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rik April/Mai 2020

Das schwule Metropolenmagazin für Köln und Düsseldorf.

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GESUNDHEIT 17<br />

HINTERGRUND<br />

HIV-Medikamente gegen Coronaviren<br />

Sowohl Thailand als auch China<br />

und zuletzt Spanien erforschen<br />

in der Behandlung von COVID-19<br />

die Wirksamkeit von zwei Medikamenten<br />

aus der HIV-Therapie. Gerüchte<br />

über eine Verwandtschaft der beiden Viren<br />

sind aber ebenso haltlos wie Vermutungen,<br />

die PrEP verhindere eine<br />

Infektion.<br />

Worum geht es?<br />

In Thailand ist schon<br />

im Januar laut<br />

Medienberichten<br />

bei einer Patientin<br />

48 Stunden nach<br />

Gabe einer Mixtur<br />

aus zwei HIV-Medikamenten<br />

und einem<br />

Grippemedikament das<br />

Coronavirus SARS-CoV-2 vollständig<br />

eliminiert worden. Das forschende<br />

Pharmaunternehmen AbbVie bestätigte<br />

zudem, dass die chinesischen Gesundheitsbehörden<br />

das HIV-Medikament Kaletra<br />

(auch Aluvia) in großen Mengen bestellt<br />

habe. Kaletra ist ein Kombinationspräparat<br />

aus den beiden Wirkstoffen Lopinavir und<br />

Ritonavir und seit 2001 auch in der EU zur<br />

Behandlung von HIV-Positiven zugelassen.<br />

Warum kann ein HIV-Medikament<br />

gegen Coronaviren wirken?<br />

Lopinavir und Ritonavir sind Wirkstoffe aus der<br />

Klasse der sogenannten Proteasehemmer.<br />

Protease (eigentlich Peptidasen) sind Enzyme,<br />

die Proteine oder Peptide spalten. Diese Eiweiß<br />

anbauenden Enzyme werden von RNA-Viren<br />

(Tollwut, Grippe, SARS, Influenza) benötigt, um<br />

den Vermehrungsprozess im Körper in Gang<br />

zu setzen. Das eigentliche Virus bildet große<br />

Proteinmoleküle, die dann durch Protease-Enzyme<br />

in Einzelteile zerlegt werden. Erst diese<br />

kleinen RNA-Moleküle können beim RNA-Virus<br />

durch vireneigene virale Polymerase in einer<br />

Wirtszelle vermehrt werden.<br />

HIV gehört zur Klasse der Retroviren. Diese<br />

„schmuggeln“ die von der Protease zerlegten<br />

FOTO:: ROBERT KOCH-INSTITUT<br />

RNA-Sequenzen in die DNA-Information<br />

einer Wirtszelle, um von dieser und ihren<br />

körpereigenen Polymerasen reproduziert zu<br />

werden.<br />

Obwohl also beide Virenarten völlig unterschiedlich<br />

sind und eine Symbiose oder<br />

Vermischung von zwei Arten beider Klassen<br />

höchst unwahrscheinlich ist, funktioniert<br />

der Beginn ihrer Vermehrung im<br />

Körper des Wirts auf sehr ähnliche<br />

Weise. Die erprobten<br />

Proteasehemmer tun genau,<br />

was der Name vermuten<br />

lässt: Sie hemmen die<br />

Arbeit der Protease, der<br />

Reproduktionszyklus des<br />

Virus wird vor dem eigentlichen<br />

Beginn verhindert. Und<br />

das eben beim HI-Virus wie<br />

auch bei einigen Coronaviren, wenn<br />

die zuständigen Protease-Enzyme eine<br />

ähnliche Struktur aufweisen. Bis Redaktionsschluss<br />

dieser Ausgabe waren die dazu laufenden<br />

Studien noch nicht abgeschlossen.<br />

Auf männer.media/zusammenhalten wird<br />

aber aufgeklärt, sobald Ergebnisse vorliegen.<br />

