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Berliner Kurier 19.01.2020

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15<br />

Rain“ (1952). Die Handlung<br />

spielt im Jahr 1927, sie<br />

nimmt die Panik von Produzenten<br />

durch den Erfolg von<br />

„The Jazzsinger“ auf die<br />

Schippe: Plötzlich wollen alle<br />

Tonfilme machen, plötzlich<br />

sollen alle Stummfilmstars<br />

zu Tonfilmstars werden.<br />

Don Lockwood (Gene<br />

Kelly) hat dafür alle Voraussetzungen,<br />

Lena Lamont<br />

(Jean Hagen) eine wesentliche<br />

nicht –ihre Stimme unterzieht<br />

jedes Trommelfell<br />

einer Akupunkturbehandlung.<br />

Aus technischer und akustischer<br />

Verlegenheit entwickeln<br />

die Filmstudios ein<br />

neues Genre: den Musikfilm.<br />

Bei Gesang ist es nicht zwingend<br />

wichtig, jedes Wort zu<br />

verstehen.<br />

Ab 1929 beginnt der Tonfilm,<br />

sich dem hohen künstlerischen<br />

Niveau, das der<br />

Stummfilm erreicht hatte, zu<br />

nähern.<br />

Die junge Kunstgattung beschert<br />

Hollywood einen Zuwachs<br />

der Zuschauerzahlen<br />

von wöchentlich 55 Millionen<br />

im Jahr 1926 auf 155 Millionen<br />

1930.<br />

Der Übergang vom Stummzum<br />

Sprechfilm macht vielen<br />

Künstlern Schwierigkeiten.<br />

Wer näselt oder nuschelt,<br />

lispelt oder lallt,<br />

quäkt oder quiekt, hat kaum<br />

eine Chance, im Geschäft zu<br />

bleiben.<br />

Ausländische Stars in den<br />

USA haben Probleme, ihren<br />

Status zu wahren: Die Polin<br />

Pola Negri zum Beispiel fällt<br />

beim Publikum wegen ihres<br />

Akzents durch; der Deutsche<br />

Emil Jannings, der den ersten<br />

Oscar als bester Schauspieler<br />

gewann, kehrt 1929<br />

nach Deutschland zurück,<br />

weil er sich dem englischsprachigen<br />

Tonfilm nicht gewachsen<br />

fühlt, obwohl er ein<br />

Jahr zuvor in „The Patriot“<br />

kein schlechtes Spiel gemacht<br />

hatte.<br />

Natürlich gibt es auch Ausnahmen.<br />

So manch ein Star<br />

mehrt seinen Ruhm durch<br />

den Tonfilm, so zum Beispiel<br />

Greta Garbo.<br />

Noch 1929 scheint die deutsche<br />

Filmlandlandschaft<br />

Fotos: ullstein bild/Martin Munkacsi, bpk/Kunstbibliothek/SMB/Arthur Köster,imago images/Prod.DB (2), dpa picturealliance/imageBROKER,imago images/United Archives<br />

Ab 1930<br />

werden<br />

vor allem<br />

Tonfilme<br />

produziert.<br />

stumm bleiben zu wollen.<br />

Von den 183 gedrehten Filmen<br />

sind nur acht vertont.<br />

Im September zeigt das Kino<br />

„Universum“ am Lehniner<br />

Platz einen Film in zwei Fassungen:<br />

einmal stumm, einmal<br />

sprechend. Die Zuschauer<br />

bekommen Stimmzettel<br />

ausgehändigt, um die<br />

Version zu wählen, die ihnen<br />

besser gefallen hat. Der Film<br />

heißt „Blackmail“ (Erpressung),<br />

der Regisseur Alfred<br />

Hitchcock.<br />

Der „<strong>Berliner</strong> Börsen-Courier“<br />

schreibt: „Eine ziemlich<br />

lederne Kriminalsache.<br />

Mit einer Plakat-Aktion nehmen der Deutsche Musiker Verband und<br />

die Internationale Artisten-Loge 1929 Stellung gegen den Tonfilm.<br />

Aber das Publikum applaudiert<br />

bei der stummen Fassung<br />

und verhält sich beim<br />

Sprechfilm kühl.“ Nach der<br />

Vorführung liegen 1124<br />

Stimmzettel vor, gegen den<br />

Sprechfilm stimmen 685 Zuschauer.<br />

„Der stumme Film<br />

hat also wieder einmal gesiegt.“<br />

Ein Scheinsieg. Denn<br />

schon 1930 sprechen 101 von<br />

146 in Deutschland gedrehten<br />

Filmen; mehr als ein<br />

Viertel der <strong>Berliner</strong> Kinos,<br />

darunter fast alle Filmpaläste,<br />

haben kostspielig auf Ton<br />

umgerüstet.<br />

In jenem Jahr, am 1. April,<br />

kommt im Gloria-Palast ein<br />

deutscher Tonfilm zur Uraufführung,<br />

der international<br />

Aufsehen erregt: „Der<br />

blaue Engel.“ In dem Film<br />

hat Emil Jannings sein deutsches<br />

Tonfilmdebüt. Doch<br />

nicht er ist der Star, sondern<br />

eine bis dahin eher mittelmäßige<br />

Schauspielerin: Marlene<br />

Dietrich.<br />

„Wie lange ist es her, daß<br />

wir einen deutschen Film so<br />

uneingeschränkt loben<br />

konnten, loben mußten?“,<br />

schreibt „Die Literarische<br />

Welt“. Man sei versucht,<br />

„den ,Blauen Engel‘ den besten<br />

deutschen Film zu nennen.<br />

Es handelt sich um einen<br />

Tonfilm, und zum ersten<br />

Male haben wir ohne Kritik<br />

die Möglichkeit dieser neuen<br />

Kunstgattung erkannt“. Der<br />

Film erstaune das Publikum<br />

mit sinnvollen Dialogen, tonfilmgemäßer<br />

Musik, dem<br />

Zusammenspiel von Bild<br />

und Wort, den Hauptdarstellern<br />

Emil Jannings und Marlene<br />

Dietrich.<br />

Eine englische Fassung mit<br />

denselben Schauspielern hat<br />

Anfang Juli in London Premiere.<br />

In den folgenden zwei Jahren<br />

kommen weitere Geschichte<br />

machende deutsche<br />

Filme in die Kinos, unter anderen<br />

„M“ von Fritz Lang<br />

über einen Kindermörder in<br />

Berlin (1931) und „Kuhle<br />

Wampe“ über eine erwerbslose<br />

<strong>Berliner</strong> Familie (1932).<br />

Was der Filmkritiker Curt<br />

Riess bei der Vorführung<br />

von „The Singing Fool“ im<br />

Gloria-Palast noch 1929 bezweifelt<br />

hat, lässt sich schon<br />

ein Jahr später nicht mehr<br />

bezweifeln: Die Zukunft gehört<br />

dem Tonfilm.<br />

Nach der Premiere von<br />

„The Singing Fool“ trifft<br />

Riess den Schauspieler Hans<br />

Albers. Der „blonde Hans“,<br />

der auf über hundert Rollen<br />

in Stummfilmen zurückblickt,<br />

„sagte in seiner üblichen<br />

Bescheidenheit: ,Der<br />

Tonfilm wird ganz groß! Für<br />

mich nach Maß gemacht! Ich<br />

werde noch größer!‘“.<br />

Wie recht er hatte.<br />

Michael Brettin

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