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6 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 282 · M ittwoch, 4 . D ezember 2019<br />
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Hauptstadt<br />
Sinn und Besinnlichkeit<br />
Der Advent ist die Zeit der Rituale und Symbole. Das gilt auch in der Politik. Wieüppig<br />
die Symbolik dabei ausfällt, ist von Nation zu Nation unterschiedlich. Die eine begnügt<br />
sich mit einer Pressekonferenz, für die andere müssen es zehn Millionen<br />
Weihnachtslichter sein. Und natürlich steckt hinter all dem eine politische Botschaft<br />
Grafik: Isabella Galanty<br />
Eine Bescherung der anderen Art<br />
Die 5,50 Meter hohe Douglas-Fichte hat ihren<br />
Platz im Blue Room gefunden, und auch die<br />
130 übrigen Zimmer desWeißen Hauses sind festlich<br />
geschmückt. Nachdem die vonFirst Lady Melania<br />
Trump imvorigen Jahr ausgewählten blutroten<br />
Tannenbäume für heftige Debatten gesorgt<br />
hatten, dominieren dieses Mal die traditionellen<br />
Farben Gold, Weiß und Rot. Zwei Truthähne wurden<br />
vom Präsidenten schon begnadigt und ein<br />
Militärhund ausgezeichnet. Keine Frage: Es weihnachtet<br />
an der Pennsylvania Avenue 1600 in Washington.<br />
Aber irgendwie fühlt es sich gar nicht so<br />
an.<br />
Das liegt nicht zuletzt am Hausherrn, der<br />
grundsätzlich eher auf Krawall als auf Feiertagsstimmung<br />
gebürstet ist. Zwar brüstet sich Donald<br />
Trumpvor seinen konservativen Wählern, dass in<br />
den USA nun wieder „Frohe Weihnachten“ statt<br />
„Schöne Feiertage“ gewünscht würden. Doch mit<br />
dem Fest scheint er nicht wirklich etwas anfangen<br />
zu können.„Glaubst du noch an das Christkind?“,<br />
fragte er im vergangenen Jahr ein kleines Mädchen:<br />
„Mit sieben Jahren ist das grenzwertig,<br />
oder?“ Wegen der Haushaltssperre konnte er damals<br />
nicht wie geplant auf seinen Golfplatz in Florida<br />
flüchten. Entsprechend war seine Laune:„Ich<br />
bin alleine imWeißen Haus –ich Armer“, twitterte<br />
er an Heiligabend, begleitet von allerhand Verwünschungen<br />
gegen die Demokraten.<br />
Die kommendenWochen dürften noch unerquicklicher<br />
werden, denn im Kongress laufen die<br />
Vorbereitungen für das Impeachment auf Hochtouren.<br />
Nach derzeitiger Planung könnte das Repräsentantenhaus<br />
wenige Tage vorWeihnachten<br />
über die Amtsenthebung abstimmen und dem<br />
Präsidenten so eine üble Bescherung bereiten:<br />
DieMehrheit der Demokraten für die Anklage vor<br />
dem Senat scheint sicher.Zwar dürften die Republikaner<br />
dann höchstwahrscheinlich im neuen<br />
Jahr im Senat dasVerfahren niederschlagen. Doch<br />
die Voraussetzungen für eine friedliche Adventszeit<br />
ohne parteipolitisches Gezänk könnten kaum<br />
schlechter sein –auchwennMelania<br />
Trump unter Bezugnahme<br />
auf das patriotische<br />
Motto der diesjährigen<br />
Weihnachtsdekoration<br />
tapfer twittert:<br />
„Der<br />
Geist Amerikas<br />
strahlt im<br />
Weißen Haus.“<br />
Karl Doemens<br />
Werhat die meisten?<br />
Zum Glück sollte an diesem Abend keine<br />
Apollo in den Himmel geschossen werden.<br />
„Zehn, neun, acht“, zählte der Madrider Bürgermeister<br />
José Luis Martínez-Almeida, dann weiter:<br />
„Vier, drei, zwei, eins.“ Er drehte sich hilfesuchend<br />
um, und dann ging irgendwie die Weihnachtsbeleuchtung<br />
an. Worauf die Vizebürgermeisterin<br />
Begoña Villacís sagte: „Vigo, übertriff<br />
das!“ Es war alles ziemlich peinlich.<br />
Madrid, 3,2 Millionen Einwohner, ist die<br />
