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DIE ANDERE
Text Maxine Erni
Foto Valentina Scheiwiller
Toiletten Therapie
Die WC-Kabinen an der Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg sind die perfekte Gelegenheit,
sich von den bevorstehenden Prüfungen abzulenken. Die Klo-Kabinen sind von
oben bis unten mit Duzenden von Sprüchen und Zeichnungen von Studierenden tätowiert.
Ich sitze unruhig an meinem Pult im
Bibliothekssaal der KUB. Ich bewege
kaum mehr einen Finger und die Konzentration
ist schon lange durch die
Tür geflüchtet. Was kann man gegen
diese Rastlosigkeit tun? Die WCs der
KUB bieten hier die perfekte Ablenkung,
denn die Kacheln, Türen und
Spiegel der Männer und Frauen WCs
sind von oben bis unten mit Sprichwörtern
und amüsanten Zeichnungen
bemalt. Die spassigen Sprüche und
weisen Worte zaubern jeder Person,
die sich kurz erleichtern will, ein Lächeln
aufs Gesicht.
FRAUENEMANZIPATION
gross geschrieben
Ich betrete das Damen WC im Untergeschoss
der Universitätsbibliothek
und mir fallen Duzende von kleinen
bis grossen Gekritzel und Wörtern ins
Auge. Die Erleichterung auf der Toilette
kann noch kurz warten. Zuerst
will ich die Sprüche genauer unter die
Lupe nehmen. «Die KUB, unser zweites
Zuhause.» Es scheint, als verbringen
unsere lieben Studentinnen viel
Zeit hier. Nur zu Recht, denn wie es
aussieht, gibt es vieles, was die Frauen
von heute beschäftigt. Das Bedürfnis
ist da, es alles rauszulassen – wortwörtlich.
So lese ich emanzipatorische
Sprüche an den Kabinenwänden
und finde vereinzelt Zeichnungen von
nackten Frauen. Eine Frau verewigt
diesen Satz auf einer der Kabinentüren:
«Tampons sollen gratis sein!»
In einem anderen Schriftzug steht
darunter: «Kauf dir doch eine Menstruationstasse.»
Ein weiter Schriftzug
zeigt eine dritte Stimme, die sich ins
Gespräch einklinkt: «Menstruationstassen
sollen gratis sein!» Anderswo
teilen mir verschiedene Schriftzüge
mit, dass das Patriarchat gefallen sei.
Jedoch kontert eine andere Schrift,
dass Frauen vor toxischem Feminismus
aufpassen sollten, bei dem die
Frau das männliche Geschlecht unterwerfen
möchte. Die Frau solle gleichgestellt
zum Mann regieren. Ich fühle
mich schon emanzipierter.
Falls du dich alleine fühlst
Wenn das Leben einmal zu viel wird
oder das Lernen einen in den Wahnsinn
treibt, hilft schon ein Besuch in
der KUB. Vielleicht fühlt man sich
gerade alleine mit seinen Problemen
und sucht Aufmunterung. Da helfen
die Weisheiten unser Kommiliton*innen,
die man nicht einmal kennt. Inspirierende
Sprichwörter lassen meine
Alltagssorgen verschwinden. «Vergiss
nie: Du bist schon so weit gekommen
und keine der Herausforderungen,
welchen du momentan gegenüberstehst,
macht dich weniger zu dem,
was du bist.» An einer Kachel unter
dem Fenster werde ich aufgefordert,
meine Ängste nicht zu füttern. Schon
bald fühle ich mich bestärkt und die
Sprüche scheinen auch bei anderen
Besucherinnen Wirkung zu zeigen,
denn ein Zitat an einer der Kabinentüren
deutet dies klar an: «Ich kam,
um auf der Toilette zu weinen und ich
gehe selbstbewusster als zuvor raus.»
Wer ein wenig Aufmunterung sucht
und von seiner langweiligen Vorlesungslektüre
aufschauen will, kann
sich einfach eine halbe Stunde in die
KUB Toiletten setzen.
Bitte nicht stören
Sinnloses Gekritzel an Wänden findet
man überall. Doch je länger ich
die Kritzeleien betrachte, desto klarer
wird mir, dass die Sprüche und Zeichnungen
äusserst kreativ und humorvoll
sind. Eine Dame beklagt sich zum
Beispiel darüber, dass Frauen Hemmungen
haben, ein grosses Geschäft
auf öffentlichen Toiletten zu machen.
Dabei sei es doch ganz normal. «Man
ist ja schliesslich auf der Toilette!»
Eine andere Stimme fördert unser Allgemeinwissen:
«Die grösste japanische
Population ausserhalb von Japan
lebt in Brasilien.» Spannend. Andere
wollen einfach nicht gestört werden:
«Don‘t bother me.» Ich stehe mittlerweile
schon circa fünfzehn Minuten in
den Toilettenkabinen und lese diese
Sprüche durch. Lasst euch nicht mehr
stören, ich sollte weiterlernen… ■
03.2020
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