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Die gelebte indigene Perspektive auf Entwicklung

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Autodesarrollo indígena:<br />

<strong>Die</strong> <strong>gelebte</strong> <strong>indigene</strong> <strong>Perspektive</strong> <strong>auf</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Eine ethnologische Analyse mit Beispielen aus Venezuela<br />

Diplomarbeit<br />

zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie<br />

an der Fakultät für<br />

Human- und Sozialwissenschaften<br />

der Universität Wien<br />

eingereicht von<br />

Franziska Schmidtkunz<br />

Wien, März 2003


Für Markus<br />

Als Dank für seine Geduld<br />

und Unterstützung<br />

Hoy somos lo que<br />

ayer no fuimos<br />

mañana seremos lo que<br />

y<br />

hoy no somos<br />

(Simón Bolívar)


Danksagung<br />

<strong>Die</strong> Durchführung meiner zweimonatigen Feldforschung in Venezuela wurde durch ein<br />

Stipendium für Auslands<strong>auf</strong>enthalte aus den Mitteln des Hochschultaxengesetzes zur<br />

Forschung gefördert.<br />

Für den wissenschaftlichen Beistand danke ich meiner Diplomarbeitsbetreuerin, Frau<br />

Univ. Doz. Dr. Elke Mader.<br />

Ganz besonderer Dank gebührt jedoch meinem Freund Markus Herdin, der mir von der<br />

Entstehungsphase über die Begleitung <strong>auf</strong> meiner Feldforschung bis zur Fertigstellung der<br />

Diplomarbeit immer zuverlässig und hilfreich zur Seite stand und dem ich daher meine<br />

Diplomarbeit gewidmet habe.<br />

Weiters war die Unterstützung von meinen Feldforschungsbegleitern vor Ort von<br />

unschätzbarem Wert für das Zustandekommen dieser Arbeit. Es ist mir leider nicht<br />

möglich, alle Personen einzeln <strong>auf</strong>zuzählen, die mir während meiner Studien am Oberen<br />

Orinoko beistanden und deren Informationen unerlässlich für einen großen Teil der<br />

Diplomarbeit waren. Folgende Personen dürfen aber nicht unerwähnt bleiben und deshalb<br />

danke ich:<br />

- Alberto Nixon (Curripaco/Yeral) für sein unerschöpfliches Engagement, das Vertrauen<br />

der Indígenas in mich und meine Forschungen zu gewinnen.<br />

- Cheo Espinoza (Piaroa/Kreol) und Henry Jaimes, deren organisatorischen Kenntnisse<br />

die Durchführung der ersten Expedition überhaupt erst ermöglichte.<br />

- Bernabé Arana (Piaroa), indianischer Bürgermeister des Gemeindebezirks Autana, der<br />

mir für die zweite Expedition ein Boot mit Bootsführer unentgeltlich zur Verfügung<br />

stellte.<br />

- Jorge Herrera (Piaroa), dessen unermüdliche Bereitschaft, sein Wissen mit mir zu teilen,<br />

viele meiner Überlegungen beeinflusst hat.<br />

Ein Dankeschön gebührt ebenfalls Werner Wilbert, Anthropologe am venezolanischen<br />

Forschungsinstitut (IVIC), der mir den Beginn meines Aufenthaltes in Caracas erleichterte<br />

und den Kontakt zu einem hochinteressanten Interview mit der Anthropologin Bernarda<br />

i


Escalante, herstellte. Auch ihr muss ich meinen Dank für ihre Hilfe in der Herstellung<br />

weiterer Kontakte aussprechen.<br />

Herzlichen Dank auch an meine Freundin und Studienkollegin Michaela Windischgraetz<br />

für ihre konstruktive Kritik in den gemeinsamen Gesprächen.<br />

ii


Inhaltsverzeichnis<br />

Danksagung............................................................................................... i<br />

Inhaltsverzeichnis....................................................................................iii<br />

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... vi<br />

Fotoverzeichnis ......................................................................................vii<br />

1. Einleitung............................................................................................ 9<br />

1.1. Fragestellungen und Erkenntnisinteresse .................................................. 10<br />

1.1.1. Aufbau der Arbeit...................................................................................... 12<br />

2. Methode und Arbeitsweise ................................................................ 14<br />

2.1. Stand der Forschung.................................................................................. 15<br />

2.2. <strong>Die</strong> Feldforschung als Gratwanderung...................................................... 16<br />

2.2.1. Vorbereitungsphase in Wien ..................................................................... 17<br />

2.2.2. Forschungsstart: Caracas........................................................................... 19<br />

2.2.3. Im tatsächlichen ‚Feld’: Gebiet des Oberen Orinoko................................ 22<br />

2.2.4. Zur Darstellung der geführten Interviews und Gespräche ........................ 31<br />

3. Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker? ........................................................ 35<br />

3.1. Ethnos und Indianer – zur Frage der Konstituierung der Ethnologie ....... 35<br />

3.2. Tendenzen in der Definition des ‚Indianischen’ ....................................... 39<br />

3.3. Das Nicht-Vorhandensein einer formalen Definition ............................... 40<br />

4. Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik....................... 45<br />

4.1. Zur Situation der <strong>indigene</strong>n Völker in Lateinamerika – ein historischer<br />

Abriss......................................................................................................... 46<br />

4.1.1. Vielfalt in der Kolonialzeit........................................................................ 46<br />

4.1.2. Der Nationalstaat und die nationale Kultur............................................... 47<br />

4.1.3. Missionierung als Zivilisierungsinstrument.............................................. 48<br />

iii


4.2. Der klassische indigenismo – Integration durch Assimilation.................. 49<br />

4.2.1. Aktionsfelder indigenistischer Politik....................................................... 51<br />

4.2.1.1. <strong>Die</strong> educación indígena ................................................................................ 51<br />

4.2.1.2. <strong>Die</strong> Strategie der <strong>Entwicklung</strong> der comunidad ............................................. 53<br />

4.2.1.3. Traditionelle Technologien und alternative <strong>Entwicklung</strong>smodelle............... 54<br />

4.2.1.4. Der indianistische indigenismo..................................................................... 55<br />

5. Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung ... 58<br />

5.1. Eine Ideologie von Indianern für Indianer ................................................ 58<br />

5.2. Identität als Flagge .................................................................................... 60<br />

5.3. Das Beispiel Venezuela............................................................................. 61<br />

5.3.1. Anmerkungen zur venezolanischen Indianerpolitik.................................. 62<br />

5.3.2. Indianismus in Venezuela ......................................................................... 65<br />

5.3.3. <strong>Die</strong> Bolivarianische Verfassung Venezuelas: Zeichen eines erfolgreichen<br />

indianismo? ............................................................................................... 66<br />

6. <strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker ..................................................... 73<br />

6.1. Anthropologische Kulturkonzepte ............................................................ 73<br />

6.2. <strong>Entwicklung</strong> – ein definierter undefinierbarer Begriff?............................ 75<br />

6.2.1. Aspekte in der jüngeren Geschichte des <strong>Entwicklung</strong>sbegriffes .............. 76<br />

6.3. Desarrollismo in Venezuela ...................................................................... 77<br />

6.3.1. Fortschritt durch Erdölförderung?............................................................. 78<br />

6.3.2. Conquista del Sur im Zeichen des desarrollismo ..................................... 80<br />

6.3.3. Ressourcenausbeutung und die Folgen für <strong>indigene</strong> Völker..................... 81<br />

6.3.4. Desarrollismo als Fassadenpolitik ............................................................ 82<br />

6.4. Indigene <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong>.................................................... 83<br />

6.4.1. Zur Begründung nach der Frage................................................................ 84<br />

6.4.2. Inhalte <strong>indigene</strong>r Begriffszuweisungen..................................................... 86<br />

6.4.2.1. Zivilisation, Technologie und Fortschritt – was steht für was? .................... 86<br />

6.4.2.2. <strong>Entwicklung</strong> mit indianischen Augen sehen................................................. 88<br />

6.5. Indianische Welt – westliche Welt: ein Widerspruch? Der Versuch einer<br />

versöhnlichen Gegenüberstellung ............................................................. 91<br />

iv


7. Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema<br />

indígena ............................................................................................ 95<br />

