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People 2019_eMag

People - architektur der Zukunft - architekt - architect - architekten im gespräch - architektinnen - projekte - nachhaltigkeit - architektur der zukunft - planer - bauen - baubranche - wissensgesellschaft - autocad - edv

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FACHMAGAZIN<br />

WISSEN, BILDUNG, INFORMATION FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT<br />

Erscheinungsort Perchtoldsdorf, Verlagspostamt 2380 Perchtoldsdorf. P.b.b. 02Z033056; ISSN: 1606-4550<br />

Architektur für<br />

die Zukunft


architektur PEOPLE<br />

2<br />

Stephan Ferenczy von BEHF<br />

A place<br />

to retreat.<br />

NEU<br />

Showroom Wien Gumpendorfer Straße 15 / 9 1060 Wien<br />

se:cube<br />

Die Office Cube-Lösung<br />

für offene Bürolandschaften.<br />

sedus.com


www.architektur-online.com<br />

3<br />

Intro<br />

Architektur für<br />

die Zukunft<br />

Bei der Gestaltung der Zukunft weist die Gesellschaft<br />

eine nahezu unüberschaubare Menge an Erwartungen<br />

und Aufgaben der Verantwortung der Architektur und<br />

damit den in diesem Bereich handelnden Personen zu.<br />

Dass diese Gruppe diesen Anforderungen im richtigen<br />

Rahmen gerecht werden kann oder könnte, zeigen<br />

weltweit viele recht unterschiedliche Umsetzungen: Die<br />

Bauschaffenden können bewiesener Maßen ökologisch,<br />

nachhaltig, umwelt- und ressourcenschonend, energiesparend,<br />

für Generationen flexibel, sozial verträglich,<br />

optisch ansprechend und noch vieles mehr – und das<br />

alles auch noch zusammenhängend – planen und bauen,<br />

wenn man sie nur lässt und diese Eigenschaften auch<br />

fordert und forciert.<br />

Unsere heutige Gegenwart ist (war) die Zukunft früherer<br />

Generationen – also gestalten wir heute die spätere Gegenwart<br />

unserer Kinder und Kindeskinder. Grund genug<br />

also, sich mit dem Thema Zukunft in unserem Wirkungsbereich<br />

auseinander zu setzen und zu fragen: Was hat<br />

die Architektur eigentlich von der Zukunft und umgekehrt<br />

zu erwarten. Diese Fragen bilden das Leitthema<br />

dieser Ausgabe von architektur PEOPLE.<br />

Auf Projektberichte haben wir „PEOPLE-like“ wieder<br />

verzichtet und dafür eine Reihe von interessanten Menschen<br />

zu Wort kommen lassen. Von ArchitektenInnen<br />

unterschiedlicher Generationen und Spezialisierungen<br />

über Architektur-Professoren und prämierte Designer<br />

bis zum Landschaftsvisionär oder Immobilienspezialisten<br />

– in Statements und Interviews weisen sie uns auf<br />

den folgenden Seiten ihren Weg in die Zukunft.<br />

Lesen, reflektieren und selber gestalten!<br />

Die Zukunft ist wie immer schon Herausforderung und<br />

Chance zugleich.<br />

Walter Laser<br />

Coverbild:<br />

© Snøhetta / Filippo Bolognese<br />

Original auf S. 30<br />

MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER Laser Verlag GmbH; Hochstraße 103, A-2380 Perchtoldsdorf, Österreich<br />

CHEFREDAKTION Ing. Walter Laser (walter.laser@laserverlag.at) REDAKTION Alexandra Ullmann, mag. arch. Peter Reischer, Mag. Heidrun Schwinger<br />

GESCHÄFTSLEITUNG Silvia Laser (silvia.laser@laserverlag.at) MEDIASERVICE Nicolas Paga (nicolas.paga@laserverlag.at) Tel.: +43-1-869 5829-14<br />

GRAFISCHE GESTALTUNG Andreas Laser WEB Michaela Strutzenberger DRUCK Bauer Medien & Handels GmbH


architektur PEOPLE<br />

4<br />

Inhalt<br />

Den sozialen Wiener Wohnbau<br />

in die Zukunft führen<br />

Statement von Stadträtin Kathrin Gaál<br />

Doch einer der Großen<br />

Interview mit Architekt Heinz Neumann<br />

Antworten auf anstehende Energiefragen geben<br />

Statement von Univ. Prof. Brian Cody<br />

Das Ausgleichen von kompakten Wohnungen<br />

Interview mit Architektin DI Katharina Bayer<br />

Der Sprung der Fünfzig<br />

Interview mit Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />

Architektur ist immer Zukunft!<br />

Interview mit dem Zukunftsforscher Franz Kühmayer<br />

Architektur der Zukunft – Zukunft der Architektur<br />

Statement von Arch. DI Arkan Zeytinoglu<br />

Die wahren architektonischen<br />

Fragestellungen beantworten<br />

Interview mit Architekt Patrick Lüth<br />

Zukunft der Architektur und digitale Städte<br />

Statement von Landschaftsarchitektin<br />

Prof. DI Maria Auböck<br />

Bauen als Ausdruck der Gesellschaft<br />

Interview mit Architekt Dieter Blocher<br />

Design auch wieder aus der Welt schaffen<br />

Interview mit Designer Dr. Harald Gründl<br />

Die Nähe wiederentdecken<br />

Interview mit dem Verkehrsplaner DI Helmut Koch<br />

Architektur und Vermarktung<br />

Interview mit Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger,<br />

GF Raiffeisen Immobilien<br />

Die Architektur hochhalten<br />

Interview mit Architekt Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />

Vegetation in der Stadt von morgen<br />

Interview mit Gartenarchitekt Mag. DI Markus Meyer<br />

Zeitlos und energieautark<br />

Interview mit den Architekten<br />

DI Andrea und DI Dr. Herwig Ronacher<br />

Mehr als die einzelnen Teile<br />

Interview mit den noa* Architekten<br />

Stefan Rier und Lukas Rungger<br />

6<br />

8<br />

12<br />

16<br />

20<br />

24<br />

26<br />

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32<br />

34<br />

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42<br />

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52<br />

54<br />

56


www.architektur-online.com<br />

5<br />

Inhalt<br />

„Die Zukunft hat<br />

jedenfalls schon begonnen.<br />

Genau jetzt.“<br />

sagt unser Gründer und Weichensteller Dr. Werner Siblik<br />

Siblik SmartHome<br />

Jedes Zuhause ist anders. Jedes Büro und jeder<br />

Zweckbau auch. Denn Architektur, Ausstattung und<br />

Funktion folgen bestimmten Vorlieben und Maßgaben.<br />

Verwirklichen Sie Ihre eigene Idee von Komfort, Effizienz<br />

und Nachhaltigkeit.<br />

smarthome.siblik.com


architektur PEOPLE<br />

6<br />

Stadträtin Kathrin Gaál<br />

Den sozialen Wohnbau<br />

in die Zukunft führen<br />

Statement von Stadträtin für Wohnen, Wohnbau,<br />

Stadterneuerung und Frauen, Kathrin Gaál<br />

Seit Mai 2018 ist Kathrin Gaál amtsführende<br />

Stadträtin für Wohnbau, Stadterneuerung<br />

und Frauen in Wien. Die soziale Nachhaltigkeit<br />

von neuen Wohnbauprojekten liegt ihr dabei<br />

besonders am Herzen.<br />

Für mich stehen Architektur der Zukunft<br />

und Zukunft der Architektur ganz im Zeichen<br />

der großen, erfolgreichen und kontinuierlich<br />

fortgesetzten Tradition des sozialen<br />

Wohnbaus in Wien. Schon in der Zeit des<br />

,Roten Wien‘, der Geburtsstunde der Wiener<br />

Gemeindebauten vor 100 Jahren, war es der<br />

Anspruch, möglichst vielen Menschen ein<br />

sicheres und schönes Zuhause zu ermöglichen.<br />

Grünräume, eine gute Infrastruktur,<br />

gemeinschaftsfördernde Einrichtungen – all<br />

das wurde damals bereits mitgedacht.<br />

Wien hat das soziale und leistbare Wohnen<br />

ständig ausgebaut – mit rund 220.000 Gemeindewohnungen<br />

und fast noch einmal so<br />

vielen geförderten Wohnungen genießt unsere<br />

Stadt heute Weltruf. Gerade in Zeiten, in<br />

denen Städte vor massive Herausforderungen<br />

gestellt werden, steht Wien damit auch<br />

im Bereich des Wohnens auf einem sehr soliden,<br />

trag- und zukunftsfähigen Fundament.<br />

Wien kann auf bewährte Partnerschaften<br />

mit hervorragenden Architektinnen und Architekten<br />

und Bauträgern, die im sozialen<br />

Wiener Wohnbau tätig sind, zählen. Sie führen<br />

den sozialen Wohnbau gemeinsam mit<br />

der Stadt in eine Zukunft, in der die Architektur<br />

den baulich-gestalterischen Rahmen<br />

für ein sozial sicheres und selbstbestimmtes<br />

Leben im 21. Jahrhundert schafft.<br />

Mein Bezug zur Architektur und insbesondere<br />

zur Zukunft der Architektur ist eng<br />

mit den Kernthemen meines Ressorts verknüpft:<br />

dem leistbaren Wohnen und dem<br />

Ziel, verstärkt Wohnmodelle anzubieten, die<br />

den Bedürfnissen und Chancen von Frauen<br />

entsprechen.<br />

© David Bohmann / PID<br />

Dabei ist es mir ein Anliegen, den Nutzerinnen<br />

und Nutzern und insbesondere Frauen<br />

und Seniorinnen und Senioren in den verschiedensten<br />

Lebenslagen alltagsgerechte<br />

Lösungen zur Verfügung zu stellen. Dazu<br />

zählt auch ein gebautes Umfeld, das Bewohnerinnen<br />

und Bewohnern die Bewältigung<br />

des Alltags und die Teilnahme an sozialen<br />

Netzwerken erleichtert. Ich habe deshalb im<br />

vergangenen Jahr, gleich zu Beginn meiner<br />

Tätigkeit als Wohnbaustadträtin, ein neues<br />

Wohnungsprogramm für Alleinerziehende<br />

ins Leben gerufen. Zusammen mit der<br />

Steigerung des besonders kostengünstigen<br />

Wohnungsangebots – der SMART-Wohnungen<br />

– sowie 4.000 neuen Gemeindewohnungen<br />

hat die Stadt wichtige Schritte für<br />

eine gute und leistbare Wohnzukunft der<br />

Wienerinnen und Wiener gesetzt.<br />

Die Architektur steht aber nicht nur vor<br />

Aufgaben wie einer zunehmend vielfältigen<br />

Gesellschaft, sondern auch vor klimatischen<br />

und technischen Herausforderungen, die<br />

sie integrieren muss. Hier geht es meines<br />

Erachtens einerseits darum, umweltschonende<br />

Verfahren und Abläufe kreativ zu entwickeln<br />

und umzusetzen, aber andererseits<br />

auch auf Altbewährtes, wie z.B. den außenliegenden<br />

Sonnenschutz, zurückzugreifen.<br />

Wir wollen, insbesondere auch mit dem Einsatz<br />

unserer Wohnbauförderung erreichen,<br />

dass die Wienerinnen und Wiener, egal, in<br />

welchem Familienstand und Alter sie sich<br />

befinden, ein Zuhause haben, auf das sie<br />

sich verlassen können. Das stellt eine große<br />

Herausforderung für die Architektur<br />

dar, weil nicht nur die Wohnungsgrundrisse<br />

zählen, sondern das ganze Viertel oder<br />

Grätzel in der Lage sein muss, ein solches<br />

Zuhause-Gefühl zu vermitteln.<br />

Die Fachleute haben uns gezeigt, dass der<br />

Einsatz moderner Technologien und die<br />

Nutzung der Vorteile der Digitalisierung<br />

Möglichkeiten darstellen, mit denen wir<br />

auch in Zukunft den geförderten Wohnbau<br />

auf qualitativ hohem Niveau weiterentwickeln<br />

können. Wir wissen, dass die Umsetzung<br />

des neuen sozialen Wohnens und<br />

die bauplatzübergreifende Organisation<br />

von sozialen Angeboten in Quartieren gute<br />

technische Hilfsmittel benötigen, die seitens<br />

der digitalen Welt angeboten werden.<br />

Mit der „IBA_Wien Neues Soziales Wohnen“<br />

setzen wir als Stadt und insbesondere als<br />

Ressort für Frauen und Wohnen auch in diese<br />

Richtung ein starkes Zeichen.<br />

Wohnbaupolitik ist für mich eine große<br />

Leidenschaft. Denn ich bin zutiefst davon<br />

überzeugt, dass leistbares und lebenswertes<br />

Wohnen ein Grundrecht ist. Gemeinsam<br />

mit unseren Architektinnen und Architekten<br />

die einzigartige Erfolgsgeschichte des<br />

sozialen Wiener Wohnbaus in die Zukunft<br />

zu führen, ist für mich eine ehrenvolle und<br />

wunderschöne Aufgabe.


www.architektur-online.com<br />

7<br />

ICH KANN<br />

MICH NICHT<br />

UM ALLES<br />

KÜMMERN.<br />

DI Anna Detzlhofer und DI Sabine Dessovic<br />

ABER<br />

WIR!<br />

Wir sorgen dafür, dass Ihre großen Visionen nicht an kleinen<br />

Details scheitern. Dafür garantieren unsere Komplettlösungen<br />

von der Planung über das Projektmanagement bis hin zur<br />

Bauausführung. In uns haben Sie 1 Ansprechpartner bis zur<br />

schlüsselfertigen Übergabe.<br />

Filiale Generalunternehmerbau<br />

T: +43 732 69 71-7521<br />

E: gubau.fil.sek@swietelsky.at<br />

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architektur FACHMAGAZIN<br />

8<br />

Heinz Neumann<br />

Doch einer<br />

der Großen<br />

Interview mit Architekt Heinz Neumann<br />

© HNP<br />

Einer der bekanntesten österreichischen (Wiener) Architekten ist Heinz Neumann. Er kokettiert zwar gerne damit, kein sogenannter<br />

Stararchitekt zu sein, macht das aber so offensichtlich, dass man um ihn nicht herumkommt. Er hat mittlerweile zwei<br />

Partner (Arch. DI Florian Rode und Arch. DI Oliver Oszwald) und das Architekturbüro firmiert unter HNP architects. Auf der<br />

Homepage ganz oben steht der Slogan: „Wenn Sie über Architektur sprechen wollen ... rufen Sie uns an.“ Sinngemäß auch<br />

auf englisch: „If you want to talk about architecture ... contact us.“ Peter Reischer folgte dieser Aufforderung und führte mit<br />

Architekt Heinz Neumann in einem wunderschön revitalisierten Backsteinbau in Wien Döbling folgendes Gespräch.<br />

Herr Architekt Neumann, hat die<br />

Architektur eine Zukunft?<br />

Eine stehende Redewendung von mir<br />

ist: „Architektur ist ein Spiegelbild<br />

der Gesellschaft.“ Das ist die Realität<br />

und jeder, der daran vorbeibaut,<br />

kann zwar sehr berühmt werden, ist<br />

aber ein dürrer Ast.<br />

Dann will ich meine Frage präzisieren:<br />

Was haben wir jetzt für eine Gesellschaft<br />

und was haben wir für eine<br />

Architektur?<br />

Wenn ich jetzt sehr kritisch bin, dann<br />

sage ich: Wir haben eine Gesellschaft<br />

ohne Werte. Wir haben weder ein<br />

sinnvolles Geld – das wird ständig<br />

abgewertet, noch haben wir Moralbegriffe<br />

wie Treue, Tapferkeit, Mut<br />

usw., die existieren in der heutigen<br />

Zeit nahezu nicht mehr. Wenn Sie<br />

die Aufsätze von Solschenizyn lesen<br />

– er hat in einem kommunistischen<br />

Land gelebt und die westliche Welt<br />

beurteilt – da kommt das klar zum<br />

Ausdruck. Sieger ist der, der sich die<br />

besten Rechtsanwälte leisten kann<br />

und das ist ein trauriges Zeichen.<br />

Welche Architektur ergibt sich aus<br />

dieser Festsetzung? Eine Gesellschaft<br />

ohne Werte, bedingt das auch<br />

eine wertelose Architektur?<br />

Wir haben eine sehr gleichförmige<br />

Architektur, die sich leider internationalisiert<br />

hat, aber das Wunderbare<br />

an den alten Bauwerken ist ja das<br />

Lokalkolorit. Wenn ich mir die Bauten<br />

in der islamischen Welt anschaue,<br />

sprechen die eine andere Sprache<br />

als die Bauwerke, die bei uns stehen.<br />

Französische, deutsche, italienische,<br />

englische Architektur war immer ablesbar,<br />

das ist heute alles zu einem<br />

Einheitsbrei geworden.<br />

Der Architekt Richard Meyer (der sicher<br />

ein großartiger Architekt ist) ist<br />

international ablesbar, er baut seine<br />

weiß gekastelten Häuser in Frankfurt,<br />

in Hongkong, in Amerika und<br />

überall gleich. Es kann doch nicht


www.architektur-online.com<br />

9<br />

Heinz Neumann<br />

sein, dass jeder Bauplatz die gleiche<br />

architektonische Antwort verdient.<br />

Meyer würde das wahrscheinlich mit<br />

seiner individuellen architektonischen<br />

Sprache begründen?<br />

Ja, das ist eine Antwort, aber ob das<br />

eine sinnvolle Vorgangsweise ist, das<br />

stelle ich infrage. Ich kann nicht im<br />

Hochgebirge eine Flachdachkiste<br />

aus weißem Blech hinstellen und sagen:<br />

Das ist Architektur!<br />

Sie sagen, die Architektur ist nicht<br />

mehr ablesbar. Wenn sie nach China<br />

schauen, dann weiß man bei den<br />

Bauten der sogenannten Stararchitekten<br />

nicht mehr, ob es sich um ein<br />

Museum, einen Bahnhof, ein Kunstoder<br />

Sport- oder Shoppingzentrum<br />

oder um einen Flugplatz handelt.<br />

Jetzt frage ich Sie, ob dieser Architekturexport,<br />

den der Westen in<br />

die Ostländer und die sogenannten<br />

Entwicklungsländer betreibt, nicht<br />

ein Fortschreiben eines Kolonialisierungsgehabes<br />

ist?<br />

Im Zuge der Globalisierung wird<br />

man das schwer kritisieren können.<br />

Wir sind uns ja in allen unseren gesellschaftlichen<br />

Ausprägungen sehr<br />

ähnlich geworden. Ob das jetzt die<br />

Kleidung oder unser Gehabe oder<br />

die Architektur ist.<br />

Ich will da eine kleine Anekdote erzählen.<br />

Es gab einmal einen skandalösen<br />

Wettbewerb: Der Prado hatte<br />

eine Umgestaltung des Museums<br />

ausgeschrieben und da haben sich<br />

900 internationale Architekten beworben.<br />

Ich bin natürlich auch ins<br />

Flugzeug gestiegen und hingeflogen,<br />

beim Besuch des Prados traute<br />

ich meinen Augen nicht. Rund herum<br />

hat es von lauter schwarz gekleideten<br />

Männlein und Weiblein mit Umhängetasche<br />

und Fotoapparat gewimmelt<br />

– eben lauter Architekten.<br />

Die Menschen fahren nicht nach<br />

Bilbao um Bilbao zu sehen, sondern<br />

weil dort Frank Gehry das Guggenheimmuseum<br />

gebaut hat. Trägt also<br />

die Architektur zu einem Verlust der<br />

Orte bei?<br />

In diesem Fall stimmt das, weil die<br />

Stadt durch diese Architektur zerstört<br />

worden ist. Das Museum steht<br />

wie ein Flugzeugträger in einem kleinen<br />

Küstenhafen da.<br />

Sehen Sie bei so einer internationalen<br />

Stararchitektur noch einen Konnex<br />

zum Menschen?<br />

Nein, der ist nicht vorhanden.<br />

Wie stehen Sie dem Starkult um die<br />

Architekten gegenüber?<br />

Ich will da nicht das eigene Nest<br />

beschmutzen, es ist ja schön als<br />

Architekt hervorzutreten und etwas<br />

Sinnhaftes, Ästhetisches, etwas<br />

Finanzierbares – wo der Bauherr<br />

nicht in den Konkurs geht – zu entwickeln.<br />

Bei Zaha Hadid, die eine Bibliothek<br />

gebaut hat, bei der man im<br />

Seitenschritt über die Stiege gehen<br />

muss, weil sie so schräg ist – da werde<br />

ich sehr nachdenklich.<br />

Können wir nochmals zum Ausgangspunkt,<br />

zur Zukunft der Architektur<br />

zurückkehren?<br />

Die Zukunft können wir nicht voraussagen,<br />

nicht die Architekten machen<br />

die Architektur – der Architekt erfindet<br />

ja kein Großraumbüro. Das ist<br />

ein Gedanke, der aus dem Wunsch,<br />

möglichst wenig Bürofläche den Mitarbeitern<br />

zur Verfügung zu stellen,<br />

entstanden ist.<br />

Das ist der Maximierungszwang, unter<br />

dem unsere Gesellschaft leidet.<br />

Das ist es! Nicht der Architekt entwickelt<br />

neue Fassadensysteme, die Industrie<br />

und die Wirtschaft sind das.<br />

Wir benutzen diese Produkte nur, die<br />

Ressourcen werden immer geringer,<br />

wir verbrauchen so viel Sand für Betonerzeugung,<br />

dass weltweit bereits<br />

eine Sandknappheit entstanden ist –<br />

da liegen die Fragen der Zukunft. Die<br />

Architektur ist wie eine Pflanze, sie<br />

wächst mit einer Selbstverständlichkeit<br />

mit der Industrie und der Wirtschaft,<br />

Auswüchse verdorren eben.<br />

Eine Maxime von mir ist eine „Architektur<br />

der Selbstverständlichkeit“.<br />

Was definieren Sie als Kriterien für<br />

diese „Selbstverständlichkeit“?<br />

Keine unnötigen bautechnischen<br />

Kunststücke, keine mutwillige Farbgebung,<br />

keine sinnlosen Details ...<br />

kein Krampf. Die Finanzierbarkeit,<br />

die Bauzeit und die Akzeptanz durch<br />

die Menschen. Diese „Wundergebäude“<br />

(der Stars) werden oft von den<br />

Menschen gar nicht akzeptiert.<br />

Der Office Park<br />

4 am Flughafen<br />

Wien ist in puncto<br />

Nachhaltigkeit<br />

ein Vorzeigeprojekt<br />

von HNP<br />

architects.


