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FREIBURG

Text Gioia Jöhri

Foto Archiv

Auf Freiburgs kolonialen Spuren

Beim Thema Kolonialismus denkt man selten an die Schweiz. Doch obwohl wir kein Bewusstsein

dafür haben, hat auch die Schweiz eine koloniale Vergangenheit.

Um Freiburgs koloniale Spuren zu entdecken,

braucht man nicht weit zu gehen. Am Ende

der Lausannegasse befindet sich der Place Nova

Friburgo. Er gehört zu vielen Anzeichen, die in

Freiburg noch heute darauf hinweisen, dass die

Stadt einst ein koloniales Projekt in Südamerika

vorangetrieben hat. Diejenigen von uns, die

schon seit zwei Jahren studieren und regelmässig

im Pérolles Vorlesungen besuchen, dürften

sich auch noch an die riesige Jesus-Statue am

Boulevard de Pérolles erinnern. Die Nachbildung

der Cristo Redentor Statue, deren Original

bekanntlich in Rio de Janeiro steht, wurde 2018

als Erinnerung an die Geschichte Nova Friburgos

temporär im Domino-Park aufgestellt.

Eine neue Stadt in Brasilien

1815 begann in Europa die Zeit der Restauration.

Napoleons Herrschaft über weite Teile Europas

war gebrochen und am Wiener Kongress wurde

ein neues Herrschaftsverhältnis ausgehandelt.

Die Schweizer Kantone hatten im Bundesvertrag

von 1815 ein loses Bündnis geschlossen, um

sich gegen aussen besser verteidigen zu können.

Für die Schweizer Bevölkerung brachte dieses

Bündnis keine grossen Veränderungen. Der

Alltag war noch immer hauptsächlich von der

Suche nach Nahrung geprägt. Dies verstärkte

sich, als 1816 eine Wirtschaftskrise einsetzte und

zudem ein Vulkanausbruch in Asien jahrelang

das Wetter negativ beeinflusste. In den Jahren

1816 und 1817 gab es katastrophale Ernteausfälle

in der ganzen Schweiz und schon bald

wuchsen die Preise für Getreide ins Unermessliche.

Obwohl die damaligen Behörden

das Wort «Hungersnot» tunlichst vermieden,

litten grosse Teile der Schweizer Bevölkerung

Hunger. Auch im Kanton Freiburg, der damals

noch vordergründig landwirtschaftlich geprägt

war, war die Situation angespannt. Die

Regierung suchte nach Lösungen zur Entschärfung

der Nahrungsmittelknappheit und

entschied, dass die Bevölkerung im Kanton

zu gross sei, um für alle angemessen sorgen

zu können. Deshalb beschritt man einen unkonventionellen

Weg und leitete ein grosses

Auswanderungsprojekt in die Wege. Mit dem

portugiesischen König wurde ein Kolonialisierungsvertrag

ausgehandelt. Portugal – zu

dieser Zeit in Südamerika damit beschäftigt,

das heutige Brasilien zu kolonialisieren – hatte

ein grosses Interesse daran, dass möglichst viele

Europäer*innen nach Brasilien kamen, um das

«wilde» Land zu zivilisieren. In Freiburg musste

man nicht lange nach Freiwilligen suchen, die

nach Brasilien fahren wollten. Armut war aufgrund

der schlechten Wirtschaftslage weitverbreitet

und viele träumten davon, in Südamerika

ein besseres Leben aufbauen zu können.

1819 lief das erste Schiff in Richtung Brasilien

aus. Der König nahm die Schweizer*innen 1820

in Empfang und erlaubte ihnen, ihre neu gegründete

Stadt Nova Friburgo zu nennen. Nova

Friburgo ist heute eine typische brasilianische

Stadt mit einer Population von cicra 180'000. In

Freiburg hat man in den 1970er Jahren die Verbindungen

nach Brasilien wiederbelebt und

sogar einen Verein gegründet, der regelmässig

Besuche, Ausstellungen und Begegnungen zwischen

den beiden Städten organisiert. Die Cristo

Redentor Statue am Boulevard de Pérolles geht

auf die Initiative des Vereins Fribourg - Nova Friburgo

zurück.

Katholisch-konservative Ideen

Das Projekt Nova Friburgo ist ein Kind seiner

Zeit. Für die Regierung Freiburgs war der Kolonialisierungsvertrag

eine günstige Gelegenheit,

ärmere Familien loszuwerden. Gleichzeitig

konnte man diesen Familien vermitteln,

dass sie auserwählt seien, das «wilde» Land in

Brasilien zu kolonisieren. Dafür versprach man

den Schweizer*innen paradiesische Erntemöglichkeiten.

Die Versprechen der Regierung

bewahrheiteten sich nur zum Teil, denn auch

in Brasilien hatten die Schweizer*innen eine

schwierige Anfangszeit. Bei der Auswanderung

spielte zudem der Glaube eine wichtige Rolle.

Nova Friburgo kann auch als katholisches Projekt

angesehen werden. Nur denen, die katholisch

waren, wurde die Überfahrt vom König

finanziert. Ausserdem sollten einige Priester die

Reise mitantreten, damit in Brasilien die katholische

Mission vorangetrieben werden konnte.

In Freiburg hatte man sich bewusst gegen eine

Stadtgründung in Nordamerika entschieden, da

Amerika von Beginn an protestantisch geprägt

gewesen war. In der Schweiz herrschten genau

wie in anderen europäischen Ländern ähnliche

koloniale Ideen, auch wenn die Schweizerische

Regierung solche Ideen nie verfolgte.

Koloniale Wissenschaft und wirtschaftliche

Verflechtungen

In Freiburg lassen sich neben Nova Friburgo

auch noch andere Verbindungen zum Kolonialismus

ausmachen. So gab es gerade in der

Forschung zahlreiche Projekte, die von den

kolonialen Strukturen in Afrika profitieren

konnten. Ethnologische Untersuchungen

und «Rassenforschung» hatten zu imperialen

Zeiten auch in der Schweiz Hochkonjunktur.

Auch die Missionstätigkeit der

katholischen Kirche organisierte sich innerhalb

dieser Infrastruktur. Schweizer Söldner

kämpften zudem in zahlreichen kolonialen

Konflikten von europäischen Staaten. Und

die Wirtschaft profitierte von der europäischen

Präsenz in der ganzen Welt. Ohne

einfache Kakaoimportmöglichkeiten hätten

weder Cailler noch Villars ein erfolgreiches

Geschäft aufbauen können. Und was wäre

die Schweiz ohne gute Schokolade? ■

03.2020

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