7.1. Zu den Begriffen etnodesarrollo und autodesarrollo indígena................ 96<br />

7.1.1. Was heißt hier Selbstbestimmung? ........................................................... 98<br />

7.2. Zwei grundlegende Elemente: cultura propia und control cultural ......... 99<br />

7.3. Voraussetzungen für eine <strong>indigene</strong> selbstbestimmte <strong>Entwicklung</strong>......... 102<br />

7.3.1. Rechte <strong>indigene</strong>r Völker.......................................................................... 103<br />

7.3.1.1. Eigener legaler Status ................................................................................. 103<br />

7.3.1.2. Territoriale Begrifflichkeit und Landrechte................................................ 104<br />

7.3.1.3. Politische Rechte ........................................................................................ 105<br />

7.3.1.4. Bewahrung und Weiterentwicklung der spezifisch kulturellen <strong>indigene</strong>n<br />

Formen........................................................................................................ 106<br />

7.3.2. Zur Bedeutung von Identität ................................................................... 106<br />

7.3.3. Ausbildung und Organisationskapazität.................................................. 109<br />

7.3.4. Unterstützung von außen......................................................................... 111<br />

7.4. Realitäten und Visionen der <strong>indigene</strong>n Völker im venezolanischen<br />

Amazonasgebiet ...................................................................................... 113<br />

7.4.1. Hauptproblemfelder der Indígenas.......................................................... 114<br />

7.4.2. Verlusterscheinungen und Veränderungen im indianischen Leben........ 115<br />

7.4.3. Autodesarrollo indígena ist realisierbar!................................................. 116<br />

7.4.3.1. <strong>Die</strong> escuela de ancianos und die escuela chamánica ................................. 118<br />

7.4.3.2. Förderung der selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> durch Projekte ................... 119<br />

7.4.4. ... könnte aber auch scheitern ... .............................................................. 124<br />

8. Zusammenfassung / Schlussbemerkung........................................... 128<br />

Anhang................................................................................................. 134<br />

I Fragenkatalog ................................................................................................. 134<br />

II Übersetzung von Zitaten ............................................................................... 136<br />

Bibliographie........................................................................................ 140<br />

Lebensl<strong>auf</strong>............................................................................................ 152<br />

v


Abkürzungsverzeichnis<br />

AN Asamblea Nacional<br />

ANC Asamblea Nacional Constituyente<br />

Bd. Band<br />

bzw. beziehungsweise<br />

CODESUR Comisión para el Desarrollo del Sur<br />

COICA Coordinación de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica<br />

CONIVE Consejo Nacional de los Pueblos Indígenas de Venezuela<br />

DAI Dirección de Asuntos Indígenas (wurde 2000 umbenannt in DGAI)<br />

DGAI Dirección General de Asuntos Indígenas<br />

d.h. das heißt<br />

FIDES Fondo Intergubernamental de la Descentralización<br />

I.I.I. Instituto Indigenista Interamericano<br />

i.e.S. im engeren Sinn<br />

i.w.S. im weiteren Sinn<br />

IAN Instituto Agrario Nacional<br />

IVIC Instituto Venezolano de Investigaciones Científicas<br />

ORPIA Organización Regional de los Pueblos Indígenas del Amazonas<br />

PRODESUR Programa para el Desarrollo Sustenible del Sur<br />

sog. sogenannte/r/s<br />

UCV Universidad Central de Venezuela<br />

u.v.m. und vieles mehr<br />

vgl. vergleiche<br />

WCIP World Council of Indigenous Peoples<br />

vi


Fotoverzeichnis<br />

Foto 1: Campamento turístico ‘Raudal de Danto’, am Río Cuao gelegen. ……………..32<br />

Foto 2: Gesprächsrunde im Yanomamidorf Coromoto am Río Casiquiare. …………….33<br />

Foto 3: Erlernen der Yanomami-Aussprache mittels Aufnahmegerät; ebenfalls in<br />

der comunidad Coromoto. ...................................................................................33<br />

Foto 4: Radio-Kommunikation im Bongo. .......................................................................34<br />

Foto 5: Einfallsreichtum in der Herstellung einer Kerosinlampe: Einmachglas,<br />

Socke, Bierdose und Kerosin. ..............................................................................34<br />

Foto 6: Haus in der Yanomami-comunidad Coromoto von innen. <strong>Die</strong> Mitglieder<br />

von Coromoto leben teilweise nicht mehr in ihrem traditionellen<br />

chabono, sondern in einem rechteckigen, mit Palmenblättern bedeckten<br />

Haus. .....................................................................................................................42<br />

Foto 7: Ein mittlerweile etwas verwittertes chabono, traditionelle offene<br />

Wohnstätte der Yanomami; Sommerlager der Mitglieder von Coromoto<br />

am Río Siapa gelegen. ..........................................................................................42<br />

Foto 8: Prozess der Herstellung von casabe (Maniokfladen),<br />

Grundnahrungsmittel der Indígenas in der Region des Oberen Orinoko;<br />

Piaroa-comunidad Boca de Autana.................................................. ....................43<br />

Foto 9: Trocknen der frisch gebackenen Maniokfladen <strong>auf</strong> dem Dach; ebenfalls<br />

in der comunidad Boca de Autana. .......................................................................43<br />

Foto 10: Zubereitung von mañoco (geröstetes yucca-Mehl) in der Curripacocomunidad<br />

Carisal. ...............................................................................................44<br />

Foto 11: Guahibo-Dorf südlich von Puerto Ayacucho. Hinter den von der<br />

Regierung <strong>auf</strong>gestellten Fertighäusern stehen die Wohnstätten aus<br />

Palmen, in denen üblicherweise weiterhin geschlafen, gekocht und<br />

gegessen wird. ......................................................................................................56<br />

Foto 12: Flussansicht der Yekuana-comunidad Acanaña, am Río Cunucunuma<br />

gelegen. ................................................................................................................56<br />

Foto 13: Junges Yanomami-Mädchen, das gerade vom Abwaschen der Töpfe<br />

zurück kommt. .....................................................................................................57<br />

Foto 14: Yanomami-Frau mit Hemd zum Schutz gegen die Moskitos bekleidet; sie<br />

flechtet gerade aus dünnen Palmenblättern einen Fächer zum Wenden<br />

von casabe. ..........................................................................................................57<br />

Foto 15: Plátano-Ernte bei Hochwasser. Kochbananen stehen im Speiseplan der<br />

Indígenas hoch im Kurs. ......................................................................................71<br />

Foto 16: Antonio ist so freundlich und rollt uns ein paar frische Tabakflöten aus<br />

Baumrinde zum Mitnehmen nach Österreich. .....................................................71<br />

vii


Foto 17: Fest bei den Yanomami in Coromoto; die Kinder stellten sich mit<br />

Begeisterung für das Foto <strong>auf</strong>. .............................................................................72<br />

Foto 18: Fürs Fest geschminkte Yanomami-Frau. ..............................................................72<br />

Foto 19: Traditionelle Lichtquelle bei den Piaroa: <strong>auf</strong> die abgebrochene Seite wird<br />

die Milch eines bestimmten Baumes gegossen, den man heutzutage nur<br />

mehr sehr hoch oben in den Bergen finden kann. Wenn der Nektar<br />

getrocknet ist, dann kann man das Holz anzünden; es verbrennt aber<br />

hauptsächlich nur die getrocknete Baummilch und kaum das Holz. ...................93<br />

Foto 20: Stromleitung inklusive Satellitenschüssel in der Curripaco-comunidad<br />

Cariche am Orinoko gelegen. Der <strong>Die</strong>selgenerator zur Erzeugung des<br />

Stromes wird generell nur für zwei bis drei Stunden am Abend<br />

eingeschaltet. ........................................................................................................93<br />

Foto 21: Hand-yucca-Reiben; das linke Modell ist mit Kieselsteinen in der Mitte<br />

beklebt, das rechte besteht aus reiner, sehr scharfer Baumrinde. ........................94<br />

Foto 22: Hand-yucca-Reibe, bestehend aus einem robusten Ast, umwickelt mit<br />

einer <strong>auf</strong>geschnittenen Aluminiumdose, in welche Löcher gestochen<br />

wurden. ................................................................................................................94<br />

Foto 23: Maschinelle yucca-Reibe, mit <strong>Die</strong>sel-Ölgemisch betrieben. Kostenfaktor<br />

etwa 350.000,- Bolívares (entspricht ca. 500 Euro)! ...........................................94<br />

Foto 24: Projekt zur Errichtung von neuen Dächern in zwei comunidades südlich<br />

bei Puerto Ayacucho. <strong>Die</strong> Finanzierung läuft über den Bundesstaat<br />