architektur PEOPLE<br />

10<br />

Heinz Neumann<br />

Beim gesamten<br />

Bauvorhaben<br />

ist die TU Wien<br />

von Anfang an<br />

eingebunden um<br />

einen schonenden<br />

Umgang mit<br />

Ressourcen zu<br />

sichern.<br />

Würden Sie als Kriterien auch die<br />

Nachhaltigkeit nennen?<br />

Ein wunderbares Beispiel ist die Nachhaltigkeit,<br />

das hat man vor 20 Jahren<br />

nicht berücksichtigt. Damals hat man<br />

über die Wiederverwendbarkeit eines<br />

Bauwerkes oder der Materialien nicht<br />

nachgedacht. Heute muss ich nachdenken,<br />

ob es in 10 Jahren noch Sand<br />

zum Betonieren geben wird – das sind<br />

die Dinge, die Architektur heute und<br />

morgen ausmachen.<br />

Gibt es aus Ihrem Portfolio ein Beispiel,<br />

bei dem Sie eine größtmögliche,<br />

erreichbare Nachhaltigkeit konstatieren<br />

würden?<br />

Ja, das ist im Moment im Bau und es<br />

ist der Office Park 4 am Flughafen<br />

Wien. Für den Betrieb lässt sich jetzt<br />

schon eine Reduktion des CO 2 -Ausstoßes<br />

auf 70 Prozent prognostizieren.<br />

Bei dem ganzen Bauvorhaben ist<br />

die TU Wien eingebunden, um vorbildhaft<br />

einen schonenden Umgang<br />

mit der Energie und den Ressourcen<br />

sicherzustellen. Das wird ein Vorzeigeprojekt!<br />

Wie sieht es mit der sozialen Komponente<br />

der Selbstverständlichkeit der<br />

Architektur aus?<br />

Wenn die Architektur selbstverständlich<br />

ist, ist sie menschlich<br />

und hat Maßstäbe, die der Mensch<br />

akzeptiert. Ein Bau, wie das T Center<br />

in St. Marx (von meinem Freund<br />

Domenig) ist maßstabslos, diese gigantischen<br />

Hallen kann ich bei einer<br />

Kirche, aber nicht bei einem Bürogebäude<br />

machen.<br />

Das ist aber auch das, was Sie zuerst<br />

gesagt haben, ein Spiegelbild<br />

unserer Gesellschaft: Maßlosigkeit.<br />

Ist das nicht eine sehr bedauerliche<br />

Entwicklung?<br />

Ja, das ist es!<br />

Wie können wir angesichts der Tatsache,<br />

dass der sogenannte Welterschöpfungstag<br />

(Earth Overshoot<br />

Day) heuer schon am 29. Juli war,<br />

wir also noch ein halbes Jahr vor uns<br />

aber keine erneuerbaren Ressourcen<br />

mehr zur Verfügung haben – überhaupt<br />

noch Architektur machen,<br />

noch Bauen?<br />

Ich glaube, dass wir den Menschen<br />

in seinem Gehaben kaum verändern<br />

können. Der Mensch ist ein Irrläufer<br />

der Evolution. Er hat mit jeder Maßnahme,<br />

die er gesetzt hat, eigentlich<br />

mehr zerstört, als er repariert hat.<br />

Deshalb wird unser Aufenthalt auf<br />

dieser Kugel ziemlich endlich sein. Wir<br />

gehen sehenden Auges diesen Weg.<br />

Die Politiker sollten hier regulierend<br />

eingreifen und nicht im Brustton der<br />

Überzeugung die abermalige Steigerung<br />

des Bruttosozialproduktes<br />

verkünden. Wir als Wähler sind auch<br />

schuld, weil wir voll narkotisierte Bewusstseinsbankrotteure<br />

wählen, die<br />

dann nichts anderes im Kopf haben,<br />

als die permanente, sich perpetuierende<br />

Machtausübung. Statt zu tun,<br />

was dem Volk zugute käme.<br />

Was meinen Sie im Hinblick auf die<br />

Bildungspolitik, die ja diese Entwicklung<br />

mitverursacht. Sollte die Architektur<br />

nicht als Fach in den Schulprogrammen<br />

verankert werden?<br />

Ja, unbedingt!<br />

Wo würden Sie sich als Architekt,<br />

stilmäßig einordnen?<br />

Darüber habe ich nicht nachgedacht.


www.architektur-online.com<br />

11<br />

Heinz Neumann<br />

LINDNER AUSTRIA<br />

INNENAUSBAU LIEGT IM DETAIL<br />

Telegraf 7, Wien<br />

© JP Immobilien<br />

Die Lindner GmbH beweist Qualität im Detail, z. B. als Komplettanbieter für den Innenausbau und bei individuellen<br />

Projektlösungen für Aufträge in ganz Österreich. Das Raum-in-Raum System Lindner Cube ist ein autarkes, in sich<br />

abgeschlossenes Raumsystem, das im Open-Office die nötigen Rückzugsorte bietet. Für ein rundum besseres Gefühl<br />

in jedem Raum.<br />

austria@Lindner-Group.com<br />

www.Lindner-Group.com


architektur PEOPLE<br />

12<br />

Univ. Prof. Brian Cody<br />

Antworten auf anstehende<br />

Energiefragen geben<br />

Statement von Univ. Prof. Brian Cody<br />

Ab 2020 muss laut EU-Richtlinie jeder Neubau in<br />

Europa als „Nearly-Zero-Energy-Building“ gebaut<br />

werden. Das ist ein Anfang. Die beschlossenen Ziele<br />

hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung sind<br />

damit alleine natürlich nicht zu erreichen. Vielmehr<br />

bedarf es einer radikalen Umstrukturierung unserer<br />

physischen Infrastruktur; wir müssen die Stadt als<br />

System neu denken. Mit einer bloßen Optimierung<br />

der bestehenden Strukturen werden wir die notwendige<br />

Halbierung unseres derzeitigen Energiebedarfs<br />

in Europa nicht erreichen.<br />

Gebäude stellen jedenfalls bei Weitem den größten<br />

Energieverbraucher der technischen Infrastruktur<br />

unserer Gesellschaft dar und bilden somit einen großen<br />

Teil des Problems ab. Architektur kann damit ein<br />

Großteil der Lösung sein. Alte Architekturkonzepte<br />

mit Wärmedämmung und Fotovoltaik-Paneelen zu<br />

bekleiden, löst das Problem jedoch nicht. Die Architektur<br />

muss architektonische Antworten auf die anstehenden<br />

Energiefragen liefern.<br />

Gebäudeplaner haben sich bisher vorwiegend damit<br />

beschäftigt, die Schutzfunktionen der von ihnen<br />

entworfenen Gebäude zu optimieren. Alleine<br />

die Begriffe, welche im Bauwesen heute verwendet<br />

werden, zeigen die Denkweise des verfolgten Ansatzes:<br />

Wärmedämmung, Sonnenschutz, Windschutz,<br />

Dampfbremsen etc. Es ist an der Zeit, einen Paradigmenwechsel<br />

im Denken und Handeln zu vollziehen –<br />

statt immer effektivere Schutzmaßnahmen gegen die<br />

natürlichen Kräfte, warum diese Kräfte nicht nutzen?<br />

Statt darauf zu fokussieren, wie der negative Impakt<br />

des entworfenen Gebäudes auf die Umgebung minimiert<br />

werden kann, sollten wir versuchen, seinen<br />

positiven Impakt zu maximieren – Gebäude, welche<br />

nicht nur nehmen, sondern auch geben!<br />

Das Energiekonzept für das neue „Science and Technology<br />

Museum“ in Xingtai, China, das wir in Zusammenarbeit<br />

mit dem Architekturbüro Coop Himmelb(l)au<br />

entwickelt haben, zeigt den Ansatz von<br />

„Buildings which give“. Der Entwurf hat den internationalen<br />

Wettbewerb für den neuen Museumsbau<br />

im vergangenen Sommer gewonnen und beinhaltet<br />

eine Vielfalt von passiven und aktiven energetischen<br />

Strategien, welche den thermischen Komfort und<br />

die Luftqualität für Besucher und Angestellte bei<br />

gleichzeitig minimiertem Energiebedarf optimieren.<br />

Das Konzept geht jedoch weit darüber hinaus und ist<br />

weitaus ambitionierter als die bisher bekannte energieeffiziente<br />

Gebäudeplanung.<br />

Xingtai, mit einer Bevölkerung von über 7 Millionen<br />

Menschen, gilt als die am stärksten luftverschmutzte<br />

Stadt in einem Land, das infolge des Industrieausmaßes<br />

und der in den letzten Dekaden rasanten<br />

wirtschaftlichen Entwicklung mit starken Luftverschmutzungsproblemen<br />

in den meisten seiner vielen<br />

Städte und Metropolen kämpft. Das Ziel bei unserem<br />

Konzept war, über die Systemgrenzen des Gebäudes<br />

hinaus zu gehen und das urbane Mikroklima und die<br />

Luftqualität in der unmittelbaren Umgebung des Gebäudes<br />

zu verbessern. Das Gebäude leistet dabei einen<br />

wichtigen Beitrag zur Qualitätsverbesserung der<br />

Luft in seiner Umgebung. Ein Gebäude, das gibt und<br />

nicht nur nimmt. Das entwickelte Konzept zeigt, wie<br />

individuelle Gebäude einen Beitrag zur Optimierung<br />

des Gesamtsystems Stadt leisten können.<br />

Der Gebäudeentwurf sieht eine vertikale Schichtung<br />

der Nutzungen vor, bei der esich in begrünter großzügiger<br />

öffentlicher Außenraum im Zentrum des Gebäudevolumens<br />

befindet. In einem nahegelegenen<br />

Park haben wir zwei hohe Türme geplant, welche die<br />

vorherrschenden Winde einfangen und mithilfe von<br />

Niedrigdruck-Axialventilatoren die Luft anschließend<br />

in einem unterirdischen System von Erdkanälen<br />

durchleiten, wobei sie mittels Luftwäscher und einem<br />

Niedrigdruck-Luftfiltersystem von der atmosphärischen<br />

Luftverschmutzung gereinigt wird. u


www.architektur-online.com<br />

13<br />

Univ. Prof. Brian Cody<br />

Als Universitätsprofessor am Institut für Gebäude<br />

und Energie an der TU Graz setzt Brian Cody seinen<br />

Schwerpunkt auf die Maximierung der Energieperformance<br />

von Gebäuden und Städten. Auch einer breiteren<br />

Öffentlichkeit möchte er die Thematik mit seinem<br />

Buch „form follows energy“ näher bringen.<br />

© Hatice Cody


architektur PEOPLE<br />

14<br />

Univ. Prof. Brian Cody<br />

Nachdem die Luft gereinigt und durch das Erdreich<br />

temperiert wird, tritt sie durch „Luftbrunnen“ im<br />

zentral gelegenen öffentlichen Außenraum ein, wo<br />

sie zur Schaffung eines angenehmen Mikroklimas<br />

und verbesserten Luftqualität beiträgt. Von hier aus<br />

strömt die Luft hinaus in die Gebäudeumgebung.<br />

Die Energie, die benötigt wird, um dieses Luftreinigungssystem<br />

zu betreiben, liefern großflächige<br />

solare Module, welche im Gebäudedach und in den<br />

Turmoberflächen integriert sind. Mittels integrierter<br />

Mediasysteme in den Fassaden der Türme wird die<br />

Öffentlichkeit über den aktuellen Status der Luftreinigungsprozesse<br />

informiert. Die Systeme bilden einen<br />

integralen Teil des Ausstellungskonzeptes für<br />

das neue Science and Technology Museum.<br />

Die Zukunft der Architektur wird im Wesentlichen<br />

dadurch bestimmt, in wieweit architektonische Antworten<br />

zu den anstehenden Herausforderungen<br />

einer nachhaltigen Entwicklung – und damit neue<br />

hierfür geeignete architektonische Formen – gefunden<br />

werden können. Architektur „verbraucht“ nicht<br />

Energie, Architektur ist Energie. Jede gezeichnete<br />

Linie auf Papier, welche eine architektonische Intention<br />

darstellt, impliziert auch Jahrzehnte und mitunter<br />

gar Jahrhunderte von damit einhergehenden<br />

Energie- und Stoffströmen. Vor dem Hintergrund des<br />

Klimawandels, der rasant zu Neige gehenden fossilen<br />

Energieressourcen, des exponentiellen Bevölkerungswachstums<br />

und der aus der Ungewissheit der<br />

zukünftigen Energieversorgung resultierenden geopolitischen<br />

Instabilität, zusammengenommen mit der<br />

Tatsache, dass Gebäude für etwa 40% des weltweiten<br />

Energieverbrauches verantwortlich sind, ist es<br />

naheliegend, dass es keine gute Architektur ohne ein<br />

gutes Energiekonzept mehr geben kann.<br />

Dabei muss ein Paradigmenwechsel im Denken noch<br />

vollzogen werden. Im Namen der Nachhaltigkeit wurde<br />

während der letzten 20 Jahre immer mehr bei der<br />

Planung von Gebäuden der Versuch unternommen,<br />

den negativen Impact des geplanten Gebäudes auf<br />

seine Umgebung zu minimieren. Das ist jedoch noch<br />

zu wenig. Vielmehr muss es darum gehen, den positiven<br />

Impact des Gebäudes auf sein Umfeld zu maximieren.<br />

Aus meiner Sicht suggeriert auch der Begriff<br />

Nachhaltigkeit eine viel zu konservative Haltung. Es<br />

kann nicht lediglich darum gehen, alles so zu erhalten<br />

wie es ist, sondern vielmehr darum, wie wir mit<br />

unseren Handlungen die Situation jetzt und für die<br />

Zukunft viel besser machen können.


www.architektur-online.com<br />

15<br />

Architektin Marion Gruber von PLOV<br />

Simplex 3D. Drehstuhl mit dreidimensionaler Beweglichkeit – multifunktional und universell einsetzbar. Design: Greutmann Bolzern<br />