Hilft die PrEP gegen eine Ansteckung<br />

mit dem Coronavirus?<br />

Nein. Die in der PrEP eingesetzten Wirkstoffe<br />

Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil<br />

sind sogenannte Reverse-Transkriptase-<br />

Hemmer, die bei einem späteren Prozess der<br />

Vermehrung von Retroviren ansetzen. Sie<br />

haben keinen Effekt auf die Protease und<br />

bieten somit keinen Schutz vor RNA-Viren.<br />

Zumindest nicht nach aktuellem Stand der<br />

Forschung. HIV-Positive, die eine Therapie<br />

mit Lopinavir und Ritonavir einnehmen,<br />

könnten allerdings theoretisch einen gewissen<br />

Schutz vor einer Ansteckung mit<br />

einem RNA-Virus haben, wenn dieser eine<br />

ähnliche Oberflächenstruktur aufweist. Dies<br />

ist aber reine Spekulation, denn die Wirksamkeit<br />

ist bisher nur in Kombination mit<br />

einem Grippemittel und bisher auch nur in<br />

Einzelfällen berichtet worden.<br />

Wie kamen Thailand und China so<br />

schnell auf die Idee?<br />

Schon 2002/2003, als das Coronavirus<br />

SARS-CoV weltweit für Panik sorgte,<br />

kamen Forscher auf die Idee, Proteasehemmer<br />

aus der HIV-Therapie gegen RNA-<br />

Viren einzusetzen. Unter anderem einem<br />

Lübecker Forscherteam um Rolf Hilgenfeld<br />

ist es zu verdanken, dass wir überhaupt<br />

detaillierte Informationen über diese Virenklasse<br />

haben, denn SARS-CoV und andere<br />

Coronaviren wurden als ungefährlich für<br />

Menschen eingestuft. Als SARS-CoV dann<br />

doch auf den Menschen übertragen wurde,<br />

waren die Lübecker Forscher anderen<br />

voraus, da sie schon Modelle des Virus<br />

vorliegen hatten und an einem Wirkstoff<br />

arbeiteten. Auch beim im Jahr 2012<br />

ausgebrochenen MERS-CoV wurde die<br />

Kombination getestet, dort mit nicht ganz<br />

so überzeugenden Ergebnissen. In einem<br />

aktuellen Interview mit der „Zeit“ erklärt<br />

Hilgenfeld auch, warum es trotz SARS-CoV<br />

und seiner bahnbrechenden Forschung<br />

immer noch keine speziellen Medikamente<br />

gegen Coronaviren gibt, obwohl sein Team<br />

eine Substanz entwickelt hatten:<br />

„Sie befindet sich noch in experimentellem<br />

Zustand. Damit man sie einsetzen<br />

kann, muss sie erst noch in jahrelanger<br />

Forschung zu einem Medikament entwickelt<br />

werden. Als wir damals weitere<br />

Tests durchführen wollten, war der SARS-<br />

Ausbruch vorbei und wir hatten keine Patienten,<br />

an denen wir die Substanz testen<br />

konnten. Das ist auch ein Grundproblem<br />

bei der gesamten Forschung auf diesem<br />

Gebiet. [...] Aus diesem Grund findet man<br />

auch schwer eine Finanzierung. Und die<br />

Pharmaindustrie interessiert sich nicht für<br />

Coronaviren. Selbst die 8.000 SARS-Fälle<br />

damals sind für die Unternehmen kein<br />

lukrativer Markt. Auch deshalb haben wir<br />

jetzt kein wirksames Medikament gegen<br />

das neue Virus.“<br />

Hilgenfeld riet im Interview Ende Februar<br />

dazu, die beiden HIV-Medikamente<br />

und Remdesivir einzusetzen, da diese gut<br />

am Menschen erprobt und verhältnismäßig<br />

sicher seien. *ck<br />

FOTO: FREEPIK

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