Amazonas und dem FIDES. ...............................................................................125<br />

Foto 25: Piaroa-comunidad Ceguera de Autana. Im vorderen Bereich sieht man<br />

das campamento turístico, im hinteren Teil befindet sich das<br />

Indianerdorf; eines der seltenen Beispiele, wo <strong>indigene</strong>s Alltagsleben und<br />

Touristen so nah zusammenkommen. ................................................................126<br />

Foto 26: Alltägliche Gebrauchsgegenstände: Rückentrage, yucca-Reibe, sebucán,<br />

Körbe, Brennholz, Wendevorrichtung, usw. ......................................................126<br />

Foto 27: Der nächtliche Fischfang war sehr ergiebig – ausgelassenes Treiben am<br />

Flussufer: Verteilen und Ausnehmen der gefangenen Fische; Yanomamicomunidad<br />

Coromoto. ........................................................................................127<br />

Foto 28: Gerechte Aufteilung der mitgebrachten Geschenke: Alle Mitglieder der<br />

comunidad Coromoto umringen den capitán, der gerade Angelhaken und<br />

Schnüre verteilt. ..................................................................................................127<br />

viii


1. Einleitung<br />

Einleitung<br />

„Autodesarrollo?“ „Indigene <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong>?“ – in den meisten Fällen<br />

erntete ich fragende Blicke, wenn mich Verwandte, Freunde und Bekannte <strong>auf</strong> mein<br />

Diplomarbeitsthema ansprachen und ich ihnen den Inhalt skizzierte. Mit der Zeit wurde<br />

mir jedoch klar, dass die Fragezeichen von unterschiedlicher Bedeutung waren.<br />

Resultierten sie bei den einen aus einer schlichten Unkenntnis der Begrifflichkeiten, so<br />

waren sie bei anderen Ausdruck eines Unverständnisses, wie Indianer und <strong>Entwicklung</strong><br />

überhaupt zusammengehören sollen. Vor allem zweite Reaktion ist deshalb interessant,<br />

weil sie eine Haltung widerspiegelt, die nicht nur in populären, sondern auch in<br />

wissenschaftlichen Kreisen lange Zeit vorherrschend war und teilweise bis heute<br />

anzufinden ist: Das Indianische als Negation von <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Dass diese Auffassung nicht aus der Luft gegriffen ist, beweist (leider) die politische<br />

Praxis in Lateinamerika bis in die Gegenwart. Seit über 500 Jahren ist die indianische<br />

Bevölkerung einer Diskriminierung ihrer Andersartigkeit ausgesetzt, erst waren es die<br />

spanischen Eroberer, dann die neuen Machthaber der unabhängigen Länder<br />

Lateinamerikas. Insbesondere unter den Indianerpolitiken der Nationalstaaten mit ihren<br />

universellen Prinzipien rechtlicher Gleichheit und kultureller Einheitlichkeit wurde den<br />

Indianern die freie Ausübung und Aufrechterhaltung ihrer Kulturen und somit ihrer<br />

eigenen <strong>Entwicklung</strong> versagt. Dem offensichtlichen kulturellen Pluralismus der<br />

lateinamerikanischen Staaten suchten die Eliten mit einer assimilatorischen<br />

Integrationspolitik entgegen zu wirken, deren Erfolge bedauerlicherweise im Ethnozid zu<br />

finden sind. In dieser monistischen Ideologie wurde der Indio als Hindernis, wenn nicht<br />

gar als Bedrohung im Prozess hin zu einer entwickelten, fortschrittlichen und zivilisierten<br />

Kultur gesehen. Es scheinen also auch Fortschritt, Zivilisation und vor allem Kultur<br />

wichtige Begriffe in Zusammenhang mit dem Thema Indigene Völker und <strong>Entwicklung</strong> zu<br />

sein.<br />

Heute fordern die Betroffenen den Bruch mit den universellen Prinzipien der<br />

rechtsstaatlichen Systeme Lateinamerikas; die <strong>indigene</strong>n Bewegungen kämpfen mit<br />

Berufung <strong>auf</strong> ihre indianische Identität für die Schaffung eigener Rechte, die ihnen ein<br />

(Über-)leben nach eigenen Maßstäben ermöglichen sollen sowie für die Bildung von<br />

9


Einleitung<br />

pluriethnischen und multikulturellen Staaten, um die existierende kulturelle Diversität<br />

anzuerkennen. <strong>Die</strong> meisten lateinamerikanischen Länder haben in den letzten fünfzehn<br />

Jahren in irgend einer Weise <strong>auf</strong> die Forderungen nach eigenen Rechten <strong>indigene</strong>r Völker<br />

reagiert, sei es an Hand von Verfassungsreformen oder im Zuge der Erstellung neuer<br />

Verfassungen. <strong>Die</strong> vor drei Jahren in Kraft getretene Bolivarianische Verfassung von<br />

Venezuela ist ein besonders interessantes Beispiel, wird ihr doch nachgesagt, die<br />

weitestgehendste hinsichtlich ihrer Zusicherung an Rechten <strong>indigene</strong>r Völker <strong>auf</strong> dem<br />

lateinamerikanischen Kontinent zu sein.<br />

1.1. Fragestellungen und Erkenntnisinteresse<br />

Historischer Ausgangspunkt der Arbeit bildet die Gegenüberstellung der Ideologien von<br />

indigenismo und indianismo; während der klassische indigenismo, welcher sich namentlich<br />

seit den 30er und 40er Jahren <strong>auf</strong> dem lateinamerikanischen Kontinent als Indianerpolitik<br />

durchsetzte, grundsätzlich <strong>auf</strong> einer Assimilationsideologie basiert und als ethnozid<br />

bezeichnet werden muss, beinhaltet der indianismo als Ausdruck der Mobilisierung<br />

<strong>indigene</strong>r Völker die Forderung nach Politiken, die den Rechten <strong>indigene</strong>r Völker sowie<br />

der freien Ausübung ihrer Kulturen Rechnung tragen. Mein Erkenntnisinteresse liegt<br />

hierbei in der Aufarbeitung beider Lösungsansätze, wie man Armut und Marginalisierung<br />

der Indianer reduzieren könnte.<br />

Der Titel dieser Diplomarbeit gibt weiters Anlass zu fragen, ob es per se <strong>indigene</strong><br />

<strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> gibt und wenn ja, ab wann es Sinn macht von solchen zu<br />

sprechen, d.h. welcher Bedingungen es bedarf, um <strong>auf</strong> adäquate Weise indianische Sichten<br />

von <strong>Entwicklung</strong> zu formulieren.<br />

“Unsere <strong>Entwicklung</strong> ist die <strong>Entwicklung</strong> eines ganzen Volkes, und wenn wir <strong>Entwicklung</strong><br />

sagen, denken wir auch an die Zukunft. (....) <strong>Entwicklung</strong> ist da, um zu teilen, nicht um zu<br />

herrschen. Sie ist da, damit unsere Welt weiterbesteht (....). Unsere <strong>Entwicklung</strong> ist entschieden<br />

anders.” (COICA 1991:230).<br />

Obiges Zitat der Koordination der <strong>indigene</strong>n Organisationen des Amazonasbeckens macht<br />

trotz seiner Kürze <strong>auf</strong> wichtige Aspekte einer <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong> <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>auf</strong>merksam: Es spricht das Gemeinschaftsgefühl an, es weist <strong>auf</strong> die sozio-kulturelle<br />

Verträglichkeit sowie <strong>auf</strong> die Umwelt hin und es nimmt Bezug <strong>auf</strong> Macht. Allerdings wirft<br />

die zitierte ‚entschiedene Andersartigkeit von <strong>Entwicklung</strong> nach indianischem<br />

10


Einleitung<br />

Verständnis’ gewisse Fragen, bei einigen LeserInnen vielleicht sogar Zweifel <strong>auf</strong>: Worin<br />

liegen denn die entscheidenden Unterschiede und Abgrenzungsmerkmale zu wem und<br />

was? Um mich diesen beiden Fragen anzunähern, werde ich versuchen zu klären, von wem<br />

und für was der Begriff der <strong>Entwicklung</strong> vorherrschend verwendet wird. Der letzte Aspekt<br />

deutet dar<strong>auf</strong> hin, dass auch Machtverhältnisse im Zusammenhang mit der in der<br />

vorliegenden Diplomarbeit bearbeiteten Thematik eine große Rolle spielen.<br />

Außerdem möchte ich mir die Antworten <strong>auf</strong> folgende weitere Fragestellungen erarbeiten:<br />

