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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 284 · F reitag, 6. Dezember 2019 3<br />
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Seite 3<br />
Versinkendes Land<br />
Stürme mit extremen Regenfällen sorgen in weiten Teilen Vietnams immer häufiger für Überschwemmungen.<br />
XINHUA/VNA<br />
Klimawandel? Thuy Thi Luong<br />
schaut irritiert und zupft verlegen<br />
an ihrem Strohhut. Nein, mit diesem<br />
Begriff kann sie offensichtlich<br />
nichts anfangen. Doch fragt man die Reisbäuerin<br />
aus dem kleinen DorfVinh Hung im<br />
Herzen des Mekong-Deltas,obsich das Wetter<br />
gegenüber früher verändert hat, dann<br />
muss sie nicht lange nachdenken. „Das Wetter<br />
macht, was es will. Man kann es nicht<br />
mehr vorhersagen“, klagt die 39-Jährige.<br />
„Früher gab es die Regenzeit mit Regen und<br />
die Trockenzeit“, erinnert sie sich. „Aber<br />
heute bleibt es auch in der Regenzeit für<br />
lange Zeit trocken und in der Trockenzeit<br />
regnet es plötzlich.“ Es gebe mehr Stürme,<br />
mehr heftige Regengüsse. „Ich weiß nicht,<br />
wie lange ich überhaupt noch Reis anbauen<br />
kann“, sagt die Mutter zweier Kinder.<br />
Wenn die Politiker aus aller Welt ab Montag<br />
in Madrid erneut über Maßnahmen zum<br />
Klimaschutz beraten, dann geht es auch um<br />
die Zukunft von Reisbäuerin Thuy Thi<br />
Luong. Vietnam gehört zu den zehn am<br />
stärksten vomKlimawandel bedrohten Ländernweltweit.<br />
DieDurchschnittstemperatur<br />
ist hier in den vergangenen 50 Jahren doppelt<br />
so stark gestiegen wie im weltweiten<br />
Durchschnitt. Durch die über 3000 Kilometer<br />
lange Küste ist das asiatische Land extrem<br />
verwundbar. Verstärkt wird die Gefahr, weil<br />
vielerorts die schützenden Mangrovenwälder<br />
abgeholzt wurden – insbesondere im<br />
Mekong-Delta. Taifune zerstören immer<br />
wieder ganzeLandstriche.<br />
DerScheintrügt<br />
Die Folgen des Klimawandels sind im Mekong-Delta<br />
nicht auf den ersten Blick zu sehen.<br />
Die Reisfelder sind saftig grün, Wasserbüffel<br />
suhlen sich im Matsch, Frauen mit den<br />
typischen kegelförmigen Strohhüten verkaufen<br />
Waren amStraßenrand, auf den unzähligen<br />
Flussarmen und Kanälen tuckern<br />
Schiffe. Doch der schöne Schein trügt.<br />
„Wenn wir nichts unternehmen, wird bis<br />
2050 fast 40 Prozent des Mekong-Deltas<br />
überflutet sein“, sagt Klimaexperte Tran<br />
Thuc, der 2015 für die kommunistische Regierung<br />
an den Weltklimaverhandlungen in<br />
Paristeilgenommen hat.<br />
Andere Studien kommen sogar zu dem<br />
Ergebnis, dass 2050 das gesamte Delta im<br />
Meer versunken sein wird –inklusive eines<br />
Fünftels der Millionenmetropole Ho-Chi-<br />
Minh-Stadt. Die kommunistische Führung<br />
des Landes tut das zwar als Panikmache ab.<br />
Doch selbst deren konservative Schätzung<br />
wäre eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes:<br />
Denn das Mekong-Delta –das weltgrößte<br />
Flussdelta –ist nicht nur die Heimat<br />
