblichen PKW-Stellplätzen<br />
sind Abstellmöglichkeiten für Fahrräder<br />
einzuplanen, und zwar direkt<br />
vor den Eingängen. Fahrradräume<br />
in der Erdgeschosszone sind notwendig,<br />
niemand nutzt das Fahrrad,<br />
wenn man es erst vom Keller<br />
über Stiegen hinauftragen muss.<br />
KFZ-Stellplätze müssen nicht unbedingt<br />
mit dem Lift von der Wohnung<br />
aus erreichbar sein. Besser sind<br />
Sammelgaragen am Rand von Siedlungsgebieten.<br />
CarSharing-Systeme<br />
und andere Verleihsysteme sind<br />
zu integrieren, am besten in Form<br />
von Mobility Points, damit können<br />
Zweitautos eingespart werden. Eine<br />
verringerte Zahl von Pkw-Stellplätzen<br />
kann einen Beitrag zu leistbarerem<br />
Wohnen leisten.<br />
Was sind Mobility Points genau?<br />
Das sind Mobilitätsdrehscheiben, die<br />
in Siedlungsgebieten oder bei Stationen<br />
des öffentlichen Verkehrs positioniert<br />
sind. Angebote für CarSharing,<br />
Mietwägen, Lademöglichkeiten für<br />
Elektrofahrzeuge, E-Bikes und Fahrradabstellmöglichkeiten<br />
sind hier<br />
kombiniert. Man deckt dort Mobilitätsbedürfnisse<br />
ab, informiert sich,<br />
borgt Fahrzeuge aus oder wechselt<br />
das Verkehrsmittel. In einigen Städten<br />
gibt es bereits erfolgversprechende<br />
Umsetzungen, wie in Graz,<br />
Wien und Linz. Aber auch Kärnten<br />
verfolgt dieses Prinzip landesweit.<br />
Werden Verkehrsplaner also zu spät<br />
in die Planung miteinbezogen?<br />
Wir haben in der Praxis damit zu kämpfen,<br />
dass das Thema Mobilität manchmal<br />
erst in einer späten Planungsphase,<br />
oft erst im Genehmigungsverfahren,<br />
aufpoppt. Dann heißt es, Feuerwehr<br />
spielen. Richtig wäre, Mobilitätskonzepte<br />
von Anfang an mitzudenken,<br />
und entsprechende Rahmenbedingungen<br />
für die Planung am Beginn eines<br />
Prozesses festzulegen.<br />
Was raten Sie als Verkehrsplaner<br />
den Architekten und Architektinnen<br />
sonst noch?<br />
Die Aspekte der Verkehrsplanung<br />
ernst zu nehmen und von Anfang<br />
an in die Planung zu integrieren. Das<br />
heißt, nicht nur die Autostellplätze zu<br />
berücksichtigen, sondern auch die<br />
Ansprüche der anderen Verkehrsteilnehmer.<br />
Der Raum zwischen den Objekten<br />
ist eine genauso wichtige Gestaltungsaufgabe<br />
wie der Hochbau<br />
selbst. Die Qualität des öffentlichen<br />
Raumes ist ein riesengroßes Thema.<br />
Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />
für die Zukunft?<br />
Es gibt eigentlich schon viele umgesetzte<br />
Beispiele mit innovativen Planungsansätzen.<br />
Das sind zum Beispiel<br />
die Seestadt Aspern in Wien oder im<br />
ländlichen Raum die Siedlung „Sonnengarten<br />
Limberg“ in Zell am See.<br />
Die Mobilität der<br />
Zukunft ist für mich...<br />
aktiver, multimodaler, weniger motorisiert,<br />
mehr im Sinne eines Services zu<br />
verstehen und elektrisch angetrieben.<br />
Digitalisierung unterstützt die Flexibilität<br />
der Verkehrsteilnehmer. Der private<br />
PKW-Besitz wird zurückgehen.
www.architektur-online.com<br />
45<br />
Dipl.-Ing. Helumt Koch<br />
LEBENSRÄUME<br />
„Der Mensch nimmt sich die Natur zum<br />
Vorbild und erschafft Außergewöhnliches.<br />
Er vereint Farben, Formen und<br />
Funktionen auf unnachahmliche Weise<br />
und schlägt das Gewöhnliche mit den<br />
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architektur PEOPLE<br />
46<br />
Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger<br />
Architektur<br />
und Vermarktung<br />
Interview mit Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger, GF Raiffeisen Immobilien<br />
Bei der Behandlung des gesetzten Leitthemas<br />
„Zukunft der Architektur – Architektur<br />
der Zukunft“ darf der Bereich, der letztendlich<br />
für die Vermarktung der gebauten Werke<br />
verantwortlich ist, mit seiner ganz speziellen<br />
Sichtweise nicht fehlen. Exemplarisch für<br />
die Immobilienbranche sprachen wir mit Ing.<br />
Mag. Peter Weinberger, einem der beiden<br />
Geschäftsführer von Raiffeisen Immobilien.<br />
Welche Bedeutung hat der Themenbereich<br />
Architektur für Sie und Ihr Unternehmen?<br />
Die Architektur hat zweifelsfrei einen großen<br />
Stellenwert beim Verkauf einer Immobilie.<br />
Auffällig ist aber, das manche Architektur<br />
etwas übertrieben ist und die Käufer<br />
diesen Anspruch gar nicht haben. Oftmals<br />
wird dadurch das Objekt unnötig verteuert,<br />
da die Konsumenten diese Ansprüche gar<br />
nicht stellen.<br />
Ein Beispiel dafür?<br />
Etwa der Einsatz von teuren Materialen nur<br />
für die optische Wirkung. Oder die derzeit<br />
modischen Galerien, die der zukünftige Nutzer<br />
in Wahrheit aber so gar nicht braucht.<br />
Ab und zu geht meiner Meinung nach die<br />
Architektur den Weg des zu Schönen, des<br />
zu Prunkvollen und damit einhergehend<br />
des zu Teuren. Die aktuelle Situation am<br />
Markt ist aber ohnedies angespannt, da wir<br />
mit sehr hohen Grundstückspreisen konfrontiert<br />
sind und das Bauen selbst ebenfalls<br />
recht teuer ist. Wenn dann auch noch<br />
die Architektur über ein vernünftiges Maß<br />
schießt, wird die Immobilie für viele einfach<br />
unleistbar. Es ist jedenfalls ein klarer<br />
Trend, dass sich architektonisch einfacher<br />
ausgeführte und kostengünstigere Objekte<br />
wesentlich leichter verkaufen lassen.<br />
Das größe Problem bei der Umsetzung des<br />
Wohntraums ist die Leistbarkeit – die Leute<br />
wollen schon etwas Schönes, aber wenn sie<br />
sich das nicht leisten können?<br />
Wie steht es mit der Bedeutung der Nachhaltigkeit?<br />
Ist das ein Thema für Ihre Käufer?<br />
Ehrlicherweise ist es derzeit noch kein wesentliches<br />
Thema bei der Kaufentscheidung.<br />
Aber es ist zu merken, dass das Interesse<br />
an Umweltschutz und Nachhaltigkeit<br />
steigt. Bei annähern gleichem Preis fällt<br />
schon jetzt die Wahl eher auf Projekte, die<br />
mit nachhaltigen Baustoffen entstanden<br />
sind. Die Kaufentscheidung selbst basiert<br />
aber weniger auf technischen Kriterien, es<br />
wird überwiegend emotional entschieden.<br />
