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DOSSIER
Text Julian Loosli
Foto 1 Pixabay Foto 2 zVg
Spionagetechnik in digital
Die Crypto-Affäre zeigt einmal mehr, dass Staaten alles dafür tun, an fremde Daten zu gelangen. Kann
man sich dagegen überhaupt wehren?
Die Liste ist lang und wird immer länger.
Und mit jeder weiteren Zeile drängt sich
die Frage auf, wer im Zuge der Operation
Rubikon eigentlich nicht überwacht wurde.
Rubikon war der Deckname, unter welchem
der Bundesnachrichtendienst (BND) und
die CIA seit den 1970er Jahren weltweit eine
grosse Zahl von Staaten und Organisationen
abhörten. Dies durch manipulierte, vermeintlich
abhörsichere Chiffriergeräte, die
über die Zuger Firma Crypto AG in die ganze
Welt verkauft wurden. Die Washington Post
schreibt vom «Geheimdienst-Coup des Jahrhunderts»,
andere von einer der skandalträchtigsten
Geheimdienstoperationen der
jüngeren Geschichte.
Doch so brisant das Ganze auch ist, eines
geht gerne vergessen: Bei den verwendeten
Techniken handelt es sich um Überbleibsel
aus dem analogen Zeitalter. Die Affäre dreht
sich um Chiffriergeräte, die durch neue digitale
Technologien obsolet geworden sind
und kaum mehr verwendet werden. Es stellt
sich also vielmehr die Frage, wie die Lage
heute aussieht: Welche Möglichkeiten zur
Überwachung gibt es? Und wie kann man
sich dagegen wehren?
Diesen Fragen stellt sich Professor Hans-
Georg Fill von der Universität Freiburg, der
auf den Gebieten der Digitalisierung und
Informationssystemen forscht.
Schutz durch Rechtsstaat
Da immer mehr Firmen und mit etwas Verzögerung
auch Staaten ihre Kommunikation
10 spectrum 03.2020
und Datenaufbewahrung auf digitale Technologien
umstellen, werden stetig wachsende
Datenmengen immer leichter angreifbar
– spätestens dann, wenn ein Netzwerk
mit dem Internet verbunden ist oder Daten
übertragen werden. Um Angriffe auf Daten
zu verhindern, müssen sie verschlüsselt werden.
Doch wie sicher ist das?
Von staatlicher Seite gebe es Möglichkeiten,
Verschlüsselungen zu umgehen, meint Professor
Fill. Vor allem wenn Staaten die Absicht
hätten, den Internetverkehr in ihrem
Land zu kontrollieren, könne wenig dagegen
getan werden. Die Behörden könnten auf
dem Gesetzesweg die Anbieter*innen dazu
zwingen, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
«Das Einzige, was uns davor schützt, ist der
Rechtsstaat», sagt Fill. Würde Überwachung
alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen,
wären der Überwachung wenig Grenzen
gesetzt. «Wir brauchen eine Diskussion
darüber, welche Befugnisse der Staat erhalten
soll. Man muss ein Gleichgewicht finden
zwischen Privatsphäre und Sicherheit», sagt
Fill.
Digitale Bildung als Grundlage
Damit mehr Menschen überhaupt dazu
befähigt werden, Diskussionen über das
Gleichgewicht zwischen Privatsphäre und
Sicherheit zu führen, brauche es mehr digitale
Bildung, sagt Digitalisierungsexperte
Hans-Georg Fill. In diesem für unser modernes
Leben so essenziellen Bereich sei zu
wenig Basiswissen verbreitet, um mit den
Digitalisierungsexperte Hans-Georg Fill
heutigen Technologien sicher umgehen und
sie kritisch hinterfragen zu können. Auch
Spezialist*innen gebe es zu wenige.
Dies wird nicht nur in der Privatwirtschaft
deutlich, sondern auch beim Schutz staatlicher
Daten und kritischer Infrastruktur.
Hier stehen kleine Länder wie die Schweiz
zunehmend hochspezialisierten Staaten
gegenüber, die über massiv mehr Knowhow
und Ressourcen verfügen. So hat zum Beispiel
alleine das US Cyber Command, die
Cyber-Einheit der US-Armee, ein Budget von
610 Millionen US-Dollar und mehr als 4'000
zivile und militärische Angestellte. Dagegen
stehen 150 Angestellte des Departements für
Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport,
die im Bereich IT-Sicherheit tätig sind.
Digitaler Machtmissbrauch
Ob die grossen Staaten ihre digitale Macht
missbrauchen, um ähnlich der Operation
Rubikon Hintertüren in verbreitete Technologien
einzubauen, lasse sich bisher nicht
beweisen, sagt Fill. «Ab und zu geht aber
ein Fenster auf und wir sehen, was sich im
Hintergrund alles abspielt.» So wie 2013, als
Edward Snowden publik machte, in welch
immensem Umfang die NSA die Welt belauscht.
Vielleicht werden in ein paar Jahrzenten ja
wieder brisante Dokumente auftauchen,
die den nächsten «Geheimdienst-Coup des
Jahrhunderts» enthüllen. Bis dahin gilt es,
eine umfassende Diskussion über die Befugnisse
der Sicherheitsbehörden zu führen und
die digitale Bildung für alle zu ermöglichen
und zu verbessern. ■