www.girsberger.com/simplex


architektur PEOPLE<br />

16<br />

DI Katharina Bayer<br />

Das Ausgleichen von<br />

kompakten Wohnungen<br />

Interview mit Architektin DI Katharina Bayer<br />

Das Wiener Architekturbüro einszueins<br />

architektur lässt Einfamilienhäuser<br />

hinter sich und beschäftigt sich lieber<br />

mit Baugruppen, Partizipation und<br />

kooperativer Stadtplanung. Über diese<br />

(noch) besondere Spezialisierung sprachen<br />

wir mit Katharina Bayer.<br />

© He Shao Hui


www.architektur-online.com<br />

17<br />

DI Katharina Bayer<br />

Frau Architektin, sehen Sie die Zukunft<br />

der Architektur positiv oder<br />

negativ?<br />

Positiv. Als Architektin braucht man<br />

eine positive Einstellung, um den Herausforderungen<br />

begegnen zu können.<br />

Was soll die Architektur der Zukunft<br />

ermöglichen?<br />

Die Architektur soll sich auf die gesellschaftlichen<br />

Herausforderungen<br />

konzentrieren. Der Klimawandel und<br />

der demografische Wandel sind Themen,<br />

mit denen sich Architektur auseinandersetzen<br />

muss. Sie soll Lösungen<br />

für komplexe Probleme bieten.<br />

In welche Richtung soll sich die Architektur<br />

im Hinblick auf den Wohnbau<br />

entwickeln?<br />

Durch die Spezialisierung unseres<br />

Büros auf Baugruppenprojekte verfolgen<br />

wir einen besonderen Ansatz.<br />

Auch wir haben mit der Planung von<br />

Einfamilienhäusern und anonymen<br />

großvolumigen Wohnbauten begonnen.<br />

Bei beiden sehen wir Defizite:<br />

der hohe Flächenverbrauch beim<br />

Einfamilienhaus und die Anonymität<br />

und fehlende Selbstermächtigung<br />

beim großvolumigen Wohnbau. Die<br />

Individualisierung und die Ökologie<br />

sowie soziale Vielfältigkeit haben wir<br />

als das Positive aus beidem genommen.<br />

Durch unseren Schwerpunkt<br />

integrieren wir die NutzerInnen frühzeitig<br />

in den Planungsprozess von<br />

mehrgeschossigen Wohnbauten. Dadurch<br />

können sie mitgestalten und<br />

ihre individuellen Wohnbedürfnisse<br />

miteinbringen. Es entstehen vielfältige<br />

und nachhaltige Wohnformen<br />

für den Wohnbau. Das gilt als wesentliche<br />

Grundlage für zukünftigen<br />

Wohnbau, der keine Fließbandlösungen<br />

zur Verfügung stellen kann und<br />

auf Bedürfnisse und Situationen eingehen<br />

muss.<br />

Baugruppenprojekt am Nordbahnhof in der Krakauerstraße in Wien<br />

als Teil des Gesamtbauvorhabens „Wohnen mit Alles“<br />

Welche Wohnmodelle wird es in Zukunft<br />

geben?<br />

Die Wohnformen werden sich immer<br />

stärker ausdifferenzieren. Man<br />

muss auf die stärkere Individualisierung<br />

eingehen, aber auch auf den<br />

Bedarf nach neueren Wohnformen<br />

beispielsweise in Bezug auf Pflege.<br />

Das kann wohl nicht mehr in großen<br />

Modellen oder Systemlösungen<br />

abgedeckt werden, sondern durch<br />

kleinteiligere maßgeschneiderte Lösungen.<br />

Insofern sind gemeinschaftliche<br />

Wohnformen wichtig, bei denen<br />

Partizipation der NutzerInnen möglich<br />

ist. Flexibilität und Anpassbarkeit<br />

sind wichtige Schlagworte für<br />

den zukünftigen Wohnbau.<br />

Wie kann das Thema Gemeinschaftlichkeit<br />

stärker in der Architektur<br />

umgesetzt werden?<br />

Bei unseren bewusst gemeinschaftlich<br />

angelegten Baugruppenprojekten<br />

gibt es schon viele Möglichkeiten,<br />

Gemeinschaft, Solidarität und Sharing<br />

zu leben. Auch bei geförderten<br />

Wohnbauten wird die soziale Nachhaltigkeit<br />

dadurch schon vielfach<br />

umgesetzt. Bei ganz vielen Wohnformen<br />

im frei finanzierten Wohnbau<br />

gibt es aber noch immer zu wenige<br />

Möglichkeiten dafür. Da werden die<br />

Wohnungen aufgrund der Leistbarkeit<br />

immer kompakter. Es geht weniger<br />

darum, im geförderten Wohnbau<br />

noch mehr gemeinschaftliche Angebote<br />

zu schaffen, sondern das mehr<br />

in die Breite zu bringen und auch den<br />

frei finanzierten Bereich dabei zu integrieren.<br />

Die Stadt Wien ist dabei<br />

in vielen Bereichen schon auf einem<br />

sehr guten Weg, aber es braucht natürlich<br />

Anstrengung, damit das so<br />

bleibt und nicht die Investoreninteressen<br />

im Vordergrund stehen.<br />

Kann man also sagen, dass die Wohnungen<br />

immer kleiner werden zugunsten<br />

der Gemeinschaftsbereiche?<br />

Im Idealfall stimmt das. Wir glauben,<br />

dass der Trend der kompakten Wohnungen<br />

an sich kein schlechter ist. Im<br />

Sinne der Nachhaltigkeit ist es auch<br />

wichtig, wie wir mit Raumressourcen<br />

umgehen und vor allem, wie wir diese<br />

verteilen. Der Hauptgrund, wieso<br />

Wohnungen immer kleiner werden,<br />

ist aber, dass Wohnraum sehr teuer<br />

geworden ist. Diese Reduktion ist oft<br />

unfreiwillig und passiert hauptsächlich<br />

bei sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen.<br />

Man muss diesen<br />

Trend also differenziert betrachten.<br />

Manchmal ist er durchaus positiv zu<br />

sehen, wenn die Kompaktheit durch<br />

Gemeinschaftsflächen kompensiert<br />

wird. Problematisch ist er zu sehen,<br />

wenn er Ausdruck von fehlender<br />

Leistbarkeit und fehlenden Möglichkeiten<br />

ist. Wir unterstützen diesen<br />

Weg, dass Räume aus dem individuellen<br />

Bereich geholt und in den gemeinschaftlichen<br />

verlagert werden,<br />

wenn das Sinn macht. Dazu zählen<br />

zum Beispiel Gästezimmer oder Kinderspielräume.<br />

Ist der Begriff „Smartwohnung“ zu<br />

einem reinen Marketingvokabel geworden?<br />

Die Idee der Smartwohnung ist,<br />

dass man alltagstaugliche kompakte<br />

Grundrisse schafft z.B. ohne sinnlose<br />

Gangflächen, um das Wohnen<br />

günstiger zu machen. Grundsätzlich<br />

ist das unterstützenswert und Marketing<br />

gehört natürlich auch dazu.<br />

Man muss darauf schauen, was als<br />

Ausgleich dafür in den Allgemeinbereichen<br />

geschaffen wird. Durch<br />

die kleineren Wohnungen muss man<br />

öfters hinaus und dazu soll es auch<br />

Möglichkeiten geben. Dass parallel<br />

zu den kompakteren Wohnungen<br />

keine Ausgleichsflächen oder gemeinschaftliche<br />

Angebote entstehen,<br />

darf so nicht sein.<br />

u<br />

© Hertha Hurnaus


architektur PEOPLE<br />

18<br />

DI Katharina Bayer<br />

Flexibilität und<br />

Mehrwert für alle<br />

beim Baugruppenprojekt<br />

am Wiener<br />

Nordbahnhof in der<br />

Krakauerstraße von<br />

einzueins architektur.<br />

Wie ist das Feedback der Bewohner<br />

zu den Gemeinschaftsräumen bei Ihren<br />

Projekten?<br />

Bei unseren Projekten werden die<br />

Gemeinschaftsflächen so genutzt,<br />

wie sie geplant wurden, denn die<br />

künftigen Bewohner entscheiden<br />

mit, welche Räume sie nutzen wollen<br />

und wie diese ausgestattet werden<br />

sollen. Das hängt auch damit zusammen,<br />

dass sich die Hausgemeinschaft<br />

schon vorher organisiert und<br />

Regeln für diese Flächen festlegt.<br />

Problematisch ist das bei Projekten,<br />

wo es keine Partizipation in der<br />

Gestaltung und keinen Prozess des<br />

Kennenlernens gibt. Eine soziale Begleitung<br />

für die Besiedlungsphase ist<br />

hier vor allem im geförderten Wohnbau<br />

notwendig. Wenn so etwas komplett<br />

fehlt, ist eine gute und intensive<br />

Nutzung der Gemeinschaftsräume<br />

unwahrscheinlich. Man darf die Bewohner<br />

mit dieser Aufgabe nicht alleine<br />

lassen.<br />

Wie viel Mehraufwand stellt die aktive<br />

Miteinbeziehung der Bewohner in<br />

die Planung dar?<br />

Bei umfassender Partizipation muss<br />

man mit einem Drittel Mehraufwand<br />

in der Planung rechnen. Das ist aber<br />

ein Mehraufwand, der von beiden<br />

Seiten geschätzt wird und in der Regel<br />

auch von den Bewohnern finanziert<br />

wird.<br />

Planen Sie auch Einfamilienhäuser?<br />

Aus ideologischen Gründen unterstützen<br />

wir die Alternativen zum Einfamilienhaus.<br />

Einfamilienhäuser sind<br />

für uns nicht nachhaltig, weder auf<br />

gesellschaftlicher Ebene noch auf individueller<br />

Ebene. Wenn es eine Veränderung<br />

geben soll, muss ein Umdenken<br />

auf verschiedenen Ebenen<br />

passieren und Alternativen müssen<br />

angeboten werden. Unser Ziel ist, an<br />

diesen Alternativen zu arbeiten.<br />

Wird es in Zukunft noch<br />

Einfamilienhäuser geben?<br />

Es wird auch in Zukunft Einfamilienhäuser<br />

geben. Unser Büro hat da<br />

einen ersten Schritt gemacht, Alternativen<br />

aufzuzeigen. Die Politik muss<br />

Schritte setzen, um wichtige Raumplanungs-<br />

und Raumordnungsfragen<br />

zu klären. Ein einzelner Architekt<br />

oder ein einzelnes Architekturbüro<br />

wird da nicht die große Veränderung<br />

bereden können, denn es braucht<br />

politische Anstrengung dafür. Die<br />

Sehnsucht nach dem Haus im Grünen<br />

führt auf individueller Ebene oft<br />

zu nicht nachhaltigen Entscheidungen.<br />

Das sollte von der Politik aber<br />

nicht weiter gefördert werden.<br />

Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?<br />

Die Grunddefinition, dass es um ökologische,<br />

ökonomische und soziale<br />

Nachhaltigkeit geht, unterstütze ich.<br />

Beim Bauen geht es dabei nicht nur<br />

um Baustoffe und Energieverbrauch,<br />

sondern um eine breitere Sicht auf das<br />

Thema. Nachhaltig ist, was den Herausforderungen<br />

der Zukunft begegnet<br />

und auch für kommende Generationen<br />

die Lebensgrundlage erhält.<br />

Wie wohnen Sie aktuell?<br />

Ich bin gerade in ein Baugruppenprojekt<br />

im Sonnwendviertel eingezogen.<br />

Unser Büro haben wir ja auch in so<br />

einem Projekt. Insofern versuche<br />

ich, im Selbstversuch zu leben, was<br />

wir auch planen. In diesem gemeinschaftlichen<br />

Wohnprojekt bin ich<br />

sehr zufrieden.<br />

Welche Anforderungen stellen Sie<br />

persönlich an eine Wohnung?<br />

Die Wohnung muss meiner aktuellen<br />

Lebenssituation entsprechen. Mit<br />

Kindern als Patchwork-Familie brauchen<br />

wir Platz. Für mich ist wichtig,<br />

dass es die Möglichkeit eines<br />

Freiraumes und des Austausches<br />

mit anderen gibt. Mein Wohnen soll<br />

nicht an der Wohnungstür aufhören,<br />

sondern ein Umfeld und eine aktive<br />

Nachbarschaft haben. Ich wohne<br />

gerne in der Stadt und möchte alle<br />

Möglichkeiten zu Fuß erreichen. Eine<br />

gute Infrastruktur ist wichtig, damit<br />

ich meinen Alltag einfach und ohne<br />

Auto bewältigen kann.<br />

Wie kann man es schaffen, gute,<br />

langfristig funktionierende Architektur<br />

zu gestalten?<br />

Grundsätzlich soll das Planen für das<br />

Hier und jetzt passieren. Im Idealfall<br />

stehen Gebäude aber hundert Jahre<br />

oder länger. Dadurch muss die Architektur<br />

auch Möglichkeiten für Veränderung<br />

und Flexibilität lassen. Bei<br />

den partizipativen Projekten beachten<br />

wir, dass es eine Baukonstruktion<br />

gibt, die Umbaubarkeit und eine Anpassung<br />

der Raumstruktur langfristig<br />

zulässt. Insofern sind flexible statische<br />

Systeme und das Einplanen<br />

von Möglichkeiten der Veränderung<br />

eines Gebäudes notwendig.<br />

Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />

für die Zukunft?<br />

Das Hunziker Areal in Zürich ist für<br />

uns ein Vorbild für nachhaltige Quartiersentwicklung.<br />

Wir haben immer<br />

noch den Wunsch, dass es über das<br />

Einzelprojekt hinaus einen integrativen<br />

Planungsansatz gibt. In Wien<br />

passiert das in Teilbereichen und<br />

könnte noch stärker sein. Sonst gibt<br />

es eigentlich nie das eine Projekt. Es<br />

ist wichtig, sich den örtlichen Herausforderungen<br />

zu stellen und diese zu<br />

bewältigen. Alle Projekte, die da einen<br />

Schritt weitergehen und neue Lösungen<br />

anbieten, sind bewundernswert.<br />

Die Zukunft der Architektur/Architektur<br />

der Zukunft ist für mich …<br />

….ein Prozess, der sich mit den aktuellen<br />

Herausforderungen des Lebens<br />

beschäftigt.<br />

© Hertha Hurnaus


www.architektur-online.com<br />

19<br />

Najjar & Najjar Architekten<br />

Fotos © Göllner<br />

GELUNGENER STILBRUCH<br />

IN MATTSCHWARZ<br />

INSPIRATIONS<br />

CLOSE TO YOU<br />

Die Vision eines Kundenehepaars<br />

von zwei außergewöhnlichen Einfamilienhäusern<br />

reizte Innenarchitekt<br />

Jens Göllner so sehr, dass er<br />

den Auftrag nicht nur annahm, sondern<br />

kurze Zeit später sogar als aktiver<br />

Käufer in das Projekt einstieg.<br />

„Genauso wie ich waren die Auftraggeber<br />

sehr gestaltungsorientiert<br />

und hatten Lust, etwas Neues auszuprobieren“,<br />

erzählt der Geschäftsführer<br />

von RUGE + GÖLLNER. Mit der<br />

Holzfassade sollten stilistisch die<br />

Kunde: Privat<br />

Architekturbüro: RUGE + GÖLLNER GmbH<br />

Projekt: Bau privater Einfamilienhäuser<br />

Herausforderung: moderner Stilbruch<br />

in Holzfassade<br />

Lösung: Duropal XTerior compact<br />

eingesetztes Dekor: Pfleiderer U12000,<br />

Vulkanschwarz<br />

Oberflächenstruktur: Exterior Matt (EM)<br />

alten Kotten aus der Region Vechta<br />

wiederaufgegriffen werden. Als stilbrechendes<br />

Element dient dabei der<br />

große schwarze Monolith aus dem<br />

matten Fassadenmaterial XTerior<br />

compact von Pfleiderer, der wie eingeschoben<br />

wirkt und die beiden<br />

Häuser auf einzigartige Weise miteinander<br />

verbindet. Göllner: „Wir<br />

haben uns sehr darüber gefreut,<br />

nun auch das neue Fassadenmaterial<br />

austesten zu können. Denn im<br />

Innenbereich setzen wir seit Jahren<br />

sehr gerne Produkte von Pfleiderer<br />

ein – dort sind die Materialien durch<br />

ihre Kratzfestigkeit und Beständigkeit<br />

nur schwer zu toppen. Und so<br />

konnten wir nun Innen­ und Außendesign<br />

perfekt aufeinander abstimmen.“<br />

Das vulkanschwarze Dekor<br />

U12000 verwendete Jens Göllner<br />

daher sowohl als Fassadenmaterial<br />

für den prägnanten Monolithen als<br />

auch in seiner Küche: „Diese matten<br />

Oberflächen wirken einfach nur absolut<br />

edel und sind stets ein wahrer<br />

Hingucker.“<br />

Anfang November 2018 wurden die<br />

privaten Wohnhäuser beim niedersächsischen<br />

Holzbaupreis für ihre<br />

ökologische Bauweise mit dem zweiten<br />

Platz honoriert.<br />

Mehr zu XTerior compact auf<br />

www.pfleiderer.com


architektur PEOPLE<br />

20<br />

Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />

Der Sprung<br />

der Fünfzig<br />

Interview mit Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />

Durch seine Ausbildung in der<br />

Meisterklasse von Roland Rainer an<br />

der Akademie der bildenden Künste<br />

wurde Architekt Gerhard Steixner<br />

nachhaltiges Gestalten von Architektur<br />

vermittelt. Seit 2009 ist er selbst<br />

Universitätsprofessor an der TU Wien<br />

und möchte das ebenso den Studierenden<br />

näher bringen.<br />

Herr Architekt, würden Sie eher behaupten,<br />

dass die Zukunft die Architektur<br />

beeinflusst oder die Architektur<br />

die Zukunft?<br />

Die Architektur der Zukunft ist jene<br />

die wir heute bauen.<br />

© Gerhard Steixner<br />

Befindet sich die Architektur auf einem<br />

richtigen Weg?<br />

Wir müssen mehr mit der Natur arbeiten<br />

und sie nicht aus den Städten<br />

treiben. Das ist schon lange bekannt,<br />

das haben wir nur wieder vergessen.<br />

Begrünte Dächer und Fassaden sind<br />

dafür zu wenig und sind nur Greenwashing<br />

mit oftmals beträchtlichem<br />

Ressourceneinsatz. Wir sind dabei<br />

noch nicht am richtigen Weg. Es<br />

geht auch nicht darum, Gebäude mit<br />

Schaum einzupacken und dann zu<br />

begrünen, sondern für den Wohnbau<br />

Gebäudestrukturen nach den<br />

Wünschen und Bedürfnissen der BewohnerInnen<br />

und den ökologischen<br />

Erfordernissen für die grüne Stadt<br />

anzulegen. Die Typologie des Terrassenhauses<br />

wurde schon in den 20er<br />

Jahren des vorigen Jahrhunderts<br />

„erfunden“ und in den 1960er- und<br />

70er Jahren dann auch europaweit<br />

weiter entwickelt und in wunderbaren<br />

Beispielen realisiert. Die Leute<br />

können dabei auf ihren Terrassen<br />

selbst anpflanzen, was sie haben<br />

möchten. Die Gebäude mit ihren<br />

hängenden Gärten verändern sich<br />

dann auch mit der Jahreszeit und<br />

durch die Aktivitäten der Bewohner.<br />

Das ist nicht nur ein ästhetischer<br />

Mehrwert, sondern vor allem auch<br />

ein ökologischer für die Stadt und<br />

heute im Kontext des Klimawandels<br />

wichtiger denn je.


www.architektur-online.com<br />

21<br />

Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />

© Archiv HB2<br />

Ausstellung von Studierendenarbeiten der TU Wien zum Thema „Luxus für alle – Prototypen für die grüne Stadt“<br />

Wann und warum wurde der Weg<br />

verlassen, dass man die Natur in die<br />

Wohnbaukultur holt?<br />

Harry Glück war nicht der einzige<br />

und erste, der diesen Ansatz hatte.<br />

Auch zuvor und parallel gab es diesen<br />

in ganz Europa, etwa in Frankreich,<br />

England, Italien, Deutschland<br />

und im ehemaligen Jugoslawien.<br />

„Das größtmögliche Glück für die<br />

größtmögliche Zahl“ war ein politisches<br />

Bekenntnis. Man wollte allen<br />

zugestehen, was sich zuvor nur die<br />

Reichen leisten konnten. Gegen<br />

Ende der 1970er Jahre ist man dann<br />

von diesem Weg abgekommen. Bis<br />

dahin waren die Kurven der Produktivitätssteigerung<br />

und die der Löhne<br />

deckungsgleich. Ab diesen Zeitpunkt<br />

haben sie sich voneinander gelöst.<br />

Die Produktivität ist enorm angestiegen,<br />

im Unterschied zum Lohn,<br />

der schon lange stagniert. Es ist eine<br />

Frage der Verteilungsgerechtigkeit.<br />

Wir bauen heute schlechter als wir<br />

es könnten, weil wir wieder zurück in<br />

feudale Strukturen kommen.<br />

Wird sich das in Zukunft ändern?<br />

Es wird sich noch weiter zuspitzen,<br />

bis wir die Talsohle erreicht haben.<br />

Dann kommt es zu einem Wandel.<br />

Wie dieser erfolgen wird, wissen wir<br />

nicht, aber wir können uns schon<br />

jetzt auf das Neue vorbereiten.<br />

Würden Sie sagen, dass das Grün in<br />

der Architektur als Marketinginstrument<br />

verwendet wird?<br />

Das ist vollkommen okay, wenn es<br />

richtig eingesetzt wird. Nur Kritik daran<br />

zu üben, ist zu wenig. Man muss<br />

vorgeben, wohin es gehen soll, damit<br />

PolitikerInnen ein Verständnis dafür<br />

entwickeln können. Dann können sie<br />

dieses auch vertreten und die Rahmenbedingungen<br />

für eine Weiterentwicklung<br />

festlegen.<br />

Werden die Architekten<br />

mehr zu Politikern?<br />

Als Architekt muss man ein politischer<br />

Mensch sein. Wir sind die<br />

Anwälte der NutzerInnen. Es ist<br />

seltsam, wenn man das sagen muss,<br />

denn es scheint selbstverständlich.<br />

Es muss vielmehr ins Bewusstsein<br />

rücken, dass wir für Menschen bauen<br />

und nicht für kurzfristige Kapitalund<br />

Wirtschaftsinteressen.<br />

Was sind weitere Kompetenzen,<br />

die ein Architekt braucht?<br />

Der Architektenberuf ist ein Beruf<br />

des Generalisten, sozusagen ein<br />

Spezialist für alles. Er ist einzigartig.<br />

Wir müssen die Gesamtheit der<br />

Phänomene in einem Entwurf zur<br />

Deckung bringen. Wenn das gelingt,<br />

dann ist es gute Architektur. Ein breites<br />

Wissen ist also notwendig, ebenso<br />

wie Empathie für die NutzerInnen.<br />

Wenn wir auf die Bauten der 1960er<br />

und 70er Jahre zurückschauen, können<br />

wir sehr gut sehen, was angenommen<br />

und geliebt wird.<br />

Was ist für Sie Nachhaltigkeit?<br />

Nachhaltigkeit ist nur ein Wort. Zu<br />

meiner Studienzeit bei Roland Rainer<br />

haben wir es nicht benutzt, aber das<br />

Denken und Handeln war natürlich<br />

ein umweltbewusstes und nutzerorientiertes.<br />

Es sollte eine Selbstverständlichkeit<br />

sein, dass man mit<br />

Ressourcen sparsam umgeht.<br />

Stellen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit<br />

für Sie einen Widerspruch dar?<br />

Mit der Ökologie und dem Sozialen<br />

gehört auch die Ökonomie zu den<br />

Säulen der Nachhaltigkeit. Das ist<br />

kein Widerspruch. Harry Glück hat<br />

in seiner Dissertation nachgewiesen,<br />

dass seine Terrassenhäuser trotz der<br />

Schwimmbäder am Dach zu niedrigeren<br />

Kosten realisiert wurden als<br />

andere geförderte Wohnbauten aus<br />

derselben Zeit.<br />

Brauchen wir in Zukunft mehr Vorgaben<br />

bzw. Richtlinien, um der Nachhaltigkeit<br />

mehr Gewichtung zu geben?<br />

Grundsätzlich haben wir schon zu<br />

viele davon. Es braucht aber ein Reformprogramm<br />

für die Wohnbauförderung,<br />

in dem es klare Richtlinien<br />

gibt, welche Maßnahmen gefördert<br />

werden, und diese müssen vorrangig<br />

die Bedürfnisse und Wünsche der<br />

Bewohner reflektieren, da sie es ja<br />

sind, die die Mittel dafür in Form von<br />

Steuern bereitstellen.<br />

Wie beurteilen Sie die Miteinbeziehung<br />

der künftigen Bewohner in die<br />

Planung von Wohnbauten?<br />

Das gab es schon in den 1970er Jahren.<br />

Damals wie heute ist das aber ein<br />

sehr unbedanktes Bemühen, denn bei<br />

einem Wohnungsgrundriss von 70 m 2<br />

gibt es nicht viel Spielraum und die<br />

Klientel dafür ist überschaubar. Es<br />

geht heute eher um die Bereitstellung<br />

von privaten und gemeinschaftlichen<br />

Freiräumen und um Gemeinschaftseinrichtungen,<br />

um Aneignungsoptionen.<br />

Das Verhältnis von Stadt und<br />

Natur muss neu gedacht werden,<br />

sonst bleiben die Bewohner Statisten<br />

in Architekturkulissen.<br />

u


architektur PEOPLE<br />

22<br />

Univ.Prof.Arch.Mag. Gerhard Steixner<br />

Was sind Gestaltungskriterien,<br />

auf die Sie viel Wert legen?<br />

Jede Wohnung sollte einen direkt<br />

erreichbaren Freiraum in Form einer<br />

Terrasse haben und die Möglichkeit,<br />

dort etwas anzupflanzen. Wenn wir<br />

uns die Qualitätssprünge der 1920er<br />

und der 1970er anschauen, dann sehen<br />

wir, dass es bald wieder soweit<br />

sein könnte für einen Schub in Richtung<br />

grüne Stadt, für die Emanzipation<br />

der großen Zahl.<br />

Also denken Sie, kommt es wieder zu<br />

einem Umschwung?<br />

Ja klar, auf alle Fälle.<br />

In welchen Bereichen wird sich der<br />

am stärksten auswirken?<br />

Am stärksten wird er sich im Bewusstsein<br />

auswirken, dass Wohnen<br />

ein Menschenrecht ist. Diesbezüglich<br />

gibt es seit einiger Zeit das Problem<br />

der Leistbarkeit. Die Wohnkosten<br />

sind viel stärker gestiegen als die<br />

Haushaltseinkommen. Mittelfristig<br />

wird es notwendig sein, die Wohnungsfrage<br />

von der Marktlogik zu<br />

entkoppeln, zusammen mit der Vergemeinschaftung<br />

von Grund und<br />

Boden. Ich bin zuversichtlich, dass<br />

wir wieder in Bahnen kommen, wo<br />

es aufwärts geht. 1968 war das Bild<br />

vom Mond aus auf den blauen Planeten<br />

ein sehr starkes. Das „Wir“ ist uns<br />

dabei bewusst geworden. Die Idee<br />

von Gesellschaft ist dann allerdings<br />

wieder erodiert bis hin zur Ich-AG.<br />

Ein neuerlicher Anlauf in Richtung<br />

Demokratisierung und Ökologisierung<br />

von Architektur und Städtebau<br />

ist notwendig. Der Sprung der fünfzig<br />

Jahre steht bevor. Vor allem die<br />

Jungen müssen das Gefühl dafür<br />

© Gerhard Steixner<br />

Der Architekt Harry Glück möchte mit einem seiner Terrassenhäuser<br />

– hier Terrassenhaus Arndtstraße 21 – das Grüne in die Stadt bringen.<br />

entwickeln, sich einbringen und sich<br />

nicht von fragwürdigen Effizienzforderungen<br />

einschüchtern lassen.<br />

Auch nicht während des Studiums.<br />

Inwiefern beeinflussen Sie die Trends,<br />

die es aktuell gibt, bei der Lehre?<br />

In Bezug auf die Digitalisierung zeige<br />

ich den Studierenden manchmal,<br />

wie wir früher gearbeitet haben. Wie<br />

wir etwa auf einen Tisch Papier gespannt<br />

und nass gemacht haben. Im<br />

getrockneten Zustand war es dann<br />

gespannt und eine super Arbeitsfläche.<br />

Mit der Reißschiene und dem<br />

Lineal wurde dann gearbeitet. Wir<br />

brauchten keine Software und auch<br />

keinen Strom. Jeder konnte das machen.<br />

Das war ein demokratisches<br />

Werkzeug. Es ist schon bemerkenswert,<br />

wie sehr wir in die totale Abhängigkeit<br />

der Softwareindustrie<br />

geraten sind, zumal die heutigen<br />

Bauten mit diesen Tools ja nicht besser,<br />

kostengünstiger oder schneller<br />

errichtet werden.<br />

© Gerhard Steixner<br />

Welche Tipps geben Sie den Architekturstudenten<br />

mit auf den Weg für<br />

die Zukunft?<br />

Machen Sie nur das, was sie wirklich<br />

vertreten können. Das Studium ist<br />

nicht nur Ausbildung, sondern auch<br />

Bildung, nehmen Sie sich Zeit dafür.<br />

Nützen Sie den Freiraum für Ausflüge<br />

in die Politik, Kunst und Kultur,<br />

Wissenschaft. Nehmen Sie aktiv und<br />

auf Augenhöhe am Stadtwerden teil.<br />

Was ist für Sie ein Leitprojekt für die<br />

Zukunft?<br />

Ich beschäftige mich seit vielen Jahren<br />

mit der Architektur zwischen<br />

1958 und 1978 in Europa und auch<br />

außerhalb. Da gibt es wunderbare<br />

Gebäude, die nicht nur eine gute<br />

Ausstrahlung haben, sondern auch<br />

sehr benutzerfreundlich sind. Heute<br />

wären viele dieser Bauten in Bezug<br />

auf Bauphysik, Barrierefreiheit und<br />

„Sicherheit“ gar nicht mehr erlaubt.<br />

Der Ressourceneinsatz bei diesen<br />

Gebäuden ist sehr kontrolliert und<br />

minimal. Wenn man das Ganze hochrechnet,<br />

stellt man fest, dass sie aber<br />

im besten Sinne nachhaltig sind. Für<br />

die Zukunft des Wohnbaus sehe ich<br />

die Typologie des Terrassenhauses<br />

als eine leitende. Mit unserer Ausstellung<br />

Luxus für Alle! im Jahr 2017<br />

ist es uns gelungen, die Idee der<br />

grünen Stadt zu visualisieren und<br />

ein Bewusstsein für das Mögliche zu<br />

wecken.<br />

Ausblick vom Innenraum über den davorliegenden<br />

Freiraum der Wohnhausanlage Bessemerstraße in<br />

Wien von Architekt Gerhard Steixner.<br />

Die Zukunft der Architektur/Architektur<br />

der Zukunft ist für mich…<br />

...klar positiv.


www.architektur-online.com<br />

23<br />

Einladung am 19. November <strong>2019</strong> in die Bauwerk Parkettwelt Wien<br />

«TOWARDS A CIRCULAR<br />

ARCHITECTURE»<br />

Lecture von Arthur Mamou-Mani<br />

Najjar & Najjar Architekten<br />

Am 19.11.<strong>2019</strong>, ab 18.30 Uhr<br />

in der Bauwerk Parkettwelt Wien<br />

Gonzagagasse 17, 1010 Wien<br />

Vortrag in Englisch.<br />

Anmeldung: wien@bauwerk.com<br />

Begrenzte Plätze!<br />

Zu seinen bedeutendsten Arbeiten<br />

zählt der Burning Man Tempel Galaxia.<br />

GLAXIA - Burning Man Tempel 2018, Nevada.<br />

Fotos: Jamen Percy und Christine Bärnthaler


architektur PEOPLE<br />

24<br />

Franz Kühmayer<br />

Architektur ist<br />

immer Zukunft!<br />

Interview mit dem Zukunftsforscher Franz Kühmayer<br />

Wo liegt die Zukunft der Architektur, wie wird sie<br />

aussehen und was bedeutet das für die Gesellschaft.<br />

Mit diesen Fragen konfrontierte Peter Reischer<br />

den Zukunftsforscher Franz Kühmayer vom<br />

Zukunftsinstitut in Frankfurt und Wien.<br />

Herr Kühmayer, Sie sind Zukunftsforscher –<br />

wenn man den Aspekt auf FORSCHEN legt,<br />

was kann man da erforschen, wie würden<br />

Sie Ihre Aufgabe beschreiben?<br />

Es ist immer die Frage, ob das, was man in<br />

der Zukunftsforschung, in der Trendforschung<br />

prognostiziert – überhaupt eintritt,<br />

ob man die Zukunft vorhersehen kann. Ich<br />

finde es spannend, welche mentalen Modelle<br />

wir uns für oder über die Zukunft machen.<br />

Das ist entscheidender, als der ganz<br />

exakte Inhalt einer Prognose.<br />

Wer sich die Zukunft linear vorstellt, also<br />

sagt, das Morgen wird eine Variante des<br />

Heute sein, der wird sich auch mit Menschen<br />

und Systemen umgeben, die in diese<br />

Richtung zeigen. Wer allerdings glaubt,<br />

dass das Morgen mit dem Heute wenig zu<br />

tun hat, also für eine exponentielle Veränderung<br />

eintritt (so wie das in der Start-up<br />

Branche oder in der Digitalisierung der Fall<br />

ist), der wird sich mit anderen Menschen<br />

und Systemen umgeben. Das sieht man<br />

auch daran, dass größere Organisationen<br />

und Firmen mit diesem „Auseinanderspreizen“<br />

ringen. Da kann Trendforschung ein<br />

wenig helfen.<br />

In welchen Zeitspannen denken<br />

und arbeiten Sie dabei?<br />

Veränderungsströme, die Jahrzehnte übergreifend<br />

wirksam sind – das bezeichnen wir<br />

als Megatrends. Was es nicht gibt, ist der Megatrend<br />

im Burgenland <strong>2019</strong>. Wir beobachten<br />

Themenlagen, zum Beispiel wenn man<br />

über gute Arbeit spricht – da bekommen wir<br />

von unseren Eltern andere Antworten als<br />

von unseren Kindern. Die Veränderungen,<br />

die sich in den Antworten ausdrücken sind<br />

„epochal“ und komplexer, als man annimmt.<br />

Sie sind nicht linear, sondern da gibt es auch<br />

Schleifen und Rekursionen.<br />

© Zukunftsinstitut<br />

Sie bewegen sich ja hauptsächlich in den Gebieten<br />

der Arbeit, der „Working Scene“. Diese<br />

findet jedoch unbestritten in Architektur<br />

statt. Also beeinflusst das eine das andere.<br />

Das ist 100%ig richtig, das sind kommunizierende<br />

Gefäße!<br />

Wie sieht nun ein Zukunftsforscher die Zukunft<br />

der Architektur oder die Architektur<br />

der Zukunft?<br />

Den zweiten Teil der Frage kann man metaphysisch<br />

betrachten, aus welchen Bausteinen<br />

besteht die Zukunft?