Kann eine <strong>indigene</strong> Sicht von <strong>Entwicklung</strong> gelebt werden? Und weiter: Wie lässt sich der<br />

indianismo mit dem Konzept der selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> <strong>indigene</strong>r Völker in<br />

Zusammenhang bringen. Meine These hierzu lautet folgendermaßen: <strong>Die</strong> <strong>indigene</strong>n<br />

<strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> finden ihre Umsetzung im autodesarrollo indígena; einem<br />

ideologischen Konzept, welches den ethnoziden Politiken ebenso gegenübergestellt<br />

werden muss, wie der indianismo dem indigenismo.<br />

Mit dem Konzept eines autodesarrollo indígena als Kernstück der vorliegenden Arbeit<br />

werde ich mich schließlich im Besonderen auseinandersetzen. Schwerpunkt hierbei lege<br />

ich <strong>auf</strong> die Voraussetzungen für einen solchen sowie <strong>auf</strong> seine Potenziale und<br />

Ausgestaltungsmöglichkeiten in Form von angedachten oder bereits umgesetzten<br />

Beispielen. Darüber hinaus hoffe ich den Blick nicht dar<strong>auf</strong> zu verschränken, Grenzen,<br />

Schwierigkeiten und Probleme in der Umsetzung besagten Konzeptes <strong>auf</strong>zuzeigen.<br />

Für die Bearbeitung des Themas scheint mir die Unterscheidung und Betrachtung von<br />

mehreren Ebenen unabdingbar – so bin ich auch in meiner Feldforschung von folgenden<br />

drei Ebenen ausgegangen, <strong>auf</strong> die ich später noch ausführlicher eingehen werde: die<br />

Sichtweise der Indianer in comunidades, die Auffassungen und Forderungen mobilisierter<br />

und politischer Indígenas sowie der Beitrag von Seiten VertreterInnen unseres Faches.<br />

<strong>Die</strong> Beschäftigung mit der in dieser Diplomarbeit behandelten Thematik verlangt auch die<br />

Beachtung der Bedeutung von Machtverhältnissen innerhalb der Nationalstaaten. Letztlich<br />

geht es in der Gegenüberstellung von indigenismo und indianismo um einen Machtkampf<br />

zwischen Vereinheitlichung oder Homogenisierung versus Diversität oder<br />

Heterogenisierung.<br />

11


Einleitung<br />

Weiters scheint es zielführend zu sein, von der Existenz von zumindest zwei Welten<br />

auszugehen, die beide für sich zunächst als reine begriffliche Konstrukte dastehen: die<br />

Welt der <strong>indigene</strong>n Völker und die der Kreolen als Verkörperung der westlichen Welt in<br />

Venezuela. Es wird auch mir nicht möglich sein, eine klare Begriffsklärung, geschweige<br />

denn eine exakte Definition beider Welten vorzunehmen. Dennoch hoffe ich, mit dieser<br />

Arbeit einen Beitrag darin zu leisten, bestimmte inhaltliche Teilaspekte beider Welten<br />

näher zu beleuchten – in ihrer Gegensätzlichkeit als auch in der Notwendigkeit einer<br />

gegenseitigen Anerkennung und Vernetzung.<br />

Wie aus dem Untertitel der Diplomarbeit bereits deutlich wird, werde ich die Thematik an<br />

Hand von Beispielen aus Venezuela, wo ich eine zweimonatige Feldforschung<br />

hauptsächlich im Bundesstaat Amazonas durchgeführt habe, analysieren.<br />

1.1.1. Aufbau der Arbeit<br />

Auf Grund dessen, dass die vorliegende Diplomarbeit einerseits <strong>auf</strong> einem<br />

Literaturstudium, andererseits allerdings <strong>auf</strong> einer Feldforschung basieren, werde ich in<br />

Kapitel 2 ausführlicher <strong>auf</strong> die verwendeten Methoden und meine Arbeitsweise eingehen.<br />

Im besonderen werde ich in diesem Kapitel die durchgeführte Feldforschung vorstellen, als<br />

auch ein paar Überlegungen zum Verhältnis zwischen ForscherIn und Beobachtete/r<br />

skizzieren.<br />

Zur Klärung, welche ethnischen Gruppen als ‚<strong>indigene</strong> Völker’ bezeichnet werden, welche<br />

Kriterien für ihre Beschreibung herangezogen werden und in welchem Verhältnis Ethnie<br />

und Indianer in der anthropologischen Disziplin zueinander stehen, damit beschäftigt sich<br />

Kapitel 3.<br />

Mit einem historischen Abriss über die Situation <strong>indigene</strong>r Völker in Lateinamerika unter<br />

besonderer Berücksichtigung der Zeit nach der Unabhängigkeit der Länder von der<br />

spanischen Krone, beginnt das Kapitel 4. Im Zuge dessen werde ich ausführlicher <strong>auf</strong> die<br />

klassische Ideologie des indigenismo sowie <strong>auf</strong> die inhaltlichen Anpassungen<br />

indigenistischer Aktivitäten an das Zeitgeschehen eingehen. <strong>Die</strong> assimilatorischen<br />

Maßnahmen der Nationalstaaten zur Integration der Indígenas blieben nicht ohne Wirkung;<br />

diesen ethnoziden Politiken dennoch zum Trotz, zeichnete sich in den 70er Jahren und<br />

12


Einleitung<br />

insbesondere ab den 80er Jahren ein intellektueller Wandel ab. In dieser Situation und<br />

unterstützend von VertreterInnen, die den Antiindianismus indigenistischen Ethnozids<br />

anklagten, entwickelte sich eine neue Ideologie, in der die Indígenas selber zu TrägerInnen<br />

ihrer eigenen Sache werden: der indianismo.<br />

Mit dem Ideenkonzept des indianismo beschäftigt sich das Kapitel 5. Zudem werde ich in<br />

diesem Kapitel erstmals <strong>auf</strong> mein Feldforschungsland Venezuela eingehen und die<br />

Ausführungen aus Kapitel 4 und 5 an Hand des auserwählten Beispiels konkretisieren. Da<br />

es im indianismo grundsätzlich um Forderungen nach eigenen Rechten <strong>indigene</strong>r Völker<br />

geht, werde ich auch insbesondere die venezolanische Verfassung aus dem Jahr 2000<br />

behandeln und diesbezüglich untersuchen.<br />

<strong>Die</strong> beiden letzten Kapitel, 6 und 7, bilden den bedeutendsten Teil dieser Arbeit und stehen<br />

in einem engen Zusammenhang. In Kapitel 6 geht es um die Thematik von<br />

<strong>Entwicklung</strong>(spolitik) und <strong>indigene</strong> Völker. Dabei werden zunächst anthropologische<br />

Kulturkonzepte sowie der vorherrschende (westlich geprägte) Gebrauch von <strong>Entwicklung</strong><br />

behandelt; danach stelle ich Phasen der <strong>Entwicklung</strong>spolitik in Venezuela vor und werde<br />

Beispiele von Folgen derartiger entwicklungspolitischer Aktivitäten für <strong>indigene</strong> Völker<br />

skizzieren. Zum Höhepunkt dieses Kapitels kommend, werde ich <strong>auf</strong> Basis meiner<br />

Feldforschungsergebnisse <strong>indigene</strong> <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> formulieren und mit<br />

einer Gegenüberstellung beider Sicht- und Gebrauchsweisen (‚westliche’ und ‚indianische<br />

‚) das Kapitel beschließen.<br />

Mit den Erkenntnissen aus dem 6 Kapitel geht es mir schließlich in Kapitel 7 um<br />

Möglichkeiten und Formen einer selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> <strong>indigene</strong>r comunidades.<br />

Der autodesarrollo indígena trägt dieses Potenzial in sich. Nach der Darstellung, welcher<br />

Voraussetzungen es für einen solchen bedarf, werde ich am Ende <strong>auf</strong> die Situation der<br />

comunidades in meinem Feldforschungsgebiet eingehen und Ideen als auch konkrete<br />

Beispiele für einen autodesarrollo indígena beschreiben.<br />

In der Zusammenfassung und Schlussbemerkung werde ich die wesentlichsten<br />

Erkenntnisse der Arbeit noch einmal zusammenfassen und den Bogen zurück zur<br />