Da ist eher das Thema „schön“ und „weniger<br />
schön“ entscheidend.<br />
© Petra Spiola<br />
Man kann also einen höheren Preis nicht<br />
mit Nachhaltigkeit argumentieren?<br />
Ich fürchte, das kann man nicht, da es die<br />
Leute nicht zahlen können. Wir sind in Summe<br />
für nationale Verhältnisse schon sehr<br />
teuer. Meiner Meinung nach sind wir bei<br />
den Immobilienpreisen in Österreich sogar<br />
schon am oberen Ende des Leistbaren.<br />
Gibt es Unterschiede zwischen dem Projekt-<br />
und dem Privatverkauf?<br />
Was sicher viel komplexer ist, ist ein Projekt<br />
vom Plan weg zu vermarkten. Objekte<br />
zur Eigennutzung lassen sich so nur sehr<br />
schwer verkaufen. Bei Anlageobjekten, wo<br />
der Käufer als Investor nicht selbst Nutzer<br />
sein wird, ist es hingegen einfacher. Hier<br />
stehen das Vermieten und die Rendite und
www.architektur-online.com<br />
47<br />
Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger<br />
nicht das selber Wohnen im Vordergrund.<br />
So gesehen ist der Unterschied zwischen<br />
Eigennutzung und Anlage gravierend und<br />
muss bei der Vorbereitung der Vorverwertung,<br />
des Verkaufens ab Plan, besonders<br />
berücksichtigt werden.<br />
Gebrauchtimmobilien lassen sich dem gegenüber<br />
einfacher verkaufen, da die Interessenten<br />
die Immobilie sehen, fühlen und auch<br />
das Umfeld erleben können. Speziell im Osten<br />
wird gerne an der Mauer geklopft. Und<br />
da gebrauchte Immobilien gegenüber neuen<br />
Objekten in der Regel etwas günstiger sind,<br />
ist der Entscheidungsprozess in der Regel<br />
bei bestehenden Objekten etwas kürzer.<br />
Verkaufen vom Plan weg – wie kann man<br />
sich das vorstellen? Den Plan in die Realität<br />
zu denken fällt auch Fachleuten nicht immer<br />
so leicht!<br />
Wir nutzen dafür zunehmend die virtuelle<br />
Welt und machen die Objekte durch<br />
Virtual-Reality-Touren erlebbar. Ich denke,<br />
dass diese Technologie in Zukunft einen<br />
Aufschwung erleben wird. Aktuell bringen<br />
die VR-Touren aber noch keine spontanen<br />
Kauf entscheidungen. Das wird erst passieren,<br />
wenn man diese Besichtigungen zu<br />
Hause am Fernsehbildschirm machen und<br />
mit der ganzen Familie durchführen kann.<br />
Dann wird auch die Vermarktungsvorbereitung<br />
für ein Projekt eine neue Bedeutung<br />
bekommen. Derzeit ist VR bei der Vermarktung<br />
aber eher noch ein schönes Spiel.<br />
Der Digitalisierungsgrad der Bauwirtschaft<br />
nimmt rasant zu. Wie sieht es da im Bereich<br />
der Vermarktung aus?<br />
Die nachfolgenden Generationen leben<br />
viel digitalisierter und das wird auch unsere<br />
Branche zunehmend betreffen. Für<br />
unseren Bereich kann das neben den erwähnten<br />
VR-Touren etwa auch den Einsatz<br />
von Robotern bei den Erstbesichtigungen<br />
bedeuten – der Interessent öffnet die Tür<br />
mit dem übermittelten Code und im inneren<br />
führt ein Roboter durch die Immobilie.<br />
Für die tatsächliche Kaufentscheidung wird<br />
meiner Meinung nach aber weiterhin der<br />
persönliche Kontakt wichtig sein. Rein digital<br />
glaube ich nicht, dass der Vertrieb einer<br />
Immobilie funktioniert.<br />
Hat es bei der Vermarktung Vorteile, wenn<br />
das Projekt von einem sehr bekannten Architekten<br />
stammt?<br />
Ja, ich glaube schon, dass es ein Vorteil ist.<br />
Aber nur dann, wenn der Preis deswegen<br />
nicht höher ist.<br />
Und wieder der Preis?<br />
Ist nur der entscheidend?<br />
Der Preis ist eben ein sehr wichtiges Kriterium<br />
und im Durchschnitt das Essentiellste.<br />
Es hilft dem Interessenten nichts, wenn alles<br />
super ist und gefällt, aber er erhält keine<br />
Finanzierung und kann es sich nicht leisten.<br />
Ich spreche da vom durchschnittlichen<br />
Menschen und nicht von den Mehrverdienern.<br />
Letztendlich zählt das Preis-Leistungsverhältnis<br />
und natürlich auch die<br />
Lage. Aber in Summe wird es weniger darauf<br />
ankommen, wer das geplant und gebaut<br />
hat, wenn es gut geplant und gebaut ist.<br />
Es gibt also im Verkauf keinen<br />
Bonus für bekannte Architekten?<br />
Ich glaube nicht, dass es einen Bonus dafür<br />
gibt. Aber zweifelsfrei sind Objekte von Architekten,<br />
die sich persönlich sehr stark bei<br />
ihren Projekten einbringen und ergründen,<br />
was sie selber gerne hätten, was sie stört, und<br />
die das dann bei der Umsetzung berücksichtigen<br />
mehr gefragt. Am Markt zählt nicht nur<br />
die Optik – gefordert ist vielmehr die Funktionalität.<br />
Wo die fehlt, wird es für uns schwierig.<br />
In welche Richtung wird sich der Immobilienmarkt<br />
weiter entwickeln? Preislich hoffen<br />
Sie ja offensichtlich, dass es nicht noch teurer<br />
wird. Wie sieht es bei den Nutzflächen<br />
aus? Wie bei den Lagen?<br />
Ein immer bedeutenderes Kriterium ist<br />
die Erreichbarkeit. Ein Großteil der jungen<br />
Menschen in den Städten besitzt heute kein<br />
eigenes Auto mehr – und viele wollen auch<br />
keines. Im ländlichen Bereich kommt dem<br />
öffentlichen Verkehr bei der Kaufentscheidung<br />
eine sehr große Rolle zu.<br />
Bei den Nutzflächen erwarte ich keine weitere<br />
Reduktion. Wenn ich einen Interessenten<br />
fragen würde, ob er für 400.000 Euro<br />
100 Quadratmeter will, oder 50, würde der<br />
Intelligente fragen „wo“. Sie sehen, neben<br />
dem Preis ist es auch eine Frage der Lage<br />
und ich glaube auch nicht, dass generell der<br />
Wunsch nach kleinen Wohnflächen besteht.<br />
Wir haben zwar viele Singlehaushalte, dort<br />
ist Größe sicher ein Thema. Wenn man aber<br />
von Jungfamilien oder Familien spricht,<br />
werden 50 Quadratmeter nicht wirklich reichen.<br />
Es kommt also bei diesem Punkt stark<br />
darauf an, wer der Nachfragende ist.<br />
Meiner Erfahrung nach kann eine gut geschnittene<br />
75 bis 80 Quadratmeter Wohneinheit<br />
das Ideal darstellen. Man braucht keine<br />
200, aber auch keine 50 Quadratmeter,<br />
wenn man selber darin wohnen will. Wichtig<br />
ist einfach eine vernünftige Zimmeraufteilung.<br />
Deswegen glaube ich nicht, dass Eigenheime<br />
