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„HELFEN MUSS MAN SICH<br />
SELBST. ABER FREUN<strong>DE</strong><br />
FANGEN DICH AUF.“<br />
MANUEL CHRISTOPH POPPE<br />
Viele Leute brauchen jemanden, der sie<br />
motiviert und antreibt. Seid ihr zueinander<br />
auch so?<br />
wanda: Eher nein, wir lassen einander in<br />
Ruhe. Wir verlangen voneinander nicht viel.<br />
Aber wir wissen, dass wir keine Virtuosen sind.<br />
Wir müssen bluten für unsere Arbeit. Das ist ein<br />
Kampf. Steuern können wir ihn nicht, unsere<br />
Arbeit ist immer einem Faktor X unterworfen,<br />
dem Intuitiven und dem Mentalen. Wenn gar<br />
nichts mehr geht, muss man es aussitzen. Songs<br />
sind wie Geister, die einen besuchen kommen.<br />
Geister lassen sich auch beschwören …<br />
wanda: Das heißt aber noch lange nicht, dass<br />
sie kommen. Man braucht viel Geduld, einen<br />
langen Atem und unbedingt ein gutes Leben.<br />
Ich glaube überhaupt nicht an den Abgrund<br />
als Quell der Inspiration.<br />
Wusstest du in den drei Wochen, in denen<br />
du das neue Album „Ciao!“ großteils geschrieben<br />
hast, dass jetzt der richtige Zeitpunkt<br />
ist?<br />
wanda: Ja. Alle Geister haben mich auf einmal<br />
besucht. Früher habe ich alles dafür versucht,<br />
jedes Hilfsmittel war recht. Aber irgendwann<br />
war das kein gutes Leben mehr.<br />
Haben euch die Beatles besucht, haben sie<br />
euch beeinflusst?<br />
wanda: Der Einfluss, den diese Gruppierung<br />
auf die Musik, auf die gesamte Kultur hat,<br />
der lässt sich vorne und hinten nicht verfehlen.<br />
Und ja: Wir haben etwas gemeinsam. Immerhin<br />
waren wir alle bei den Beatles in der Schule.<br />
Das ist eine Art, Musik zu denken, die uns verwandt<br />
ist. Ich verstehe, in welchem Rahmen<br />
sie arbeiten wollten. Diese Musik ist mir viel<br />
näher und verständlicher als vieles andere.<br />
Aber die neuen Beatles wollen wir nicht sein –<br />
und das können wir auch nicht sein.<br />
Manche Harmonien, Instrumentierungen<br />
und Rhythmen erinnern dennoch stark<br />
an die Beatles. Auch ein Songtitel wie<br />
„Swing Shit Slide Show“.<br />
wanda: Ich verstehe das als eine Art Öffnung.<br />
In einem Magazin habe ich eine Werbeeinschaltung<br />
für diese Freakshow namens<br />
„Swingshift Sideshow“ gesehen, und in diesem<br />
Moment war mir klar, dass ich nicht über mich<br />
schreiben will, sondern so viele Geschichten<br />
wie möglich erzählen möchte. Wie auf einem<br />
„SONGS SIND WIE GEISTER, DIE<br />
EINEN BESUCHEN KOMMEN.“<br />
Festival, bei dem sich Menschen ihren Ängsten<br />
stellen und dafür auch noch Eintritt zahlen.<br />
Im Übrigen halte ich auch dieses Lied für<br />
grandios gescheitert.<br />
poppe: In drei Akten erfolgreich gescheitert.<br />
(Beide lachen.)<br />
Auf dem Cover eures neuen Albums lauft<br />
ihr mit einem Schiff aus, auf dem „Ciao!“<br />
steht. Das soll angeblich eine Einladung<br />
zur Reise sein.<br />
wanda: Das haben wir nie gesagt. (Lacht.)<br />
Überhaupt spürt man eine große Lebens-,<br />
aber auch eine Todessehnsucht. In euren<br />
Videos geht ein Auto in Flammen auf, ein<br />
anderes geht unter, und ein Boot säuft ab.<br />
Die neuen Songs heißen „S. O. S.“, „Ein<br />
schneller Tod“ oder „Nix reparieren“.<br />
Geht es euch gut?<br />
wanda: Wanda will den Optimismus finden,<br />
wo es vermeintlich keinen gibt. Wanda will<br />
den Karneval, wo alles grau ist. Das war immer<br />
die geistige Reise dieser Band, für uns als Menschen<br />
wie als Musiker.<br />
poppe: Ein Lied, das sich nicht an das kollektive<br />
Unbewusste richtet, wäre uninteressant.<br />
wanda: Es ist immer ein Versuch. Vielleicht<br />
lernt man das nie, aber der Versuch ist wichtig.<br />
Nichts kann jemals fertig sein, genauso wie<br />
ein Leben niemals fertig ist. Man stirbt, bevor<br />
irgendwas passiert ist. Wenn man die eigene<br />
Sterblichkeit versteht, aber auch die aller<br />
anderen, kann man niemandem mehr wehtun<br />
wollen. Dann kann man nicht spalten wollen.<br />
Alle Menschen, die spalten, haben überhaupt<br />
keine Ahnung vom Leben.<br />
Denkt ihr, dass eure Fans das genauso sehen?<br />
wanda: Meine Mutter ist <strong>The</strong>rapeutin. Sie<br />
meinte kürzlich, was wir als Musiker machen,<br />
ist eine Katharsis für den Moment. Man fühlt<br />
sich während eines Konzerts sehr stark, aber<br />
am nächsten Tag ist vermutlich nicht viel<br />
hängen geblieben. Ich muss noch darüber<br />
nachdenken. Sollte das allerdings stimmen,<br />
werde ich den Rest meines Lebens dagegen<br />
ankämpfen.<br />
Heilen und geistige Gesundheit sind derzeit<br />
große gesellschaftliche <strong>The</strong>men. Ihr wirkt<br />
aber eher wie Menschen, die nicht oft in<br />
den Rückspiegel schauen.<br />
poppe: Die Rückspiegel sind abmontiert –<br />
habe ich einmal gesagt.<br />
wanda: Und ich hab dir damals den Slogan<br />
gestohlen und ihn aus Verlegenheit in vielen<br />
Interviews verwendet.<br />
poppe: Eigentlich ziemlich kaputt. (Lacht.)<br />
MARCO MICHAEL WANDA<br />
60 THE RED BULLETIN