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Berliner Kurier 28.01.2020

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*<br />

POLITIK<br />

Eine Aufgabe<br />

für uns alle<br />

MEINE<br />

MEINUNG<br />

Von<br />

Thorsten<br />

Fuchs<br />

Die Gedenkfeiern zum 75.<br />

Jahrestag der Befreiung<br />

von Auschwitz sind vorüber.<br />

Und jetzt beginnt die eigentliche<br />

Arbeit. Es gibt in<br />

Deutschland wieder ein antisemitisches<br />

Grundrauschen,<br />

das den Alltag vonimmer<br />

mehr Jüdinnen und Juden<br />

prägt. Siewerden,insteigender<br />

Zahl, auf offener Straße<br />

beschimpft odergar angegriffen.<br />

„Du Jude“ gilt als gängiges<br />

Schimpfwort. Hassmails<br />

füllen diePosteingänge jüdischerGemeinden.<br />

Wasist zu tun?Übergriffe<br />

sind ein Fall für die Polizei.<br />

Beschimpfungen zu ächten ist<br />

ein Fall füruns alle. Den Holocaust<br />

künftigen Generationen<br />

näherzubringen bleibt<br />

eine Aufgabe fürSchulen –<br />

bei der obligatorische Gedenkstättenbesuche<br />

sinnvoll<br />

wären.Wer in Auschwitz die<br />

Haare vergaster Frauen, Männer<br />

und Kinder gesehen hat,<br />

der siehtdie Welt mit anderen<br />

Augen.Und der schaut<br />

andersauf Politiker, die die<br />

Nazis undihre Verbrechenals<br />

„Vogelschiss“ bezeichnen.<br />

Dass sich einPolitiker, der so<br />

etwas sagt, für denpolitischen<br />

Diskurs in Deutschland disqualifiziert<br />

hat: Auch das ist<br />

eine Konsequenz, wenn man<br />

das Gedenken an die Opfer<br />

des Holocaust ernst nimmt.<br />

FRAU DESTAGES<br />

Angela Merkel<br />

Angela Merkel, Bundeskanzlerin,<br />

beharrt auf einer EU-<br />

Beitrittsperspektive für Albanien.<br />

Dass die Länder des<br />

Westbalkans<br />

an die<br />

Union herangeführt<br />

würden, sei<br />

nicht nur in<br />

deren Interesse,<br />

sondern<br />

auch<br />

im Interesse<br />

der EU, sagte<br />

Merkel<br />

am Montag bei einem Besuch<br />

des albanischen Ministerpräsidenten<br />

Edi Rama in Berlin.<br />

Ihre Haltung stieß aber immer<br />

wieder auf Widerstand,<br />

etwa beim französischen Präsidenten<br />

Emmanuel Macron.<br />

Foto: Michael Sohn/AP<br />

Fotos:DamianKlamka/imagoimages,MuseumderStadtAuschwitz,SeanGallup/Gettyimages(2)<br />

Auschwitz – Es sind nicht die<br />

großen Worte, die an diesem<br />

Gedenktag in Auschwitz am<br />

meisten erschüttern. Es ist<br />

auch nicht das ikonische Bild<br />

des grell angeleuchteten Einfahrtstors<br />

in das Vernichtungslager<br />

Birkenau, vor<br />

dem die Redner stehen und<br />

75 Jahre nach der Befreiung<br />

des Todeslagers am 27. Januar<br />

1945 ihre Erinnerungen<br />

schildern und zu Wachsamkeit<br />

in der Zukunft mahnen.<br />

Der Name Auschwitz hat sich<br />

als Synonym für den Holocaust<br />

und Inbegriff des Bösen weltweit<br />

ins Bewusstsein eingebrannt.<br />

Allein dort brachten die<br />

Nationalsozialisten mehr als<br />

eine Million Menschen um, zumeist<br />

Juden. In ganz Europa ermordeten<br />

sie während der<br />

Schoah etwa sechs Millionen<br />

Menschen jüdischen Glaubens.<br />

Polens Präsident Andrzej<br />

Duda warnt in seiner Rede vor<br />

einer Umdeutung der Geschichte.<br />

„Das Verzerren der<br />

Geschichte, das Leugnen des<br />

Genozids und des Holocaust sowie<br />

eine Instrumentalisierung<br />

von Auschwitz zu jedwedem<br />

Ziel sind gleichbedeutend mit<br />

einer Entehrung des Gedenkens<br />

an die Opfer.“ Die Wahrheit<br />

über den Holocaust dürfe<br />

nicht sterben.<br />

Duda spielte damit auch auf<br />

den Streit zwischen Warschau<br />

und Moskau über die Vorgeschichte<br />

des Zweiten Weltkriegs<br />

an. Russlands Präsident<br />

Wladimir Putin hatte vor Weihnachten<br />

Polen eine Mitschuld<br />

am Ausbruch des Zweiten<br />

Weltkriegs gegeben.<br />

Das ist der politische Streit.<br />

Doch an diesem Tag zählt vor<br />

allem das Schlichte, das Nüchterne<br />

in den Erzählungen der<br />

Überlebenden, die viele Zuhörer<br />

entsetzen und zu Tränen<br />

rühren. So wie der Bericht von<br />

Batszewa Dagan, einer israelischen<br />

Jüdin polnischer Abstammung,<br />

die 1942 nach<br />

Auschwitz kam, bis 1945 blieb<br />

und zuletzt die Todesmärsche<br />

nach Westen überlebte. „Es ist<br />

nicht leicht zu entscheiden, was<br />

das Schlimmste war, was ich<br />

hier erlebt habe“, sagt die 94-<br />

Jährige, als müsste sie genau<br />

jetzt erst überlegen, um dann<br />

die richtige Entscheidung zu<br />

treffen. Als wäre sie nicht der<br />

„Hölle“ entkommen, von der<br />

Duda zur Eröffnung der Gedenkfeierlichkeiten<br />

gesprochen<br />

hatte. Nein, die Überlebende<br />

erinnert sich zuallererst<br />

daran, dass die SS-Wachmannschaften<br />

sie als „Schutzhäftling“<br />

eingruppierten. „Dabei<br />

gab es hier keinen Schutz, nirgends.“<br />

Das Wort, fährt Dagan<br />

Marsch der Erinnerung:<br />

Trauerzug im früheren<br />

Lager Auschwitz.<br />

Verantwortung,<br />

die nie endet<br />

Überlebende und die Politik gedenken der Befreiungvon Auschwitz 1945<br />

fort, habe die ganze Verachtung<br />

gezeigt, mit der die Deutschen<br />

sich ihre Opfer unterworfen<br />

hätten.<br />

Dieser Tag solle „den Überlebenden<br />

gehören“. So hat es der<br />

Leiter der KZ-Gedenkstätte, Piotr<br />

Cywinski, im Vorfeld angekündigt.<br />

„Wir machen das hier<br />

nicht für Politiker, gekrönte<br />

Häupter und Präsidenten“, von<br />

denen am Montag rund 60 zu<br />

den Feierlichkeiten nach<br />

Auschwitz gekommen sind, das<br />

heute wieder polnisch Oswiecim<br />

heißt. Als Vertreter<br />

Deutschlands ist der Bundespräsident<br />

angereist, Frank-<br />

Walter Steinmeier. Vor allem<br />

Wieder Hoffnung:<br />

Häftlinge kurznach<br />

der Befreiung.

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