in Zukunft kleiner werden.<br />
Und aufgrund des Preis/Fläche-Verhältnis<br />
sehen wir auch, dass immer mehr Menschen<br />
in ländlichere Regionen ausweichen,<br />
da sie dort mehr Fläche für das gleiche<br />
Geld bekommen. Dort ist dann aber entscheidend,<br />
welche öffentliche Anbindungen<br />
vorhanden sind. Deswegen ist es für diese<br />
Gebiete enorm wichtig, die notwendige Infrastruktur<br />
zu haben, um das Leben auf dem<br />
Land zu ermöglichen.<br />
Was verbinden Sie mit dem<br />
Begriff „grüner Wohnen“?<br />
Wir wohnen schon vergleichsweise grün.<br />
Vor allem in den Ballungszentren ist das<br />
„grünere Wohnen“ in den Plänen schon zu<br />
erkennen, in den Errichtungen hingegen<br />
noch nicht. Ich sehe aber, dass dieses Thema<br />
von den Konsumenten schon angenommen<br />
wird. Die sommerlichen Temperaturen<br />
spielen da stark hinein – Klimaanlagen<br />
waren z.B. lange kein Thema, spielen heute<br />
aber eine sehr große Rolle. Deswegen<br />
liebe ich es, wenn ein Bauträger erklärt, er<br />
bereitet die Klimaanlage vor. Da denke ich:<br />
Mach sie oder mach sie nicht, was soll eine<br />
vorbereitete Anlage dem Käufer bringen?<br />
Oder wenn heute am Insektenschutz gespart<br />
wird. Ist ein stehendes Gewässer in<br />
der Nähe, ist der fehlende Insektenschutz<br />
ein Kriterium, das beim Verkauf ganz sicher<br />
angesprochen wird. Es sind oft Kleinigkeiten,<br />
an denen es dann scheitert.<br />
Wenn Sie ein neues Projekt übernehmen:<br />
Sehen Sie da gleich, ob es leicht oder<br />
schwer zu verkaufen sein wird?<br />
Ja, das sehen wir aufgrund unserer 35 jährigen<br />
Erfahrung eigentlich sofort. Wir freuen<br />
uns daher auch, wenn wir schon vor der Planung<br />
involviert werden und ergründen können,<br />
wer genau dort die Käufer sein werden.<br />
Es ist sehr logisch, sich mit den Zielgruppen<br />
und deren Anforderungen im Vorfeld auseinander<br />
zu setzen, um nicht an der Nachfrage<br />
vorbei zu bauen.<br />
Dabei kristallisiert sich meistens eine<br />
Hauptgruppe heraus, für die eine Immobilie<br />
in Frage kommt – und an der man sich<br />
hauptsächlich orientieren kann. Sind deren<br />
Wünsche und Anforderungen dann eruiert,<br />
kommen von uns etwa die Vorschläge über<br />
die gefragten Wohnungsgrößen oder auch<br />
die erforderliche Ausstattung. Für ein erfolgreiches<br />
Projekt ist das Zusammenspiel<br />
von Planung, Errichtung und Vermarktung<br />
jedenfalls enorm wichtig – viele Bauträger<br />
laden uns als Immobilienvermarkter deshalb<br />
schon vor Baubeginn zur Zusammenarbeit<br />
ein. Daraus resultieren dann Projekte,<br />
die vermarktbar sind.
architektur PEOPLE<br />
48<br />
Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />
Die Architektur<br />
hochhalten<br />
Interview mit Architekt Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />
Die Handskizze ist für den Architekten Martin Kohlbauer das wichtigste Ausdrucksmittel<br />
und hilft ihm, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Seine<br />
Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien schloss er in der<br />
Meisterklasse von Gustav Peichl erfolgreich ab. Heute führt er ebenso eindrucksvoll<br />
sein Architekturbüro im Nestroyhof des zweiten Wiener Gemeindebezirks.<br />
© Daniela Klemencic
www.architektur-online.com<br />
49<br />
Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />
Skizzieren gehört für Martin Kohlbauer zu seinem<br />
Alltag - hier für das Fernwärmewerk Wien Süd.<br />
Herr Architekt, was wünschen Sie<br />
sich von der Architektur?<br />
Dass sie berührt. Architektur ist in<br />
hohem Maße ein emotionales Thema.<br />
Wohlbefinden und Weiterkommen<br />
sind stark davon abhängig, dass<br />
man sich in räumlichen Sequenzen<br />
bewegt, die einem positiv konnotieren.<br />
Als Wichtig erachte ich eine<br />
frühzeitige Auseinandersetzung<br />
mit architektonischen Themen. Die<br />
Verankerung der Architektur in den<br />
Lehrplänen aller Altersstufen tut Not.<br />
Lange Zeit gab es im Fach Bildnerische<br />
Erziehung noch die Initiative<br />
„der Architekt kommt in die Schule“,<br />
der ich mich zu Beginn meiner Karriere<br />
immer wieder zur Verfügung gestellt<br />
habe. Schulbildung ist das Eine,<br />
eine mediale Präsenz das Andere.<br />
Architektur ist leider generell ein<br />
Minderheitenprogramm. Eine aktive<br />
Auseinandersetzung der Menschen<br />
mit Architektur muss gefördert und<br />
unterstützt werden. In den alltäglichen<br />
Medien kommt Architektur de<br />
facto nicht vor. Kultur wird lediglich<br />
mit dem Theater in Verbindung gebracht.<br />
Wer die neue Buhlschaft ist,<br />
bewegt ganz Österreich. Bauen ist<br />
Kulturaufgabe, das ist eine wichtige<br />
Botschaft. Denn Bauen ist Kultur. Damit<br />
sollte sich die Gesellschaft auch<br />
entsprechend auseinandersetzen.<br />
Das passiert aber viel zu wenig und<br />
aus meiner Sicht immer weniger.<br />
Wie nehmen Sie die Wiener<br />
Architektur wahr?<br />
Wie in vielen wichtigen europäischen<br />
Städten ist die Wiener Architektur<br />
auch stark von der Geschichte geprägt.<br />
Das Imperiale und der kompakte<br />
Stadtkern sind äußerst präsent.<br />
Dabei geht es nicht nur um den<br />
ersten Bezirk, sondern auch bis zum<br />
Gürtel und darüber hinaus. Das prägt<br />
die städtische Substanz. Es sind<br />
immer die dichten, urbanen Bereiche,<br />
die uns faszinieren. Der soziale<br />
Wohnbau spielt in Wien eine wichtige<br />
Rolle. Nicht nur die Architektur des<br />
„roten Wien“ aus den 1920er Jahren,<br />
sondern auch die aktuelle Situation<br />
findet international hohe Beachtung.<br />
Welchen Stellenwert hat das<br />
Geschichtsbewusstsein?<br />
Die Architektur ist eine Beziehungsgeschichte<br />
und steht immer in einem<br />
zeitlichen Kontext. Man braucht für die<br />
Architektur Geschichtsbewusstsein.<br />
Architektur studieren heißt ja auch,<br />
die Weltarchitektur in ihrem Zusammenhang<br />
zu studieren. Das ist wichtig,<br />
wenn ich etwas Besonderes machen<br />
möchte oder einen spezifischen Input<br />