Hauptstadt Spaniens und Vigo eine eher wenig<br />
bemerkenswerte Hafenstadt mit 290 000 EinwohnerninGalizien,<br />
im Nordwesten des Landes.Vigo<br />
hat aber auch seinen Stolz und vor allem einen<br />
Bürgermeister, den an Eigenliebe kein anderer<br />
spanischer Politiker übertrifft, nicht mal Regierungschef<br />
Pedro Sánchez. Abel Caballero heißt<br />
der Bürgermeister, er ist Sozialist, aber hauptsächlich<br />
sein eigener Parteigänger. Nach zwölf<br />
Jahren im Amtkönnen die Leute in Vigo gar nicht<br />
genug von ihm bekommen: Bei den Kommunalwahlen<br />
im Maierhielt er mehr als zwei Drittel der<br />
Stimmen, was im traditionell tiefschwarzen Galicien<br />
doppelt bemerkenswert ist. Eslag auch an<br />
den Weihnachtslichtern.<br />
Im September vergangenen Jahres war es Caballero<br />
eingefallen, die halbe Welt herauszufordern.„Die<br />
Bürgermeister vonLondon, Tokio,New<br />
York, die Bürgermeisterin von Paris, der Bürgermeister<br />
von Berlin sollen wissen, dass wir dieses<br />
Jahr nicht zu übertreffen sein werden. Madrid<br />
und Barcelona erwähne ich gar nicht. Sie sollen<br />
sich bereit machen!“ Bereit dazu, Vigo neidlos als<br />
die Stadt der großartigsten Weihnachtsbeleuchtung<br />
anzuerkennen. Im Dezember brannten<br />
dann neun Millionen Lichtlein in der Hafenstadt,<br />
und alle spanischen Medien berichteten darüber.<br />
Caballero hatte sein Ziel erreicht: Vigo ist Spaniens<br />
Weihnachtshauptstadt.<br />
Madrids neue, konservative Stadtregierung<br />
aber glaubt, mit Vigo konkurrieren zu müssen.<br />
Sie erhöhte das Budget für die Weihnachtsbeleuchtung<br />
und lässt jetzt zehn Millionen<br />
Lämpchen glühen, genauso viele<br />
wie Vigo dieses Jahr. Falls sie denn jemand<br />
gezählt hat. Martin Dahms<br />
Schöner Schein<br />
Esgibt da diesen Loriot-Weihnachtssketch, der<br />
inzwischen so berühmt ist, dass er auch vonjenen<br />
zitiert wird, die ihn noch nie gesehen haben.<br />
Darin versucht eine Familie mit großer Energie,<br />
das perfekte Weihnachtsfest zu feiern. Natürlich<br />
geht alles schief, das Kind kann dasWeihnachtsgedicht<br />
nicht, Opawill Marschmusik hören und stöpselt<br />
auf der Suchenach einer Steckdose die Baumbeleuchtung<br />
aus, der Vater packt missmutig die<br />
hundertste Krawatte aus und das Spielzeug-Atomkraftwerkbrennt<br />
ein Loch in den Fußboden. Aber:<br />
Alle tun so, als verlebten sie einen wundervollen<br />
Abend. Siehalten sich fest an Symbolen und Ritualen<br />
und erst, als sie versuchen, das zerknüllte Geschenkpapier<br />
im Treppenhaus zu verstecken und<br />
beim Öffnen derWohnungstür unter Papierbergen<br />
begraben werden, ist klar:Esist alles nur Schein.<br />
Nun sind Symbole auch in der Politik eine<br />
wichtige Sache. Deswegen legen Politiker vor<br />
Denkmälern Kränze nieder, anderen Schleifen<br />
sie anschließend noch ein bisschen herumzupfen.<br />
Wenn es um größere Gesten geht, hat Willy<br />
Brandt die Latte ohnehin unerreichbar hoch gelegt.<br />
Undsowirkt die rituelle Symbolik in der Politik<br />
an fast allen Tagen des Jahres eher hölzern.<br />
Weil Ehrenbataillone und Spatenstiche mit dem<br />
politischen Alltag eben nicht viel zu tun haben.<br />
Insofern hat die (Vor-)Weihnachtszeit einen<br />
unschätzbaren Vorteil: Endlich kann die Politik<br />
sich warm und festlich zeigen. Der Ablauf ist eigentlich<br />
immer gleich: Ab Ende November lädt der<br />
Bundestag zu Fototerminen ein, bei denen Adventskränze<br />
und diverse Weihnachtsbäume feierlich<br />
