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blu Januar/Februar 2020

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30<br />

INTERVIEW<br />

ZWEI LEBEN,<br />

ZWEI BILDER VON HIV<br />

Gordon ist 45 Jahre alt und<br />

seit 1992 HIV-positiv. Marcel<br />

ist 29; er erhielt sein positives Testergebnis<br />

2015. Dazwischen liegen<br />

23 Jahre. Wir sprechen mit beiden<br />

darüber, wie sich ein Leben mit<br />

HIV damals anfühlte und sich der<br />

Umgang mit der Erkrankung heute<br />

gewandelt hat.<br />

Wie lebt es sich als relativ kurze Zeit<br />

HIV-Positiver?<br />

Marcel: Ich würde die Antwort gerne<br />

zweiteilen. Was meine Gesundheit<br />

angeht, spüre ich keinerlei negative<br />

Auswirkungen. Ich nehme seit 2015 meine<br />

HIV-Medikamente und hatte bisher weder<br />

Therapiewechsel noch -versagen, noch<br />

Nebenwirkungen. Vor allem der Besuch<br />

beim Arzt, als das Testergebnis feststand,<br />

ist mir aber noch in Erinnerung. Seine<br />

Reaktion damals war: Immerhin sei es „nur<br />

HIV und keine Hepatitis C oder so etwas“.<br />

HIV sei mittlerweile eine chronische<br />

Erkrankung wie Diabetes. Damals ist mir<br />

schon ein wenig die Kinnlade runtergeklappt.<br />

Ich hatte völlig andere Bilder im<br />

Kopf.<br />

Der zweite Teil der Antwort betrifft die<br />

soziale Komponente: Privat ist da alles in<br />

Ordnung, auch wenn es jedes Mal, wenn<br />

ich mich als Positiver oute, zuerst immer<br />

noch einen überraschten und leicht<br />

besorgten Blick vom Gegenüber gibt. HIV<br />

ist eben nach wie vor nichts Normales,<br />

nichts, was man so einfach mal beim<br />

Kaffee nebenbei erzählt…<br />

Anders, als der besagte Diabetes…<br />

Marcel: Genau! Da merkt man das soziale<br />

Stigma auch heute noch. Das Bild aus den<br />

1980ern, als die Infektion als ansteckend<br />

und tödlich galt, hält sich bei vielen noch.<br />

Allerdings relativiert sich das im Bekanntenkreis<br />

recht schnell und es weicht<br />

Neugier. Schwieriger ist es im sozialen<br />

Bereich, bei Ärzten, im Job…<br />

…Hast Du das schon erlebt?<br />

Marcel: Nein, ich glücklicherweise nicht,<br />

aber ich habe es durch meine Mitarbeit in<br />

einer Selbsthilfeorganisation (A. d. R. pro<br />

plus e. V.) schon oft mitbekommen.<br />

Wie ist das bei Dir gewesen, Gordon?<br />

Du bist Langzeitüberlebender…<br />

Gordon: Anders. Ganz anders. Als ich mit 17<br />

positiv getestet wurde, war das im Grunde<br />

ein Todesurteil. Der Schock hat mich über<br />

ein Jahr komplett aus der Bahn geworfen.<br />

Ich wusste überhaupt nicht, wie ich mit der<br />

Diagnose klarkommen soll.<br />

Die heute eingesetzten<br />

Kombinations therapien, bei denen<br />

die Vermehrung des HI-Virus an<br />

mehreren Stellen gestört wird,<br />

gab es ja damals auch noch nicht.<br />

Was hast Du für Medikamente<br />

genommen?<br />

Gordon: Es gab zu diesem Zeitpunkt nur<br />

Medikamente, die Aids kurzzeitig aufhalten<br />

konnten und die hatten so starke<br />

Nebenwirkungen, dass viele in meinem<br />

Umfeld schwere bleibende Schäden<br />

davontrugen oder gestorben sind. Ich<br />

habe mich deswegen auch geweigert, sie<br />

zu nehmen, solange es ging. Glücklicherweise<br />

ist Aids bei mir sehr lange nicht<br />

ausgebrochen. Erst 1998 ging es mir auf<br />

einmal wirklich mies und der Arzt hat eine<br />

extrem hohe Viruslast festgestellt. Ich<br />

war dann einer der ersten, die eine damals<br />

aufkommende Kombinationstherapie<br />

mit drei Wirkstoffen bekommen haben.<br />

Damit ging es mir körperlich auch schnell<br />

sehr viel besser. Trotzdem habe ich nur<br />

zwei Jahre durchgehalten und dann eine<br />

Therapiepause eingelegt.<br />

Warum, wenn die Therapie doch<br />

half?<br />

Gordon: Weil ich überall rosa Elefanten<br />

und Papageien gesehen habe. Ich konnte<br />

teilweise nicht mehr Auto fahren, weil

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