von 18 Millionen Menschen. Hier werden<br />
Reis, Gemüse und Obst für rund 200 Millionen<br />
Menschen angebaut. DasDelta ist nicht<br />
nur die „Reisschüssel“ Vietnams, sondern<br />
das Hauptanbaugebiet von Nahrungsmitteln<br />
für einen großen Teil Südostasiens.<br />
Vietnam gehört zu den am meisten durch den Klimawandel<br />
bedrohten Ländern. Die Folgen zeigen sich besonders im Mekong-Delta.<br />
Erosion und Stürme zerstören die Ernten auf den Reisfeldern.<br />
Doch es gibt noch weitere Probleme,<br />
die die absehbare Katastrophe verschärfen<br />
Warum gerade diese Region so vom Klimawandel<br />
betroffen ist, hat mehrere<br />
Gründe.Zum einen steigt der Meeresspiegel<br />
durch das Abschmelzen der Polkappen. Erwartet<br />
wirdein Anstieg vonbis zu einem Meter<br />
bis zum Ende des Jahrhunderts.Die Auswirkungen<br />
sind schon heute zu sehen und zu<br />
spüren. Durchdie fehlenden Mangroven, die<br />
normalerweise wie ein schützender Damm<br />
wirken, würden proJahr an vielen Stellen des<br />
Deltas 20 bis 50 Meter Küste einfach weggespült,<br />
berichtet Kirsten Hegener von der<br />
bundeseigenen Gesellschaft für Internationale<br />
Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag<br />
der Bundesregierung in Vietnam bei zahlreichen<br />
Klimaschutzprojekten hilft. Von der<br />
Küste des Mekong-Deltas mit einer Gesamtlänge<br />
von720 Kilometernist schon weit über<br />
die Hälfte so erodiert, dass dringend Schutzmaßnahmen<br />
nötig sind.<br />
Allein der Anstieg des Ozeans wärefür ein<br />
Gebiet, das weniger als einen Meter über<br />
dem Wasserspiegel liegt, ein ernstes Problem.<br />
Im Fall des Mekong-Deltas kommen<br />
aber mehrere andere hinzu. Denn parallel<br />
zum Anstieg des Meeres sinkt die Landfläche<br />
auch noch ab.Vermutet wird, dass wegen des<br />
starken Bevölkerungswachstums und der intensiven<br />
Landwirtschaft zu viel Grundwasser<br />
abgepumpt wird, weshalb der Boden<br />
nach unten nachrutscht.<br />
Erschwerend kommt eine Entwicklung<br />
hinzu, die nichts mit dem Klimawandel zu<br />
tun hat: Die intensive Nutzung des Mekong<br />
durch alle Anrainer-Staaten. Derzeit gibt es<br />
in China, Thailand, Laos, Kambodscha und<br />
Vietnam am Mekong und seinen Zuflüssen<br />
insgesamt 74 Staudämme mit Wasserkraftwerken.<br />
Die Zahl soll sich bis 2040 auf 146<br />
verdoppeln und dann bis 2060 sogar auf 168<br />
steigen. Die Dämme verhindern, dass im<br />
Mekong-Delta genug Süßwasser ankommt.<br />
Auch dadurch kann das Meerwasser immer<br />
tiefer in das Delta eindringen.<br />
Noch verheerender für das Flussdelta ist<br />
aber eine andere Folge der Staustufen: Normalerweise<br />
führt der Mekong tonnenweise<br />
VonTim Szent-Ivanyi<br />
Lehm, Sand und andereSedimente mit sich,<br />
die sich im Mekong-Delta wieder ablagern<br />
und so den Landabtrag durch das Meer kompensieren.<br />
„Durch die Dämme wirdbis 2040<br />
nur noch fünf Prozent der ursprünglichen<br />
Menge an Sedimenten im Delta ankommen“,<br />
