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The Red Bulletin März 2020 (DE)

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„HELFEN MUSS MAN SICH<br />

SELBST. ABER FREUN<strong>DE</strong><br />

FANGEN DICH AUF.“<br />

MANUEL CHRISTOPH POPPE<br />

Viele Leute brauchen jemanden, der sie<br />

motiviert und antreibt. Seid ihr zueinander<br />

auch so?<br />

wanda: Eher nein, wir lassen einander in<br />

Ruhe. Wir verlangen voneinander nicht viel.<br />

Aber wir wissen, dass wir keine Virtuosen sind.<br />

Wir müssen bluten für unsere Arbeit. Das ist ein<br />

Kampf. Steuern können wir ihn nicht, unsere<br />

Arbeit ist immer einem Faktor X unterworfen,<br />

dem Intuitiven und dem Mentalen. Wenn gar<br />

nichts mehr geht, muss man es aussitzen. Songs<br />

sind wie Geister, die einen besuchen kommen.<br />

Geister lassen sich auch beschwören …<br />

wanda: Das heißt aber noch lange nicht, dass<br />

sie kommen. Man braucht viel Geduld, einen<br />

langen Atem und unbedingt ein gutes Leben.<br />

Ich glaube überhaupt nicht an den Abgrund<br />

als Quell der Inspiration.<br />

Wusstest du in den drei Wochen, in denen<br />

du das neue Album „Ciao!“ großteils geschrieben<br />

hast, dass jetzt der richtige Zeitpunkt<br />

ist?<br />

wanda: Ja. Alle Geister haben mich auf einmal<br />

besucht. Früher habe ich alles dafür versucht,<br />

jedes Hilfsmittel war recht. Aber irgendwann<br />

war das kein gutes Leben mehr.<br />

Haben euch die Beatles besucht, haben sie<br />

euch beeinflusst?<br />

wanda: Der Einfluss, den diese Gruppierung<br />

auf die Musik, auf die gesamte Kultur hat,<br />

der lässt sich vorne und hinten nicht verfehlen.<br />

Und ja: Wir haben etwas gemeinsam. Immerhin<br />

waren wir alle bei den Beatles in der Schule.<br />

Das ist eine Art, Musik zu denken, die uns verwandt<br />

ist. Ich verstehe, in welchem Rahmen<br />

sie arbeiten wollten. Diese Musik ist mir viel<br />

näher und verständlicher als vieles andere.<br />

Aber die neuen Beatles wollen wir nicht sein –<br />

und das können wir auch nicht sein.<br />

Manche Harmonien, Instrumentierungen<br />

und Rhythmen erinnern dennoch stark<br />

an die Beatles. Auch ein Songtitel wie<br />

„Swing Shit Slide Show“.<br />

wanda: Ich verstehe das als eine Art Öffnung.<br />

In einem Magazin habe ich eine Werbeeinschaltung<br />

für diese Freakshow namens<br />

„Swingshift Sideshow“ gesehen, und in diesem<br />

Moment war mir klar, dass ich nicht über mich<br />

schreiben will, sondern so viele Geschichten<br />

wie möglich erzählen möchte. Wie auf einem<br />

„SONGS SIND WIE GEISTER, DIE<br />

EINEN BESUCHEN KOMMEN.“<br />

Festival, bei dem sich Menschen ihren Ängsten<br />

stellen und dafür auch noch Eintritt zahlen.<br />

Im Übrigen halte ich auch dieses Lied für<br />

grandios gescheitert.<br />

poppe: In drei Akten erfolgreich gescheitert.<br />

(Beide lachen.)<br />

Auf dem Cover eures neuen Albums lauft<br />

ihr mit einem Schiff aus, auf dem „Ciao!“<br />

steht. Das soll angeblich eine Einladung<br />

zur Reise sein.<br />

wanda: Das haben wir nie gesagt. (Lacht.)<br />

Überhaupt spürt man eine große Lebens-,<br />

aber auch eine Todessehnsucht. In euren<br />

Videos geht ein Auto in Flammen auf, ein<br />

anderes geht unter, und ein Boot säuft ab.<br />

Die neuen Songs heißen „S. O. S.“, „Ein<br />

schneller Tod“ oder „Nix reparieren“.<br />

Geht es euch gut?<br />

wanda: Wanda will den Optimismus finden,<br />

wo es vermeintlich keinen gibt. Wanda will<br />

den Karneval, wo alles grau ist. Das war immer<br />

die geistige Reise dieser Band, für uns als Menschen<br />

wie als Musiker.<br />

poppe: Ein Lied, das sich nicht an das kollektive<br />

Unbewusste richtet, wäre uninteressant.<br />

wanda: Es ist immer ein Versuch. Vielleicht<br />

lernt man das nie, aber der Versuch ist wichtig.<br />

Nichts kann jemals fertig sein, genauso wie<br />

ein Leben niemals fertig ist. Man stirbt, bevor<br />

irgendwas passiert ist. Wenn man die eigene<br />

Sterblichkeit versteht, aber auch die aller<br />

anderen, kann man niemandem mehr wehtun<br />

wollen. Dann kann man nicht spalten wollen.<br />

Alle Menschen, die spalten, haben überhaupt<br />

keine Ahnung vom Leben.<br />

Denkt ihr, dass eure Fans das genauso sehen?<br />

wanda: Meine Mutter ist <strong>The</strong>rapeutin. Sie<br />

meinte kürzlich, was wir als Musiker machen,<br />

ist eine Katharsis für den Moment. Man fühlt<br />

sich während eines Konzerts sehr stark, aber<br />

am nächsten Tag ist vermutlich nicht viel<br />

hängen geblieben. Ich muss noch darüber<br />

nachdenken. Sollte das allerdings stimmen,<br />

werde ich den Rest meines Lebens dagegen<br />

ankämpfen.<br />

Heilen und geistige Gesundheit sind derzeit<br />

große gesellschaftliche <strong>The</strong>men. Ihr wirkt<br />

aber eher wie Menschen, die nicht oft in<br />

den Rückspiegel schauen.<br />

poppe: Die Rückspiegel sind abmontiert –<br />

habe ich einmal gesagt.<br />

wanda: Und ich hab dir damals den Slogan<br />

gestohlen und ihn aus Verlegenheit in vielen<br />

Interviews verwendet.<br />

poppe: Eigentlich ziemlich kaputt. (Lacht.)<br />

MARCO MICHAEL WANDA<br />

60 THE RED BULLETIN

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