www.architektur-online.com<br />

25<br />

Franz Kühmayer<br />

Wenn man beim ersten Teil – Zukunft der<br />

Architektur – bleibt, ist die erste Erkenntnis:<br />

Architektur ist immer Zukunft. Weil sie<br />

nach vorne gerichtet ist und ihr Ergebnis<br />

meist jahrzehntelangen Bestand hat. Da tut<br />

sich Büroarchitektur in den letzten Jahren<br />

schwerer als früher, weil sich die Veränderungszyklen<br />

in ihrer Dynamik unterscheiden.<br />

Arbeit verändert sich schneller als Architektur<br />

Schritt halten kann. Das gilt aber<br />

auch für andere Systeme, wie zum Beispiel<br />

die Kultur.<br />

Wenn ich Sie jetzt nach der Zukunft der Architektur<br />

frage, ist das nicht ein bisschen,<br />

wie aus der Glaskugel oder aus dem Kaffeesud<br />

lesen, gerade auch wegen der angesprochenen<br />

schnellen Veränderungen?<br />

Wenn wir darüber nachdenken, ist der Ausgangspunkt<br />

die Frage: Wie wollen wir in<br />

Zukunft arbeiten? Wir sind ja nicht Opfer<br />

einer Veränderung, wir sind Täter, wir verändern<br />

selbst. Ein wesentlicher Fehler, den<br />

Unternehmen machen, ist zu sagen, wie<br />

bauen andere das Büro oder die Architektur<br />

der Zukunft – und dem muss ich mich jetzt<br />

anschließen. Dabei vergisst man „zukunftsversessen“<br />

den Sinn der Architektur. Und<br />

der ist nicht der, Funktionalität zu erzeugen,<br />

sondern Kultur zu fördern, vielleicht sogar zu<br />

erzeugen. Architektur hat viel mit Identität<br />

zu tun, wer sind wir? Das muss ich in die Zukunft<br />

projizieren können und nur dann kann<br />

ich über eine Architektur der Zukunft reden.<br />

Eine der Grundfunktionen der Architektur<br />

war immer „shelter“ also die Schutzfunktion.<br />

Die ist aber in der heutigen Architektur<br />

nicht mehr vorhanden. Heute bauen wir nur<br />

auf Funktionalität und auf Image.<br />

Der Einwand mit „shelter“ ist vollkommen<br />

richtig, es gibt aber noch einen zweiten<br />

Begriff, die „community“, die da mitspielt.<br />

„Community“ kann eine Kraftquelle sein<br />

(kolaboratives Arbeiten, Kommunikation),<br />

kann aber auch störend wirken. Bei der Büroarchitektur<br />

der 60er und 70er ist dieser<br />

Schutz vor der Gemeinschaft im Mittelpunkt<br />

gestanden, damals war es der Rückzug<br />

auf die Individualität.<br />

Der Leitgedanke der letzten Jahre war: Das<br />

Büro ist NICHT mehr der einzige Ort für<br />

Einzelproduktivität. Es ist ein Ort der Teamproduktivität.<br />

Dem entspricht auch das<br />

Phänomen der „Büroflucht“ in größeren Unternehmen,<br />

wenn Mitarbeiter in Ruhe und<br />

konzentriert arbeiten wollen oder müssen.<br />

Sehen Sie die Zukunft der Architektur eher<br />

in sozialen, partizipativen oder in Cocooning-Bereichen?<br />

Die klassische Antwort lautet: beides! Wenn<br />

ich mir die Mischbüros und die Open-Space-Büros<br />

ansehe, dann glaube ich, dass der<br />

Gedanke der Community, des Sozialen hier<br />

als eine Pendelbewegung zu stark ausgeschlagen<br />

hat.<br />

Ist die Gesellschaft wieder einmal<br />

in das Extreme gewandert?<br />

Vielleicht hat es dieses Extrem auch gebraucht,<br />

um Verkrustungen aufzubrechen,<br />

um sich aus der Isolierung des Einzelbüros<br />

hinauszubewegen. Sowohl ergonomisch<br />

wie auch psychologisch ist das Büro als<br />

Kaffeehaus oder Bar nicht das Letzte. Das<br />

funktioniert nur in einem Start-up, solange<br />

ich 25 bin und das zwei Jahre lang mache.<br />

Der Gedanke der Ergonomie muss wieder<br />

kommen, denn man will sicher nicht ein Leben<br />

lang auf Holzpaletten sitzen und Latte<br />

macchiato schlürfen.<br />

Sehen sie – auf die Architektur bezogen<br />

– das Problem des Klimawandels, als ein<br />

Gesamtes oder als die Summe vieler Probleme?<br />

Kann der Einzelne gewisse Schritte<br />

setzen, oder ist er machtlos?<br />

Wir sind nie machtlos, ich habe ein sehr optimistisches<br />

Zukunftsbild. Wir sind als Arbeitnehmer<br />

nicht machtlos, weil Ansprüche<br />

formuliert werden. Als Konsumenten stellen<br />

wir die Frage, ob wir überhaupt kaufen<br />

sollen oder nicht. Wenn ich solche Fragen<br />

stelle, übe ich Macht auf das System aus.<br />

Damit diese sich manifestiert, braucht es<br />

Multiplikation.<br />

Ein gutes Beispiel ist „Friday for Future“!<br />

Genau! Aber es muss nicht immer diese<br />

explizite Gemeinschaft geben, es gibt auch<br />

das implizite – das ist der Wertewandel. Die<br />

Automobilindustrie kämpft damit, dass die<br />

Jugend sagt: Besitz (eines Autos) interessiert<br />

mich nicht mehr! Der Besitz von Fahrzeugen<br />

hat als Statussymbol nachgelassen.<br />

Das „Haben und Sein“ (Erich Fromm) hängen<br />

insofern zusammen, weil wir etwas haben<br />

wollen, um jemand zu sein. Das merkt man<br />

bei der Architektur sehr stark, das Image, die<br />

Herrschaftsarchitektur, im Büro brauche ich<br />

ein Einzelbüro, nicht weil ich konzentriert arbeiten<br />

will, sondern weil ich etwas darstellen<br />

will. Und genau dieses Denken zerbricht gerade,<br />

weil die Erfolgsgleichung der Vergangenheit<br />

immer stärker (hauptsächlich von<br />

der Jugend) hinterfragt wird. Das Geld, der<br />

Bonus als Schweizermesser für die Motivation<br />

funktioniert nicht mehr.<br />

Á propos positives Denken: Für mich ist die<br />

Tatsache, dass aus der Jugend, also Bottom<br />

up ein Druck auf die Gesellschaft in Richtung<br />

(Werte)Wandel aufgebaut wird, die<br />

größte Hoffnung auf eine Wende zum Guten,<br />

auch in der Architektur.<br />

Die Kraft der Jugend zieht sich durch die<br />

Geschichte. Revolutionen haben immer mit<br />

Jugend zu tun und kommen von unten. Da<br />

steckt die Unvernunft (im positiven Sinn)<br />

dahinter.<br />

Das Querdenken?<br />

Ja, denn Vernunft will sich anpassen, ist<br />

systemkonform. Veränderung kann nur<br />

durch Unvernunft ausgelöst werden.<br />

Da müsste man eigentlich im Hinblick auf<br />

die Architektur sagen: „Stop building – hört<br />

auf zu bauen!“<br />

Der erste Ansatz, um radikal über neue Architektur<br />

nachzudenken, ist die Frage: Warum<br />

bauen wir? Und da kann die Antwort ja<br />

nicht lauten, weil alle anderen es auch tun.<br />

Da kommt man mit Unvernunft viel näher<br />

an den Sinn der Frage.<br />

Sehen sie eine Krise, die uns zum<br />

Umdenken zwingt, auch in der Architektur?<br />

Ich sehe sie, aber noch zu wenig. Ich sehe<br />

sie dort, wo die Besitzverhältnisse (Büroarchitektur)<br />

nicht mehr so im Vordergrund<br />

stehen. Das Eckbüro hat nicht nur an Status<br />

eingebüßt, sondern löst, vor allem bei jungen<br />

Menschen, sogar das Gegenteil aus.<br />

Wir müssen heute anerkennen, dass wir die<br />

Veränderungen in der Welt ausgelöst haben,<br />

und dass wir uns verändern müssen, damit<br />

wir nicht vom Aussterben bedroht sind.<br />

Manchmal braucht es wahrscheinlich krisenhafte<br />

Situationen, um uns unserer Veränderungsbereitschaft<br />

bewusst zu werden.<br />

Eine Tatsache ist, dass wir mit Migration<br />

zu tun haben und um passende Lösungen<br />

ringen. Diese Entwicklung wird an Dynamik<br />

noch zunehmen, wenn das Klima uns um die<br />

Ohren fliegt, die Klimaflüchtlinge werden<br />

deutlich mehr werden. Vielleicht braucht<br />

es das, um uns die Konsequenzen unseres<br />

Handelns bewusst zu machen.


architektur PEOPLE<br />

26<br />

DI Arkan Zeytinoglu<br />

Neben Architektur und Musik beschäftigt sich Architekt Zeytinoglu mit Menschen,<br />

Kulturen, Licht, zukunftsfähigen sowie ganzheitlichen Konzeptionen und plädiert<br />

für die Skizze als wesentliches Entwurfselement. Nach dem Studium in Graz und<br />

New York gründete er 1995 sein Architekturbüro in Wien. Seitdem hat das Büro<br />

Arkan Zeytinoglu Architects zahlreiche Projekte mit Schwerpunkt Hotelbau im Inund<br />

Ausland realisiert.<br />

© Deborah Sarah Drexler


www.architektur-online.com<br />

27<br />

DI Arkan Zeytinoglu<br />

Architektur der Zukunft –<br />

Zukunft der Architektur<br />

Statement von Arch. DI Arkan Zeytinoglu<br />

Über die Zukunft der Architektur wird wohl wie über<br />

das Weltbild zur Zeit der Aufklärung diskutiert werden<br />

müssen.<br />

Paradoxerweise meinen viele noch immer, dass die<br />

Erde eine Scheibe ist. Aber wie in der Renaissance,<br />

der empirischen Antike oder der industriellen Revolution,<br />

wo es auf Reformen zur Gegenreformation<br />

kam, ist in Anbetracht des Zustandes der Erde Feuer<br />

am Dach der Architektur. Es geht hier nicht mehr um<br />

Schönes oder Wohlproportioniertes, Modernes oder<br />

Funktionelles. Auch nicht mehr um Stararchitekten<br />

oder Eleganz und Coolness. Nicht die Erde ist am<br />

Ende ihrer Ressourcen, sondern der Mensch samt<br />

bisherigem Architekturverständnis.<br />

So wie in sozialen, politischen und gesellschaftlichen<br />

Belangen hat aufgrund der zunehmenden Verbrennung<br />

der Erde bzw. unseres Lebensraums ein Paradigmenwechsel<br />

zu erfolgen. Das Weltbild der heutigen<br />

Gesellschaft bzw. die zukünftige Architektur hat<br />

sich insofern zu ändern, als der Mensch mit der Natur<br />

und Umwelt lebt, statt gegen sie zu wirken.<br />

Das Weltbild, in welchem die Erde bzw. der Mensch<br />

das Zentrum alles Geschaffenen ist, hat sich überholt,<br />

dennoch agieren wir auf unserem Planeten, als<br />

wären wir die einzige Gattung, welche die Regeln für<br />

alles Dagewesene bzw. die Zukunft erstellt.<br />

Es scheint auch nicht verwerflich, dass gerade jene<br />

Länder, Völker und Gemeinschaften, welche durch<br />

den Erdölverkauf an energiehungrige Nachbarn satte<br />

Profite machen, in Wüstengebieten Wolkenkratzer<br />

aus Glas errichten. Im Gegenzug wird das Glas samt<br />

Konstruktion, produziert mit und aus Erdöl, Planung<br />

und Arbeitern reimportiert. Ob das sinnvoll ist, gilt es<br />

zu hinterfragen.<br />

Auch drängt sich die Frage auf, ob unsere Gesellschaften<br />

sich letztendlich so angleichen (wollen),<br />

dass sich in Zukunft ungeachtet des Klimas und der<br />

topografischen Gegebenheiten identische Architekturen<br />

entwickeln. Die globale Architektur für ein<br />

ausgeglichenes Gesellschaftsbild. Wie Instagram,<br />

Pinterest und Co wird die Architektur als binärer Algorithmus<br />

weltweit verbreitet. Sie generiert sich von<br />

selbst. Vielleicht schafft es eben dieser, unsere Probleme<br />

in Zukunft zu lösen.<br />

Auch hier gibt es Gegenbewegungen: zurück zur<br />

Natur! Nur, was ist das? Eine romantische Sehnsucht<br />

nach verloren gegangenem Idyll? Bauen wir jetzt<br />

den Wald in der Stadt? Beispiele für Dachgärten und<br />

begrünte Fassaden gibt es schon zuhauf, nur funktionieren<br />

sie noch nicht so richtig, weil sie nur ein<br />

Bruchteil einer Lösung sind, um einen ökologischen<br />

Kosmos nachzubilden.<br />

Die Zukunft der Architektur ist somit keine Gestaltungsfrage,<br />

sondern eine Einstellung in der über<br />

Millionen von Jahren von der Evolutionsgeschichte<br />

geschaffenen Balance, die es zu erreichen gilt.<br />

© Zeytinoglu ZT GmbH<br />

Die Neuinterpretation einer Jurte im Hotelbetrieb von La Donaira,<br />

einem 5-Sterne Eco-Resort: als Gestaltung und funktionaler Ansatz<br />

nachhaltiger Architekturtypologie übersetzt als „nicht-nomadischer”<br />

Gebäudetypus. Ausgezeichnet mit dem Hotel Application Award 2017<br />

in der Kategorie „Best Innovative Concept“.


architektur PEOPLE<br />

28<br />

Patrick Lüth<br />

Die wahren architektonischen<br />

Fragestellungen beantworten<br />

Interview mit Architekt Patrick Lüth<br />

In einer kollektiven<br />

Arbeitsweise<br />

sieht Patrick<br />

Lüth die Zukunft<br />

der Architektur.<br />

Seit 2011 leitet er<br />

dieser Haltung<br />

entsprechend das<br />

Snøhetta Studio<br />

in Innsbruck und<br />

gestaltet Gebäude<br />

mit Mehrwert.<br />

Es geht darum, einen Mehrwert auf<br />

verschiedenen Ebenen zu schaffen.<br />

Neben einem etwaigen gesellschaftlichem<br />

Mehrwert sind unsere<br />

Powerhouse-Projekte beispielsweise<br />

CO 2 -positiv. Das heißt, sie sind keine<br />

Passivhäuser, die im Verbrauch<br />

relativ wenig Energie benötigen. Es<br />

sind Gebäude, die über ihren Lebenszyklus<br />

gerechnet mehr Energie<br />

produzieren als sie selbst verbrauchen<br />

können. Die gesamte graue<br />

Energie ist dabei mit eingerechnet.<br />

Welche der verschiedenen Ebenen<br />

mehr Gewichtung hat, ist dabei projektabhängig.<br />

In der Bearbeitung von<br />

unseren Projekten ist der Kontext<br />

ja immer sehr unterschiedlich. Aber<br />

dass unsere Projekte sozial und ökologisch<br />

nachhaltig sind, steht bei uns<br />

ganz weit oben auf der Agenda.<br />

Was ist das Prägende an der zeitgenössischen<br />

Architektur?<br />

Das sind für mich Projekte, bei denen<br />

einer größeren Benutzergruppe<br />

ein Mehrwert ermöglicht wird. Ein<br />

gutes Beispiel ist dabei die Oper in<br />

Oslo. Das Gebäude ist eigentlich ein<br />

Opernhaus und gleichzeitig auch<br />

ein öffentlicher Platz. Es geht darum,<br />

dass Architektur etwas in einem<br />

© Thomas Schrott<br />

gesellschaftlichen Diskurs bewirken<br />

kann. Es sollte Grundvoraussetzung<br />

sein, dass ein Projekt nicht nur die<br />

eigene Funktion beleuchtet, sondern<br />

auch über das Projekt hinaus gedacht<br />

wird.<br />

Ist der Mehrwert von Gebäuden auch<br />

immer die Grundlage für die Projekte<br />

von Snøhetta?<br />

Wie geht man in Zukunft<br />

an Entwurfsaufgaben heran?<br />

Für uns ist beim Entwurf „Co-Creation“<br />

schon immer ein wichtiges Thema,<br />

das meiner Meinung nach künftig<br />

noch wichtiger wird. In moderierten<br />

Workshops versuchen wir, gemeinsam<br />

mit unterschiedlichen Akteuren<br />

wie Auftraggebern und anderen Stakeholdern<br />

eine gemeinsame Basis,<br />

ein gemeinsames Verständnis der<br />

Entwurfsaufgabe und der übergeordneten<br />

Fragen herzustellen, um<br />

dann aus dem jeweiligen Kontext<br />

spezifische Lösungen zu entwickeln.<br />

Auf Basis der im Workshop erarbeiteten<br />

Ideen und Ergebnisse entwickeln<br />

wir den Entwurf weiter.<br />

In dieser Phase ist es mir wichtig, das<br />

gesamte Repertoire an Gestaltungswerkzeugen<br />

zur Verfügung zu haben,<br />

um für die spezifische Aufgabe<br />

das beste auswählen zu können. Wir<br />

haben im Büro eine große Werkstatt,


www.architektur-online.com<br />

29<br />

Patrick Lüth<br />

© Ketil Jacobsen<br />

170 Snøhetta Mitarbeiter beim jährlichen Treffen im Dovre Nationalpark in der von Snøhetta<br />

entworfenen Tverrfjellhytta, einem Pavillon zur Rentier-Beobachtung.<br />

einen 3D-Drucker, ein VR-Setup und<br />

auch Leute, die mit komplexen geometrischen<br />

Modellen umgehen können.<br />

Die Simultanität dieser Medien<br />

ist wahnsinnig wichtig. Es ist auch<br />

hilfreich, um unsere eigene Arbeit<br />

zu evaluieren. Die Parallelität von<br />

analog und digital ist wichtig, damit<br />

man dieser Überprüfung standhalten<br />

kann. Das Analoge brauchen wir.<br />

Durch die haptische Komponente,<br />

durch das Auseinandersetzen mit<br />

einem Material und durch das Bauen<br />

eines Modells wird nicht nur die<br />

Wahrnehmung, sondern auch der<br />

Intellekt angesprochen. Im besten<br />

Fall denkt man dabei darüber nach,<br />

wieso der Entwurf so ausschaut, wie<br />

er ausschaut.<br />

Wird das analoge Arbeiten seinen<br />

hohen Stellenwert beibehalten?<br />

Ich bin ein Verfechter des Modells.<br />

Auch deshalb, weil es auch ein wichtiges<br />

Kommunikationswerkzeug ist.<br />

Das dürfen wir in dieser von Bildern<br />

dominierten Welt nicht aufgeben.<br />

Jedes Modell hat nämlich einen wesentlich<br />

höheren Abstraktionsgrad<br />

als zum Beispiel ein Rendering. Für<br />

Renderings muss man Entscheidungen<br />

treffen, die in einem frühen<br />

Entwurfsstadium noch überhaupt<br />

nicht relevant sind. Bei einem Modell<br />

unterhalten wir uns zuerst über<br />

Form, Geometrie, Wirkung oder auch<br />

Städtebau. Im Unterschied zum Rendering<br />

ist VR dafür auch ein dankbares<br />

Medium, weil es dabei auch<br />

möglich ist, das Modell untexturiert<br />

zu betrachten.<br />

Steigen Sie dann bei neuen Entwurfsaufgaben<br />

vom Analogen erst<br />

nach einiger Zeit ins Digitale um oder<br />

läuft das von Anfang an parallel?<br />

Das kommt darauf an. Grundsätzlich<br />

liegt der Unterschied darin, ob man<br />

mit dem Bauherrn etwas entwickelt<br />

oder ob es ein anonymer Wettbewerb<br />

ist. Ersteres ist uns lieber, denn<br />

wir arbeiten lieber im Dialog. Da ist es<br />

so, dass wir bei Workshops mit dem<br />

Auftraggeber unsere ersten Ideen in<br />

handgreiflichen Modellen erarbeiten.<br />

Wenn das nicht der Fall ist, starten<br />

wir meistens schon digital. Es gibt<br />

immer viele Grundlagen, die man<br />

beachten muss. Diese kann man gut<br />

digital vorbereiten. Ich muss schon<br />

zugeben, dass viel vom Entwurfsprozess<br />

digital abläuft. Die Gewichtung<br />

ist dabei sicherlich 80 Prozent digital<br />

und 20 Prozent analog, mehr ist davon<br />

nicht übrig.<br />

Was kann die Architektur-<br />

Software noch nicht?<br />

In der Entwurfsthematik stellt sich<br />

diese Frage nicht. Denn da kann sie<br />

alles und es wird sogar überbewertet,<br />

was sie können muss. Bei der<br />

Ausführung sehe ich durch BIM viel<br />

Potenzial, aber auch viel Gefahr. Die<br />

Industrie kann dadurch einen so<br />

starken Einfluss entwickeln, dass wir<br />

Architekten in unserer Bedeutungsfreiheit<br />

sehr stark beeinträchtigt<br />

werden. Für den sozialen Wohnbau<br />

ist es hilfreich, nicht aber wenn es<br />

um innovative Lösungen geht. Die<br />

Architektur darf nicht auf der Strecke<br />

bleiben und dafür muss es flexibler<br />

werden.<br />

Inwiefern beeinflussen digitale Gestaltungsmethoden<br />

den Entwurf?<br />

Ich glaube, dass wir da drüber stehen.<br />

In den frühen 2000er Jahren<br />

war das wesentlich stärker, dass<br />

man versucht hat auszuprobieren,<br />

was alles mit dem Computer und den<br />

3D-Programmen möglich ist. Jetzt<br />

verstehen wir, dass es nicht unbedingt<br />

notwendig ist, solche Geometrien<br />

zu machen. Es geht darum,<br />

die wahren architektonischen Fragestellungen<br />

zu beantworten. Dazu<br />

kommt, dass man es nicht geschafft<br />

hat, solche Geometrien wirtschaftlich<br />

zu realisieren. Die Verhältnismäßigkeit<br />

der eingesetzten Mittel muss<br />

zu dem gesellschaftlichen Nutzen<br />

betrachtet werden. Man muss sich<br />

fragen: Warum mache ich das und<br />

kann ich das nicht mit einer simpleren<br />

Geometrie bewerkstelligen? Für<br />

grundlegend relevante städtebauliche<br />

Aufgaben sind diese überhaupt<br />

nicht notwendig. Wir haben ein Kulturzentrum<br />

in Saudi-Arabien mit extrem<br />

komplexen Geometrien realisiert.<br />

Der Entwurf stammt noch aus<br />

dem Jahr 2007/2008, also noch vor<br />

der Krise. Ich glaube, dass wir so etwas<br />

nicht mehr machen werden, weil<br />

sich der Diskurs verändert hat.<br />

Würde es Snøhetta ohne die<br />

Digitalisierung geben?<br />

Das ist eine sehr spekulative Frage,<br />

die ich nicht genau beantworten<br />

kann. Unser Weg wurde dadurch<br />

stark beeinflusst und sie ist sicher<br />

ein Teil unserer Geschichte. Aber<br />

am Anfang stand auch der Wettbewerbsgewinn<br />

für die Bibliothek in<br />

Alexandria. Dieser Entwurf wurde<br />

komplett von Hand gezeichnet. Die<br />

digitalen Mittel schaffen weitere<br />

wichtige Handwerkszeuge, die einiges<br />

erleichtern und auch ermöglichen.<br />

Aber was am Ende zählt sind<br />

die grundlegenden Ideen. u


architektur PEOPLE<br />

30<br />

Patrick Lüth<br />

Soll der Kontakt zwischen Auftraggeber<br />

und Architekt persönlich hergestellt<br />

werden?<br />

Ja, der persönliche Kontakt zwischen<br />

Auftraggeber und Architekt<br />

ist sehr wichtig. Am Anfang eines<br />

Projektes muss man sich auf jeden<br />

Fall persönlich treffen. Das tut mir<br />

zwar weh, wegen dem CO 2 -Fußabdruck<br />

durch das Fliegen. Ich versuche<br />

aber, so viel wie möglich mit dem<br />

Zug zu fahren. Man muss sich aber<br />

physisch treffen und an einen Tisch<br />

zusammensetzen. Wenn das einmal<br />

gemacht wurde, funktioniert auch<br />

eine Videokonferenz tadellos. Aus<br />

meiner Erfahrung braucht es eine<br />

persönliche Ebene.<br />

Brauchen wir in Zukunft noch konventionelle<br />

Darstellungsmethoden?<br />

Auf jeden Fall. Vielleicht nicht alle,<br />

aber nehmen wir zum Beispiel den<br />

Grundriss. Prinzipiell erfüllt er unterschiedliche<br />

Aufgaben. Er ist ein<br />

Kommunikationswerkzeug einerseits<br />

zwischen Architekt und Auftraggeber,<br />

zwischen Auftraggeber<br />

und Käufer, zwischen Auftraggeber<br />

und Baufirma oder zwischen Architekten<br />

und Baufirma. Es ist ein sehr<br />

universelles Medium, das sich über<br />

Jahrhunderte etabliert und gut bewährt<br />

hat und das wir nicht ganz<br />

hinter uns lassen können. Man muss<br />

die unterschiedlichen Schnittstellen<br />

betrachten. Zwischen Architekt<br />

und Baufirma hat ein BIM-Modell<br />

Vorteile. Jedoch sind da noch einige<br />

Fragen ungeklärt, wie zum Beispiel<br />

Haftungsfragen. Neben den konventionellen<br />

werden sich auch zusätzliche<br />

Darstellungsmethoden, wie BIM<br />

und VR etablieren, und zwar an anderen<br />

Schnittstellen. Ganz ersetzen<br />

werden sie Grundrisse, Schnitte und<br />

Ansichten aber nicht.<br />

Wie können sich Architekturwettbewerbe<br />

verändern?<br />

Ich fände es gut, wenn es auch bei<br />

© Snøhetta / Filippo Bolognese<br />

2018 gewann Snøhetta den internationalen städtebaulichen Wettbewerb für einen neuen, gemischten<br />