übergeben werden. Dazu singen Kinderchöre<br />
aus Bayern,und Politiker vonCSU und Grünen lächeln<br />
gemeinsam. Undkurzvor dem Fest bringen<br />
Pfadfinder das Friedenslicht aus Bethlehem.<br />
Womit wir bei einem weiteren politischen<br />
Weihnachtsritual wären: Der Ansprache des Bundespräsidenten,<br />
traditionell ausgestrahlt am 25.<br />
Dezember. Inhaltlich unterscheiden sich die Ansprachen<br />
der letzten Jahrekaum. Zwar gibt es immer<br />
einen Bezug zu einem aktuellen Thema. Doch<br />
neben NSU-Terror (Wulff, 2011), Fußball-WM-<br />
Sieg (Gauck, 2014) oder Hass in den sozialen Medien<br />
(Steinmeier, 2018) dreht sich alles um das<br />
Thema Frieden. Außerdem dankt das Staatsoberhaupt<br />
den Polizisten und Krankenschwestern für<br />
ihren Einsatz, als entschädige das für Überbelastung<br />
und Unterbezahlung.AmEnde steht die Botschaft:<br />
„Wir können optimistisch ins neue Jahr<br />
blicken.“ Warum auch nicht? Es ist ja Weihnachten.<br />
Undschon im Januar bleibt der<br />
Politik nichts anderes übrig, als die<br />
Tür zum Treppenhaus wieder<br />
zu öffnen. Tanja Brandes<br />
Ein Land umarmt sich<br />
Advent findet in Russland eigentlich nicht statt.<br />
Die orthodoxen Gläubigen füllen keine Kinderstiefel<br />
oder Pappkalender mit Süßigkeiten, um<br />
sich auf die russischeWeihnacht am 7. Januar einzustimmen.<br />
Siefasten.<br />
Umso mehr Feierlichkeiten drehen sich um<br />
das Neujahrsfest mit seiner eher heidnisch-sowjetischen<br />
Tradition. Schon im Dezember steigen<br />
die ersten „Jolkas“ oder „Tannenbäume“: Tanzfeste<br />
für Kinder, die dabei von„Väterchen Frost“<br />
auch mit reichlich Süßwaren beschertwerden.<br />
Es gibt auch „Jolkas“ im Kreml, aber sie sind<br />
nicht gedacht, um möglichst viele russische Kinder<br />
im trauten Kreis um Staatschef Wladimir Putin<br />
zu vereinen, sondernals kommerzielle Shows<br />
ganz ohne Landesvater,Karten für den ersten Reigen<br />
am 24. Dezember sind nur noch ab 40 Euro zu<br />
haben.<br />
Putin tritt vorher auf, bei seiner alljährlichen<br />
„großen Pressekonferenz“, mit über 1700 akkreditierten<br />
Journalisten vergangenes Jahr durchaus<br />
monumental. Aber da präsentiert ersich als topkompetenter,<br />
schlagfertiger Kommunikator und<br />
nicht als Weihnachtsmann der Nation. Seine alljährlichen<br />
Neujahrsempfänge aber handelt die<br />
Presse statt unter Politik unter Society ab.Vergangenes<br />
Jahr lud der Präsident ins Bolschoi-Theater<br />
ein, wo er sich gemeinsam mit Patriarch, Premierminister<br />
und anderen VIPs aus Bürokratie, Wirtschaft<br />
oder Showgeschäft Tschaikowskys „Nussknacker“-Ballet<br />
anschaute.<br />
Erst Silvester kommen Fest und Politik wirklich<br />
zusammen. Dafür umso enger. Die letzten sechs,<br />
sieben Minuten des Jahres gehören Putin, der auf<br />
praktisch allen TV-Kanälen zum an den Festtagstafeln<br />
versammelten Volk spricht.<br />
PerVideoaufzeichnung erinnert erdie Russen<br />
an ihre christlichen und nationalen Tugenden, an<br />
die vergangenen Siege oder zumindest die überwundenen<br />
Schwierigkeiten, an die kommenden<br />
Herausforderungen und Aufgaben. Und er beschwört<br />
die nationale Einheit. Das zentrale patriotische<br />
Evangelium im Jahreskreis, kaum hat<br />
der Präsident dem Vaterland gratuliert, da<br />
schlagen die Glockenspiele des Kremls<br />
landesweit Mitternacht, brechen Jubel<br />
und Feuerwerke aus. Und Hunderte<br />
Millionen Russen umarmensich.<br />
Stefan Scholl<br />
PLATZ DER REPUBLIK<br />
Auf Nummer<br />
sicher<br />
