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Spectrum_2_2020

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GESELLSCHAFT

Text Smilla Schär

Ilustration Noemi Amrein

Mit Partizip Präsens gegen den Male Bias

Vielleicht ist es dir schon aufgefallen: Da finden sich neu Sternchen in unseren Texten.

Was hat es damit auf sich?

Am Anfang war das generische Maskulinum:

Bei der Gründung 1958

bezeichnete sich Spectrum als «Halbmonatliches

Informationsblatt der Studentenschaft

der Universität Freiburg i. Ue.» – obwohl

die Zeiten, in denen nur Männer an

der Uni zugelassen waren, da schon lange

vorbei waren.

Die Studenten

Beim generischen Maskulinum wird nur

das männliche Genus eines Nomens oder

eines Pronomens genannt, dies wird aber

generisch verwendet, soll also alle Geschlechter

umfassen. Man bezieht sich beispielsweise

auf alle Studierenden, spricht

aber nur von Studenten. Die anderen

Geschlechter sind implizit mitgemeint.

Deshalb werden sie aber nicht automatisch

mitgedacht. Pascal Gygax von der

Forschungseinheit «Psycholinguistics

& Applied Social Psychology» des Psychologischen

Departements erklärt die

Schwierigkeit folgendermassen: «Unser

Gehirn hat grosse Mühe damit, von der

spezifischen Bedeutung der maskulinen

Form zu abstrahieren und das Maskulinum

auch tatsächlich als generisch zu

verstehen.» So lenkt eine androzentrische

Sprache unsere Aufmerksamkeit

trotz der generischen Verwendung auf

das Männliche, was zu einem sogenannten

Male Bias führt. Andere Geschlechtsidentitäten

werden nur bei zusätzlichem

kognitivem Aufwand mitgedacht.

Die Studenten und Studentinnen

Dieses Problem der androzentrischen

Sprache wurde vor allem ab den 1970er

Jahren mit dem Aufkommen der Feministischen

Linguistik vermehrt diskutiert.

Ein Lösungsansatz war die jeweilige

explizite Nennung der femininen und

maskulinen Form: Studenten und Studentinnen.

Diese sogenannte Paarform

verbessert tatsächlich die Sichtbarkeit

von Frauen und mindert somit den Male

Bias. Laut Pascal Gygax konnte man zum

Beispiel zeigen, dass der Frauenanteil in

Berufen höher geschätzt wird und dass

Frauen für erfolgreicher in den entsprechenden

Berufssparten gehalten werden,

wenn man die Berufsbezeichnungen in

Paarform präsentiert. Trotzdem ergäben

sich aber auch hier noch Probleme.

Einerseits müssen wir die Wortreihenfolge

betrachten. Erwähnen wir zuerst die

maskuline oder die feminine Form? Und

was vermitteln wir damit? Ausserdem bilde

diese Option lediglich ein rein binäres

Verständnis von Geschlecht ab und verbessere

so zwar im Vergleich zum generischen

Maskulinum die Sichtbarkeit von

Frauen, nicht aber anderer Geschlechter,

so Pascal Gygax.

Die Student*innen und

die Studierenden

Eine relativ neue Schreibweise, die vor

allem im letzten Jahrzehnt an Beliebtheit

gewonnen hat, ist das Zusammenziehen

der Formen, verbunden durch

einen Asterisk oder einen Unterstrich:

Student*innen oder Student_innen. Das

Milchbüechli, die «falschsexuelle Zeitschrift

der Milchjugend», schreibt bereits

seit der Gründung 2012 mit Unterstrich,

teilweise auch mit Sternchen. «Es ist einfach

inklusiver. Mit dem Binnen-I oder

dem Schrägstrich bildet man eben auch

nur zwei Geschlechter ab, was nicht der

Realität entspricht», erklärt Chefredakteurin

Johanna von Felten.

Gelingt es mit dieser Methode, den Male

Bias zu vermindern oder gar zu überwinden?

Laut Gygax gibt es dazu noch wenige

Studien, diese zeigten aber ungefähr die

gleichen Resultate wie bei der Paarform.

Das Problem der Reihenfolge bleibe bestehen.

Besonders wenn aber eine öffentliche

Diskussion darüber geführt werde,

wofür der Unterstrich oder das Sternchen

stünden, könne eine solche Form das Geschlechterkontinuum

besser repräsentieren

als die Paarform. Insgesamt empfiehlt

Pascal Gygax jedoch, wo immer möglich

eine komplett neutrale Form zu verwenden,

sodass die Geschlechterfrage gar

nicht erst aufkommt, wo sie nicht relevant

ist. Im Deutschen eignet sich hierfür in

der Mehrzahl das nominalisierte Partizip

Präsens, also beispielsweise die Form «die

Studierenden». Wo dieses nicht möglich

ist, lässt es sich immer noch durch Unterstrich-

oder Sternchenformen ergänzen.

Eine perfekt geschlechtsneutrale Formulierung

findet sich wohl noch nicht überall.

Aber: «Unabhängig davon, welche

Schreibweise man verwendet, finde ich

es vor allem wichtig, dass man sich der

Macht der Sprache bewusst ist. Macht

euch bewusst, was ihr mit eurer Wortwahl

vermittelt und welche Strukturen ihr damit

reproduziert», meint Johanna. ■

24 03.2020

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