Stadtteil in Budapest. Wasser prägt nicht nur die Identität des neuen Quartiers, sondern schafft auch<br />

neue Freiräume am Wasser, die auch als Retentionsflächen und für eine ökologische Wasserbewirtschaftung<br />

zur Verfügung stehen.<br />

Wettbewerben eine Reihe unterschiedlicher<br />

Formate gäbe, auch<br />

nicht anonymisierte Verfahren. Bei<br />

vielen Fragestellungen wäre es wesentlich<br />

besser, wenn man sich auch<br />

bereits im Wettbewerb mit dem Auftraggeber<br />

unterhalten kann. Ich habe<br />

schon oft beobachtet, dass bei anonymen<br />

Wettbewerben dem Auftraggeber<br />

schlussendlich kein Projekt<br />

uneingeschränkt gefallen hat. Zu beachten<br />

ist, dass es auch um Chemie<br />

geht. Zwischen Auftraggeber und<br />

Architekt gibt es ein persönliches<br />

Verhältnis und die Frage ist, ob beide<br />

miteinander zurechtkommen. Wenn<br />

nicht, dann gibt es oft genug danach<br />

ein Problem. Das ist uns auch schon<br />

ein paar Mal passiert. Architekturwettbewerbe<br />

sollten generell weniger<br />

Teilnehmer haben, damit man<br />

einen Dialogprozess führen kann.<br />

Dadurch wird die Qualität besser und<br />

man kann mit dem Auftraggeber gemeinsam<br />

einen Prozess entwickeln.<br />

Das ist natürlich für den Auftraggeber<br />

schwieriger, lohnt sich aber.<br />

Wie kann man dabei die Wettbewerbsfähigkeit<br />

gewährleisten?<br />

Ich traue den Auftraggebern zu, dass<br />

sie professionell differenzieren können.<br />

Braucht es diese persönliche Ebene in<br />

Zukunft auch für ein Architekturbüro<br />

in Form eines physischen Standortes?<br />

Ein physischer Standort ist sehr<br />

wichtig, weil Leute gerne in Gruppen<br />

arbeiten und sind. Dafür braucht es<br />

einen Raum. Darüber hinaus sind<br />

die Atmosphäre des Raumes, das<br />

Licht und die Akustik wichtig für<br />

den kreativen Output. Und für die<br />

Art der Zusammenarbeit, die wir<br />

präferieren. Ich bin ein Befürworter<br />

einer möglichst kollektiven Strategie,<br />

Ideenfindung und auch Büroführung.<br />

Für mich ist die Zeit des<br />

Meisterdenkens vorbei. Mit meiner<br />

Meinung unterscheide ich mich sehr<br />

stark von anderen Architekturbüros,<br />

speziell im deutschsprachigen Raum.<br />

Aber unsere bebaute Umwelt ist so<br />

komplex, dass wir viel Wissen aus<br />

unterschiedlichen Disziplinen brauchen.<br />

Meine Rolle als Leiter eines Architekturbüros<br />

ist es, diese Prozesse<br />

zu organisieren und zum Teil auch<br />

zu moderieren. Ich möchte nicht der<br />

sein, der eine Idee vorgibt. Ob andere<br />

das auch so sehen weiß ich nicht,<br />

aber für mich ist das das einzig legitime<br />

Zukunftsszenario.<br />

Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />

für die Zukunft?<br />

Unser Städtebau-Projekt für das<br />

South Gate Projektin Budapest ist<br />

für mich ein zukunftsweisendes Projekt.<br />

Dabei geht es um multifunktionale<br />

Landschaften, um Resilienz und<br />

um möglichst offene und demografische<br />

Durchmischung.<br />

Die Zukunft der Architektur/Architektur<br />

der Zukunft ist für mich …<br />

kollektiv.


www.architektur-online.com<br />

31<br />

Angelika Fitz<br />

FORM FOLLOWS<br />

PERFECTION<br />

Die Dinge in Perfektion zu vollenden. Dafür steht AXOR. Diesen Anspruch unterstreichen<br />

die Brauseprodukte von AXOR. Sie sind das Nonplusultra in der Dusche. Ein<br />

perfektes Beispiel: der AXOR ShowerHeaven 1200⁄300 4jet mit dem sanft umhüllenden,<br />

innovativen PowderRain. Die Inszenierung von Wasser. Einzigartig.<br />

In jeder Dimension.<br />

axor-design.de


architektur PEOPLE<br />

32<br />

Prof. DI Maria Auböck<br />

Zukunft der Architektur<br />

und digitale Städte<br />

Statement von Landschaftsarchitektin Prof. DI Maria Auböck<br />

Maria Auböck führt seit 1987 mit János Kárász das Atelier Auböck + Kárász in Wien.<br />

Von 1999 bis 2017 war sie Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in München.<br />

© Atelier Auböck und Kárász<br />

Der folgende Text basiert teilweise auf der Veröffentlichung<br />

„Digitale Städte brauchen public design“ in<br />

„Garten und Landschaft “ 8/219.<br />

Kennen Sie den Schwarzplan von Rom, den Giovanni<br />

Battista Nolli 1748 präsentierte? Er zeigt auf einmalige<br />

Weise die Straßen und Plätze der italienischen Hauptstadt<br />

gemeinsam mit den Erdgeschosszonen. Er wurde<br />

zum Vorbild des Städtebaus und des public design.<br />

Im Digitalzeitalter ist diese Zusammenschau wieder<br />

topaktuell. Jetzt geht es darum, für die Architektur<br />

das alltägliche Leben und seinen osmotischen Austausch<br />

in der Stadtlandschaft zu erhalten. Dafür<br />

müssen wir beginnen, die richtigen Fragen nach den<br />

Bauformen, deren Gebrauch und der Haltung zur<br />

Wandlung der Stadträume zu stellen. Wir müssen<br />

die Architektur in ihrer Rolle der Raumbildung in den<br />

Diskurs miteinbeziehen und uns fragen, ob Smart Cities<br />

alleine dank der Technologien ein vitales Stadtleben<br />

garantieren können – wie es beispielsweise die<br />

spanische Stadt Santander zeigt – oder ob die Umstellung<br />

auf neue Technologien Teil der Architekturdiskussion<br />

ist.<br />

Christopher Alexander beschrieb in seinem Standardwerk<br />

„Pattern Language“ 1977 umfassend die<br />

zeitlosen Bedürfnisse der Menschen – quer durch<br />

Generationen und Kulturen. Kevin Lynch vermittelte<br />

durch seine Stadtkartierungen – wie zum Beispiel<br />

„Good City Form“, 1981 – Generationen von Planern<br />

die Bedeutung der Architektur der Stadtlandschaft<br />

als kleinteiliges komplexes System und unterstützte<br />

damit deren kritisches Denken zu den damals bereits<br />

erkennbaren Erosionen der Stadtlandschaft.


www.architektur-online.com<br />

33<br />

Prof. DI Maria Auböck<br />

© Archiv Atelier Auböck<br />

Einblick in neue Arbeitswelten: Erste Campus, Wien Henke-Schreieck Architekten.<br />

Strategie im digitalen Zeitalter: Partizipation<br />

Gelten diese Überlegungen heute noch? Im Zeitalter<br />

der Digitalisierung ändert sich das Gesicht der Stadt<br />

– unter anderem durch Interneteinkäufe und deren<br />

Anlieferung mittels präziser Transportlogistik. Schon<br />

bald wird es keine Vitrinen, Verkaufskultur mehr geben.<br />

Die städtischen Verwaltungen können auf diese<br />

Veränderungen nicht parzellenscharf reagieren.<br />

Neue Strategien sind nötig.<br />

Ein möglicher Ansatz ist der der Beteiligung. Auf diese<br />

setzt die Stadtplanerin Christa Reicher von der RWTH<br />

Aachen. Sie fordert in den „Aachener Nachrichten“ im<br />

November 2018 von der Stadt Aachen, Teilhabe und<br />

Verantwortung für die Stadt zu organisieren. „Stadtgestaltung<br />

ohne Partizipation funktioniert heute nicht<br />

mehr. Die Herausforderung besteht darin, einen aktiven<br />

Diskurs mit der Stadtgesellschaft mit fachlichem<br />

Leadership intelligent zu verbinden.“<br />

Amazon, Facebook und Google ersetzen keinesfalls<br />

die direkte Kommunikation auf Augenhöhe, den<br />

Austausch der Menschen und deren Suche nach<br />

Beteiligung und Geborgenheit. Wie können innovative<br />

Bauwerke reagieren? Die Fachwelt ist sowohl für<br />

den Wohnbau wie die Gewerbebauten gefordert. Das<br />

kleinteilige Gewerbe und der Einzelhandel wird aus<br />

den Straßen verschwinden. Dazu kommt die Verarmung<br />

der Wohngebiete, deren Erdgeschosszonen<br />

fensterlose Fassaden oder einfache Lüftungselemente<br />

für Müllräume und Garagenplätze zeigen.<br />

Künftig bestellen Stadtbewohner ihre Waren vom<br />

Bildschirm aus, die Päckchen bringt dann der Drohnen-Lieferdienst<br />

zum Küchenfenster oder auf den<br />

Balkon. Und die neuen Entwicklungen betreffen nicht<br />

nur DHL oder UPS, auch andere Lieferanten wie<br />

Uber und die rasante Entwicklung der autonomen<br />

Fahrzeuge verändern die Benutzung der Stadt. Architekten,<br />

Stadtgestalter und Planer von public design<br />

werden dazu reagieren müssen und strategische<br />

Überlegungen zur Architektur der Zukunft anstellen.<br />

Richard Sennett wies in seinen Publikationen wie<br />

„Handwerk“, 2008 und „Die offene Stadt“, 2018, die<br />

von der Stadt und dem Handwerk im digitalen Zeitalter<br />

handeln, auf diese Phänomene hin und heizte die<br />

aktuelle Debatte der Planer an.<br />

Es gilt zu handeln, denn das nächste Päckchen ist<br />

schon bestellt.<br />

Wohnen mit Balkon im halböffentlichen Raum, am<br />

Beispiel In der Wiesen, artec Architekten, Wien.<br />

© Archiv Atelier Auböck


architektur PEOPLE<br />

34<br />

Dieter Blocher<br />

Bauen als Ausdruck<br />

der Gesellschaft<br />

Interview mit Architekt Dieter Blocher<br />

Gemeinsam mit seiner Frau Jutta<br />

Blocher gründete Dieter Blocher 1989<br />

blocher partners, ein international führendes<br />

multidisziplinäres Architekturund<br />

Designbüro. Zu den Schwerpunkten<br />

zählen die Bereiche Wohnungsbau,<br />

öffentliche Bauten, Hybridbauten und<br />

Handel. Neben der strategischen Ausrichtung<br />

verantwortet Dieter Blocher<br />

in der Unternehmensgruppe mit mehr<br />

als 210 Mitarbeitern an den Standorten<br />

Stuttgart, Berlin, Mannheim und Ahmedabad<br />

unter anderem die Bereiche<br />

Projektentwicklung, nachhaltiges<br />

Bauen und die internationalen Hochbauprojekte.<br />

© blocher partners/Bernd Kammerer


www.architektur-online.com<br />

35<br />

Dieter Blocher<br />

Der aus zwei 17-geschossigen Türmen mit einer Höhe von 70 Metern bestehende Bürokomplex Mondeal Heights<br />

prägt die Skyline der indischen Millionenstadt Ahmedabad. Für das moderne Business-Center in minimalistisch<br />

angelegter Architektursprache wurden blocher Partners mit dem Reality Plus Excellence Award ausgezeichnet.<br />

© Purnesh Dev Nikhanj<br />

Warum braucht es auch in<br />

Zukunft Architekten?<br />

Weil Häuser auch in Zukunft für<br />

Menschen gebaut werden und nicht<br />

für Algorithmen. Offenbar gehören<br />

Architekten nicht zu den Berufen,<br />

die durch Big Data und AI unmittelbar<br />

gefährdet sind. Kreativität entzieht<br />

sich glücklicherweise Formeln.<br />

Architektur hat die große Chance,<br />

sich die neuen Technologien als<br />

Werkzeuge zu eigen zu machen, um<br />

in einer hochkomplexen, vernetzten<br />

Welt für Menschen zu entwerfen.<br />

Welche Eigenschaften werden in<br />

Zukunft für einen Architekten noch<br />

wichtiger sein als heute?<br />

Die Kunst, einen Schritt zurückzutreten<br />

und sich gezielte Auszeiten<br />

zu nehmen vom „Immer-Online“.<br />

Man darf ruhig mal einem Gedanken<br />

nachhängen. Sind die Batterien<br />

wieder aufgeladen, ist auch das<br />

Sensorium wieder geschärft für das<br />

Eigentliche: Lösungen für Menschen<br />

zu schaffen. Wer das versteht, kann<br />

vernetzt denken, über die eigene<br />

Disziplin hinaus. Denn es wird nichts<br />

mehr gehen ohne transdisziplinäres<br />

Arbeiten. Architektur war schon immer<br />

eine Querschnittsaufgabe, die<br />

angewandte Soziologie und Psychologie<br />

ebenso umfasste wie Statik<br />

oder Bauphysik. In Zukunft wird dieses<br />

Denken entscheidend werden.<br />

Welche Voraussetzungen für Architektur<br />

müssen geschaffen oder verbessert<br />

werden?<br />

Vielleicht lohnt es, zwischen Planung<br />

und Realisierung zu unterscheiden.<br />

Vor allem die Umsetzung ist Ausdruck<br />

einer Gesellschaft. Warum<br />

aber wird hier so wenig gestritten –<br />

und wenn, dann nur über Kosten und<br />

Termine? Architektur braucht mehr<br />

direkte und informelle Kontakte in<br />

die Gesellschaft, für die sie arbeitet.<br />

Dann müssen wir auch nicht mehr<br />

über Fassaden streiten, wenn eigentlich<br />

wichtige Funktionen gemeint<br />

sind, die sich eben nicht auf den ersten<br />

Blick erschließen, dann können<br />

wir Streitkultur als Baukultur erleben.<br />

Was muss sich Ihrer Meinung nach<br />

ändern, damit der Beruf des Architekten<br />

auch in Zukunft nicht an Bedeutung<br />

verliert?<br />

Gegenfrage: Warum sollte er an Bedeutung<br />

verlieren in einer Welt, die<br />

immer mehr nach Anhaltspunkten<br />

und Orientierung sucht?<br />

Ist ein Paradigmenwechsel in der Architektur<br />

notwendig?<br />

Dieser Paradigmenwechsel ist in vollem<br />

Gange! Bald wird es nicht mehr<br />

notwendig sein, die Nachhaltigkeit<br />

von Gebäuden herauszustellen, weil<br />

es sinnlos wird, nicht-nachhaltig zu<br />

bauen. Ein Haus nach 30 Jahren abzureißen<br />

und etwas völlig Neues zu<br />

bauen, werden wir uns nicht mehr<br />

leisten können. Was ist darüber hinaus<br />

notwendig? Zwei Dinge: Das<br />

Bauen muss preiswerter werden.<br />

Wir bauen immer noch wie im Mittelalter.<br />

Vorfertigung (in der Fabrik)<br />

und vernetzte Logistik auf der Baustelle<br />

können tatsächlich Kosten<br />

senken helfen (bei höherer Qualität).<br />

Schließlich sollten wir uns dem ausufernden<br />

Gestrüpp an Vorschriften<br />

stellen und kritisch hinterfragen, ob<br />

stetig wachsende Vorgaben zu besseren<br />

Häusern führen.<br />

u


architektur PEOPLE<br />

36<br />

Dieter Blocher<br />

© Diringer und Scheidel Unternehmensgruppe | Fabian Aurel Hild<br />

Fünf neue Stadthäuser mit hundert Wohnungen formen ein markantes Ensemble mit einem hohen gestalterischen Anspruch<br />

im Mannheimer Glückstein-Quartier, mit der Innenstadt in nächster Nähe und dem großen Park unmittelbar nebenan.<br />

Was sind die derzeit größten Herausforderungen<br />

für ein Architektenbüro?<br />

Unsere Mitarbeiter sind das größte<br />

Kapital. Sie zu entwickeln und uns<br />

mit ihnen, ist eine wunderbare Herausforderung.<br />

Neue Mitarbeiter zu<br />

finden, ist in Zeiten des Booms ebenfalls<br />

spannend. Der „War for Talents“<br />

zieht sich von Amerika bis Indien und<br />

von Berlin bis Stuttgart. Wir als international<br />

tätiges Büro freuen uns über<br />

kreative Stimmen, neue Einsichten<br />

und überraschende Ansichten, die<br />

uns flexibler und schneller machen,<br />

wenn es darum geht, die (Bau)- Aufgaben<br />

der Zukunft anzugehen.<br />

blocher partners hat neben Planungsbüros<br />

in Deutschland auch ein<br />

Büro in Indien. Was sind die wesentlichen<br />

Unterschiede? Gibt es Themen,<br />

die die Sichtweise beeinflussen und<br />

direkte Auswirkungen auf die Planung<br />

im jeweiligen Land haben?<br />

Wir sind ja in vielen asiatischen Märkten<br />

tätig, nicht nur in Indien, wo wir<br />

seit mehr als zehn Jahren ein Büro in<br />

Ahmedabad haben. Generell hilft uns<br />

die Rückbesinnung auf die uralten<br />

Kulturen. Ein immer wichtiger werdendes<br />

Thema ist auch in Indien die<br />

Nachhaltigkeit, auch weil der spätere<br />

Käufer sehr genau hinschaut.<br />

Welches Thema beschäftigt<br />

Sie besonders?<br />

Unsere Arbeit prägt von jeher das<br />

vernetzte Denken. Das wird noch<br />

wichtiger in Zukunft. Daher geht es<br />

darum, auch im Büro Strukturen zu<br />

schaffen, die flexibel und ergebnisoffen<br />

sind und die dafür sorgen, dass<br />

die jeweils beste Idee gewinnt.<br />

Die Zukunft der Architektur / Architektur<br />

der Zukunft ist für mich? Mein ganz<br />

persönlicher frommer Wunsch heißt?<br />

Die Gestaltung der Städte als l(i)ebens -<br />

werte Orte ...<br />

Das in der Nachkriegszeit entworfene Baudenkmal in Hannover<br />

verwandelten die Architekten von blocher partners in ein modernes<br />

Parlamentsgebäude, das sich nun besonders offen und<br />

transparent zeigt.<br />

Mit hoher räumlicher Flexibilität und maximalem Gestaltungsfreiraum folgt<br />

das AOK Projekthaus auf dem GETRAG Areal in Ludwigsburg ganz den<br />

Leitgedanken des New Workspace.<br />

© Joachim Grothius © Joachim Grothius


www.architektur-online.com<br />

37<br />

Maximilian und Julia Kneussl


architektur PEOPLE<br />

38<br />

Dr. Harald Gründl<br />

Design auch wieder<br />

aus der Welt schaffen<br />

Interview mit Designer Dr. Harald Gründl<br />

Mit ihren Produkten möchte das Designteam<br />

EOOS die Welt in eine positive<br />

Zukunft lenken. Harald Gründl betont<br />

dabei die Wichtigkeit des fächerübergreifenden<br />

Denkens und von Kreisläufen.<br />

© Elfie Semotan


www.architektur-online.com<br />

39<br />

Dr. Harald Gründl<br />

© Stefan Lux/MAK<br />

Bei der diesjähringen Vienna Biennale for Change <strong>2019</strong> zeigen EOOS bei ihrer Ausstellung "KLIMAWANDEL! Vom Massenkonsum<br />

zur nachhaltigen Qualitätsgesellschaft" fünf Designinstallationen, die diese Transformation unterstützen können.<br />