in eine Aufgabe geben möchte. Bezüge<br />
herzustellen, ist eine Kunst und<br />
macht gute Architektur aus.<br />
Ist Architektur also Kunst?<br />
Es gibt die immerwährende Debatte,<br />
ob Architektur Kunst oder Dienstleistung<br />
oder Sonstiges ist. Architektur<br />
ist Kunst! – ohne Wenn und Aber.<br />
Sich von dieser Haltung zu verabschieden,<br />
würde bedeuten, sich vom<br />
Architekturanspruch zu verabschieden.<br />
Eines der allerwichtigsten Dinge<br />
ist, dass man diesen Anspruch verfolgt<br />
und trotz permanenter Einwände<br />
nicht weich wird. Kompromissbereitschaft<br />
ist völlig in Ordnung, aber<br />
man muss wissen an welcher Stelle.<br />
Sehen Sie sich als einen<br />
typischen Wiener Architekten?<br />
Der Titel meiner zuletzt erschienen<br />
Werkmonografie lautet „A Viennese<br />
Architect“. Dabei handelt es sich nicht<br />
um eine bloße Ortsangabe, sondern<br />
um ein kulturelles Bekenntnis. Wien ist<br />
meine Heimat in vielerlei Hinsicht. Ich<br />
fühle mich den Traditionen der Wiener<br />
Großstadtkultur sehr verbunden.<br />
Wie wird das Image von Wien durch<br />
die Architektur mitbestimmt?<br />
Das Image einer Stadt wird meist<br />
von der Außensicht betrachtet und<br />
davon generiert. Die Reduktion auf<br />
Stephansdom, Schloss Schönbrunn<br />
und Riesenrad wird noch lange gepflegt<br />
werden. Als Architekt ist man<br />
in der glücklichen Lage, eine umfassendere,<br />
vielschichtigere Wahrnehmung<br />
entwickelt zu haben, die einem<br />
als reflektierenden Reisenden immer<br />
wieder zu Gute kommt.<br />
u
architektur PEOPLE<br />
50<br />
Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />
Sehen Sie die Zukunft der Architektur<br />
in der Vertikalität oder in der Horizontalität?<br />
Die Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts<br />
ist stark geprägt von einem<br />
vertikalen Drang. Das wird auch weiterhin<br />
so bleiben. Man kann dadurch<br />
zwar eine gewisse Dichte erzeugen,<br />
aber es bringt auch durchaus<br />
Nachteile mit sich. Betrachtet man<br />
die Wirtschaftlichkeit eines Hochhauses,<br />
so hat es durch den Kern im<br />
Inneren eine marginale Nutzfläche.<br />
Vertikalität und Horizontalität sind<br />
jedoch beide wichtig und können<br />
gut nebeneinander existieren, sowie<br />
eben auch Alt und Neu.<br />
Sehen Sie die Zukunft der Architektur<br />
am Land oder am Wasser?<br />
Persönlich habe ich gern sicheren<br />
Boden unter den Füßen, obwohl Venedig<br />
einer meiner Lieblingsorte ist.<br />
Wasser hat eine besondere Kraft und<br />
bietet eine wunderbare Aura und<br />
Qualität. Die Beziehung zu Wasser ist<br />
also sehr wichtig. Eine Zukunft unter<br />
Wasser sehe ich jedenfalls nicht und<br />
hätte auch keine Lust dazu.<br />
Könnte man vielleicht auch am Land<br />
einen Schritt weiter gehen und die<br />
Städte nach unten hin verdichten?<br />
Es gibt faszinierende Beispiele von<br />
unterirdischer Architektur, nicht nur<br />
aus Gründen des Versteckens, sondern<br />
auch unter Einbeziehung der<br />
Topografie. Für eine kompakte Struktur<br />
kann das Nutzen von unteren<br />
Ebenen sehr sinnvoll sein. Ich denke<br />
an den Louvre oder Sportbauten von<br />
Dominique Perrault. Die aktuelle europäische<br />
Kulturhauptstadt <strong>2019</strong> Matera<br />
ist ein wunderbares Beispiel.<br />
Was kann man aus der Architektur der<br />
Vergangenheit und der Gegenwart für<br />
die Architektur der Zukunft lernen?<br />
Die Architektur der Vergangenheit<br />
sollte man kennen und studiert haben,<br />
denn man kann daraus unendlich<br />
viel lernen. Als Architekt lernt<br />
man ohnehin ununterbrochen und<br />
das auch aus Negativbeispielen. Das<br />
Gesehene wird sofort überprüft und<br />
reflektiert. Das sollte sowohl mit Vergangenem<br />
als auch mit Zeitgenössischem<br />
passieren, das ist eine wichtige<br />
Basis und hat wesentlichen Einfluss<br />
auf das Kommende. Mein persönliches<br />
Prinzip lautet „zuerst den Rucksack<br />
vollpacken“. Um aus dem Vollen<br />
zu schöpfen braucht man solch eine<br />
Grundlage. Meine weitere persönliche<br />
Basis ist die Zeichnung. Jedes Projekt<br />
beginnt mit einer Skizze.<br />
Wird man in Zukunft noch<br />
händisch skizzieren?<br />
Menschen wie ich sicherlich. Meine<br />
Arbeit ist immer verbunden mit dem<br />
Blick aufs Wesentliche. Einer der<br />
Vorteile der Skizze ist, dass man viele<br />
Aspekte unmittelbar auf das Wesentliche<br />
reduziert. Der Computer<br />
kann viel und hat tausend Möglichkeiten,<br />
wird diese kreative Fähigkeit<br />
jedoch auch in Zukunft nicht ersetzen<br />
können.<br />
Was werden wichtige Werkzeuge<br />
des Architekten sein und wie beeinflussen<br />
sie die Architektur?<br />
Die wichtigsten Werkzeuge bleiben<br />
immer noch Hirn und Bauch des Architekten.<br />
Nur diese befähigen zu<br />
Gespür und Empathie. Zu meiner<br />
Studienzeit haben wir darüber Witze<br />
gemacht, ob das Kurvenlineal die<br />
Formensprache beeinflusst. Natürlich<br />
hat die digitale Revolution viele<br />
Formen generiert. Ob das ein Mehr<br />
an guter Architektur ermöglicht,<br />
bezweifle ich. Es gibt viele Formen,<br />
wo man sich fragen kann: „warum<br />
nicht“? Aber die wichtige Frage nach<br />
dem „Warum“ wird dadurch nicht<br />
kausal beantwortet.<br />
Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />
für die Zukunft?<br />
Das „Viertel Zwei“ in der Wiener<br />
Krieau. Hier gibt es höchsten Anspruch<br />
an die Architektur, an die<br />
Freiräume, an das Zusammenspiel<br />
von Alt und Neu, von Hoch und Nieder,<br />
sprich an das Wohlbefinden der<br />
Menschen, Nachhaltigkeit wurde von<br />
Beginn an nicht nur als Schlagwort<br />
groß geschrieben.<br />
Was wird die Architektur der<br />
Zukunft nicht sein?<br />
Eigentlich eine Frage auf die man<br />
keine Antwort haben kann. Eines<br />
wird sie aber sicher nicht sein: überflüssig!<br />
Ganz im Gegenteil. Die Architektur<br />
ist hochzuhalten.<br />
Mit wenigen Linien wird die Grundidee des Wohn- und Bürogebäudes<br />
Korso bei dieser Skizze zum Ausdruck gebracht.
