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8 FRANKFURT<br />
„ Es hat sich eine gute Diskussionskultur<br />
entwickelt, auch<br />
wenn es manchmal laut und<br />
leidenschaftlich zugeht.<br />
“<br />
ALTERNATIVE<br />
ALTENARBEIT<br />
FOTO: BJÖ<br />
Michael Holy (links) und Rainer Legorreta vom Café Karussell<br />
CAFÉ KARUSSELL:<br />
MEHR ALS BLOSS EIN KAFFEEKRÄNZCHEN<br />
Seit über zehn Jahren gibt es in Frankfurt das Café Karussell, den Treffpunkt für Schwule ab 60 Jahren, der am ersten und<br />
dritten Dienstagnachmittag des Monats zwischen 14:30 und 18 Uhr im Switchboard stattfindet. Das Projekt, das vom<br />
Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenpflege, der AIDS-Hilfe Frankfurt und 40plus initiiert wurde, hatte von Anfang<br />
an neue Wege in der Altenarbeit eingeschlagen; maßgeblich daran beteiligt ist Michael Holy, der das monatliche Programm<br />
zusammenstellt. Ebenfalls von Anfang an dabei ist Rainer Legorreta der sich um den Service mit Kaffee und Kuchen, aber auch<br />
um das Feedback durch die Gäste kümmert. Wir haben die beiden Macher des Café Karussell zum Interview getroffen.<br />
Michael, du kümmerst dich um das<br />
Programm der beiden monatlichen<br />
Café Karussell-Termine. Was ist dir<br />
dabei wichtig?<br />
MICHAEL: Ich war zu Beginn in der Tat<br />
etwas zögerlich das Projekt zu übernehmen,<br />
weil ich nicht eine herkömmliche<br />
Altenarbeit machen wollte, also nur<br />
Kaffee und Kuchen reichen und vielleicht<br />
noch eine nette Kurzgeschichte dazu<br />
lesen, und das war’s dann. Ich glaube<br />
vielmehr, dass wir älteren Schwulen<br />
Interesse an allem haben, was in der Welt<br />
passiert. Ich bin ja selber auch nicht viel<br />
jünger als meine Gäste. Meine Grundidee<br />
war: „Die Welt in den Altenclub holen“. Ich<br />
mache mir immer wieder Gedanken, was<br />
ältere Menschen im wahrsten Sinne des<br />
Wortes reizen könnte. Und „reizen“ heißt<br />
dabei auch, die Gäste zum Widerspruch<br />
„zu reizen“. Ich hatte vor kurzem aus dem<br />
Buch „Tabuzonen lesbischer Sexualität“<br />
von Andrea Thamm ein paar Auszüge<br />
referiert, weil ich der Meinung war,<br />
dass wir Schwulen uns zu wenig damit<br />
auseinandersetzen, wie lesbische Frauen<br />
Beziehungen und Sexualität erleben. Das<br />
löste zunächst die ablehnende Frage aus:<br />
„Muss uns das interessieren?“, im Verlauf<br />
der Diskussion änderte sich das aber doch<br />
ein wenig, und es wurde ein interessanter<br />
Nachmittag ...<br />
Aber es gibt natürlich auch andere, eher<br />
schwulenspezifische Themen, zum<br />
Beispiel den Film von Rosa von Praunheim<br />
„Meine Mütter“, der meiner Meinung nach<br />
einer seiner besten Filme ist. Ich wollte<br />
damit dazu anregen, über die Beziehung<br />
zu unseren Müttern nachzudenken.<br />
Seit einiger Zeit stelle ich die beiden<br />
Monatstreffen gerne unter ein gemeinsames<br />
Motto. Das hat sich als sehr nützlich<br />
erwiesen, weil man auf diese Weise ein<br />
Thema von zwei Seiten beleuchten kann.<br />
Gab oder gibt es Vorbilder für das<br />
Café Karussell?<br />
MICHAEL: Nein, eigentlich nicht. Ganz<br />
im Gegenteil, andere Altenclubs wundern<br />
sich, worüber man alles reden kann. Die<br />
„Golden Gays“ aus Köln, die kürzlich bei<br />
uns zu Gast waren, organisieren fast nur<br />
Ausflüge und sind der Ansicht, dass ältere<br />
Schwule nicht gerne diskutieren. Die<br />
meinten zum Beispiel, die Finanzkrise sei<br />
eigentlich kein Thema für einen Altenclub,<br />
obwohl die weltweite Überschuldung sehr<br />
wohl auch die finanzielle Lage der Alten in<br />
Deutschland unmittelbar berührt. Unsere<br />
Erfahrung im „Karussell“ hat gezeigt, dass<br />
auch über solche Themen gerne diskutiert<br />
wird, vorausgesetzt, man stellt einen Bezug<br />
zur Realität der Alten her. Es hat sich<br />
eine gute Diskussionskultur entwickelt,