Ist Design eher etwas künstlerisches<br />

oder funktionales?<br />

Die künstlerische Konnotation von<br />

Design kommt eher aus der Vergangenheit<br />

und stellt eine sehr elitäre<br />

Wahrnehmung dar. Die frühere<br />

Zuschreibung des Designs zur<br />

angewandten Kunst umfasst beide<br />

Begriffe. Heute ist es nicht auf eine<br />

spezifische Berufsgruppe eingrenzbar,<br />

sondern ein kooperativer Prozess.<br />

Designprozesse sind interdisziplinär<br />

und stammen nicht von einer<br />

Einzelperson, die im Atelier hinter<br />

einem Schreibtisch sitzt und sich<br />

etwas ausdenkt. Durch Partizipation<br />

können komplexe Probleme entsprechend<br />

gelöst werden, was ja auch auf<br />

die Architektur zutrifft.<br />

Was kann in Zukunft als Maßstab für<br />

gutes Design gelten?<br />

Weltverträglichkeit. Um das zu erreichen<br />

darf man sich nicht nur einzelne<br />

Dinge anschauen, sondern ganze<br />

Lebensstile. Es geht darum, wie uns<br />

das Ding hilft, ein gutes weltverträgliches<br />

und solidarisches Leben<br />

zu führen. Die Beurteilung des Dinges<br />

an sich ist dabei nicht relevant,<br />

sondern die Beziehung, die es zu anderen<br />

Dingen hat. Es kann ein Ding<br />

sein, das schlecht ist, wenn es mir<br />

gehört, aber es kann gut sein, wenn<br />

ich es mit anderen teile.<br />

Die Weltverträglichkeit ist also bei<br />

EOOS die wichtigste Grundlage?<br />

Genau, je nach Kontext, in dem wir<br />

gerade arbeiten, kann das beispielsweise<br />

auch die Langlebigkeit sein.<br />

Sie stellt einen Unterbegriff von Weltverträglichkeit<br />

dar. Was kurz lebt,<br />

schnell weggeworfen wird und wofür<br />

es noch kein kreislauffähiges System<br />

gibt, fällt nicht unter diesen Begriff.<br />

Die Langlebigkeit ist ein wichtiges<br />

Kriterium für viele unserer Projekte.<br />

Was machen Sie, damit ihre Produkte<br />

die Zeit überstehen?<br />

Das ist eine Frage des schönen Alterns<br />

und des modisch Seins zu einer<br />

bestimmten Zeit. Wir arbeiten in einem<br />

Designsegment, wo Mode nicht<br />

in dieser Kurzlebigkeit auftritt wie in<br />

anderen Bereichen wie beispielsweise<br />

Kleidung, obwohl es auch für Möbel<br />

gewisse Moden gibt. Auch Dinge,<br />

die lange eine Bedeutung haben,<br />

sind auch nicht immer unter dem Begriff<br />

„zeitlos“ einzuordnen. Nichts ist<br />

zeitlos. Bei EOOS entwickeln wir Dinge<br />

aus unserer Haltung und unseren<br />

Werten heraus mit Firmen, die diese<br />

teilen. So entstehen dann Dinge, die<br />

länger Bestand haben. Etwas zeitlos<br />

zu nennen, ist hohe Spekulation,<br />

denn viele „zeitlosen“ Designklassiker<br />

waren damals radikal und haben<br />

mit gängigen Wahrnehmungen gebrochen.<br />

Sie bestehen nicht dadurch,<br />

dass sie damals zeitlos waren, sondern<br />

mit ihrer Zeit gebrochen haben.<br />

Sie finden es also nicht notwendig, immer<br />

die neuesten Produkte zu haben?<br />

Am Ende zählt die Gesamtbilanz eines<br />

Lebensstils. Wie die individuellen<br />

Schwerpunkte dabei gesetzt werden<br />

,überlasse ich jedem selbst. Insgesamt<br />

müssen wir so leben, dass es<br />

sich für alle ausgeht. Es wäre wichtig,<br />

ein Feedback für den eigenen<br />

Lebensstil zu bekommen, um zu sehen,<br />

ob dieser ökologisch und sozial<br />

verträglich ist.<br />

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?<br />

Diesem Wort sind wir mittlerweile<br />

schon ein bisschen überdrüssig geworden,<br />

auch weil es von der Werbung<br />

ständig für Greenwashing verwendet<br />

wird. Bei der Nachhaltigkeit<br />

geht es um das maßvoll sein und auch<br />

um ein Denken über Generationen hinaus.<br />

Sie bezieht sich auf unser heutiges<br />

Wirken und setzt es in Relation zu<br />

zukünftigen Generationen. u


architektur PEOPLE<br />

40<br />

Dr. Harald Gründl<br />

Das modulare Kühlschrank-System „Greenfreeze 2“<br />

Wo kann das Design der Zukunft<br />

eine Inspirationsquelle finden?<br />

In der Natur gibt es eine unglaubliche<br />

Vielfalt an Lösungen, die die Erde<br />

aber über all die Jahre nicht kaputt<br />

gemacht haben. Das Kreislaufdenken<br />

in der Wirtschaft ist im Grunde durch<br />

die biologischen Kreisläufe der Natur<br />

inspiriert. Auch für das Design und<br />

die Architektur ist es wichtig, den<br />

Kreislauf fertig zu denken. Man soll<br />

sich nicht nur überlegen, wie man<br />

Dinge in die Welt schafft, sondern<br />

auch wie man sie wieder aus der Welt<br />

schafft. In Australien muss für neue<br />

Gebäude auch wieder ein Plan hinterlegt<br />

werden, wie man es wieder<br />

weg bekommt. In einem kleineren<br />

Maßstab wird das auch für Design<br />

notwendig sein. Für Materialien muss<br />

ein Bewusstsein geschaffen werden,<br />

wo diese herkommen, unter welchen<br />

Bedingungen diese hergestellt werden<br />

und ob sie später ein zweites<br />

Leben haben können. Dieses von der<br />

Natur inspirierte Wirtschaftsdenken<br />

in Kreisläufen muss in Design und Architektur<br />

ganz schnell Einzug halten.<br />

Welche Aufgaben wird dann Design<br />

in der Zukunft zu erfüllen haben?<br />

Es muss uns klarmachen, dass unsere<br />

Zukunft nicht alternativenlos<br />

ist, wie uns das die Politik und Wirtschaft<br />

zum Teil weismachen möchte.<br />

Es gibt viele Alternativen für alle<br />

Bereiche unseres Lebens. Design<br />

ist ein wunderbares Werkzeug, um<br />

uns Menschen zu zeigen, welche<br />

Zukünfte vor uns liegen. Bestimmte<br />

Zukünfte sollen dadurch zur Diskussion<br />

gestellt und gesellschaftliche<br />

Prozesse sollen angestoßen werden.<br />

Unsere aktuelle Ausstellung im MAK,<br />

die mit „Klimawandel“ übertitelt ist,<br />

versucht genau das. Wir müssen<br />

jetzt Formen und auch Institutionen<br />

schaffen, durch die wir unsere<br />

Zukunft verhandeln können. Design<br />

ist dafür das Werkzeug. Es soll auch<br />

spekulative Zukünfte in den Raum<br />

stellen, wo wir gemeinsam als Gesellschaft<br />

herausfinden und diskutieren<br />

können, wo wir hin wollen.<br />

Sehen Sie der Zukunft<br />

positiv entgegen?<br />

Die Zukunft ist das, was wir daraus<br />

machen. Eine der wichtigsten Aufgaben<br />

von Design ist es, die gesellschaftliche<br />

Rolle ernst zu nehmen.<br />

Die Transformation vom Massenkonsum<br />

zu einer nachhaltigeren Gesellschaft<br />

soll es aktiv mitgestalten und<br />

Lösungen in den Raum stellen. Wir<br />

müssen kritisch sein und auch bleiben,<br />

vielleicht sogar noch kritischer<br />

werden. Wenn das Design lediglich<br />

einer Marktlogik folgt, würde diese<br />

transformative Kraft nicht entfaltet<br />

werden können. Leider muss man sagen,<br />

dass in der Wirtschaft kurzfristiges<br />

Handeln und das nicht Abgehen<br />

von alten Geschäftsmodellen einem<br />

Wandel extrem im Weg stehen.<br />

Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />

für die Zukunft?<br />

Eine Grundbedingung für ein Leitprojekt<br />

für die Zukunft ist ein vernetztes<br />

und systematisches Denken über die<br />

Disziplin hinaus. Abstrakt gesehen<br />

soll es schnell diesen Wandel hin zu<br />

einer Kreislaufgesellschaft ermöglichen.<br />

Gute Lösungen müssen vielen<br />

Menschen schnell zugute kommen.<br />

Alte Geschäftsmodelle müssen neu<br />

gedacht werden, obwohl Copyrights<br />

und Patente sicher noch länger existieren<br />

werden. Für EOOS ist dabei<br />

ein Projekt ganz wichtig, an dem wir<br />

seit fast zehn Jahren mit der Bill &<br />

Melinda Gates Foundation arbeiten:<br />

eine Toilettenlösung, bei der der<br />

Urin in der Toilette abgetrennt wird.<br />

Dieser kleine Schritt hat große Auswirkungen,<br />

denn man kann ihn dazu<br />

benutzen, um weniger Dünger zu verwenden<br />

und in weiterer Folge gibt es<br />

dadurch weniger Stickstoffeintrag in<br />

die Flüsse. Mit einer Reform hin zu einer<br />

biologischen Landwirtschaft würden<br />

wir den Einsatz von künstlichen<br />

Dünger zukünftig vermeiden können.<br />

Man sieht, dass eine kleine Sache riesengroße<br />

Auswirkungen haben kann<br />

und das nur, weil man sie systemisch<br />

denkt. Alle Projekte, die dem Klimawandel,<br />

der Umweltzerstörung und<br />

der sozialen Ungleichheit Lösungen<br />

gegenüberstellen, sind Leitprojekte<br />

für die Zukunft. Es braucht neue<br />

Akteure, ein fächerübergreifendes<br />

Denken und ein kritisches Auge auf<br />

die aktuellen Geschehnisse. Unsere<br />

schwierige Situation ist nicht unveränderlich.<br />

In diese haben wir uns jetzt<br />

hineingebracht, aber da kommen wir<br />

mit der Kreativität von allen wieder<br />

hinaus und dazu zählen eben nicht<br />

nur Designer.<br />

Die Zukunft des Designs/Design der<br />

Zukunft ist für mich …<br />

weltverträglich.


www.architektur-online.com<br />

41<br />

Architekt Professor Klaus Loenhart


architektur PEOPLE<br />

42<br />

DI Helumt Koch<br />

Die Nähe<br />

wiederentdecken<br />

Interview mit dem Verkehrsplaner DI Helmut Koch<br />

Als Leiter des Verkehrsplanungsbüros<br />

komobile in Gmunden engagiert sich<br />

Dipl.-Ing. Helmut Koch für innovative<br />

Verkehrslösungen, aktive Mobilität und<br />

den öffentlichen Verkehr. Im Zuge des<br />

Interviews betont er immer wieder die<br />

Wichtigkeit des öffentlichen Raumes<br />

und der Multimodalität im Verkehr.<br />

© Helmut Koch<br />

Herr Diplomingenieur Koch, wie<br />

glauben Sie, werden wir uns in Zukunft<br />

fortbewegen?<br />

In Zukunft wird es regional sehr unterschiedliche<br />

Mobilitätsmuster geben.<br />

Dabei wird sich der städtische<br />

Raum weiterhin vom ländlichen Raum<br />

unterscheiden. Durch die fortlaufende<br />

Urbanisierung wird aber das Mobilitätsverhalten<br />

in der Stadt maßgeblich<br />

sein. Dort wird man aktiver sein, also<br />

sich aus eigener Kraft mit dem Fahrrad,<br />

E-Bike, Scooter oder Ähnlichem<br />

fortbewegen. Mobilität wird multimodaler,<br />

also abwechslungsreicher und<br />

es werden vermehrt Mobilitätsservices<br />

– wie CarSharing oder BikeSharing<br />

– in Anspruch genommen. Man<br />

borgt sich lieber ein Fahrzeug aus als<br />

es privat zu besitzen. Im ländlichen<br />

Raum wird der private PKW weiterhin<br />

seinen Stellenwert behalten. Kraftfahrzeuge<br />

werden aber nicht fossil<br />

angetrieben sein, sondern, wie es derzeit<br />

aussieht, elektrisch.<br />

Was sind mögliche Verbindungen<br />

zwischen dem städtischen und ländlichen<br />

Raum?<br />

Für die Schnittstelle zwischen Umland<br />

und Stadt Lösungen zu finden,<br />

ist sicherlich am schwierigsten. Der<br />

problemverursachende Straßenverkehr<br />

in den Städten ist ja vor allem<br />

Stadt-Umland-Verkehr. Die Mobilität<br />

von Stadtbewohnern und jener des<br />

Umlandes unterscheiden sich signifikant.<br />

Eine stärkere Kooperation zwischen<br />

Städten und Umlandgemeinden<br />

ist notwendig. Es gibt aktuell<br />

immer noch zu viele Kompetenzgrenzen.<br />

Attraktive ÖV-Achsen, vorzugsweise<br />

auf der Schiene, müssen ausgebaut<br />

werden und in der Region gut<br />

erreichbar sein. Ein Denken in Agglomerationen<br />

über die Stadtgrenzen hinaus<br />

ist unbedingt notwendig.<br />

Worin sehen Sie weitere Problematiken<br />

bei der aktuellen Verkehrssituation<br />

in Österreich?<br />

Man denkt immer noch zu oft in großen<br />

Lösungen. Wir brauchen aber<br />

mehr Lösungen für die Nähe. Knapp<br />

die Hälfte aller mit dem Auto zurückgelegten<br />

Wege ist kürzer fünf<br />

Kilometer. Hier bestehen große Po-


www.architektur-online.com<br />

43<br />

DI Helumt Koch<br />

Auch in Kleinstädten sind<br />

nachhaltige Mobilitätslösungen<br />

möglich. In Gmunden<br />

wurde durch den<br />

Neubau einer 700 Meter<br />

langen Gleisverbindung<br />

die attraktive Traunsee-<br />

Tram geschaffen.<br />

© Stern&Hafferl Verkehr<br />

tenziale für mehr aktive Mobilität,<br />

die es zu heben gilt. Wenn die Rahmenbedingungen<br />

passen und die<br />

Motivation stimmt, werden diese<br />

Wege auch problemlos zu Fuß, mit<br />

dem Fahrrad oder E-Bike zurückgelegt.<br />

Auch wenn es auf den ersten<br />

Blick paradox erscheint: Radwege<br />

und gemischte urbane Strukturen<br />

lösen Verkehrsprobleme effizienter<br />

als neue Autobahnen. Das Verkehrssystem<br />

reagiert sehr flexibel auf die<br />

bereitgestellte Infrastruktur.<br />

Sind die Städte der Zukunft<br />

also autofrei?<br />

In den Kernbereichen wird es autofreier<br />

werden, dass es aber überall<br />

Fußgängerzonen gibt glaube ich<br />

nicht. Das ist auch nicht notwendig.<br />

Die Anzahl der Kraftfahrzeuge wird<br />

in den Städten zurückgehen. In den<br />

Wohngebieten wird es künftig größere<br />

autofreie Bereiche geben. Dadurch<br />

entstehen wieder qualitativ<br />

hochwertige öffentliche Räume und<br />

mehr Nähe. Fahrzeuge parken nicht<br />

am Straßenrand, sondern in Sammelgaragen,<br />

von denen aus man auf<br />

kurzem Weg das Ziel erreicht. Motorisierten<br />

Individualverkehr wird es<br />

weiterhin geben, die Motorisierung<br />

wird aber weiter zurückgehen.<br />

Wird der Mensch weiterhin die Verkehrsmittel<br />

steuern?<br />

Vollständig autonomes Fahren wird in<br />

den Städten erst in einigen Jahrzehnten<br />

alltäglich sein. Die aktuelle Euphorie<br />

ist verfrüht, es gibt noch eine<br />

Reihe von ernsten technischen Problemen,<br />

die zu lösen sind. Autonomes<br />

Fahren wird sich zuerst in einfach zu<br />

beherrschenden Umgebungen durchsetzen<br />

– das sind die Autobahnen.<br />

Selbstfahrende Busse, der jetzt probeweise<br />

eingesetzt werden, könnten<br />

einen Beitrag zur Attraktivierung des<br />

öffentlichen Verkehrs leisten.<br />

Wie kommen Sie persönlich eigentlich<br />

täglich zur Arbeit?<br />

Ich wohne in einer Kleinstadt, deren<br />

kompakte Struktur mir kurze Wege<br />

ermöglicht. Von Zuhause gehe ich<br />

zu Fuß ins Büro. Wenn ich keine<br />

Auswärtstermine habe, brauche ich<br />

tagelang keine motorisierten Verkehrsmittel.<br />

Ich lebe damit in einer<br />

privilegierten Situation. Ziel der Planung<br />

müsste es ein, für mehr Menschen<br />

ähnlich privilegierte Situationen<br />

zu schaffen.<br />

Was bedeutet Mobilität für Sie?<br />

Mobilität heißt Beweglichkeit, also<br />

die Möglichkeit sich zu verändern.<br />

Räumlich gesehen geht es um Ortsveränderungen.<br />

Der Begriff ist gesellschaftlich<br />

sehr positiv besetzt.<br />

Eingriffe in die räumlichen Mobilitätsmöglichkeiten<br />

werden häufig<br />

emotional diskutiert. Politiker sind<br />

deshalb sehr vorsichtig, wenn Entscheidungen<br />

getroffen werden müssen.<br />

Es dominiert eine egoistische<br />

Grundeinstellung: Jeder möchte<br />

möglichst in einer Fußgängerzone<br />

wohnen, mit dem eigenen PKW aber<br />

möglichst ungehindert und schnell<br />

überall hinfahren können. Mit dieser<br />

Diskrepanz muss man als Politiker,<br />

aber auch als Verkehrsplaner leben.<br />

Finden Sie es notwendig,<br />

ständig mobil zu sein?<br />

Nein. Auch hier gibt es einen Zwiespalt<br />

im Menschen. Einerseits will<br />

man nicht gezwungen sein, täglich<br />

viele Kilometer zu fahren, andererseits<br />

stört es die Leute nicht, freiwillig<br />

weite Strecken zurückzulegen,<br />

zum Beispiel in der Freizeit. Wir beobachten<br />

noch immer zunehmende<br />

Distanzen, zum Beispiel zwischen<br />

Wohn- und Arbeitsort. Steigende<br />

Pendeldistanzen werden für eine<br />

(vermeintlich) höhere Wohnqualität<br />

am Land oder geringere Wohnkosten<br />

in Kauf genommen. Manches davon<br />

ist nicht notwendig und könnte zum<br />

Beispiel durch Homeworking ersetzt<br />

werden. Wir Planer sollten Strukturen<br />

schaffen, wo man mehr Aktivitäten<br />

im Nahbereich durchführen kann.<br />

Diese erlauben es, mobil zu sein und<br />

gleichzeitig nachhaltiger zu leben.<br />

Wie wird das Sammeln von Daten<br />

den Verkehr und die Verkehrsplanung<br />

in Zukunft beeinflussen?<br />

Wir sind schon heute durch unsere<br />

Handys ein „offenes Buch“, auch<br />

wenn es Vielen nicht bewusst ist.<br />

Durch das Tracken von Bewegungsmustern<br />

unserer Handys können<br />

Fahrzeiten in Routenplanern genau<br />

prognostiziert werden. Das erzeugt<br />

einerseits Unbehagen, andererseits<br />

sind das für die Verkehrsplanung<br />

wertvolle Grundlagen. Durch Digitalisierung<br />

wird der ohnehin sehr komplizierte<br />

öffentliche Verkehr leichter<br />

nutzbar. Ich sehe das Sammeln von<br />

Daten und die Digitalisierung grundsätzlich<br />

positiv, wenn persönliche<br />

Daten nicht in unangemessener Weise<br />

weitergegeben werden. u


architektur PEOPLE<br />

44<br />

DI Helumt Koch<br />

© Helmut Koch<br />

Wie wird das Thema Mobilität die Architektur<br />

der Zukunft beeinflussen?<br />

Die Architektur muss sich künftig<br />

umfassender mit den Ansprüchen<br />

der Mobilität befassen. Neben den<br />

heute üblichen PKW-Stellplätzen<br />

sind Abstellmöglichkeiten für Fahrräder<br />

einzuplanen, und zwar direkt<br />

vor den Eingängen. Fahrradräume<br />

in der Erdgeschosszone sind notwendig,<br />

niemand nutzt das Fahrrad,<br />

wenn man es erst vom Keller<br />

über Stiegen hinauftragen muss.<br />

KFZ-Stellplätze müssen nicht unbedingt<br />

mit dem Lift von der Wohnung<br />

aus erreichbar sein. Besser sind<br />

Sammelgaragen am Rand von Siedlungsgebieten.<br />

CarSharing-Systeme<br />

und andere Verleihsysteme sind<br />

zu integrieren, am besten in Form<br />

von Mobility Points, damit können<br />

Zweitautos eingespart werden. Eine<br />

verringerte Zahl von Pkw-Stellplätzen<br />

kann einen Beitrag zu leistbarerem<br />

Wohnen leisten.<br />

Was sind Mobility Points genau?<br />

Das sind Mobilitätsdrehscheiben, die<br />

in Siedlungsgebieten oder bei Stationen<br />

des öffentlichen Verkehrs positioniert<br />

sind. Angebote für CarSharing,<br />

Mietwägen, Lademöglichkeiten für<br />

Elektrofahrzeuge, E-Bikes und Fahrradabstellmöglichkeiten<br />

sind hier<br />

kombiniert. Man deckt dort Mobilitätsbedürfnisse<br />

ab, informiert sich,<br />

borgt Fahrzeuge aus oder wechselt<br />

das Verkehrsmittel. In einigen Städten<br />

gibt es bereits erfolgversprechende<br />

Umsetzungen, wie in Graz,<br />

Wien und Linz. Aber auch Kärnten<br />

verfolgt dieses Prinzip landesweit.<br />

Werden Verkehrsplaner also zu spät<br />

in die Planung miteinbezogen?<br />

Wir haben in der Praxis damit zu kämpfen,<br />

dass das Thema Mobilität manchmal<br />

erst in einer späten Planungsphase,<br />

oft erst im Genehmigungsverfahren,<br />

aufpoppt. Dann heißt es, Feuerwehr<br />

spielen. Richtig wäre, Mobilitätskonzepte<br />

von Anfang an mitzudenken,<br />

und entsprechende Rahmenbedingungen<br />

für die Planung am Beginn eines<br />

Prozesses festzulegen.<br />

Was raten Sie als Verkehrsplaner<br />

den Architekten und Architektinnen<br />

sonst noch?<br />

Die Aspekte der Verkehrsplanung<br />

ernst zu nehmen und von Anfang<br />

an in die Planung zu integrieren. Das<br />

heißt, nicht nur die Autostellplätze zu<br />

berücksichtigen, sondern auch die<br />

Ansprüche der anderen Verkehrsteilnehmer.<br />

Der Raum zwischen den Objekten<br />

ist eine genauso wichtige Gestaltungsaufgabe<br />

wie der Hochbau<br />

selbst. Die Qualität des öffentlichen<br />

Raumes ist ein riesengroßes Thema.<br />

Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />

für die Zukunft?<br />

Es gibt eigentlich schon viele umgesetzte<br />

Beispiele mit innovativen Planungsansätzen.<br />

Das sind zum Beispiel<br />

die Seestadt Aspern in Wien oder im<br />

ländlichen Raum die Siedlung „Sonnengarten<br />

Limberg“ in Zell am See.<br />

Die Mobilität der<br />

Zukunft ist für mich...<br />

aktiver, multimodaler, weniger motorisiert,<br />

mehr im Sinne eines Services zu<br />

verstehen und elektrisch angetrieben.<br />

Digitalisierung unterstützt die Flexibilität<br />

der Verkehrsteilnehmer. Der private<br />

PKW-Besitz wird zurückgehen.


www.architektur-online.com<br />

45<br />

Dipl.-Ing. Helumt Koch<br />

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architektur PEOPLE<br />

46<br />

Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger<br />

Architektur<br />

und Vermarktung<br />

Interview mit Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger, GF Raiffeisen Immobilien<br />