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52<br />
Mag. DI Markus Meyer<br />
Vegetation in der Stadt<br />
von morgen<br />
Interview mit Gartenarchitekt Mag. DI Markus Meyer<br />
Überall auf unserem Globus wird es<br />
heißer. Temperaturen von 38° bis 42°<br />
sind in mittel- und nordeuropäischen<br />
Städten heutzutage bereits die Regel.<br />
Auch Wien sei auf dem Weg zu einer<br />
regelrechten „Wüstenstadt“ – nicht<br />
zuletzt durch die fortschreitende Vernichtung<br />
von Vegetationsflächen im<br />
urbanen Raum, erklärt der in Mödling<br />
bei Wien lebende Gartenarchitekt<br />
Markus Meyer.<br />
Inwieweit wirkt sich Überhitzung auf<br />
unsere Lebensqualität aus?<br />
Abgesehen von der Hitze? Umweltmediziner<br />
haben herausgefunden,<br />
dass latenter Schlafmangel – bedingt<br />
durch die Hitze – nicht nur zu<br />
körperlichen Beeinträchtigungen,<br />
sondern auch zu psychischen Schäden<br />
führen können. Panikattacken<br />
und Depressionen sowie Unwohlsein,<br />
Verdauungsproblemen u.v.m. hängen<br />
damit zusammen.<br />
Können hier Pflanzen helfen?<br />
Pflanzen sind tatsächlich unsere<br />
botanischen Sanitäter. Im urbanen<br />
Raum machen Solitärbepflanzungen,<br />
robuste Bäume, Sinn, weil sie<br />
den Wasserhaushalt regeln, Staub<br />
einfangen und Lärm dämmen, sie<br />
kühlen auch und binden CO 2 . Zudem<br />
produzieren sie den Sauerstoff, den<br />
wir zum Überleben brauchen. Botanische<br />
Klimaanlagen also, die wesentlich<br />
wirkungsvoller arbeiten und<br />
zudem wesentlich günstiger sind.<br />
Dasselbe gilt für Pflanzinseln in urbanen<br />
Räumen.<br />
Unabhängig davon ist eine Schirmplatane<br />
(Platanus acerifolia) als Schattenspender<br />
in einem sogenannten<br />
Schanigarten wesentlich angenehmer,<br />
effektiver und vor allem günstiger<br />
als ein Sonnenschirm, der eigens<br />
produziert und nach einiger Zeit auch<br />
wieder entsorgt werden muss. Ein<br />
Baum hingegen erfreut auch noch die<br />
nächsten Generationen.<br />
Ist die Hitze nicht auch für Pflanzen<br />
ein Problem?<br />
Pflanzen sind viel älter und klüger als<br />
wir und auch erstaunlich vielseitig.<br />
Bäume und Sträucher wie die Gleditsie<br />
(Gleditsia triancanthus), Blauglockenbaum<br />
(Paulownia tomentosa)<br />
oder Judasbäume (Cercis siliquatsrum)<br />
kommen sehr gut mit den „neu-
www.architektur-online.com<br />
53<br />
Mag. DI Markus Meyer<br />
en“ klimatischen Rahmenbedingungen<br />
zurecht. Sie spenden nicht nur<br />
Schatten, kühlen und versprühen ein<br />
angenehmes Wohlgefühl, sondern<br />
fangen auch Staub und Lärm ein.<br />
Verändert sich bereits die Vegetation<br />
in den Stadtparks?<br />
Auf Wiesen oder Wiesen-ähnlichen<br />
Grünflächen sind Schafgarbe (Achillea<br />
millefolium) und Borstenhirse<br />
(Setaria verticillaria) häufig zu finden.<br />
Wie Geranium molle (Weicher<br />
Storchschnabel) werden sie respektlos<br />
als „Unkraut“ tituliert, sind aber<br />
essbare Heilpflanzen.<br />
Auf Parkflächen finden wir vereinzelt<br />
bereits Gleditsien (Gleditsia triancanthos)<br />
oder Robinien (Robinia pseudoacacia),<br />
die in Ergänzung zu bekannteren<br />
Arten wie der Rotbuche (Fagus<br />
sylvatica) oder dem Blasenbaum (Keolreuteria<br />
paniculata) u.ä., zukünftig das<br />
urbane Bild prägen werden.<br />
Und wenn es noch heißer wird?<br />
Mit dem Klima wandert natürlich<br />
auch der Standort bekannter Pflanzenarten.<br />
Vielleicht werden wir in<br />
Zukunft am Weg zum Brandenburger<br />
Tor Olivenplantagen und Orangenhaine<br />
passieren – wäre das so<br />
schlimm? Feigen entlang städtischer<br />
Hauswände, herrliche blühende<br />
Seidenbäume (Albizia julibrissin),<br />
Judasbäume (Cercis siliquatsrum)<br />
oder Gingkos (Gingko triloba) in<br />
Pflanzinseln, sie alle halten dem savannischen<br />
Einfluss stand, spenden<br />
Schatten und kühlen.<br />
Würden Sie auch Dach- und Fassadenbegrünungen<br />
empfehlen?<br />
Definitiv. Nicht begrünte Fassaden<br />
erzeugen eine Abstrahlwärme, die<br />
Unwohlsein und Schwerfälligkeit<br />
verursacht. Grüne Fassaden und<br />
Dachbegrünungen wirken dagegen<br />
wie eine botanische Klimaanlage, die<br />
noch dazu Lärm und Staub reduziert.<br />
Sie wirken im Sommer kühlend und<br />
im Winter wärmedämmend, fungieren<br />
als urbane Sauerstoffpumpe und haben<br />
schon allein durch ihren Anblick<br />
eine beruhigende Wirkung auf uns.<br />
Welche Pflanzen eignen sich für<br />
Fassade und Dach?<br />
Die Idee einer sogenannten Fassadenbegrünung<br />
ist schon weit über<br />
4000 Jahre alt. Damals wurden bereits<br />
Efeu und auch Wein als Schattenspender<br />
an Häusern, aber auch<br />
auf Schiffen gepflanzt. Auch Geißblatt,<br />
Winden und Wicken, Bohnen<br />
und wilde Erbsen wurden schon vor<br />
langer Zeit an Wänden hochgezogen.<br />
Im Grunde gilt, dass es zu jedem<br />
Zweck, für jeden Standort, für jede<br />
bauliche Konstruktion oder Maßnahme<br />
die passende Pflanze gibt.<br />