Einleitung schließen, in dem ich die eingangs gestellten Fragen zu beantworten versuche.<br />

13


2. Methode und Arbeitsweise<br />

Methode und Arbeitsweise<br />

<strong>Die</strong> in der vorliegenden Diplomarbeit präsentierten Ergebnisse beruhen zum einen <strong>auf</strong><br />

einem intensiven Literaturstudium zur historischen und thematischen Heranführung, zum<br />

anderen basiert ein Großteil der Arbeit <strong>auf</strong> empirischer Forschung, mit dessen Ergebnissen<br />

die schriftlichen Quellen ergänzt wurden. Ein stetes Vergleichen und Überprüfen zwischen<br />

Literatur und Empirie bilden einen weiteren Methodenschwerpunkt. <strong>Die</strong> herangezogenen<br />

schriftlichen Quellen bestehen einerseits aus spanischsprachiger Literatur von überwiegend<br />

lateinamerikanischen oder <strong>auf</strong> Lateinamerika spezialisierten WissenschafterInnen und<br />

andererseits aus deutschsprachigen und vereinzelt englischsprachigen Beiträgen oder<br />

Büchern.<br />

Während meines Feldforschungs<strong>auf</strong>enthaltes wandte ich verschiedene qualitative<br />

Methoden an: teilnehmende Beobachtung, teilweise vorstrukturierte, größtenteils jedoch<br />

halbstrukturierte und offene Interviews. Darunter fallen die Experteninterviews mit<br />

AnthropologInnen, PolitikerInnen und VertreterInnen <strong>indigene</strong>r Organisationen sowie die<br />

narrativen Interviews (Gespräche) mit Mitgliedern der besuchten comunidades 1 am<br />

Oberl<strong>auf</strong> des Orinoko. Vor allem bei letzteren versuchte ich mich an der Vorgehensweise<br />

eines ero-epischen Gespräches nach Girtler zu orientieren 2 , was mir allerdings nicht immer<br />

gelang, weil meine GesprächspartnerInnen mir häufig während des Gesprächs keine<br />

Fragen stellten, sondern vielmehr unabhängig von der Interviewsituation <strong>auf</strong> mich<br />

zukamen und mich nach meinem Leben, meinen Meinungen zu diversen Themen, meinen<br />

Erfahrungen und meinem Zuhause fragten. Dennoch denke ich, dass die Beziehung<br />

zwischen mir und dem ‚Forschungssubjekten’ stets von dem Prinzip der Gleichheit<br />

bestimmt war und wir uns beiderseits als Lernende betrachteten.<br />

1 Ich verwende hier den Begriff der comunidad im Sinne einer indianischen Lokalität. Als Synonym werde<br />

ich von einem indianischen Dorf sprechen.<br />

2 Den Begriff des ero-epischen Gespräches definiert Girtler folgendermaßen: „Es ist ein Gespräch, bei dem es<br />

um Erzählungen und Geschichten geht, die sich so ziemlich <strong>auf</strong> alles einer Kultur oder Gruppe beziehen<br />

können. Dabei ist es nicht bloß der Forscher, der Fragen stellt, sondern auch der Gesprächspartner, also der,<br />

über dessen Kultur ich etwas erfahren will. (...)“ (Girtler 2001:147).<br />

14


Methode und Arbeitsweise<br />

Von einem überwiegenden Teil der Interviews und Gespräche fertigte ich direkt danach<br />

Gedächtnisprotokolle an, d.h. ich ordnete die Antworten <strong>auf</strong> einem vorbereiteten<br />

Fragebogen bzw. ergänzte oder änderte diesen entsprechend des Gesprächsverl<strong>auf</strong>es. Nur<br />

in wenigen Situationen betrachtete ich es als angemessen, mit dem Aufnahmegerät zu<br />

arbeiten und später die Interviews zu transkribieren.<br />

Desweiteren schrieb ich während des Aufenthaltes in Venezuela meine Reflexionen,<br />

Erkenntnisse und Erlebnisse sowie sonstige Beobachtungen und Gespräche mit meinem<br />

Freund und Feldforschungsbegleiter in mein Feldtagebuch.<br />

2.1. Stand der Forschung<br />

Es besteht eine unüberschaubare Fülle an Beiträgen, Artikeln und Internetseiten, die ab den<br />

1970er Jahren im Zuge der Mobilisierung <strong>indigene</strong>r Völker und deren Zusammenschlüsse<br />

zu <strong>indigene</strong>n Bewegungen entstanden sind. <strong>Die</strong>se Dokumente behandeln vorwiegend die<br />

benachteiligte Situation der Indios in den Nationalstaaten sowie Forderungen der<br />

Betroffenen <strong>auf</strong> politisch-rechtlicher Ebene zur Verbesserung ihrer Lebensumstände. <strong>Die</strong><br />

Autorenschaft dieser Schriften reichen von AnthropologInnen und Rechtsgelehrten über<br />

NGO-MitarbeiterInnen bis hin zu indianischen VertreterInnen verschiedenster <strong>indigene</strong>r<br />

Organisationen.<br />

Arbeiten oder Artikel zum Thema der <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong> <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> gibt es<br />

dagegen wenige; wenn, dann werden sie meist nur als potenzielle gedankliche Alternative<br />

dargestellt ohne diese weiter zu konkretisieren. Nur sehr vereinzelt lassen sich Ansätze in<br />

der Literatur finden, die ernsthaft indianische Sichtweisen von <strong>Entwicklung</strong> zu formulieren<br />

versuchen. In den meisten Fällen jedoch werden ihnen kein Umsetzungspotenzial<br />

zuerkannt oder man verwirft sie auch oftmals aus Gründen der damit verbundenen<br />

Aufbürdung eines derart westlich geprägten Begriffes <strong>auf</strong> die <strong>indigene</strong>n Völker. Da ich<br />

letzten Standpunkt nicht vertrete, hoffe ich mit dieser Arbeit einen Beitrag zu ihrer<br />

Formulierung zu leisten.<br />

Standardwerk und meine erste Referenz in Zusammenhang mit theoretischen<br />

Überlegungen hinsichtlich der Notwendigkeit einer kultur- oder ethnosensitiven<br />

<strong>Entwicklung</strong> ist das Buch „América Latina: Etnodesarrollo y etnocidio“, herausgegeben<br />

15


Methode und Arbeitsweise<br />

von Francisco Rojas Aravena im Jahre 1982. Was allerdings die Voraussetzungen für<br />

einen etnodesarrollo anbelangen, so beschränken sich im Großen und Ganzen die<br />

vorhandenen Arbeiten und Artikel <strong>auf</strong> die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen. An<br />

dieser Stelle möchte ich mit der vorliegenden Arbeit ein Stück tiefer in die Thematik<br />

gehen; nicht nur was die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte <strong>Entwicklung</strong><br />

anbelangt, sondern vor allem auch welche Ideen, Formen und Möglichkeiten eines<br />

autodesarrollo indígena im venezolanischen Amazonastiefland angedacht und umgesetzt<br />

werden, um seine praktische Realisierung zu vollziehen.<br />

2.2. <strong>Die</strong> Feldforschung als Gratwanderung<br />

Seit Beginn meines Ethnologiestudiums wusste ich, dass ich im Rahmen einer späteren<br />

Diplomarbeit <strong>auf</strong> Feldforschung fahren würde. Wohin mich diese führen sollte, zu<br />

welchem Thema ich forschen und wie lange Zeit ich haben würde, dies waren Fragen,<br />

deren Antworten sich erst langsam und prozessartig herauskristallisierten. Im Frühjahr<br />

2002 plante ich schließlich einen zweimonatigen Aufenthalt in Venezuela, wobei die<br />

Hauptforschungsregion südlich von Puerto Ayacucho am Oberl<strong>auf</strong> des Orinoko liegen<br />

sollte. Mit der vorliegenden Diplomarbeit präsentiere ich die Inhalte und Ergebnisse dieses<br />

Forschungsunternehmens.<br />

<strong>Die</strong> Feldforschung als traditionelle, dialogische und interaktive Methode zur Gewinnung<br />

von Daten in der Anthropologie ist eine sehr mühevolle, aber zugleich äußerst interessante<br />

und erfahrungsreiche Forschungsarbeit. Nach Lissner-Espe befinden wir uns in der<br />

reflexiven Ära anthropologischer Feldforschung, die von der Idee geprägt ist, den Forscher<br />

in seine Untersuchungen mit einzubeziehen und ihn als Teil des<br />

Untersuchungsgegenstandes <strong>auf</strong>zufassen (zit. in Kremser 1998:136, 139). Dabei spielt die<br />

