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Rain“ (1952). Die Handlung<br />
spielt im Jahr 1927, sie<br />
nimmt die Panik von Produzenten<br />
durch den Erfolg von<br />
„The Jazzsinger“ auf die<br />
Schippe: Plötzlich wollen alle<br />
Tonfilme machen, plötzlich<br />
sollen alle Stummfilmstars<br />
zu Tonfilmstars werden.<br />
Don Lockwood (Gene<br />
Kelly) hat dafür alle Voraussetzungen,<br />
Lena Lamont<br />
(Jean Hagen) eine wesentliche<br />
nicht –ihre Stimme unterzieht<br />
jedes Trommelfell<br />
einer Akupunkturbehandlung.<br />
Aus technischer und akustischer<br />
Verlegenheit entwickeln<br />
die Filmstudios ein<br />
neues Genre: den Musikfilm.<br />
Bei Gesang ist es nicht zwingend<br />
wichtig, jedes Wort zu<br />
verstehen.<br />
Ab 1929 beginnt der Tonfilm,<br />
sich dem hohen künstlerischen<br />
Niveau, das der<br />
Stummfilm erreicht hatte, zu<br />
nähern.<br />
Die junge Kunstgattung beschert<br />
Hollywood einen Zuwachs<br />
der Zuschauerzahlen<br />
von wöchentlich 55 Millionen<br />
im Jahr 1926 auf 155 Millionen<br />
1930.<br />
Der Übergang vom Stummzum<br />
Sprechfilm macht vielen<br />
Künstlern Schwierigkeiten.<br />
Wer näselt oder nuschelt,<br />
lispelt oder lallt,<br />
quäkt oder quiekt, hat kaum<br />
eine Chance, im Geschäft zu<br />
bleiben.<br />
Ausländische Stars in den<br />
USA haben Probleme, ihren<br />
Status zu wahren: Die Polin<br />
Pola Negri zum Beispiel fällt<br />
beim Publikum wegen ihres<br />
Akzents durch; der Deutsche<br />
Emil Jannings, der den ersten<br />
Oscar als bester Schauspieler<br />
gewann, kehrt 1929<br />
nach Deutschland zurück,<br />
weil er sich dem englischsprachigen<br />
Tonfilm nicht gewachsen<br />
fühlt, obwohl er ein<br />
Jahr zuvor in „The Patriot“<br />
kein schlechtes Spiel gemacht<br />
hatte.<br />
Natürlich gibt es auch Ausnahmen.<br />
So manch ein Star<br />
mehrt seinen Ruhm durch<br />
den Tonfilm, so zum Beispiel<br />
Greta Garbo.<br />
Noch 1929 scheint die deutsche<br />
Filmlandlandschaft<br />
Fotos: ullstein bild/Martin Munkacsi, bpk/Kunstbibliothek/SMB/Arthur Köster,imago images/Prod.DB (2), dpa picturealliance/imageBROKER,imago images/United Archives<br />
Ab 1930<br />
werden<br />
vor allem<br />
Tonfilme<br />
produziert.<br />
stumm bleiben zu wollen.<br />
Von den 183 gedrehten Filmen<br />
sind nur acht vertont.<br />
Im September zeigt das Kino<br />
„Universum“ am Lehniner<br />
Platz einen Film in zwei Fassungen:<br />
einmal stumm, einmal<br />
sprechend. Die Zuschauer<br />
bekommen Stimmzettel<br />
ausgehändigt, um die<br />
Version zu wählen, die ihnen<br />
besser gefallen hat. Der Film<br />
heißt „Blackmail“ (Erpressung),<br />
der Regisseur Alfred<br />
Hitchcock.<br />
Der „<strong>Berliner</strong> Börsen-Courier“<br />
schreibt: „Eine ziemlich<br />
lederne Kriminalsache.<br />
Mit einer Plakat-Aktion nehmen der Deutsche Musiker Verband und<br />
die Internationale Artisten-Loge 1929 Stellung gegen den Tonfilm.<br />
Aber das Publikum applaudiert<br />
bei der stummen Fassung<br />
und verhält sich beim<br />
Sprechfilm kühl.“ Nach der<br />
Vorführung liegen 1124<br />
Stimmzettel vor, gegen den<br />
Sprechfilm stimmen 685 Zuschauer.<br />
„Der stumme Film<br />
hat also wieder einmal gesiegt.“<br />
Ein Scheinsieg. Denn<br />
schon 1930 sprechen 101 von<br />
146 in Deutschland gedrehten<br />
Filmen; mehr als ein<br />
Viertel der <strong>Berliner</strong> Kinos,<br />
darunter fast alle Filmpaläste,<br />
haben kostspielig auf Ton<br />
umgerüstet.<br />
In jenem Jahr, am 1. April,<br />
kommt im Gloria-Palast ein<br />
deutscher Tonfilm zur Uraufführung,<br />
der international<br />
Aufsehen erregt: „Der<br />
blaue Engel.“ In dem Film<br />
hat Emil Jannings sein deutsches<br />
Tonfilmdebüt. Doch<br />
nicht er ist der Star, sondern<br />
eine bis dahin eher mittelmäßige<br />
Schauspielerin: Marlene<br />
Dietrich.<br />
„Wie lange ist es her, daß<br />
wir einen deutschen Film so<br />
uneingeschränkt loben<br />
konnten, loben mußten?“,<br />
schreibt „Die Literarische<br />
Welt“. Man sei versucht,<br />
„den ,Blauen Engel‘ den besten<br />
deutschen Film zu nennen.<br />
Es handelt sich um einen<br />
Tonfilm, und zum ersten<br />
Male haben wir ohne Kritik<br />
die Möglichkeit dieser neuen<br />
Kunstgattung erkannt“. Der<br />
Film erstaune das Publikum<br />
mit sinnvollen Dialogen, tonfilmgemäßer<br />
Musik, dem<br />
Zusammenspiel von Bild<br />
und Wort, den Hauptdarstellern<br />
Emil Jannings und Marlene<br />
Dietrich.<br />
Eine englische Fassung mit<br />
denselben Schauspielern hat<br />
Anfang Juli in London Premiere.<br />
In den folgenden zwei Jahren<br />
kommen weitere Geschichte<br />
machende deutsche<br />
Filme in die Kinos, unter anderen<br />
„M“ von Fritz Lang<br />
über einen Kindermörder in<br />
Berlin (1931) und „Kuhle<br />
Wampe“ über eine erwerbslose<br />
<strong>Berliner</strong> Familie (1932).<br />
Was der Filmkritiker Curt<br />
Riess bei der Vorführung<br />
von „The Singing Fool“ im<br />
Gloria-Palast noch 1929 bezweifelt<br />
hat, lässt sich schon<br />
ein Jahr später nicht mehr<br />
bezweifeln: Die Zukunft gehört<br />
dem Tonfilm.<br />
Nach der Premiere von<br />
„The Singing Fool“ trifft<br />
Riess den Schauspieler Hans<br />
Albers. Der „blonde Hans“,<br />
der auf über hundert Rollen<br />
in Stummfilmen zurückblickt,<br />
„sagte in seiner üblichen<br />
Bescheidenheit: ,Der<br />
Tonfilm wird ganz groß! Für<br />
mich nach Maß gemacht! Ich<br />
werde noch größer!‘“.<br />
Wie recht er hatte.<br />
Michael Brettin