Man muss nur wirklich schauen und<br />
auch über den Tellerrand hinausblicken.<br />
Denn die Vielfalt an Lösungen,<br />
die die Pflanzen uns liefern, sind fast<br />
grenzenlos.<br />
Welche Fehler beobachten<br />
Sie bei der Umsetzung?<br />
Oft werden „Begrünungsversuche“<br />
lediglich in Hinblick auf eine werbewirksame<br />
Reputation so dilettantisch<br />
umgesetzt, dass der eigentliche Sinn<br />
verloren geht. Generell sollte man sich<br />
immer zuerst fragen, welche Maßnahme<br />
Sinn macht, welche Änderung<br />
erwünscht ist, und anschließend erst<br />
über die Pflanzenauswahl nachgedacht<br />
werden, denn wie oben erwähnt,<br />
es gibt immer die passende Pflanze.<br />
Stimmt es, dass manche Pflanzen die<br />
Fassade zerstören?<br />
Es gibt keine Pflanze, die irgendetwas<br />
zerstört. Wer vermeiden will,<br />
dass die Fassade beschädigt wird,<br />
sollte natürlich auf Selbstklimmer<br />
wie Efeu (Hedera helix) oder Kletterhortensie<br />
(Hydrangea anomala) verzichten,<br />
zumal diese Pflanzen auch<br />
giftig sind. Eine Alternative wären<br />
essbare Kletterpflanzen wie die Kiwi<br />
(Actinidia deliciosa), da die urbanen<br />
Räume ja immer heißer werden.<br />
Wieviel Pflegeaufwand brauchen Bepflanzungen<br />
an Wand und Dach?<br />
Für mich bedeutet ein erhöhter<br />
Pflegeaufwand schlichtweg eine<br />
verkehrte Auswahl an Pflanzen. Am<br />
richtigen Standort braucht die Pflanze<br />
selbst keinerlei Pflege. Wer regelmäßig<br />
zurückschneiden will, kann<br />
das aber natürlich veranlassen. Meist<br />
lässt sich das nach einer Einführung<br />
von eigenen Mitarbeitern ohne großen<br />
Aufwand bewerkstelligen. Nur<br />
ein fachgerechter Obstbaumschnitt<br />
sollte von einem Fachmann durchgeführt<br />
werden.<br />
Wann ist der beste Zeitpunkt, um mit<br />
der Planung und Umsetzung<br />
zu beginnen?<br />
Immer. Aber in der Regel macht die<br />
Planung und Vorbereitung im Winter<br />
am meisten Sinn. Man sollte sich vor<br />
allem Zeit dafür nehmen. Die Ausführung<br />
selbst hängt natürlich vom<br />
Wetter ab, im Hochsommer sollte<br />
man bekanntlich nicht pflanzen.<br />
Und wie sieht es mit den Kosten aus?<br />
Jedes Projekt ist anders und es wäre<br />
fahrlässig, fixe Kosten verbindlich<br />
zu äußern. Ich kann dazu nur sagen,<br />
dass die Kosten für botanische Maßnahmen,<br />
sei es die Bepflanzung, die<br />
Kultivierung oder letztlich die Pflege,<br />
immer günstiger sind, weil sie<br />
schlichtweg einfacher durchzuführen<br />
sind.<br />
Außerdem lassen sich durch Pflanzen<br />
viele Vorteile generieren, der<br />
ökologische Impetus, dass allgemeine<br />
Wohlgefühl und auch die positive<br />
Reputation des Hauses. Selbst bauliche<br />
Mängel können einfach kaschiert<br />
werden. Im Vergleich mit den Kosten<br />
alternativer Maßnahmen sind die<br />
Kosteneinsparungen durch die richtige<br />
Bepflanzung geradezu eklatant!<br />
Efeu oder Wilder Wein (Parthenocissus quinquefolia), wie<br />
im Wiener Boutiquehotel Stadthalle, sind Selbstklimmer, die<br />
bei Hitze kühlen und sich bei Wind und Kälte als Kälteschutz<br />
eignen. Besonders Efeu als immergrüne Kletterpflanze<br />
kommt auch mit dem lichtarmen Standort zurecht und ist<br />
in der Pflege absolut zuvorkommend. Im Frühling oder<br />
Spätsommer – solange kein Frost herrscht – lässt er sich<br />
ganz nach Wunsch zurechtschneiden.<br />
© Boutiquehotel Stadthalle/Tina Herzl
architektur PEOPLE<br />
54<br />
Andrea und Herwig Ronacher<br />
Zeitlos und<br />
energieautark<br />
Interview mit den Architekten DI Andrea und DI Dr. Herwig Ronacher<br />
Die Architektur von heute und der<br />
Zukunft sollten wir sinnvollerweise<br />
im Kontext mit anderen Aspekten<br />
beziehungsweise Qualitäten unserer<br />
Zeit betrachten. Die ökologische Bewegung<br />
ist – wie in vielen Lebensbereichen<br />
– auch im Baugeschehen der<br />
wohl konstruktivste Ansatz für eine<br />
Erneuerung, vor allem die Renaissance<br />
des konstruktiven Holzbaus.<br />
Davon sind die Architektin DI Andrea<br />
Ronacher und Architekt DI Dr. Herwig<br />
Ronacher überzeugt. Seit 1987 führen<br />
sie gemeinsam ein Büro mit 15 Mitarbeitern<br />
in Khünburg bei Hermagor in<br />
Kärnten, seit 2015 ein gemeinsames<br />
Baumanagement Büro mit DI (FH)<br />
Thomas Freunschlag. Zu den bisherigen<br />
Auszeichnungen zählen unter<br />
anderem mehrere Landespreise für<br />
vorbildliches Bauen in Niederösterreich,<br />
der Österreichische Eurosolarpreis<br />
sowie die Holzbau preise Kärnten<br />
und Steiermark.<br />
Ökologiebewusstsein allein, so die<br />
Architekten, reicht jedoch noch<br />
nicht aus, eine neue zukunftsorientierte<br />
Basis für eine Baugesinnung<br />
zu schaffen, die dem Harmoniebedürfnis<br />
der Menschen entspricht. Im<br />
Sinne gediegener Landschafts- und<br />
Städtebilder plädieren sie daher dafür,<br />
dass Kontinuität und Innovation<br />
im Baugeschehen zu einem ausgewogenen<br />
Verhältnis finden.