erklärtDoDuc Dung, Direktor des Instituts<br />
für Wasserressourcen in Ho-Chi-<br />
Minh-Stadt. Die Effekte aus Klimawandel<br />
und intensiver Wassernutzung verstärken<br />
sich also gegenseitig. „Die Erosion und die<br />
Versalzung durch Meerwasser wird immer<br />
schlimmer“, berichtet der Experte.<br />
Golf<br />
von<br />
Thailand<br />
Provinz<br />
Kien Giang<br />
KAMBODSCHA<br />
Rach Gia<br />
Mekong<br />
Vinh Hung<br />
VIETNAM<br />
Can Tho<br />
Ho-Chi-<br />
Minh-<br />
Stadt<br />
Vung Tau<br />
50 km<br />
BLZ/GALANTY<br />
DerSchutz der Küste ist nach Ansicht von<br />
Wissenschaftlern eine der wichtigsten Maßnahmen,<br />
um die Folgen zumindest abzumildern.<br />
Zusammen mit Hilfsorganisationen<br />
aus Australien hat die GIZ in den vergangenen<br />
Jahren Methoden zur Aufforstung von<br />
Mangroven entwickelt. Als sehr wirksam,<br />
leicht herzustellen und kostengünstig haben<br />
sich schmale Zäune aus Bambusstangen<br />
und geflochtenen Ästen erwiesen, die im flachen<br />
Meerwasser errichtet werden. Sie dienen<br />
als Wellenbrecher und halten Sand zurück.<br />
Dadurch wird das Meer schrittweise<br />
zurückgedrängt. Auf der verlandeten Fläche<br />
können dann schnell wachsende Mangrovenangepflanzt<br />
werden.<br />
Eines der Pilotprojekte befindet sich in<br />
der Provinz Kien Giang, dicht an der Grenze<br />
zu Kambodscha. Tong Nhat Anh zeigt alte<br />
Fotos. Auf ihnen ist deutlich zu sehen, dass<br />
man noch vor wenigen Jahren von seinem<br />
Haus direkt auf das Meer schauen konnte.<br />
„Wenn das salzige Meerwasser kam, haben<br />
wir gleich die gesamte Ernte verloren“, erinnertsich<br />
der 66-Jährige,der früher als Soldat<br />
gedient hat und heute Reis, Bananen und<br />
Gemüse anbaut. Nun liegt zwischen seinem<br />
Grundstück und dem Meer ein etwa 200 Meter<br />
breiter, undurchdringlicher Mangrovenwald,<br />
der seine Ernte schützt. „Seitdem hat<br />
es keine Überschwemmungen mehr gegeben“,<br />
sagt er.<br />
DieMethode soll jetzt schrittweise an der<br />
gesamten Küste im Mekong-Delta angewendet<br />
werden, doch dafür fehlt dem Land das<br />
Geld. Die Sicherung kostet nach ersten<br />
Schätzungen immerhin bis zu einer Milliarde<br />
Euro.„Wirschaffen das nicht allein, deshalb<br />
sind wir auf internationale Hilfe angewiesen“,<br />
räumt ein Parteifunktionär ein.<br />
Die planungsverliebte Parteiführung hat<br />
aber zumindest schon den „Mekong-Delta-<br />
Master-Plan“ erarbeitet. Die Bevölkerung<br />
oder Umweltgruppen wurden daran allerdings<br />
nicht beteiligt. Einige Nichtregierungsorganisationen<br />
werden zwar geduldet, doch<br />
sie dürfen allenfalls kleinere lokale Umweltprojekte<br />
betreuen, bei denen sie der kommunistischen<br />
Führung nicht in die Quere<br />
kommen können.<br />
Da im Mekong-Delta der Küstenschutz<br />
nicht ausreicht, um mit dem Klimawandel<br />
fertig zu werden, setzt die Führung parallel<br />
auf eine andere Strategie: Anpassung. „Wir<br />
sind auf die wirtschaftliche Nutzung des Mekong-Deltas<br />
