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Mut und Liebe 35/2020 Mut Mach Geschichten 01062020

Eine Seuche vor unserer Haustür... der erste Schock scheint langsam überwunden. Zwischen Urlaubsstimmung und Existenzangst hat sich unser Alltag wieder etwas normalisiert. Doch das unbeschwerte Lebensgefühl ('die Katastrophen sind immer weit weg') der Vor-Corona-Zeit wird es sobald nicht mehr geben. Deshalb haben wir für Euch Mut-Mach-Geschichten gesammelt. Viel Spaß beim Lesen... und bleibt gesund!

Eine Seuche vor unserer Haustür... der erste Schock scheint langsam überwunden. Zwischen Urlaubsstimmung und Existenzangst hat sich unser Alltag wieder etwas normalisiert. Doch das unbeschwerte Lebensgefühl ('die Katastrophen sind immer weit weg') der Vor-Corona-Zeit wird es sobald nicht mehr geben. Deshalb haben wir für Euch Mut-Mach-Geschichten gesammelt. Viel Spaß beim Lesen... und bleibt gesund!

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MUT&LIEBE / KUNSTWERK /

tagebuchblatt aus dem dorf

eine betrachtung von mia pelenco

Schon als Kind stellte ich mein eigenes Zimmer in

Frage, wenn ich es im Dunkeln betrat. Immer wieder

war ich erleichtert, dass es so aussah wie ich es erwartet

hatte, wenn ich das Licht anschaltete.

Manchmal ist Misstrauen ein guter Begleiter und

gewohnte Situationen möglicherweise nur Imagination.

„Der Mensch plant und Gott lacht“ sagte mir ein

polnischer Maler-Freund in einem vielfach schlimmeren

Moment, er meinte es tatsächlich als Trost

mit einer guten Portion Gottvertrauen.

Davon scheint man gerade als Künstler*in einiges

zu brauchen. Bisher ging man als kreativ schaffender

Mensch davon aus, doch einigermaßen „gleich“

dazustehen im gesellschaftlichen System. Doch

dieser Ausnahmezustand lehrt uns, dass weder

rechtlich noch sozial eine Regelung für Kunstschaffende

besteht. Diejenigen, denen schnell das Wasser

zum Halse stand, riefen um Hilfe – so lange sie

noch konnten. Viele Künstler*innen wurden jedoch

nicht erhört. Keiner fühlte sich zuständig, weder

für Einmalzahlungen noch Arbeitslosengeld. Man

fällt freundlich durch alle Raster, passt unter keinen

Schutzschirm, und im unfreundlichsten Falle erntet

man Häme mit Bemerkungen wie „… wozu noch Geld

vom Staat für so ein brotloses Hobby…?“ Plötzlich

zeigten sich Fratzen und taten sich Gräben auf.

Das geht dann doch sehr schnell, zack – aus der

Hüfte.

Künstler*innen mit ihrer Gabe, sich sichtbar auszudrücken,

reagierten in spannenden Variationen:

sofort, nach und nach, zögerlich, langsam oder gar

nicht. Schockstarre, Verzweiflung – es wurde von

den Kreativen erwartet, dass sie schon das Beste

aus der Situation machen. Wenigstens sie sollten

diese Kunst doch beherrschen. Auf allen möglichen

digitalen Plattformen wurde getanzt, gesungen, gelesen.

Einerseits, um sich Mut zuzusprechen, sich zu

zeigen aus dem ungewohnten Rückzug, andererseits

dann etwas später, um seine Kunst zu präsentieren,

vielleicht war die Ausstellung abgesagt, vielleicht

der Atelierrundgang, vielleicht ein Künstlermarkt.

Doch wie es jetzt einige Wochen später deutlich

wird: von Likes, nett gemeinten roten Like-Herzen

© Mia Pelenco

kann man weder satt werden noch seine Miete zahlen.

Keine ausgefallene Veranstaltung ist in irgendeiner

Form zu ersetzen, wenn es nicht zu monetärer

Anerkennung oder (Bilder-) Verkäufen führt.

Die Frage stellt sich nun, ob es nicht viel deutlicher

ist, sich nicht mehr zu zeigen. Die Abwesenheit von

Künstler*innen in der öffentlichen Wahrnehmung

wäre ein Spiegel des gesellschaftlichen Umgangs

mit Kunst und Kultur. Denn allein um Unterhaltung

in Zeiten von Corona geht es ja nicht. Es geht

vielmehr um die Frage, ob der Lichtschalter noch

betätigt werden kann. Für viele wird das Licht nicht

mehr angehen, Theaterbühnen, kleine Veranstaltungsräume,

Ateliers bleiben dunkel.

Auch in einem kleinen Dorf findet dies alles statt.

Vor allem in einem kleinen Dorf, das vor kurzem

noch „Das Worpswede von Hessen“ getauft wurde,

wegen der mittlerweile fast 30 ansässigen Künstler*innen

mit ihren Kunstateliers und Werkstätten

– und wegen der Rumpenheimer Kunsttage mit

alljährlich tausenden von Besuchern. Tausende

Menschen auf engem Raum? Auch das scheint auf

einmal ziemlich befremdlich, sogar fast bedrohlich!

Die Angst geht um. Abstand und Gesichtsmasken

sollen jetzt helfen, Ansteckung zu vermeiden, doch

sind sie gleichwohl behilflich, sich zu verstecken, und

sie verbergen sogar ein aufmunterndes Lächeln.

Zu gerne würde ich den rettenden Schalter finden,

der alles wieder in vertrautes Licht tauchen könnte.

Doch bemerke ich schon während des Schreibens,

dass dies nicht mehr in dieser Form möglich sein

wird. Das Innehalten hat schon viel verändert.

Es wird Zeit und Geduld brauchen, sich nicht mehr

so orientierungslos zu fühlen, als hätten Fremde die

Möbel im eigenen Zimmer umgestellt.

64 JUNI / JULI / AUGUST 2020

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