www.architektur-online.com<br />
55<br />
Andrea und Herwig Ronacher<br />
© Hannes Pacheiner<br />
Der Weber: Umwandlung eines historischen Bauernhauses in ein PH-Haus bzw. Energie-Plus-Haus<br />
Welche Aufgabe hat Architektur?<br />
Sie hat in erster Linie den Menschen<br />
zu dienen. Dies bedeutet Formensuche<br />
in der Einfachheit und Klarheit,<br />
ohne das Wohlbefinden der Menschen<br />
außer Acht zu lassen.<br />
Was kann in Zukunft als Maßstab<br />
für gute Architektur gelten?<br />
Für uns gibt es fünf Aspekte für gutes<br />
Baues, welche in einem ausgewogenen<br />
Verhältnis zueinanderstehen<br />
sollten. Diese sind: Funktion, Ökonomie,<br />
Ökologie, Technik und Ästhetik.<br />
Dies entspricht etwa den drei wichtigsten<br />
Grundwerten der alten Griechen:<br />
Güte, Wahrheit und Schönheit.<br />
Wo sehen Sie Österreich im<br />
internationalen Vergleich?<br />
Führend, vor allem hinsichtlich des<br />
nachhaltigen Bauens, nicht zuletzt<br />
aufgrund unserer noch weitgehend<br />
intakten Natur, die auch die wichtigste<br />
Inspirationsquelle für eine<br />
ökologische Architektur darstellt.<br />
lange Zeitspannen überdauert haben.<br />
Dies ist leider bei vielen Bauten<br />
der letzten Jahre nicht zu erwarten.<br />
Nachhaltigkeit betrifft aber auch die<br />
Wahl zeitloser Formen.<br />
Ist grüne Architektur meist<br />
nur reine Fassade?<br />
Grüne Architektur darf dann als ökologisch<br />
angesehen werden, wenn<br />
das „Grünsein“ mit vertretbarem<br />
Aufwand erreicht wird. Dazu gehören<br />
vor allem Gründächer (sowohl<br />
extensive als auch intensive) und<br />
Terrassenbegrünungen. Bei grünen<br />
Fassaden hingegen gibt es viele<br />
Systeme am Markt, welche teilweise<br />
mit einem sehr hohen Aufwand umgesetzt<br />
werden. Bodengebundene<br />
Fassadensysteme – wie etwa Spalierpflanzen<br />
– sind ökologischer.<br />
Passivhaus bzw. Plus-Energie Haus in reiner Holzbauweise<br />
Sehen Sie der Zukunft<br />
positiv entgegen?<br />
Auch wenn manche Entwicklungen<br />
unserer Zeit fragwürdig und oftmals<br />
sogar beängstigend erscheinen, versuchen<br />
wir, die neuen Strömungen<br />
in unserer Welt positiv zu sehen und<br />
hoffen, dass die Menschen zunehmend<br />
die Genialität der Schöpfung<br />
erkennen, achten und in ihrem Sinn<br />
fortführen.<br />
Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />
für die Zukunft?<br />
Als Leitprojekte für die Zukunft sehen<br />
wir vor allem energieautarke<br />
Häuser und Siedlungen, welche den<br />
natürlichen Schöpfungsprozess – im<br />
Sinne bionischer Bauten – zum Vorbild<br />
nehmen und durch ihre Ästhetik<br />
das Herz der Menschen erfreuen.<br />
Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?<br />
Der Begriff der Nachhaltigkeit ist in<br />
letzter Zeit ziemlich inflationär gebraucht<br />
worden. Für uns bedeutet<br />
Nachhaltigkeit vor allem die Verwendung<br />
von naturnahen Materialien<br />
wie Holz, Stein, Ziegel und Lehm.<br />
Was den Holzbau anbelangt, sind wir<br />
der Meinung, dass wir jene Beispiele<br />
als Vorbilder nehmen sollten, welche<br />
© Nationalparkverwaltung Hohe Tauern
architektur PEOPLE<br />
56<br />
Stefan Rier und Lukas Rungger<br />
Mehr als die<br />
einzelnen Teile<br />
Interview mit den Architekten Stefan Rier und Lukas Rungger<br />
© Alex Filz<br />
noa* – network of architecture, das<br />
sind vor allem Stefan Rier (SR) und<br />
Lukas Rungger (LR). Die beiden Architekten<br />
waren bei Matteo Thun in<br />
Mailand für Projekte in den Bereichen<br />
Tourismus, modernes Wohnen<br />
und zeitgemäße Arbeitswelten verantwortlich,<br />
bevor sie 2011 ihr eigenes<br />
Büro in Bozen gründeten. „Wir<br />
haben noa* ganz bewusst als Netzwerk<br />
konzipiert, weil dies den Geist<br />
unserer Arbeit, die Art wie wir denken,<br />
fühlen und handeln, nachhaltig<br />
reflektiert”, so Rier. Das junge und<br />
mittlerweile mehrfach ausgezeichnete<br />
Team setzt auf eine interdisziplinäre<br />
Entwurfsmethodik, die sich<br />
je nach Anforderung des jeweiligen<br />
Projekts in stetigem Wandel befindet.<br />
Das Konzept der Emergenz, wo<br />
das Ganze weit mehr ist als die Summe<br />
der einzelnen Teile, wird zur zentralen<br />
Strategie einer holistischen<br />
Herangehensweise an jeden von<br />
noa* konzipierten Entwurf. Kreative<br />
Teams werden dazu jeweils zeitlich<br />
variabel zusammengestellt, um sich<br />
mit interdisziplinären Herausforderungen<br />
und innovativen Lösungen<br />
zu befassen. noa* dient folglich als<br />
Bühne (oder auch Plattform) für<br />
Architekten, Interior Designer, Produkt-,<br />
Mode- oder Grafikdesigner bis<br />
hin zu Musikern, Schriftstellern und<br />
Historikern, mit dem kollektiven Ziel,<br />
Fachkenntnisse der unterschiedlichen<br />
Spezialisten synergetisch zu<br />
optimieren. Lukas Rungger: „Der<br />
klassische Architektenberuf wandelt<br />
sich, er wird als methodologische<br />
Konsequenz ersetzt durch interdisziplinäre<br />
Kreative aus diversen gestalterischen<br />
Sparten: Wir empfinden<br />
uns mehr und mehr als Dirigenten,<br />
die ein Orchester konzertieren.”