Christine Dankbar<br />
führtGespräche häufig zweimal.<br />
Wer in den Sitzungswochen im<br />
Regierungsviertel unterwegs<br />
und von Beruf Journalistin ist, kann<br />
jeden Tagtolle Begegnungen haben.<br />
Man führt interessante Gespräche<br />
mit Bundestagsabgeordneten fast aller<br />
Parteien und erfährt viel –vor allem,<br />
dass es nicht wenige sehr humorvolle<br />
und überaus warmherzige<br />
und kluge sogenannte Hinterbänkler/innen<br />
gibt.<br />
So nennt man bekanntlich jene<br />
Abgeordnete, die zu Hause in ihren<br />
Wahlkreisen bekannt sind, in der<br />
Hauptstadt dann aber doch eher unbemerkt<br />
in den Ausschüssen arbeiten.<br />
Völlig zu Unrecht, stellt man<br />
nach diversen Gesprächen mit den<br />
betreffenden Personen fest. Das ist<br />
jetzt allerdings ein sehr privater Eindruck.<br />
Sobald es dienstlich ist, verändert<br />
sich die Lage meistens leider beträchtlich.<br />
Dienstlich bedeutet offiziell<br />
und offiziell bedeutet für Politiker<br />
vor allem, vorsichtig zu sein.<br />
Dann wirdjedesWort und jedes Zitat<br />
auf vermeintliche Untiefen abgeklopft.<br />
In vielen Fällen ist die offizielle<br />
Antwortauf eine Anfrage die Aneinanderreihung<br />
unbedenklicher<br />
und zumindest im eigenen politischen<br />
Lager mehrheitsfähiger Sätze.<br />
Für die Beschreibung einer politischen<br />
Thematik ist das nicht immer<br />
hilfreich, für den betreffenden Politiker<br />
aber die sicherste und damit bevorzugte<br />
Variante.<br />
Natürlich haben Politiker/innen<br />
und Journalist/innen auch früher<br />
schon Gespräche „unter drei“ geführt.<br />
Das bedeutet, dass man nicht<br />
daraus zitieren darf, auch nicht anonym.<br />
Heutzutage aber erlebt man<br />
regelmäßig ein und dasselbe Gespräch<br />
zweimal, erst als sogenanntes<br />
Hintergrundgespräch und später in<br />
der langweiligeren, zur Veröffentlichung<br />
freigegebenen Version.<br />
Es hat im übrigen den Anschein,<br />
als nehme dieses Sicherheitsdenken<br />
bei den Volksvertretern mehr und<br />
mehr zu. Vermutlich liegt es daran,<br />
dass die offiziellen Zitate der Abgeordneten<br />
–neben ihren vom Blatt<br />
abgelesenen Reden im Plenum des<br />
Bundestages –das Einzige sind, was<br />
sie an Außendarstellung weitgehend<br />
selbst in der Hand haben.Wersich in<br />
der Öffentlichkeit spontan zeigt oder<br />
einen Lapsus begeht, muss damit<br />
rechnen, dass der Vorfall auf Twitter<br />
oder YouTube erscheint und mit hämischen<br />
Äußerungen bedacht wird.<br />
Vor einiger Zeit hat die <strong>Berliner</strong><br />
<strong>Zeitung</strong> unter den Bundestagsabgeordneten<br />
eine schriftliche Umfrage<br />
zu deren Arbeitsbelastung gemacht.<br />
Viele haben geantwortet. Sehr häufig<br />
wurden dabei die sogenannten sozialen<br />
Medien angesprochen. Die<br />
Häme und den Spott, der Abgeordneten<br />
da oft entgegenschlägt, können<br />
viele nur schwer aushalten. Die<br />
meisten teilten das aber nur vertraulich<br />
mit. Denn jammernde Politiker<br />
kommen in der Öffentlichkeit besonders<br />
schlecht an.<br />
Allerdings deutet sich in Sachen<br />
Spontaneität gerade eine Richtungsänderung<br />
an. Schuld daran sind die<br />
Kollegen von der Heute-Show, die<br />
den Abgeordneten mit Mikro und<br />
Kamera gerne im Reichstag auflauern.<br />
Früher nahmen viele verängstigt<br />
Reißaus –heute bleiben die Abgeordneten<br />
stehen und kontern<br />
schlagfertig. Vielleicht haben wir<br />
<strong>Zeitung</strong>sleute bald auch etwas von<br />
der neuen Offenheit.