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Spectrum_2_2020

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DIE ANDERE

Text Maxine Erni

Foto Valentina Scheiwiller

Toiletten Therapie

Die WC-Kabinen an der Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg sind die perfekte Gelegenheit,

sich von den bevorstehenden Prüfungen abzulenken. Die Klo-Kabinen sind von

oben bis unten mit Duzenden von Sprüchen und Zeichnungen von Studierenden tätowiert.

Ich sitze unruhig an meinem Pult im

Bibliothekssaal der KUB. Ich bewege

kaum mehr einen Finger und die Konzentration

ist schon lange durch die

Tür geflüchtet. Was kann man gegen

diese Rastlosigkeit tun? Die WCs der

KUB bieten hier die perfekte Ablenkung,

denn die Kacheln, Türen und

Spiegel der Männer und Frauen WCs

sind von oben bis unten mit Sprichwörtern

und amüsanten Zeichnungen

bemalt. Die spassigen Sprüche und

weisen Worte zaubern jeder Person,

die sich kurz erleichtern will, ein Lächeln

aufs Gesicht.

FRAUENEMANZIPATION

gross geschrieben

Ich betrete das Damen WC im Untergeschoss

der Universitätsbibliothek

und mir fallen Duzende von kleinen

bis grossen Gekritzel und Wörtern ins

Auge. Die Erleichterung auf der Toilette

kann noch kurz warten. Zuerst

will ich die Sprüche genauer unter die

Lupe nehmen. «Die KUB, unser zweites

Zuhause.» Es scheint, als verbringen

unsere lieben Studentinnen viel

Zeit hier. Nur zu Recht, denn wie es

aussieht, gibt es vieles, was die Frauen

von heute beschäftigt. Das Bedürfnis

ist da, es alles rauszulassen – wortwörtlich.

So lese ich emanzipatorische

Sprüche an den Kabinenwänden

und finde vereinzelt Zeichnungen von

nackten Frauen. Eine Frau verewigt

diesen Satz auf einer der Kabinentüren:

«Tampons sollen gratis sein!»

In einem anderen Schriftzug steht

darunter: «Kauf dir doch eine Menstruationstasse.»

Ein weiter Schriftzug

zeigt eine dritte Stimme, die sich ins

Gespräch einklinkt: «Menstruationstassen

sollen gratis sein!» Anderswo

teilen mir verschiedene Schriftzüge

mit, dass das Patriarchat gefallen sei.

Jedoch kontert eine andere Schrift,

dass Frauen vor toxischem Feminismus

aufpassen sollten, bei dem die

Frau das männliche Geschlecht unterwerfen

möchte. Die Frau solle gleichgestellt

zum Mann regieren. Ich fühle

mich schon emanzipierter.

Falls du dich alleine fühlst

Wenn das Leben einmal zu viel wird

oder das Lernen einen in den Wahnsinn

treibt, hilft schon ein Besuch in

der KUB. Vielleicht fühlt man sich

gerade alleine mit seinen Problemen

und sucht Aufmunterung. Da helfen

die Weisheiten unser Kommiliton*innen,

die man nicht einmal kennt. Inspirierende

Sprichwörter lassen meine

Alltagssorgen verschwinden. «Vergiss

nie: Du bist schon so weit gekommen

und keine der Herausforderungen,

welchen du momentan gegenüberstehst,

macht dich weniger zu dem,

was du bist.» An einer Kachel unter

dem Fenster werde ich aufgefordert,

meine Ängste nicht zu füttern. Schon

bald fühle ich mich bestärkt und die

Sprüche scheinen auch bei anderen

Besucherinnen Wirkung zu zeigen,

denn ein Zitat an einer der Kabinentüren

deutet dies klar an: «Ich kam,

um auf der Toilette zu weinen und ich

gehe selbstbewusster als zuvor raus.»

Wer ein wenig Aufmunterung sucht

und von seiner langweiligen Vorlesungslektüre

aufschauen will, kann

sich einfach eine halbe Stunde in die

KUB Toiletten setzen.

Bitte nicht stören

Sinnloses Gekritzel an Wänden findet

man überall. Doch je länger ich

die Kritzeleien betrachte, desto klarer

wird mir, dass die Sprüche und Zeichnungen

äusserst kreativ und humorvoll

sind. Eine Dame beklagt sich zum

Beispiel darüber, dass Frauen Hemmungen

haben, ein grosses Geschäft

auf öffentlichen Toiletten zu machen.

Dabei sei es doch ganz normal. «Man

ist ja schliesslich auf der Toilette!»

Eine andere Stimme fördert unser Allgemeinwissen:

«Die grösste japanische

Population ausserhalb von Japan

lebt in Brasilien.» Spannend. Andere

wollen einfach nicht gestört werden:

«Don‘t bother me.» Ich stehe mittlerweile

schon circa fünfzehn Minuten in

den Toilettenkabinen und lese diese

Sprüche durch. Lasst euch nicht mehr

stören, ich sollte weiterlernen… ■

03.2020

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