Bei der Behandlung des gesetzten Leitthemas<br />

„Zukunft der Architektur – Architektur<br />

der Zukunft“ darf der Bereich, der letztendlich<br />

für die Vermarktung der gebauten Werke<br />

verantwortlich ist, mit seiner ganz speziellen<br />

Sichtweise nicht fehlen. Exemplarisch für<br />

die Immobilienbranche sprachen wir mit Ing.<br />

Mag. Peter Weinberger, einem der beiden<br />

Geschäftsführer von Raiffeisen Immobilien.<br />

Welche Bedeutung hat der Themenbereich<br />

Architektur für Sie und Ihr Unternehmen?<br />

Die Architektur hat zweifelsfrei einen großen<br />

Stellenwert beim Verkauf einer Immobilie.<br />

Auffällig ist aber, das manche Architektur<br />

etwas übertrieben ist und die Käufer<br />

diesen Anspruch gar nicht haben. Oftmals<br />

wird dadurch das Objekt unnötig verteuert,<br />

da die Konsumenten diese Ansprüche gar<br />

nicht stellen.<br />

Ein Beispiel dafür?<br />

Etwa der Einsatz von teuren Materialen nur<br />

für die optische Wirkung. Oder die derzeit<br />

modischen Galerien, die der zukünftige Nutzer<br />

in Wahrheit aber so gar nicht braucht.<br />

Ab und zu geht meiner Meinung nach die<br />

Architektur den Weg des zu Schönen, des<br />

zu Prunkvollen und damit einhergehend<br />

des zu Teuren. Die aktuelle Situation am<br />

Markt ist aber ohnedies angespannt, da wir<br />

mit sehr hohen Grundstückspreisen konfrontiert<br />

sind und das Bauen selbst ebenfalls<br />

recht teuer ist. Wenn dann auch noch<br />

die Architektur über ein vernünftiges Maß<br />

schießt, wird die Immobilie für viele einfach<br />

unleistbar. Es ist jedenfalls ein klarer<br />

Trend, dass sich architektonisch einfacher<br />

ausgeführte und kostengünstigere Objekte<br />

wesentlich leichter verkaufen lassen.<br />

Das größe Problem bei der Umsetzung des<br />

Wohntraums ist die Leistbarkeit – die Leute<br />

wollen schon etwas Schönes, aber wenn sie<br />

sich das nicht leisten können?<br />

Wie steht es mit der Bedeutung der Nachhaltigkeit?<br />

Ist das ein Thema für Ihre Käufer?<br />

Ehrlicherweise ist es derzeit noch kein wesentliches<br />

Thema bei der Kaufentscheidung.<br />

Aber es ist zu merken, dass das Interesse<br />

an Umweltschutz und Nachhaltigkeit<br />

steigt. Bei annähern gleichem Preis fällt<br />

schon jetzt die Wahl eher auf Projekte, die<br />

mit nachhaltigen Baustoffen entstanden<br />

sind. Die Kaufentscheidung selbst basiert<br />

aber weniger auf technischen Kriterien, es<br />

wird überwiegend emotional entschieden.<br />

Da ist eher das Thema „schön“ und „weniger<br />

schön“ entscheidend.<br />

© Petra Spiola<br />

Man kann also einen höheren Preis nicht<br />

mit Nachhaltigkeit argumentieren?<br />

Ich fürchte, das kann man nicht, da es die<br />

Leute nicht zahlen können. Wir sind in Summe<br />

für nationale Verhältnisse schon sehr<br />

teuer. Meiner Meinung nach sind wir bei<br />

den Immobilienpreisen in Österreich sogar<br />

schon am oberen Ende des Leistbaren.<br />

Gibt es Unterschiede zwischen dem Projekt-<br />

und dem Privatverkauf?<br />

Was sicher viel komplexer ist, ist ein Projekt<br />

vom Plan weg zu vermarkten. Objekte<br />

zur Eigennutzung lassen sich so nur sehr<br />

schwer verkaufen. Bei Anlageobjekten, wo<br />

der Käufer als Investor nicht selbst Nutzer<br />

sein wird, ist es hingegen einfacher. Hier<br />

stehen das Vermieten und die Rendite und


www.architektur-online.com<br />

47<br />

Ing. Mag. (FH) Peter Weinberger<br />

nicht das selber Wohnen im Vordergrund.<br />

So gesehen ist der Unterschied zwischen<br />

Eigennutzung und Anlage gravierend und<br />

muss bei der Vorbereitung der Vorverwertung,<br />

des Verkaufens ab Plan, besonders<br />

berücksichtigt werden.<br />

Gebrauchtimmobilien lassen sich dem gegenüber<br />

einfacher verkaufen, da die Interessenten<br />

die Immobilie sehen, fühlen und auch<br />

das Umfeld erleben können. Speziell im Osten<br />

wird gerne an der Mauer geklopft. Und<br />

da gebrauchte Immobilien gegenüber neuen<br />

Objekten in der Regel etwas günstiger sind,<br />

ist der Entscheidungsprozess in der Regel<br />

bei bestehenden Objekten etwas kürzer.<br />

Verkaufen vom Plan weg – wie kann man<br />

sich das vorstellen? Den Plan in die Realität<br />

zu denken fällt auch Fachleuten nicht immer<br />

so leicht!<br />

Wir nutzen dafür zunehmend die virtuelle<br />

Welt und machen die Objekte durch<br />

Virtual-Reality-Touren erlebbar. Ich denke,<br />

dass diese Technologie in Zukunft einen<br />

Aufschwung erleben wird. Aktuell bringen<br />

die VR-Touren aber noch keine spontanen<br />

Kauf entscheidungen. Das wird erst passieren,<br />

wenn man diese Besichtigungen zu<br />

Hause am Fernsehbildschirm machen und<br />

mit der ganzen Familie durchführen kann.<br />

Dann wird auch die Vermarktungsvorbereitung<br />

für ein Projekt eine neue Bedeutung<br />

bekommen. Derzeit ist VR bei der Vermarktung<br />

aber eher noch ein schönes Spiel.<br />

Der Digitalisierungsgrad der Bauwirtschaft<br />

nimmt rasant zu. Wie sieht es da im Bereich<br />

der Vermarktung aus?<br />

Die nachfolgenden Generationen leben<br />

viel digitalisierter und das wird auch unsere<br />

Branche zunehmend betreffen. Für<br />

unseren Bereich kann das neben den erwähnten<br />

VR-Touren etwa auch den Einsatz<br />

von Robotern bei den Erstbesichtigungen<br />

bedeuten – der Interessent öffnet die Tür<br />

mit dem übermittelten Code und im inneren<br />

führt ein Roboter durch die Immobilie.<br />

Für die tatsächliche Kaufentscheidung wird<br />

meiner Meinung nach aber weiterhin der<br />

persönliche Kontakt wichtig sein. Rein digital<br />

glaube ich nicht, dass der Vertrieb einer<br />

Immobilie funktioniert.<br />

Hat es bei der Vermarktung Vorteile, wenn<br />

das Projekt von einem sehr bekannten Architekten<br />

stammt?<br />

Ja, ich glaube schon, dass es ein Vorteil ist.<br />

Aber nur dann, wenn der Preis deswegen<br />

nicht höher ist.<br />

Und wieder der Preis?<br />

Ist nur der entscheidend?<br />

Der Preis ist eben ein sehr wichtiges Kriterium<br />

und im Durchschnitt das Essentiellste.<br />

Es hilft dem Interessenten nichts, wenn alles<br />

super ist und gefällt, aber er erhält keine<br />

Finanzierung und kann es sich nicht leisten.<br />

Ich spreche da vom durchschnittlichen<br />

Menschen und nicht von den Mehrverdienern.<br />

Letztendlich zählt das Preis-Leistungsverhältnis<br />

und natürlich auch die<br />

Lage. Aber in Summe wird es weniger darauf<br />

ankommen, wer das geplant und gebaut<br />

hat, wenn es gut geplant und gebaut ist.<br />

Es gibt also im Verkauf keinen<br />

Bonus für bekannte Architekten?<br />

Ich glaube nicht, dass es einen Bonus dafür<br />

gibt. Aber zweifelsfrei sind Objekte von Architekten,<br />

die sich persönlich sehr stark bei<br />

ihren Projekten einbringen und ergründen,<br />

was sie selber gerne hätten, was sie stört, und<br />

die das dann bei der Umsetzung berücksichtigen<br />

mehr gefragt. Am Markt zählt nicht nur<br />

die Optik – gefordert ist vielmehr die Funktionalität.<br />

Wo die fehlt, wird es für uns schwierig.<br />

In welche Richtung wird sich der Immobilienmarkt<br />

weiter entwickeln? Preislich hoffen<br />

Sie ja offensichtlich, dass es nicht noch teurer<br />

wird. Wie sieht es bei den Nutzflächen<br />

aus? Wie bei den Lagen?<br />

Ein immer bedeutenderes Kriterium ist<br />

die Erreichbarkeit. Ein Großteil der jungen<br />

Menschen in den Städten besitzt heute kein<br />

eigenes Auto mehr – und viele wollen auch<br />

keines. Im ländlichen Bereich kommt dem<br />

öffentlichen Verkehr bei der Kaufentscheidung<br />

eine sehr große Rolle zu.<br />

Bei den Nutzflächen erwarte ich keine weitere<br />

Reduktion. Wenn ich einen Interessenten<br />

fragen würde, ob er für 400.000 Euro<br />

100 Quadratmeter will, oder 50, würde der<br />

Intelligente fragen „wo“. Sie sehen, neben<br />

dem Preis ist es auch eine Frage der Lage<br />

und ich glaube auch nicht, dass generell der<br />

Wunsch nach kleinen Wohnflächen besteht.<br />

Wir haben zwar viele Singlehaushalte, dort<br />

ist Größe sicher ein Thema. Wenn man aber<br />

von Jungfamilien oder Familien spricht,<br />

werden 50 Quadratmeter nicht wirklich reichen.<br />

Es kommt also bei diesem Punkt stark<br />

darauf an, wer der Nachfragende ist.<br />

Meiner Erfahrung nach kann eine gut geschnittene<br />

75 bis 80 Quadratmeter Wohneinheit<br />

das Ideal darstellen. Man braucht keine<br />

200, aber auch keine 50 Quadratmeter,<br />

wenn man selber darin wohnen will. Wichtig<br />

ist einfach eine vernünftige Zimmeraufteilung.<br />

Deswegen glaube ich nicht, dass Eigenheime<br />

in Zukunft kleiner werden.<br />

Und aufgrund des Preis/Fläche-Verhältnis<br />

sehen wir auch, dass immer mehr Menschen<br />

in ländlichere Regionen ausweichen,<br />

da sie dort mehr Fläche für das gleiche<br />

Geld bekommen. Dort ist dann aber entscheidend,<br />

welche öffentliche Anbindungen<br />

vorhanden sind. Deswegen ist es für diese<br />

Gebiete enorm wichtig, die notwendige Infrastruktur<br />

zu haben, um das Leben auf dem<br />

Land zu ermöglichen.<br />

Was verbinden Sie mit dem<br />

Begriff „grüner Wohnen“?<br />

Wir wohnen schon vergleichsweise grün.<br />

Vor allem in den Ballungszentren ist das<br />

„grünere Wohnen“ in den Plänen schon zu<br />

erkennen, in den Errichtungen hingegen<br />

noch nicht. Ich sehe aber, dass dieses Thema<br />

von den Konsumenten schon angenommen<br />

wird. Die sommerlichen Temperaturen<br />

spielen da stark hinein – Klimaanlagen<br />

waren z.B. lange kein Thema, spielen heute<br />

aber eine sehr große Rolle. Deswegen<br />

liebe ich es, wenn ein Bauträger erklärt, er<br />

bereitet die Klimaanlage vor. Da denke ich:<br />

Mach sie oder mach sie nicht, was soll eine<br />

vorbereitete Anlage dem Käufer bringen?<br />

Oder wenn heute am Insektenschutz gespart<br />

wird. Ist ein stehendes Gewässer in<br />

der Nähe, ist der fehlende Insektenschutz<br />

ein Kriterium, das beim Verkauf ganz sicher<br />

angesprochen wird. Es sind oft Kleinigkeiten,<br />

an denen es dann scheitert.<br />

Wenn Sie ein neues Projekt übernehmen:<br />

Sehen Sie da gleich, ob es leicht oder<br />

schwer zu verkaufen sein wird?<br />

Ja, das sehen wir aufgrund unserer 35 jährigen<br />

Erfahrung eigentlich sofort. Wir freuen<br />

uns daher auch, wenn wir schon vor der Planung<br />

involviert werden und ergründen können,<br />

wer genau dort die Käufer sein werden.<br />

Es ist sehr logisch, sich mit den Zielgruppen<br />

und deren Anforderungen im Vorfeld auseinander<br />

zu setzen, um nicht an der Nachfrage<br />

vorbei zu bauen.<br />

Dabei kristallisiert sich meistens eine<br />

Hauptgruppe heraus, für die eine Immobilie<br />

in Frage kommt – und an der man sich<br />

hauptsächlich orientieren kann. Sind deren<br />

Wünsche und Anforderungen dann eruiert,<br />

kommen von uns etwa die Vorschläge über<br />

die gefragten Wohnungsgrößen oder auch<br />

die erforderliche Ausstattung. Für ein erfolgreiches<br />

Projekt ist das Zusammenspiel<br />

von Planung, Errichtung und Vermarktung<br />

jedenfalls enorm wichtig – viele Bauträger<br />

laden uns als Immobilienvermarkter deshalb<br />

schon vor Baubeginn zur Zusammenarbeit<br />

ein. Daraus resultieren dann Projekte,<br />

die vermarktbar sind.


architektur PEOPLE<br />

48<br />

Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />

Die Architektur<br />

hochhalten<br />

Interview mit Architekt Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />

Die Handskizze ist für den Architekten Martin Kohlbauer das wichtigste Ausdrucksmittel<br />

und hilft ihm, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Seine<br />

Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien schloss er in der<br />

Meisterklasse von Gustav Peichl erfolgreich ab. Heute führt er ebenso eindrucksvoll<br />

sein Architekturbüro im Nestroyhof des zweiten Wiener Gemeindebezirks.<br />

© Daniela Klemencic


www.architektur-online.com<br />

49<br />

Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />

Skizzieren gehört für Martin Kohlbauer zu seinem<br />

Alltag - hier für das Fernwärmewerk Wien Süd.<br />

Herr Architekt, was wünschen Sie<br />

sich von der Architektur?<br />

Dass sie berührt. Architektur ist in<br />

hohem Maße ein emotionales Thema.<br />

Wohlbefinden und Weiterkommen<br />

sind stark davon abhängig, dass<br />

man sich in räumlichen Sequenzen<br />

bewegt, die einem positiv konnotieren.<br />

Als Wichtig erachte ich eine<br />

frühzeitige Auseinandersetzung<br />

mit architektonischen Themen. Die<br />

Verankerung der Architektur in den<br />

Lehrplänen aller Altersstufen tut Not.<br />

Lange Zeit gab es im Fach Bildnerische<br />

Erziehung noch die Initiative<br />

„der Architekt kommt in die Schule“,<br />

der ich mich zu Beginn meiner Karriere<br />

immer wieder zur Verfügung gestellt<br />

habe. Schulbildung ist das Eine,<br />

eine mediale Präsenz das Andere.<br />

Architektur ist leider generell ein<br />

Minderheitenprogramm. Eine aktive<br />

Auseinandersetzung der Menschen<br />

mit Architektur muss gefördert und<br />

unterstützt werden. In den alltäglichen<br />

Medien kommt Architektur de<br />

facto nicht vor. Kultur wird lediglich<br />

mit dem Theater in Verbindung gebracht.<br />

Wer die neue Buhlschaft ist,<br />

bewegt ganz Österreich. Bauen ist<br />

Kulturaufgabe, das ist eine wichtige<br />

Botschaft. Denn Bauen ist Kultur. Damit<br />

sollte sich die Gesellschaft auch<br />

entsprechend auseinandersetzen.<br />

Das passiert aber viel zu wenig und<br />

aus meiner Sicht immer weniger.<br />

Wie nehmen Sie die Wiener<br />

Architektur wahr?<br />

Wie in vielen wichtigen europäischen<br />

Städten ist die Wiener Architektur<br />

auch stark von der Geschichte geprägt.<br />

Das Imperiale und der kompakte<br />

Stadtkern sind äußerst präsent.<br />

Dabei geht es nicht nur um den<br />

ersten Bezirk, sondern auch bis zum<br />

Gürtel und darüber hinaus. Das prägt<br />

die städtische Substanz. Es sind<br />

immer die dichten, urbanen Bereiche,<br />

die uns faszinieren. Der soziale<br />

Wohnbau spielt in Wien eine wichtige<br />

Rolle. Nicht nur die Architektur des<br />

„roten Wien“ aus den 1920er Jahren,<br />

sondern auch die aktuelle Situation<br />

findet international hohe Beachtung.<br />

Welchen Stellenwert hat das<br />

Geschichtsbewusstsein?<br />

Die Architektur ist eine Beziehungsgeschichte<br />

und steht immer in einem<br />

zeitlichen Kontext. Man braucht für die<br />

Architektur Geschichtsbewusstsein.<br />

Architektur studieren heißt ja auch,<br />

die Weltarchitektur in ihrem Zusammenhang<br />

zu studieren. Das ist wichtig,<br />

wenn ich etwas Besonderes machen<br />

möchte oder einen spezifischen Input<br />

in eine Aufgabe geben möchte. Bezüge<br />

herzustellen, ist eine Kunst und<br />

macht gute Architektur aus.<br />

Ist Architektur also Kunst?<br />

Es gibt die immerwährende Debatte,<br />

ob Architektur Kunst oder Dienstleistung<br />

oder Sonstiges ist. Architektur<br />

ist Kunst! – ohne Wenn und Aber.<br />

Sich von dieser Haltung zu verabschieden,<br />

würde bedeuten, sich vom<br />

Architekturanspruch zu verabschieden.<br />

Eines der allerwichtigsten Dinge<br />

ist, dass man diesen Anspruch verfolgt<br />

und trotz permanenter Einwände<br />

nicht weich wird. Kompromissbereitschaft<br />

ist völlig in Ordnung, aber<br />

man muss wissen an welcher Stelle.<br />

Sehen Sie sich als einen<br />

typischen Wiener Architekten?<br />

Der Titel meiner zuletzt erschienen<br />

Werkmonografie lautet „A Viennese<br />

Architect“. Dabei handelt es sich nicht<br />

um eine bloße Ortsangabe, sondern<br />

um ein kulturelles Bekenntnis. Wien ist<br />

meine Heimat in vielerlei Hinsicht. Ich<br />

fühle mich den Traditionen der Wiener<br />

Großstadtkultur sehr verbunden.<br />

Wie wird das Image von Wien durch<br />

die Architektur mitbestimmt?<br />

Das Image einer Stadt wird meist<br />

von der Außensicht betrachtet und<br />

davon generiert. Die Reduktion auf<br />

Stephansdom, Schloss Schönbrunn<br />

und Riesenrad wird noch lange gepflegt<br />

werden. Als Architekt ist man<br />

in der glücklichen Lage, eine umfassendere,<br />

vielschichtigere Wahrnehmung<br />

entwickelt zu haben, die einem<br />

als reflektierenden Reisenden immer<br />

wieder zu Gute kommt.<br />

u


architektur PEOPLE<br />

50<br />

Mag. arch. Martin Kohlbauer<br />

Sehen Sie die Zukunft der Architektur<br />

in der Vertikalität oder in der Horizontalität?<br />

Die Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts<br />

ist stark geprägt von einem<br />

vertikalen Drang. Das wird auch weiterhin<br />

so bleiben. Man kann dadurch<br />

zwar eine gewisse Dichte erzeugen,<br />

aber es bringt auch durchaus<br />

Nachteile mit sich. Betrachtet man<br />

die Wirtschaftlichkeit eines Hochhauses,<br />

so hat es durch den Kern im<br />

Inneren eine marginale Nutzfläche.<br />

Vertikalität und Horizontalität sind<br />

jedoch beide wichtig und können<br />

gut nebeneinander existieren, sowie<br />

eben auch Alt und Neu.<br />

Sehen Sie die Zukunft der Architektur<br />

am Land oder am Wasser?<br />

Persönlich habe ich gern sicheren<br />

Boden unter den Füßen, obwohl Venedig<br />

einer meiner Lieblingsorte ist.<br />

Wasser hat eine besondere Kraft und<br />

bietet eine wunderbare Aura und<br />

Qualität. Die Beziehung zu Wasser ist<br />

also sehr wichtig. Eine Zukunft unter<br />

Wasser sehe ich jedenfalls nicht und<br />

hätte auch keine Lust dazu.<br />

Könnte man vielleicht auch am Land<br />

einen Schritt weiter gehen und die<br />

Städte nach unten hin verdichten?<br />

Es gibt faszinierende Beispiele von<br />

unterirdischer Architektur, nicht nur<br />

aus Gründen des Versteckens, sondern<br />

auch unter Einbeziehung der<br />

Topografie. Für eine kompakte Struktur<br />

kann das Nutzen von unteren<br />

Ebenen sehr sinnvoll sein. Ich denke<br />

an den Louvre oder Sportbauten von<br />

Dominique Perrault. Die aktuelle europäische<br />

Kulturhauptstadt <strong>2019</strong> Matera<br />

ist ein wunderbares Beispiel.<br />

Was kann man aus der Architektur der<br />

Vergangenheit und der Gegenwart für<br />

die Architektur der Zukunft lernen?<br />

Die Architektur der Vergangenheit<br />

sollte man kennen und studiert haben,<br />

denn man kann daraus unendlich<br />

viel lernen. Als Architekt lernt<br />

man ohnehin ununterbrochen und<br />

das auch aus Negativbeispielen. Das<br />

Gesehene wird sofort überprüft und<br />

reflektiert. Das sollte sowohl mit Vergangenem<br />

als auch mit Zeitgenössischem<br />

passieren, das ist eine wichtige<br />

Basis und hat wesentlichen Einfluss<br />

auf das Kommende. Mein persönliches<br />

Prinzip lautet „zuerst den Rucksack<br />

vollpacken“. Um aus dem Vollen<br />

zu schöpfen braucht man solch eine<br />

Grundlage. Meine weitere persönliche<br />

Basis ist die Zeichnung. Jedes Projekt<br />

beginnt mit einer Skizze.<br />

Wird man in Zukunft noch<br />

händisch skizzieren?<br />

Menschen wie ich sicherlich. Meine<br />

Arbeit ist immer verbunden mit dem<br />

Blick aufs Wesentliche. Einer der<br />

Vorteile der Skizze ist, dass man viele<br />

Aspekte unmittelbar auf das Wesentliche<br />

reduziert. Der Computer<br />

kann viel und hat tausend Möglichkeiten,<br />

wird diese kreative Fähigkeit<br />

jedoch auch in Zukunft nicht ersetzen<br />

können.<br />

Was werden wichtige Werkzeuge<br />

des Architekten sein und wie beeinflussen<br />

sie die Architektur?<br />

Die wichtigsten Werkzeuge bleiben<br />

immer noch Hirn und Bauch des Architekten.<br />

Nur diese befähigen zu<br />

Gespür und Empathie. Zu meiner<br />

Studienzeit haben wir darüber Witze<br />

gemacht, ob das Kurvenlineal die<br />

Formensprache beeinflusst. Natürlich<br />

hat die digitale Revolution viele<br />

Formen generiert. Ob das ein Mehr<br />

an guter Architektur ermöglicht,<br />

bezweifle ich. Es gibt viele Formen,<br />

wo man sich fragen kann: „warum<br />

nicht“? Aber die wichtige Frage nach<br />

dem „Warum“ wird dadurch nicht<br />

kausal beantwortet.<br />

Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />

für die Zukunft?<br />

Das „Viertel Zwei“ in der Wiener<br />

Krieau. Hier gibt es höchsten Anspruch<br />

an die Architektur, an die<br />

Freiräume, an das Zusammenspiel<br />

von Alt und Neu, von Hoch und Nieder,<br />

sprich an das Wohlbefinden der<br />

Menschen, Nachhaltigkeit wurde von<br />

Beginn an nicht nur als Schlagwort<br />

groß geschrieben.<br />

Was wird die Architektur der<br />

Zukunft nicht sein?<br />

Eigentlich eine Frage auf die man<br />

keine Antwort haben kann. Eines<br />

wird sie aber sicher nicht sein: überflüssig!<br />

Ganz im Gegenteil. Die Architektur<br />

ist hochzuhalten.<br />

Mit wenigen Linien wird die Grundidee des Wohn- und Bürogebäudes<br />

Korso bei dieser Skizze zum Ausdruck gebracht.