Selbst- und Fremdwahrnehmung beider Akteure im Feldforschungsprozess, also<br />

EthnographIn und die ‚zu Erforschenden’, eine große Rolle. Wie wichtig es ist, sich als<br />

ForscherIn darüber im Klaren zu sein, wer man für sich selber ist, was man aber<br />

gleichzeitig für die anderen darstellt, wurde mir während meines Aufenthaltes in<br />

Venezuela besonders deutlich. Ebenso erfuhr ich, wie bedeutsam es für ein erfolgreiches<br />

Forschungsunternehmen ist, ‚richtig’ in ein Dorf eingeführt und vorgestellt zu werden.<br />

16


Methode und Arbeitsweise<br />

Als FeldforscherIn wird einem sehr bald bewusst, wie eng Erfolg und Misserfolg<br />

nebeneinander liegen: Man muss seinen Weg vor Augen haben, sollte aber selbigen nicht<br />

um jeden Preis verfolgen, man muss vorsichtig in seinem Auftreten und Verhalten sein,<br />

sollte sich dabei aber einen gewissen Weitblick bewahren und man muss <strong>auf</strong> Menschen<br />

zugehen, indem man ihnen gleichzeitig die Möglichkeit gibt, <strong>auf</strong> einen selbst zuzugehen.<br />

<strong>Die</strong> Phase der reflexiven Ära ethnologischer Forschung hat weiters auch zu einem neuen<br />

Genre ethnographischen Schreibens geführt, d.h. auch die persönlichen Charakterzüge in<br />

der wissenschaftlich-ethnographischen Beschreibung haben ihren berechtigten Platz. Mit<br />

diesen zusätzlichen Schilderungen aus der Forschungssituation wird der<br />

Forschungsprozess komplettiert und „es lässt sich eine Untersuchung besser<br />

nachvollziehen, wodurch der wissenschaftliche Wert der Analyse steigt.“ (Kremser<br />

1998:140). Aus diesem Grund werde ich im Anschluss einige Aspekte meiner<br />

Feldforschungssituation wiedergeben, um die Feldforschungsumstände und Herleitung<br />

meiner Ergebnisse für die LeserInnen offen zu legen und somit nachvollziehbar zu<br />

machen.<br />

2.2.1. Vorbereitungsphase in Wien<br />

Als ich meinen Feld<strong>auf</strong>enthalt vorzubereiten begann, überlegte ich lange, wie intensiv und<br />

detailliert die Vorbereitungen sein sollen oder besser sein müssen, damit das<br />

Forschungsvorhaben vor Ort auch gelingen mag. Girtler (2001:56) zitiert in seinem Buch<br />

„Methoden der Feldforschung“ die Autoren Glaser und Strauss, welche meinen, dass man<br />

<strong>auf</strong> ein Literaturstudium vor der Feldforschung ganz verzichten könne, denn nur so wäre es<br />

möglich, die betreffende soziale Wirklichkeit unbeeinflusst <strong>auf</strong>zunehmen. Demgegenüber<br />

gab mir meine Diplomarbeitsbetreuerin Univ. Doz. Dr. Elke Mader den Hinweis, dass ich<br />

nur mit einem gewissen Vorwissen über die zu besuchenden Ethnien manche Fragen erst<br />

‚richtig’ zu stellen und die Antworten erst ‚richtig’ zu interpretieren wissen würde.<br />

Da meine geplante Feldforschung inhaltlich nicht einer klassischen ethnographisch-<br />

ethnologischen Erhebung entsprach, wie z.B. einem Detailstudium über Schamanismus,<br />

Sozialorganisation oder Mythologie bzw. einer monographischen Zusammenstellung<br />

sämtlicher Aspekte einer bestimmten Ethnie, sondern vielmehr als Sammlung von<br />

Meinungen, Erfahrungen, Ideen und Vorstellungen verschiedener <strong>indigene</strong>r Völker im<br />

17


Methode und Arbeitsweise<br />

venezolanischen Amazonastiefland zu unterschiedlichen Thematiken zu verstehen ist,<br />

empfand ich es als besonders wichtig, mir vorher ein ausführliches Hintergrundwissen über<br />

die historischen, politischen und sozio-ökonomischen Bedingungen anzueignen, die die<br />

Situation der indianischen Gemeinschaften früher wie heute bestimmen.<br />

Zudem las ich mich an Hand monographischer Beiträge in die verschiedenen <strong>indigene</strong>n<br />

Kulturen ein, die ich zu besuchen plante. Dabei ging es allerdings nicht darum, mir ein<br />

anthropologisches Expertenwissen anzulesen, sondern vielmehr, mir einen Überblick über<br />

die jeweils spezifischen kulturellen Charakteristika der unterschiedlichen Ethnien zu<br />

verschaffen.<br />

Im Zuge fortgesetzter Vorbereitungen untergliederte ich die Feldforschung in die bereits<br />

erwähnten drei Ebenen und unterschied zwischen der Ebene der comunidades, der Ebene<br />

organisierter Indígenas als Mitglieder diverser Organisationen <strong>indigene</strong>r Völker sowie<br />

<strong>indigene</strong>r PolitikerInnen und der Ebene von AnthropologInnen. Während ich, wie im<br />

Anhang nachzulesen ist, für die erste Ebene einen eigenen Fragenkatalog erstellte,<br />

verwendete ich für die beiden letzten Ebenen einen gemeinsamen Fragebogen.<br />

An dieser Stelle sei insbesondere dar<strong>auf</strong> hingewiesen, dass mich oft der Gesprächsverl<strong>auf</strong>,<br />

vor allem im Rahmen der ersten Ebene, dazu veranlasste, einige Fragen nicht zu stellen,<br />

andere Fragen umzuformulieren oder neue Fragen zu entwickeln und somit den<br />

Fragenkatalog der jeweiligen Interviewsituation anzupassen. Weiters möchte ich anfügen,<br />

dass mir die großen Unterschiede in den Gesprächssituationen <strong>auf</strong> der comunidad-Ebene<br />

auch keine andere Möglichkeit ließen, als mich flexibel und <strong>auf</strong>merksam <strong>auf</strong> die jeweiligen<br />

GesprächspartnerInnen einzulassen. Denn obwohl ich auch hier den Großteil der<br />

Gespräche <strong>auf</strong> Spanisch führen konnte, gab es auch einige Situationen, in denen ich <strong>auf</strong><br />

einen Übersetzer zurückgreifen musste. Dankenswerterweise stellte sich immer ein<br />

Mitglied des besuchten Dorfes oder der gleichen linguistischen Gruppe zur Verfügung, um<br />

mir übersetzend bei meinen Forschungen zu helfen.<br />

Eine besonders interessante Erfahrung machte ich im Yanomami-Dorf Coromoto an der<br />

Mündung des Siapa in den Casiquiare, wo ich mich mit einem ausschließlich Yanomami-<br />

sprechenden Schamanen, Joromachiwe, zu einem Gespräch einfand. Nilo, unser<br />

Expeditionsführer, übersetzte mein Spanisch in ein ‚Slang-Spanisch’, welches Tomás, der<br />

18


Methode und Arbeitsweise<br />

capitán 3 sprach. <strong>Die</strong>ser gab die Fragen in seiner Sprache an den Schamanen weiter.<br />

Danach übersetzte mir der junge capitán das Gesagte von Joromachiwe wieder ins<br />

Spanische. Und häufig musste mir dar<strong>auf</strong>hin Nilo die Antworten in einem Spanisch<br />

erklären, das wiederum ich verstand. Der Problematik einer Verzerrung der Informationen<br />

<strong>auf</strong> Grund einer derartigen Gesprächssituation versuchte ich aus dem Weg zu gehen, indem<br />

ich nach Ende dieser Gespräche, dieselbigen nochmals mit Nilo, der ein gutes passives<br />

Yanomami beherrscht, durchgegangen bin, um Ungewissheiten und Missverständnisse zu<br />

klären.<br />

Zwei weitere Anmerkungen zu den diversen Interviewsituationen seien noch angefügt:<br />

Erstens forderten mich die Erzählungen, Geschichten und Ereignisse, die ich vor allem von<br />

den ancianos 4 als Antworten <strong>auf</strong> meine Fragen bekam, besonders heraus. <strong>Die</strong><br />

