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*<br />
POLITIK<br />
Eine Aufgabe<br />
für uns alle<br />
MEINE<br />
MEINUNG<br />
Von<br />
Thorsten<br />
Fuchs<br />
Die Gedenkfeiern zum 75.<br />
Jahrestag der Befreiung<br />
von Auschwitz sind vorüber.<br />
Und jetzt beginnt die eigentliche<br />
Arbeit. Es gibt in<br />
Deutschland wieder ein antisemitisches<br />
Grundrauschen,<br />
das den Alltag vonimmer<br />
mehr Jüdinnen und Juden<br />
prägt. Siewerden,insteigender<br />
Zahl, auf offener Straße<br />
beschimpft odergar angegriffen.<br />
„Du Jude“ gilt als gängiges<br />
Schimpfwort. Hassmails<br />
füllen diePosteingänge jüdischerGemeinden.<br />
Wasist zu tun?Übergriffe<br />
sind ein Fall für die Polizei.<br />
Beschimpfungen zu ächten ist<br />
ein Fall füruns alle. Den Holocaust<br />
künftigen Generationen<br />
näherzubringen bleibt<br />
eine Aufgabe fürSchulen –<br />
bei der obligatorische Gedenkstättenbesuche<br />
sinnvoll<br />
wären.Wer in Auschwitz die<br />
Haare vergaster Frauen, Männer<br />
und Kinder gesehen hat,<br />
der siehtdie Welt mit anderen<br />
Augen.Und der schaut<br />
andersauf Politiker, die die<br />
Nazis undihre Verbrechenals<br />
„Vogelschiss“ bezeichnen.<br />
Dass sich einPolitiker, der so<br />
etwas sagt, für denpolitischen<br />
Diskurs in Deutschland disqualifiziert<br />
hat: Auch das ist<br />
eine Konsequenz, wenn man<br />
das Gedenken an die Opfer<br />
des Holocaust ernst nimmt.<br />
FRAU DESTAGES<br />
Angela Merkel<br />
Angela Merkel, Bundeskanzlerin,<br />
beharrt auf einer EU-<br />
Beitrittsperspektive für Albanien.<br />
Dass die Länder des<br />
Westbalkans<br />
an die<br />
Union herangeführt<br />
würden, sei<br />
nicht nur in<br />
deren Interesse,<br />
sondern<br />
auch<br />
im Interesse<br />
der EU, sagte<br />
Merkel<br />
am Montag bei einem Besuch<br />
des albanischen Ministerpräsidenten<br />
Edi Rama in Berlin.<br />
Ihre Haltung stieß aber immer<br />
wieder auf Widerstand,<br />
etwa beim französischen Präsidenten<br />
Emmanuel Macron.<br />
Foto: Michael Sohn/AP<br />
Fotos:DamianKlamka/imagoimages,MuseumderStadtAuschwitz,SeanGallup/Gettyimages(2)<br />
Auschwitz – Es sind nicht die<br />
großen Worte, die an diesem<br />
Gedenktag in Auschwitz am<br />
meisten erschüttern. Es ist<br />
auch nicht das ikonische Bild<br />
des grell angeleuchteten Einfahrtstors<br />
in das Vernichtungslager<br />
Birkenau, vor<br />
dem die Redner stehen und<br />
75 Jahre nach der Befreiung<br />
des Todeslagers am 27. Januar<br />
1945 ihre Erinnerungen<br />
schildern und zu Wachsamkeit<br />
in der Zukunft mahnen.<br />
Der Name Auschwitz hat sich<br />
als Synonym für den Holocaust<br />
und Inbegriff des Bösen weltweit<br />
ins Bewusstsein eingebrannt.<br />
Allein dort brachten die<br />
Nationalsozialisten mehr als<br />
eine Million Menschen um, zumeist<br />
Juden. In ganz Europa ermordeten<br />
sie während der<br />
Schoah etwa sechs Millionen<br />
Menschen jüdischen Glaubens.<br />
Polens Präsident Andrzej<br />
Duda warnt in seiner Rede vor<br />
einer Umdeutung der Geschichte.<br />
„Das Verzerren der<br />
Geschichte, das Leugnen des<br />
Genozids und des Holocaust sowie<br />
eine Instrumentalisierung<br />
von Auschwitz zu jedwedem<br />
Ziel sind gleichbedeutend mit<br />
einer Entehrung des Gedenkens<br />
an die Opfer.“ Die Wahrheit<br />
über den Holocaust dürfe<br />
nicht sterben.<br />
Duda spielte damit auch auf<br />
den Streit zwischen Warschau<br />
und Moskau über die Vorgeschichte<br />
des Zweiten Weltkriegs<br />
an. Russlands Präsident<br />
Wladimir Putin hatte vor Weihnachten<br />
Polen eine Mitschuld<br />
am Ausbruch des Zweiten<br />
Weltkriegs gegeben.<br />
Das ist der politische Streit.<br />
Doch an diesem Tag zählt vor<br />
allem das Schlichte, das Nüchterne<br />
in den Erzählungen der<br />
Überlebenden, die viele Zuhörer<br />
entsetzen und zu Tränen<br />
rühren. So wie der Bericht von<br />
Batszewa Dagan, einer israelischen<br />
Jüdin polnischer Abstammung,<br />
die 1942 nach<br />
Auschwitz kam, bis 1945 blieb<br />
und zuletzt die Todesmärsche<br />
nach Westen überlebte. „Es ist<br />
nicht leicht zu entscheiden, was<br />
das Schlimmste war, was ich<br />
hier erlebt habe“, sagt die 94-<br />
Jährige, als müsste sie genau<br />
jetzt erst überlegen, um dann<br />
die richtige Entscheidung zu<br />
treffen. Als wäre sie nicht der<br />
„Hölle“ entkommen, von der<br />
Duda zur Eröffnung der Gedenkfeierlichkeiten<br />
gesprochen<br />
hatte. Nein, die Überlebende<br />
erinnert sich zuallererst<br />
daran, dass die SS-Wachmannschaften<br />
sie als „Schutzhäftling“<br />
eingruppierten. „Dabei<br />
gab es hier keinen Schutz, nirgends.“<br />
Das Wort, fährt Dagan<br />
Marsch der Erinnerung:<br />
Trauerzug im früheren<br />
Lager Auschwitz.<br />
Verantwortung,<br />
die nie endet<br />
Überlebende und die Politik gedenken der Befreiungvon Auschwitz 1945<br />
fort, habe die ganze Verachtung<br />
gezeigt, mit der die Deutschen<br />
sich ihre Opfer unterworfen<br />
hätten.<br />
Dieser Tag solle „den Überlebenden<br />
gehören“. So hat es der<br />
Leiter der KZ-Gedenkstätte, Piotr<br />
Cywinski, im Vorfeld angekündigt.<br />
„Wir machen das hier<br />
nicht für Politiker, gekrönte<br />
Häupter und Präsidenten“, von<br />
denen am Montag rund 60 zu<br />
den Feierlichkeiten nach<br />
Auschwitz gekommen sind, das<br />
heute wieder polnisch Oswiecim<br />
heißt. Als Vertreter<br />
Deutschlands ist der Bundespräsident<br />
angereist, Frank-<br />
Walter Steinmeier. Vor allem<br />
Wieder Hoffnung:<br />
Häftlinge kurznach<br />
der Befreiung.