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52<br />

Mag. DI Markus Meyer<br />

Vegetation in der Stadt<br />

von morgen<br />

Interview mit Gartenarchitekt Mag. DI Markus Meyer<br />

Überall auf unserem Globus wird es<br />

heißer. Temperaturen von 38° bis 42°<br />

sind in mittel- und nordeuropäischen<br />

Städten heutzutage bereits die Regel.<br />

Auch Wien sei auf dem Weg zu einer<br />

regelrechten „Wüstenstadt“ – nicht<br />

zuletzt durch die fortschreitende Vernichtung<br />

von Vegetationsflächen im<br />

urbanen Raum, erklärt der in Mödling<br />

bei Wien lebende Gartenarchitekt<br />

Markus Meyer.<br />

Inwieweit wirkt sich Überhitzung auf<br />

unsere Lebensqualität aus?<br />

Abgesehen von der Hitze? Umweltmediziner<br />

haben herausgefunden,<br />

dass latenter Schlafmangel – bedingt<br />

durch die Hitze – nicht nur zu<br />

körperlichen Beeinträchtigungen,<br />

sondern auch zu psychischen Schäden<br />

führen können. Panikattacken<br />

und Depressionen sowie Unwohlsein,<br />

Verdauungsproblemen u.v.m. hängen<br />

damit zusammen.<br />

Können hier Pflanzen helfen?<br />

Pflanzen sind tatsächlich unsere<br />

botanischen Sanitäter. Im urbanen<br />

Raum machen Solitärbepflanzungen,<br />

robuste Bäume, Sinn, weil sie<br />

den Wasserhaushalt regeln, Staub<br />

einfangen und Lärm dämmen, sie<br />

kühlen auch und binden CO 2 . Zudem<br />

produzieren sie den Sauerstoff, den<br />

wir zum Überleben brauchen. Botanische<br />

Klimaanlagen also, die wesentlich<br />

wirkungsvoller arbeiten und<br />

zudem wesentlich günstiger sind.<br />

Dasselbe gilt für Pflanzinseln in urbanen<br />

Räumen.<br />

Unabhängig davon ist eine Schirmplatane<br />

(Platanus acerifolia) als Schattenspender<br />

in einem sogenannten<br />

Schanigarten wesentlich angenehmer,<br />

effektiver und vor allem günstiger<br />

als ein Sonnenschirm, der eigens<br />

produziert und nach einiger Zeit auch<br />

wieder entsorgt werden muss. Ein<br />

Baum hingegen erfreut auch noch die<br />

nächsten Generationen.<br />

Ist die Hitze nicht auch für Pflanzen<br />

ein Problem?<br />

Pflanzen sind viel älter und klüger als<br />

wir und auch erstaunlich vielseitig.<br />

Bäume und Sträucher wie die Gleditsie<br />

(Gleditsia triancanthus), Blauglockenbaum<br />

(Paulownia tomentosa)<br />

oder Judasbäume (Cercis siliquatsrum)<br />

kommen sehr gut mit den „neu-


www.architektur-online.com<br />

53<br />

Mag. DI Markus Meyer<br />

en“ klimatischen Rahmenbedingungen<br />

zurecht. Sie spenden nicht nur<br />

Schatten, kühlen und versprühen ein<br />

angenehmes Wohlgefühl, sondern<br />

fangen auch Staub und Lärm ein.<br />

Verändert sich bereits die Vegetation<br />

in den Stadtparks?<br />

Auf Wiesen oder Wiesen-ähnlichen<br />

Grünflächen sind Schafgarbe (Achillea<br />

millefolium) und Borstenhirse<br />

(Setaria verticillaria) häufig zu finden.<br />

Wie Geranium molle (Weicher<br />

Storchschnabel) werden sie respektlos<br />

als „Unkraut“ tituliert, sind aber<br />

essbare Heilpflanzen.<br />

Auf Parkflächen finden wir vereinzelt<br />

bereits Gleditsien (Gleditsia triancanthos)<br />

oder Robinien (Robinia pseudoacacia),<br />

die in Ergänzung zu bekannteren<br />

Arten wie der Rotbuche (Fagus<br />

sylvatica) oder dem Blasenbaum (Keolreuteria<br />

paniculata) u.ä., zukünftig das<br />

urbane Bild prägen werden.<br />

Und wenn es noch heißer wird?<br />

Mit dem Klima wandert natürlich<br />

auch der Standort bekannter Pflanzenarten.<br />

Vielleicht werden wir in<br />

Zukunft am Weg zum Brandenburger<br />

Tor Olivenplantagen und Orangenhaine<br />

passieren – wäre das so<br />

schlimm? Feigen entlang städtischer<br />

Hauswände, herrliche blühende<br />

Seidenbäume (Albizia julibrissin),<br />

Judasbäume (Cercis siliquatsrum)<br />

oder Gingkos (Gingko triloba) in<br />

Pflanzinseln, sie alle halten dem savannischen<br />

Einfluss stand, spenden<br />

Schatten und kühlen.<br />

Würden Sie auch Dach- und Fassadenbegrünungen<br />

empfehlen?<br />

Definitiv. Nicht begrünte Fassaden<br />

erzeugen eine Abstrahlwärme, die<br />

Unwohlsein und Schwerfälligkeit<br />

verursacht. Grüne Fassaden und<br />

Dachbegrünungen wirken dagegen<br />

wie eine botanische Klimaanlage, die<br />

noch dazu Lärm und Staub reduziert.<br />

Sie wirken im Sommer kühlend und<br />

im Winter wärmedämmend, fungieren<br />

als urbane Sauerstoffpumpe und haben<br />

schon allein durch ihren Anblick<br />

eine beruhigende Wirkung auf uns.<br />

Welche Pflanzen eignen sich für<br />

Fassade und Dach?<br />

Die Idee einer sogenannten Fassadenbegrünung<br />

ist schon weit über<br />

4000 Jahre alt. Damals wurden bereits<br />

Efeu und auch Wein als Schattenspender<br />

an Häusern, aber auch<br />

auf Schiffen gepflanzt. Auch Geißblatt,<br />

Winden und Wicken, Bohnen<br />

und wilde Erbsen wurden schon vor<br />

langer Zeit an Wänden hochgezogen.<br />

Im Grunde gilt, dass es zu jedem<br />

Zweck, für jeden Standort, für jede<br />

bauliche Konstruktion oder Maßnahme<br />

die passende Pflanze gibt.<br />

Man muss nur wirklich schauen und<br />

auch über den Tellerrand hinausblicken.<br />

Denn die Vielfalt an Lösungen,<br />

die die Pflanzen uns liefern, sind fast<br />

grenzenlos.<br />

Welche Fehler beobachten<br />

Sie bei der Umsetzung?<br />

Oft werden „Begrünungsversuche“<br />

lediglich in Hinblick auf eine werbewirksame<br />

Reputation so dilettantisch<br />

umgesetzt, dass der eigentliche Sinn<br />

verloren geht. Generell sollte man sich<br />

immer zuerst fragen, welche Maßnahme<br />

Sinn macht, welche Änderung<br />

erwünscht ist, und anschließend erst<br />

über die Pflanzenauswahl nachgedacht<br />

werden, denn wie oben erwähnt,<br />

es gibt immer die passende Pflanze.<br />

Stimmt es, dass manche Pflanzen die<br />

Fassade zerstören?<br />

Es gibt keine Pflanze, die irgendetwas<br />

zerstört. Wer vermeiden will,<br />

dass die Fassade beschädigt wird,<br />

sollte natürlich auf Selbstklimmer<br />

wie Efeu (Hedera helix) oder Kletterhortensie<br />

(Hydrangea anomala) verzichten,<br />

zumal diese Pflanzen auch<br />

giftig sind. Eine Alternative wären<br />

essbare Kletterpflanzen wie die Kiwi<br />

(Actinidia deliciosa), da die urbanen<br />

Räume ja immer heißer werden.<br />

Wieviel Pflegeaufwand brauchen Bepflanzungen<br />

an Wand und Dach?<br />

Für mich bedeutet ein erhöhter<br />

Pflegeaufwand schlichtweg eine<br />

verkehrte Auswahl an Pflanzen. Am<br />

richtigen Standort braucht die Pflanze<br />

selbst keinerlei Pflege. Wer regelmäßig<br />

zurückschneiden will, kann<br />

das aber natürlich veranlassen. Meist<br />

lässt sich das nach einer Einführung<br />

von eigenen Mitarbeitern ohne großen<br />

Aufwand bewerkstelligen. Nur<br />

ein fachgerechter Obstbaumschnitt<br />

sollte von einem Fachmann durchgeführt<br />

werden.<br />

Wann ist der beste Zeitpunkt, um mit<br />

der Planung und Umsetzung<br />

zu beginnen?<br />

Immer. Aber in der Regel macht die<br />

Planung und Vorbereitung im Winter<br />

am meisten Sinn. Man sollte sich vor<br />

allem Zeit dafür nehmen. Die Ausführung<br />

selbst hängt natürlich vom<br />

Wetter ab, im Hochsommer sollte<br />

man bekanntlich nicht pflanzen.<br />

Und wie sieht es mit den Kosten aus?<br />

Jedes Projekt ist anders und es wäre<br />

fahrlässig, fixe Kosten verbindlich<br />

zu äußern. Ich kann dazu nur sagen,<br />

dass die Kosten für botanische Maßnahmen,<br />

sei es die Bepflanzung, die<br />

Kultivierung oder letztlich die Pflege,<br />

immer günstiger sind, weil sie<br />

schlichtweg einfacher durchzuführen<br />

sind.<br />

Außerdem lassen sich durch Pflanzen<br />

viele Vorteile generieren, der<br />

ökologische Impetus, dass allgemeine<br />

Wohlgefühl und auch die positive<br />

Reputation des Hauses. Selbst bauliche<br />

Mängel können einfach kaschiert<br />

werden. Im Vergleich mit den Kosten<br />

alternativer Maßnahmen sind die<br />

Kosteneinsparungen durch die richtige<br />

Bepflanzung geradezu eklatant!<br />

Efeu oder Wilder Wein (Parthenocissus quinquefolia), wie<br />

im Wiener Boutiquehotel Stadthalle, sind Selbstklimmer, die<br />

bei Hitze kühlen und sich bei Wind und Kälte als Kälteschutz<br />

eignen. Besonders Efeu als immergrüne Kletterpflanze<br />

kommt auch mit dem lichtarmen Standort zurecht und ist<br />

in der Pflege absolut zuvorkommend. Im Frühling oder<br />

Spätsommer – solange kein Frost herrscht – lässt er sich<br />

ganz nach Wunsch zurechtschneiden.<br />

© Boutiquehotel Stadthalle/Tina Herzl


architektur PEOPLE<br />

54<br />

Andrea und Herwig Ronacher<br />

Zeitlos und<br />

energieautark<br />

Interview mit den Architekten DI Andrea und DI Dr. Herwig Ronacher<br />

Die Architektur von heute und der<br />

Zukunft sollten wir sinnvollerweise<br />

im Kontext mit anderen Aspekten<br />

beziehungsweise Qualitäten unserer<br />

Zeit betrachten. Die ökologische Bewegung<br />

ist – wie in vielen Lebensbereichen<br />

– auch im Baugeschehen der<br />

wohl konstruktivste Ansatz für eine<br />

Erneuerung, vor allem die Renaissance<br />

des konstruktiven Holzbaus.<br />

Davon sind die Architektin DI Andrea<br />

Ronacher und Architekt DI Dr. Herwig<br />

Ronacher überzeugt. Seit 1987 führen<br />

sie gemeinsam ein Büro mit 15 Mitarbeitern<br />

in Khünburg bei Hermagor in<br />

Kärnten, seit 2015 ein gemeinsames<br />

Baumanagement Büro mit DI (FH)<br />

Thomas Freunschlag. Zu den bisherigen<br />

Auszeichnungen zählen unter<br />

anderem mehrere Landespreise für<br />

vorbildliches Bauen in Niederösterreich,<br />

der Österreichische Eurosolarpreis<br />

sowie die Holzbau preise Kärnten<br />

und Steiermark.<br />

Ökologiebewusstsein allein, so die<br />

Architekten, reicht jedoch noch<br />

nicht aus, eine neue zukunftsorientierte<br />

Basis für eine Baugesinnung<br />

zu schaffen, die dem Harmoniebedürfnis<br />

der Menschen entspricht. Im<br />

Sinne gediegener Landschafts- und<br />

Städtebilder plädieren sie daher dafür,<br />

dass Kontinuität und Innovation<br />

im Baugeschehen zu einem ausgewogenen<br />

Verhältnis finden.


www.architektur-online.com<br />

55<br />

Andrea und Herwig Ronacher<br />

© Hannes Pacheiner<br />

Der Weber: Umwandlung eines historischen Bauernhauses in ein PH-Haus bzw. Energie-Plus-Haus<br />

Welche Aufgabe hat Architektur?<br />

Sie hat in erster Linie den Menschen<br />

zu dienen. Dies bedeutet Formensuche<br />

in der Einfachheit und Klarheit,<br />

ohne das Wohlbefinden der Menschen<br />

außer Acht zu lassen.<br />

Was kann in Zukunft als Maßstab<br />

für gute Architektur gelten?<br />

Für uns gibt es fünf Aspekte für gutes<br />

Baues, welche in einem ausgewogenen<br />

Verhältnis zueinanderstehen<br />

sollten. Diese sind: Funktion, Ökonomie,<br />

Ökologie, Technik und Ästhetik.<br />

Dies entspricht etwa den drei wichtigsten<br />

Grundwerten der alten Griechen:<br />

Güte, Wahrheit und Schönheit.<br />

Wo sehen Sie Österreich im<br />

internationalen Vergleich?<br />

Führend, vor allem hinsichtlich des<br />

nachhaltigen Bauens, nicht zuletzt<br />

aufgrund unserer noch weitgehend<br />

intakten Natur, die auch die wichtigste<br />

Inspirationsquelle für eine<br />

ökologische Architektur darstellt.<br />

lange Zeitspannen überdauert haben.<br />

Dies ist leider bei vielen Bauten<br />

der letzten Jahre nicht zu erwarten.<br />

Nachhaltigkeit betrifft aber auch die<br />

Wahl zeitloser Formen.<br />

Ist grüne Architektur meist<br />

nur reine Fassade?<br />

Grüne Architektur darf dann als ökologisch<br />

angesehen werden, wenn<br />

das „Grünsein“ mit vertretbarem<br />

Aufwand erreicht wird. Dazu gehören<br />

vor allem Gründächer (sowohl<br />

extensive als auch intensive) und<br />

Terrassenbegrünungen. Bei grünen<br />

Fassaden hingegen gibt es viele<br />

Systeme am Markt, welche teilweise<br />

mit einem sehr hohen Aufwand umgesetzt<br />

werden. Bodengebundene<br />

Fassadensysteme – wie etwa Spalierpflanzen<br />

– sind ökologischer.<br />

Passivhaus bzw. Plus-Energie Haus in reiner Holzbauweise<br />

Sehen Sie der Zukunft<br />

positiv entgegen?<br />

Auch wenn manche Entwicklungen<br />

unserer Zeit fragwürdig und oftmals<br />

sogar beängstigend erscheinen, versuchen<br />

wir, die neuen Strömungen<br />

in unserer Welt positiv zu sehen und<br />

hoffen, dass die Menschen zunehmend<br />

die Genialität der Schöpfung<br />

erkennen, achten und in ihrem Sinn<br />

fortführen.<br />

Was ist für Sie ein Leitprojekt<br />

für die Zukunft?<br />

Als Leitprojekte für die Zukunft sehen<br />

wir vor allem energieautarke<br />

Häuser und Siedlungen, welche den<br />

natürlichen Schöpfungsprozess – im<br />

Sinne bionischer Bauten – zum Vorbild<br />

nehmen und durch ihre Ästhetik<br />

das Herz der Menschen erfreuen.<br />

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?<br />

Der Begriff der Nachhaltigkeit ist in<br />

letzter Zeit ziemlich inflationär gebraucht<br />

worden. Für uns bedeutet<br />

Nachhaltigkeit vor allem die Verwendung<br />

von naturnahen Materialien<br />

wie Holz, Stein, Ziegel und Lehm.<br />

Was den Holzbau anbelangt, sind wir<br />

der Meinung, dass wir jene Beispiele<br />

als Vorbilder nehmen sollten, welche<br />

© Nationalparkverwaltung Hohe Tauern


architektur PEOPLE<br />

56<br />

Stefan Rier und Lukas Rungger<br />

Mehr als die<br />

einzelnen Teile<br />

Interview mit den Architekten Stefan Rier und Lukas Rungger<br />

© Alex Filz<br />

noa* – network of architecture, das<br />

sind vor allem Stefan Rier (SR) und<br />

Lukas Rungger (LR). Die beiden Architekten<br />

waren bei Matteo Thun in<br />

Mailand für Projekte in den Bereichen<br />

Tourismus, modernes Wohnen<br />

und zeitgemäße Arbeitswelten verantwortlich,<br />

bevor sie 2011 ihr eigenes<br />

Büro in Bozen gründeten. „Wir<br />

haben noa* ganz bewusst als Netzwerk<br />

konzipiert, weil dies den Geist<br />

unserer Arbeit, die Art wie wir denken,<br />

fühlen und handeln, nachhaltig<br />

reflektiert”, so Rier. Das junge und<br />

mittlerweile mehrfach ausgezeichnete<br />

Team setzt auf eine interdisziplinäre<br />

Entwurfsmethodik, die sich<br />

je nach Anforderung des jeweiligen<br />

Projekts in stetigem Wandel befindet.<br />

Das Konzept der Emergenz, wo<br />

das Ganze weit mehr ist als die Summe<br />

der einzelnen Teile, wird zur zentralen<br />

Strategie einer holistischen<br />

Herangehensweise an jeden von<br />

noa* konzipierten Entwurf. Kreative<br />

Teams werden dazu jeweils zeitlich<br />

variabel zusammengestellt, um sich<br />

mit interdisziplinären Herausforderungen<br />

und innovativen Lösungen<br />

zu befassen. noa* dient folglich als<br />

Bühne (oder auch Plattform) für<br />

Architekten, Interior Designer, Produkt-,<br />

Mode- oder Grafikdesigner bis<br />

hin zu Musikern, Schriftstellern und<br />

Historikern, mit dem kollektiven Ziel,<br />

Fachkenntnisse der unterschiedlichen<br />

Spezialisten synergetisch zu<br />

optimieren. Lukas Rungger: „Der<br />

klassische Architektenberuf wandelt<br />

sich, er wird als methodologische<br />

Konsequenz ersetzt durch interdisziplinäre<br />

Kreative aus diversen gestalterischen<br />

Sparten: Wir empfinden<br />

uns mehr und mehr als Dirigenten,<br />

die ein Orchester konzertieren.”


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57<br />

Stefan Rier und Lukas Rungger<br />

Renderings: Le Colline Incantate / © noa*<br />

Was ist für Sie gute Architektur?<br />

(LR) Ich denke, es geht vor allem um<br />

Relevanz.<br />

Können Sie dafür ein<br />

Beispiel nennen?<br />

(LR) Ein Beispiel ist für mich „Le<br />

Colline Incantate“ in Sirmione am<br />

Gardasee. Wir haben dort auf die Zusammenarbeit<br />

mit dem Familienpsychologen<br />

Paul Hofer gesetzt und so<br />

die konzeptionelle Grundidee eines<br />

„Single parenting retreat“, also eines<br />

Hotels ausschließlich für geschiedene<br />

Eltern und deren Kinder, entwickelt<br />

und diese dann auch in der<br />

Architektur umgesetzt.<br />

Inwieweit spiegelt die<br />

Architektur diese Idee?<br />

(LR) Ein radial evolvierender Entwurf<br />

bespielt etwa in den Außenbereichen<br />

exklusive Inseln für wenige Familienmitglieder,<br />

was sich dann nach Innen<br />

verdichtet und graduell sozialer und<br />

inklusiver wird, um auf der zentralen<br />

Piazza bis zu 200 Personen an einem<br />

Ort zu vereinen, und damit Antworten<br />

bietet für die offensichtlichen Probleme,<br />

die Menschen bewältigen müssen.<br />

Geht es immer um soziale Relevanz?<br />

(LR) Dieses Projekt ist nur ein Beispiel<br />

einer Quelle der Inspiration, die<br />

zu einem unheimlich relevanten, weil<br />

fundamentalen Succus führt, dass<br />

nämlich die Architektur der Zukunft<br />

sich Ihrer verantwortungsvollen Rolle<br />

im Dienste der Kultur und Gesellschaft<br />

stellt.<br />

Woran kann sich Architektur<br />

künftig orientieren?<br />

(LR) Ich denke, vor allem jene Architektur<br />

wird zukunftsweisend<br />

sein, die sich am besten am Interdisziplinären<br />

orientiert, indem sie<br />

klassische Schemen überwindet und<br />

den Austausch mit verwandten und<br />

vor allem unkonventionellen Disziplinen<br />

forciert. Als Inspiration dient<br />

auch uns bei noa* sehr oft das Interpretieren<br />

und Neuerfinden, dabei<br />

arbeiten wir z.B. mit Kinderpsychologen,<br />

Musikern, Kunsthandwerkern,<br />

Denkmalpflegern, die uns dabei helfen<br />

keine Häuser zu planen, sondern<br />

Geschichten zu bauen.<br />

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit<br />

für Sie bzw. für Ihre Kunden?<br />

(LR) Gerade in der Hotellerie gewinnt<br />

dieses Thema zunehmend an Bedeutung.<br />

Ein Projekt, bei dem das Thema<br />

Nachhaltigkeit in all seinen Facetten<br />

zelebriert wird, ist etwa das Hotel<br />

Zallinger auf 2000 m Meereshöhe.<br />

Die Speisen werden zum Großteil regional<br />

beschaffen, die Zimmer gibt’s<br />

ohne Internet und Fernseher, sogar<br />

die Erschließung erfolgt autofrei und<br />

auch die Außenbeleuchtung ist nur<br />

mobil und minimalinvasiv. Zertifiziert<br />

als Klimahotel vereint es damit eine<br />

Reihe an sehr relevanten und miteinander<br />

verwobenen Bereichen. u


architektur PEOPLE<br />

58<br />

Stefan Rier und Lukas Rungger<br />

Fotos: Zallinger / Alex Filz<br />

Ist grüne Architektur gerade im Tourismus<br />

nicht oft einfach nur Fassade?<br />

(LR) Leider beobachten wir immer<br />

öfter Beispiele, deren „grüner“ Gedanke<br />

auf eine bepflanzte Oberfläche<br />

reduziert wird und damit zum<br />

reinen Dekor degeneriert. Dies ist<br />

ganz sicher nicht noa*s Auffassung<br />

einer holistischen Emergenz, wo im<br />

Gegensatz dazu das Thema Nachhaltigkeit<br />

in die Tiefe geht und das<br />

nachhaltige Planen in einen gesamtheitlicheren<br />

Kontext tritt, der mehrere<br />

Lebensbereiche miteinbezieht<br />

und zusammen weit mehr als die<br />

Summe der Einzelteile generiert.<br />

Sehen Sie der Zukunft<br />

positiv entgegen?<br />

(SR) Ja, wir sehen der Zukunft positiv<br />

entgegen. In der Hotelindustrie gibt<br />

es noch sehr viel zu tun. Die immer<br />

genauer definierten Zielgruppen der<br />

Gäste stellen uns vor stets neue Herausforderungen.<br />

Neue Typologien in<br />

der Hotellerie entstehen bereits. Der<br />

Markt ist im ständigen Wandel.<br />

Und wie sehen Sie die<br />

Architektur der Zukunft?<br />

(SR) Architektur der Zukunft ist für<br />

mich vor allem nachhaltig – nicht nur<br />

in Bezug auf die Materialien. Die Architektur<br />

der Zukunft wird sich auch<br />

mit der Reduktion des Verkehrs auseinandersetzen<br />

müssen, so wie wir<br />

das beim Projekt Zallinger versucht<br />

haben. Architektur der Zukunft versucht<br />

den Menschen aber auch zu<br />

berühren, indem sie Geschichten erzählt,<br />

die sich mit der Tradition des<br />

Ortes und deren Menschen auseinandersetzt.<br />

Nur so kann die Lebensdauer<br />

der Architektur verlängert<br />

werden. Nur so kann man von einer<br />

nachhaltigen Architektur sprechen.<br />

Im Grunde ist es wie mit einem Objekt,<br />

das man besitzt. Wenn im Objekt<br />

eine Geschichte steckt, welche<br />

uns bindet, dann wollen wir das Objekt<br />

nicht wegwerfen. So sehe ich<br />

das auch bei Architektur.<br />

© Alex Filz


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59<br />

Maximilian und Julia Kneussl<br />

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