Herausforderung lag darin, die Aussagen aus denen mir ausführlich erzählten Geschichten<br />

herauszukristallisieren, um sie für meine Diplomarbeit verfügbar zu machen.<br />

In Abgrenzung dazu wurden zweitens die Gespräche insbesondere dann aussagekräftig,<br />

wenn ich mit Indígenas sprach, die sich zuvor – aber unabhängig von meinem Erscheinen<br />

– über die zu besprechenden Themen Gedanken gemacht hatten und insofern mit einer<br />

gewissen (Selbst-) Reflexion in das Gespräch gegangen sind.<br />

2.2.2. Forschungsstart: Caracas<br />

Als ich am 30. Juni 2002 in der venezolanischen Hauptstadt ankam, wusste ich, dass ich<br />

nicht wie im Jahr zuvor gleich nach einem Tag wieder werde abreisen können. In Caracas<br />

hoffte ich, einen guten Start für meinen Feldforschungs<strong>auf</strong>enthalt zu finden; die schließlich<br />

geführten Interviews überstiegen allerdings meine Erwartungen gänzlich.<br />

Bereits von Wien aus hatte ich Kontakt mit dem Anthropologen Dr. Werner Wilbert vom<br />

IVIC, dem Venezolanischen Forschungsinstitut, <strong>auf</strong>genommen. Ein gemeinsames Treffen<br />

am 1. Juli 2002 stellte die erste Station meiner Feldforschung in Caracas dar. Während<br />

3 Dorfvorsteher; ein regional verwendeter anderer Begriff ist cacique.<br />

4 Mit ancianos werden all diejenigen Mitglieder einer comunidad bezeichnet, die ein gewisses Alter erreicht<br />

haben und als weise angesehen werden. Sie gelten als erste Ansprechpartner, wenn es um das traditionelle<br />

Wissen einer comunidad oder eines <strong>indigene</strong>n Volkes geht.<br />

19


Methode und Arbeitsweise<br />

dieses Treffens informierte mich Dr. Wilbert, dass derzeit die Situation für<br />

AnthropologInnen (und andere WissenschafterInnen) im Amazonasgebiet äußerst<br />

schwierig sei und ich <strong>auf</strong>passen sollte, nicht besonders <strong>auf</strong>zufallen. Da ich allerdings nicht<br />

im Auftrag eines größeren Forschungsvorhabens, sondern <strong>auf</strong> einer Feldforschung für die<br />

Diplomarbeit, die zudem privat organisiert war, in das Gebiet fahren würde, riet er mir im<br />

Zweifelsfall als Touristin <strong>auf</strong>zutreten, um unnötigen Missverständnissen und Problemen<br />

aus dem Weg zu gehen. <strong>Die</strong> Idee gefiel mir zunächst gar nicht, denn ich sah darin ein<br />

moralisch-ethisches Unterfangen, das mir unangenehm und unangemessen erschien.<br />

Einige Tage später jedoch traf ich mich für ein Interview mit dem Anthropologen Esteban<br />

Emilio Mosonyi, der mir zum Schluss noch einige Ratschläge und Hinweise für meine<br />

bevorstehende Feldforschung am Oberen Orinoko mit <strong>auf</strong> den Weg gab. Auch er betonte<br />

an erster Stelle, dass ich zurückhaltend und als Touristin wirkend in die comunidades<br />

eintreten sollte. Später, wenn mich Mitglieder der comunidad möglicherweise dar<strong>auf</strong><br />

ansprechen würden, warum ich Fragen stelle und Dinge <strong>auf</strong>schreibe, dann sollte ich ihnen<br />

erklären, wozu ich dies bräuchte; ich sollte dabei allerdings nicht vergessen <strong>auf</strong>zuzeigen,<br />

welchen Nutzen die ‚Erforschten’ davon hätten. Mosonyi unterstrich mehrmals, wie<br />

wichtig es als Forschende/r sei, sich absolut gegenteilig zu Missionaren zu verhalten, sich<br />

also nicht in das alltägliche Geschehen einzumischen, nicht bevormundend <strong>auf</strong>zutreten und<br />

keinesfalls ‚missionierend’ im Sinne von oktroyierend zu agieren. Was die Vergabe von<br />

Geschenken anbelangt, so sollte auch dies kulturell eingebettet geschehen, d.h. den<br />

Besuchten nicht das Gefühl geben, man wolle sich die Informationen erk<strong>auf</strong>en, sondern<br />

versuchen, <strong>auf</strong> die Ebene eines reziproken Austauschverhältnisses zu kommen. Zuletzt riet<br />

mir Mosonyi, vor Aufbruch in das Gebiet des Oberen Orinoko, eine Genehmigung von der<br />

ORPIA, der Regionalen Organisation Indigener Völker im Amazonas, für meine<br />

Forschungen zu erbitten.<br />

Am 2. Juli 2002 führte ich ein Interview mit der Anthropologin Bernarda Escalante von<br />

der Fundación La Salle, welches nicht nur deshalb sehr interessant war, weil sie mir immer<br />

wieder deutlich die Verbindung zwischen Theorie und praktischer Felderfahrung<br />

<strong>auf</strong>zuzeigen vermochte, sondern auch weil sie die drei Ebenen meiner Feldforschung<br />

<strong>auf</strong>griff. Escalante kommentierte die Problematik der Beziehung zwischen den drei Ebenen<br />

folgendermaßen: die indianischen comunidades kritisierten, dass die RepräsentantInnen<br />

20


Methode und Arbeitsweise<br />

<strong>indigene</strong>r Organisationen nicht <strong>auf</strong> ihre Bedürfnisse eingingen und ihre primären Anliegen<br />

nicht respektierten. <strong>Die</strong> <strong>indigene</strong>n Organisationen sind nach Escalante bereits sehr<br />

politisiert und haben ihre eigene Sicht der Dinge; sie verhielten sich zwar mit ihren Augen<br />

in der Criollo-Welt, aber hätten sich auch schon sehr an diese angepasst. Wir<br />

AnthropologInnen und andere WissenschafterInnen könnten das Geschehen nur von außen<br />

betrachten, teilweise vermittelnd eingreifen, grundsätzlich aber <strong>auf</strong> beiden Ebenen unsere<br />

organisatorisch-technische Unterstützung anbieten. Damit sprach Escalante zwei<br />

bedeutsame Problematiken an: Das Verhältnis zwischen AnthropologInnen und Indígenas<br />

sowie die Entfernung <strong>indigene</strong>r Organisationen von ihrer Basis bei Erreichen einer<br />

gewissen Größe.<br />

Lange Zeit studierten ForscherInnen im <strong>Die</strong>nste der imperialistischen Kolonialmächte die<br />

sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Organisationsformen der ‚Eroberten’<br />

und zugleich ‚Unterworfenen’ für die Herrschaftszwecke der Kolonialherren. Später sollte<br />

die anthropologische Arbeit zur Integration der Indianer in den Nationalstaat unter der<br />

Prämisse der Aufgabe ihrer indianisch-kulturellen Besonderheiten beitragen. Gegenwärtig<br />

jedoch sind häufig AnthropologInnen zu MitanklägerInnen der Situation <strong>indigene</strong>r Völker<br />

in den Nationalstaaten geworden. Gleichzeitig gibt es aber auch heute noch leider zu viele<br />

Beispiele des Missbrauchs ethnographischen Wissens, die häufig weniger politischer,<br />

sondern wirtschaftlicher Art sind. So benutzen transnational operierende Ölkonzerne z.B.<br />

dieses Wissen im Umgang mit den von ihren Ölexplorationen betroffenen Indianern, was<br />

oftmals dazu führt, dass Entschädigungsleistungen in keinster Weise zu den verursachten<br />

Schäden stehen.<br />

Dass es kein einheitliches Bild anthropologischer Tätigkeit gibt, zeigen auch Erfahrungen<br />

mit AnthropologInnen, Reaktionen <strong>auf</strong> sie und Urteile unterschiedlichster Personen über<br />

diesen Wissenschaftszweig, welche mir während der Feldforschung häufig zu Ohren<br />

gekommen sind. Dazu aber weiter unten.<br />

Zurück zur Problematik der Entfernung zwischen mobilisierten Indígenas und den<br />

Mitgliedern ihrer Herkunftsdörfer. <strong>Die</strong> Wayúu Noelí Pocaterra, eine der drei <strong>indigene</strong>n<br />