angewiesen, aber wir müssen<br />
sie neu justieren“, meint der Direktor des<br />
Wasser-Instituts.„Bisher standReisanerster<br />
Stelle, dann Früchte und dann Shrimps.Wir<br />
müssen die Priorität umdrehen: Zuerst<br />
Shrimps,dann Früchte, dannReis.“Reis wird<br />
aus zwei Gründen nur noch eine kleinere<br />
Rollezugebilligt.Erbraucht extrem viel Süßwasser,<br />
das es im Delta nicht mehr ausreichend<br />
gibt. Etwa fünf Kubikmeter Wasser<br />
werden für die Produktion von einem Kilo<br />
Reis verbraucht. Zudemgilt Reis geradezu als<br />
Klimakiller, wie Expertin Hegener von der<br />
GIZ erläutert. Da der Reis fast die gesamte<br />
Wachstumszeit im Wasser steht, bildet sich<br />
durch Bakterien Methangas, das 20-mal klimaschädlicher<br />
ist als Kohlendioxid. Unterstützt<br />
vonder GIZ wirdversucht, denWasserund<br />
Düngerverbrauch durch neu entwickelte<br />
Anbaumethoden zu reduzieren. Doch<br />
bis die modernen Methoden in einem größeren<br />
Maße von den Bauern angewendet werden,<br />
dürfte noch einige Zeit vergehen. Bisher<br />
gibt es lediglich Pilotprojekte.<br />
Das Parteimotto „Shrimps first“ haben<br />
viele Bauern dagegen schon beherzigt –zwar<br />
mischt sich die Regierung nicht mehr direkt<br />
in die Privatwirtschaft ein, doch gerade auf<br />
dem Land ist der Einfluss der kommunistischen<br />
Kadergroß. Überall sieht man Becken,<br />
in denenGarnelen gezüchtet werden.<br />
Shrimps gelten als idealer Ersatz für den<br />
aufwendigen Reisanbau im Mekong-Delta,<br />
weil dabei aus der Noteine Tugend gemacht<br />
wird: Das immer weiter ins Inland drängende<br />
Meer liefert genau das Brackwasser,<br />
das die Shrimps benötigen. Außerdem gilt<br />
die Produktion als wesentlich klimafreundlicher<br />
als der Reisanbau.<br />
Säckeweise Antibiotika<br />
Umweltverträglich ist die Garnelenzucht<br />
deshalb noch lange nicht: Häufig setzen die<br />
Züchter hohen Mengen an Antibiotika ein,<br />
um die empfindlichen Tierevor Krankheiten<br />
zu schützen. Auch im Mekong-Delta liegen<br />
am Rand der Becken oft säckeweise Hormonmittel<br />
und Antibiotika.<br />
Reisbäuerin Thuy Thi Luong wird sich<br />
möglicherweise auch bald umstellen müssen.<br />
„Verwandte aus anderen Dörfern, die<br />
näher an der Küste leben, haben mir erzählt,<br />
das Wasser werde immer salziger“, sagt sie.<br />
„Wenn meine Nachbarn zur Shrimps-Zucht<br />
wechseln, kann ich von ihnen lernen, wie<br />
dasgeht“, hofft sie.Obsie denn glaube,dass<br />
ihre Kinder noch eine Zukunft im Mekong-<br />
Delta haben, auch wenn das Wetter künftig<br />
noch verrückter spielt? Über diese Frage<br />
schüttelt sie den Kopf:„Natürlich. Siewerden<br />
hier leben und arbeiten wie ihreEltern.“<br />
Do Duc Dung, der Direktor des Wasserforschungsinstituts,<br />
dürfte auch derartige<br />
Sätze seiner Landsleute im Kopf haben,<br />
wenn er mahnt: „Wir dürfen das Mekong-<br />
Delta nicht versinken lassen.“<br />
TimSzent-Ivanyi<br />
reiste mit Unterstützung der GIZ durch<br />
das Mekong-Delta.