live_Winter 2019
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MESSER & GABEL<br />
Von Sternen bis Shitstorm<br />
Fundierte Restaurantbewertungen haben ihre Berechtigung, wie<br />
Guide Michelin oder Gault Millau immer wieder belegen. Social Bashing<br />
im Internet ist hingegen für viele Gastronomen ein Ärgernis.<br />
Lob und Tadel vom weltgrößten Stammtisch: Kein Problem,<br />
aber bitte konstruktiv, sagt Tobias Neumann<br />
„Mein Kakao ist nur lauwarm!“<br />
„Sag doch eben dem Service Bescheid,<br />
dann bekommst du sicher<br />
einen neuen!“<br />
„Ach nee, so schlimm ist es nicht.“<br />
Anstatt sich an Ort und Stelle mit der<br />
Bedienung zu verständigen, machen<br />
sich einige Gäste lieber im Nachgang zuhause<br />
Luft – anonym, auf Bewertungsportalen<br />
oder im Social Web. Was<br />
schnell weggetippt ist und dem Verfasser<br />
womöglich eine wohlige Genugtuung<br />
des Triumphes verschafft, liegt dem<br />
Gastronom in den meisten Fällen im<br />
Magen.<br />
Silke Schuster von Höger’s Hotel & Restaurant<br />
hat deshalb lieber ein eigenes<br />
Bewertungsportal geschaffen und kontert<br />
so die freien Portale: Jeder Übernachtungsgast<br />
bekommt nach seinem<br />
Aufenthalt einen Bewertungsbogen per<br />
E-Mail, der nach dem Ausfüllen eins zu<br />
eins auf der Homepage veröffentlicht<br />
„WIR WÜNSCHEN UNS<br />
EIN FEEDBACK DIREKT<br />
VOR ORT UND NICHT<br />
SPÄTER VIA INTERNET. “<br />
Silke Schuster, Höger’s Hotel & Restaurant<br />
wird. Interessanterweise fallen nichtanonymisierte<br />
Rezensionen stets besser<br />
aus als destruktive Netzkritiken. „Wir<br />
wünschen uns am liebsten ein Feedback<br />
vor Ort und nicht via Internet. Wir<br />
möchten die Chance haben, eventuelle<br />
Fehler direkt zu korrigieren.“<br />
Rolat Nabo vom spanischen Restaurant<br />
Saro und der neapolitanisch inszenierten<br />
Pizza- und Weinbar Nola, geht mit<br />
diesem Thema völlig anders um. Sein<br />
Ziel sei es, durch gute, ganzheitliche Arbeit<br />
dem Gast ein positives Erlebnis zu<br />
bieten, das über einer Bewertung im<br />
Netz steht. Nabo möchte, dass der Ruf<br />
seiner Restaurants durch Mundpropaganda<br />
weitergetragen wird. Trotzdem<br />
bekommt er jedesmal eine Meldung<br />
auf das Smartphone, wenn jemand auf<br />
Portal XYZ bewertet.<br />
Tobias Neumann, Chef der Steakmeisterei,<br />
bringt es auf den Punkt: „Einmal<br />
zerriss uns ein Gast in einem langen<br />
Text, dass das Essen ‚zu teuer, miserabel<br />
und qualitativ sehr zu bemängeln‘ sei.<br />
Hätte er hingegen kurz nachgefragt, ob<br />
das Essen wirklich so gemeint ist, oder<br />
hätte er eine andere Wahl getroffen, eine,<br />
die seinen persönlichen gastronomischen<br />
Erlebnissen oder Kenntnissen<br />
eher entgegen gekommen wäre, hätte<br />
es womöglich eine sehr gute Bewertung<br />
gegeben.“<br />
Was kann man da tun, fragte sich Neumann<br />
und reagiert fair: Wird die Steakmeisterei<br />
auf einer Plattform bewertet,<br />
sucht er Kontakt zum Küchenkritiker.<br />
„Außerdem haben wir ein ,Ideenportal‘<br />
entwickelt, wo Vorschläge, Kritik und<br />
Wünsche der Gäste herzlich willkommen<br />
sind. Darüber hinaus geben wir regelmäßig<br />
zur Rechnung ein Gewinnspiel<br />
mit an den Tisch, bei dem man durch<br />
seine Bewertung des Abends einen Preis<br />
gewinnen kann.“ Kreative Lösungen für<br />
ein sensibles Thema.<br />
Am Ende bleiben drei Fragen offen: Wieviele<br />
Messer müssen in Zukunft noch<br />
fliegen, um nicht zum „Spielball der<br />
Sternchen“ zu werden? Wieviel Energie<br />
und Zeit raubt es, die für klassische und<br />
ehrliche Gastfreundschaft fehlt? Und:<br />
Weswegen geht man nochmal mit<br />
Freunden und Familie essen?<br />
JOHN REBELLIUS<br />
FOTO: REBECCA BRASSE<br />
8 STADTBLATTLIVE