www.architektur-online.com<br />
57<br />
Stefan Rier und Lukas Rungger<br />
Renderings: Le Colline Incantate / © noa*<br />
Was ist für Sie gute Architektur?<br />
(LR) Ich denke, es geht vor allem um<br />
Relevanz.<br />
Können Sie dafür ein<br />
Beispiel nennen?<br />
(LR) Ein Beispiel ist für mich „Le<br />
Colline Incantate“ in Sirmione am<br />
Gardasee. Wir haben dort auf die Zusammenarbeit<br />
mit dem Familienpsychologen<br />
Paul Hofer gesetzt und so<br />
die konzeptionelle Grundidee eines<br />
„Single parenting retreat“, also eines<br />
Hotels ausschließlich für geschiedene<br />
Eltern und deren Kinder, entwickelt<br />
und diese dann auch in der<br />
Architektur umgesetzt.<br />
Inwieweit spiegelt die<br />
Architektur diese Idee?<br />
(LR) Ein radial evolvierender Entwurf<br />
bespielt etwa in den Außenbereichen<br />
exklusive Inseln für wenige Familienmitglieder,<br />
was sich dann nach Innen<br />
verdichtet und graduell sozialer und<br />
inklusiver wird, um auf der zentralen<br />
Piazza bis zu 200 Personen an einem<br />
Ort zu vereinen, und damit Antworten<br />
bietet für die offensichtlichen Probleme,<br />
die Menschen bewältigen müssen.<br />
Geht es immer um soziale Relevanz?<br />
(LR) Dieses Projekt ist nur ein Beispiel<br />
einer Quelle der Inspiration, die<br />
zu einem unheimlich relevanten, weil<br />
fundamentalen Succus führt, dass<br />
nämlich die Architektur der Zukunft<br />
sich Ihrer verantwortungsvollen Rolle<br />
im Dienste der Kultur und Gesellschaft<br />
stellt.<br />
Woran kann sich Architektur<br />
künftig orientieren?<br />
(LR) Ich denke, vor allem jene Architektur<br />
wird zukunftsweisend<br />
sein, die sich am besten am Interdisziplinären<br />
orientiert, indem sie<br />
klassische Schemen überwindet und<br />
den Austausch mit verwandten und<br />
vor allem unkonventionellen Disziplinen<br />
forciert. Als Inspiration dient<br />
auch uns bei noa* sehr oft das Interpretieren<br />
und Neuerfinden, dabei<br />
arbeiten wir z.B. mit Kinderpsychologen,<br />
Musikern, Kunsthandwerkern,<br />
Denkmalpflegern, die uns dabei helfen<br />
keine Häuser zu planen, sondern<br />
Geschichten zu bauen.<br />
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit<br />
für Sie bzw. für Ihre Kunden?<br />
(LR) Gerade in der Hotellerie gewinnt<br />
dieses Thema zunehmend an Bedeutung.<br />
Ein Projekt, bei dem das Thema<br />
Nachhaltigkeit in all seinen Facetten<br />
zelebriert wird, ist etwa das Hotel<br />
Zallinger auf 2000 m Meereshöhe.<br />
Die Speisen werden zum Großteil regional<br />
beschaffen, die Zimmer gibt’s<br />
ohne Internet und Fernseher, sogar<br />
die Erschließung erfolgt autofrei und<br />
auch die Außenbeleuchtung ist nur<br />
mobil und minimalinvasiv. Zertifiziert<br />
als Klimahotel vereint es damit eine<br />
Reihe an sehr relevanten und miteinander<br />
verwobenen Bereichen. u
architektur PEOPLE<br />
58<br />
Stefan Rier und Lukas Rungger<br />
Fotos: Zallinger / Alex Filz<br />
Ist grüne Architektur gerade im Tourismus<br />
nicht oft einfach nur Fassade?<br />
(LR) Leider beobachten wir immer<br />
öfter Beispiele, deren „grüner“ Gedanke<br />
auf eine bepflanzte Oberfläche<br />
reduziert wird und damit zum<br />
reinen Dekor degeneriert. Dies ist<br />
ganz sicher nicht noa*s Auffassung<br />
einer holistischen Emergenz, wo im<br />
Gegensatz dazu das Thema Nachhaltigkeit<br />
in die Tiefe geht und das<br />
nachhaltige Planen in einen gesamtheitlicheren<br />
Kontext tritt, der mehrere<br />
Lebensbereiche miteinbezieht<br />
und zusammen weit mehr als die<br />
Summe der Einzelteile generiert.<br />
Sehen Sie der Zukunft<br />
positiv entgegen?<br />
(SR) Ja, wir sehen der Zukunft positiv<br />
entgegen. In der Hotelindustrie gibt<br />
es noch sehr viel zu tun. Die immer<br />
genauer definierten Zielgruppen der<br />
Gäste stellen uns vor stets neue Herausforderungen.<br />
Neue Typologien in<br />
der Hotellerie entstehen bereits. Der<br />
Markt ist im ständigen Wandel.<br />
Und wie sehen Sie die<br />
Architektur der Zukunft?<br />
(SR) Architektur der Zukunft ist für<br />
mich vor allem nachhaltig – nicht nur<br />
in Bezug auf die Materialien. Die Architektur<br />
der Zukunft wird sich auch<br />
mit der Reduktion des Verkehrs auseinandersetzen<br />
müssen, so wie wir<br />
das beim Projekt Zallinger versucht<br />
haben. Architektur der Zukunft versucht<br />
den Menschen aber auch zu<br />
berühren, indem sie Geschichten erzählt,<br />
die sich mit der Tradition des<br />
Ortes und deren Menschen auseinandersetzt.<br />
Nur so kann die Lebensdauer<br />
der Architektur verlängert<br />
werden. Nur so kann man von einer<br />
nachhaltigen Architektur sprechen.<br />
Im Grunde ist es wie mit einem Objekt,<br />
das man besitzt. Wenn im Objekt<br />
eine Geschichte steckt, welche<br />
uns bindet, dann wollen wir das Objekt<br />
nicht wegwerfen. So sehe ich<br />
das auch bei Architektur.<br />
© Alex Filz
www.architektur-online.com<br />
die controlling management software<br />
der Architekten und Ingenieure<br />
59<br />
Maximilian und Julia Kneussl<br />
untermStrich® X3 – wir. wissen. warum.<br />
© Guilherme Silva da Rosa/ AllesWirdGut<br />
„Thx für eure coole software –<br />
sind fest am eingeben :) und auswerten!! Weiter so!“<br />
Zitat von Herwig Spiegl<br />
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