ParlamentsvertreterInnen und zugleich Vizepräsidentin der AN (Vollversammlung), ging<br />

während unseres Interviews am 6. Juli 2002 ebenfalls dar<strong>auf</strong> ein. So war sie sich<br />

beispielsweise sehr darüber bewusst, dass die Beziehung zwischen ihr und den Indianern in<br />

21


Methode und Arbeitsweise<br />

den comunidades oder anders ausgedrückt, das Verhältnis zwischen ihrem ‚Kampf’ und<br />

den dringenden Bedürfnissen der Indianerdörfer, ein problematisches ist. Ich denke, es ist<br />

in ihrem Interesse anzuführen, dass ohne die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen,<br />

für die sie sich mit anderen politisch aktiven Indígenas einsetzt, das bloße Überleben der<br />

<strong>indigene</strong>n Völker und die ethnisch-kulturelle Diversität gefährdet sein wird.<br />

Neben den bereits erwähnten Interviewtreffen, führte ich in Caracas zwei weitere<br />

Gespräche: Das eine mit der Wayúu Gladys González, Zuständige für Kultur und Soziales<br />

bei der Organisation CONIVE, dem Nationalen Rat Indigener Völker Venezuelas und das<br />

andere mit Maigualida Ocaño Ortiz von der DGAI, der Generaldirektion für Indigene<br />

Anliegen im Bundesministerium für Bildung, Kultur und Sport. <strong>Die</strong> genaueren Daten für<br />

alle Interviews sind den Angaben in der Bibliographie zu entnehmen.<br />

Den Rest der Zeit in Caracas verbrachte ich mit Literaturrecherchen in diversen<br />

Bibliotheken, vor allem in jenen von IVIC, Fundación La Salle und DGAI.<br />

Nach sechs interessanten Tagen verließ ich die Hauptstadt und fuhr nach Puerto Ayacucho,<br />

der ‚letzten’ Stadt im Süden des Landes. Ab hier bilden die Flüsse die einzigen<br />

Kommunikationswege, will man weiter ins amazonische Tiefland von Venezuela<br />

vordringen.<br />

2.2.3. Im tatsächlichen ‚Feld’: Gebiet des Oberen Orinoko<br />

In Puerto Ayacucho angekommen, trafen wir uns sogleich mit Nilo (Alberto Nixon) und<br />

Henry Jaimes, die wir im Jahr zuvor während einer Reise durch das Land kennen lernten<br />

und mit denen wir seither in Kontakt stehen. Henry ist Inhaber von Cacao Expediciones,<br />

einem Tourenveranstalter, und Nilo, Sohn einer Curripaco-Indígena und eines Yeral aus<br />

Brasilien, gehört zu den angesehensten Reiseführern der Region südlich von Puerto<br />

Ayacucho bis über die Grenze nach Brasilien.<br />

Bei der weiteren geographischen und organisatorischen Planung der anstehenden<br />

Forschungsunternehmungen halfen mir die beiden sehr und ich entschied mich schließlich,<br />

die verbleibenden sieben Wochen <strong>auf</strong> zwei Expeditionsfahrten <strong>auf</strong>zuteilen:<br />

� <strong>Die</strong> erste Reise sollte uns entlang des Orinoko bis zur salesianischen Missionsstation<br />

La Esmeralda führen. Von dort ging es bis zur Einmündung des Casiquiare wieder<br />

22


Methode und Arbeitsweise<br />

flussabwärts; über den Casiquiare fuhren wir schließlich bis San Carlos de Río Negro.<br />

Auf der Rückfahrt hielten wir uns noch einige Tage an den Ufern des Cunucunuma <strong>auf</strong><br />

(siehe Reise 1 <strong>auf</strong> der Karte). Neben Nilo begleitete uns ein weiterer (Boots-) Führer,<br />

Cheo Espinoza. Er kommt aus der Region am Río Parguaza, nördlich von Puerto<br />

Ayacucho. Seine Mutter ist Piaroa, sein Vater ein Kreole, gemeinsam leben die Eltern<br />

in der Piaroa-comunidad Pendare am Río Parguaza.<br />

Auf dieser ersten Reise besuchten wir Siedlungen der Curripaco (Carisal, Cariche,<br />

Santa Cruz), der Baniva (Lau Lau), der Yanomami (Cejal, Coromoto), der Yekuana<br />

(Acanaña) und auch eine weiter südlich gelegene comunidad der Piaroa (San Juan de<br />

Puruname). Außerdem suchten wir die schon erwähnte Missionsstation La Esmeralda<br />

<strong>auf</strong>, die mittlerweile zu einem größeren Dorf bestehend aus verschiedenen barrios<br />

(hier: Vierteln ethnischer Zugehörigkeit) angewachsen ist.<br />

� <strong>Die</strong> zweite Reise plante ich im municipio (Gemeindebezirk) Autana durchzuführen,<br />

einem großteils traditionellen Siedlungsraum der Piaroa. Verschiedene Dörfer der<br />

Piaroa an den Ufern der Flüsse Sipapo (Pendare, Caño Guaca), Cuao (Raudalito<br />

Picure) und Autana (Boca de Autana, Ceguera) sollten wir besuchen (siehe Reise 2 <strong>auf</strong><br />

der Karte). Neben Nilo begleitete uns diesmal, Jorge Herrera aus der Piaroa-comunidad<br />

Pendare, am Sipapo gelegen.<br />

23


Quelle: Countryreports<br />

Reise 1<br />

Reise 2<br />

Methode und Arbeitsweise<br />

Quelle: Nelles Maps. Venezuela<br />

<strong>Die</strong> Vorbereitungen für die erste dreiwöchige Reise nahmen Expeditionscharakter an. Ein<br />

Großteil des notwendigen Equipments mieteten wir uns von Henry aus. Darunter fiel ein<br />

Bongo 5 , der Motor für das Boot inklusive Ersatzmotor, fünf Fässer, die jeweils 200 Liter<br />

von einem Benzin-Öl-Gemisch fassten, einen Gaskocher mit zwei großen Kartuschen,<br />

Aufbewahrungskisten, Tiefkühlbox zum Kühlen vergänglicher Lebensmittel für die ersten<br />

Tage, Töpfe und Geschirr sowie wasserdichte Planen zum Schutz vor Regen – wir waren<br />

ja schließlich in der Regenzeit unterwegs. Zum Schlafen besorgten wir uns vor Ort eigene<br />

Hängematten, Moskitonetze nahmen wir aus Wien mit. Desweiteren k<strong>auf</strong>ten wir für alle<br />

vier Personen und für die gesamte Reisezeit Lebensmittel ein und besorgten zusätzlich zu<br />

den T-Shirts und Sportkappen, die wir schon aus Wien mitgenommen hatten, eine Reihe<br />

5 Einbaumboot, teilweise mit Dachkonstruktion entweder aus Palmenblättern, mittlerweile aber oftmals auch<br />

aus Wellblech.<br />

24


Methode und Arbeitsweise<br />

von Gastgeschenken und Austauschartikel – Macheten, Haken und Angelschnüre zum<br />

Fischen, Tabak, Batterien, Seifen, Haarbänder u.v.m. – für die zu besuchenden<br />

comunidades.<br />

Henry beschaffte uns darüber hinaus die gesetzlichen Genehmigungen für die<br />

Unternehmung, ohne die es uns nicht einmal möglich gewesen wäre auch nur bis zum<br />

Hafen von Samariapo (Ab- und Anlegestelle für Fahrten fluss<strong>auf</strong>wärts des Orinoko) zu<br />

gelangen.<br />

An dieser Stelle muss ich anmerken, dass es mir vor dieser ersten und auch vor der zweiten<br />

Feldforschungsfahrt nicht möglich war, ein Genehmigungs- oder Einladungsschreiben von<br />

der ORPIA zu beschaffen. Es bot sich mir leider in beiden Fällen nicht die Gelegenheit,<br />

persönlichen Kontakt mit der ORPIA <strong>auf</strong>zunehmen. Erst am Ende meiner Feldforschung<br />

traf ich bei wiederholtem Aufsuchen der Organisation Nelson Mavio an, mit dem ich vor<br />

Verlassen Puerto Ayacuchos noch einen sehr informativen und gesprächsreichen Abend<br />

verbrachte.<br />

Mit anderen Worten hieß das, dass ich mich für die erste Fahrt an den Gedanken gewöhnen<br />

musste, tatsächlich offiziell als ganz normale Touristin unterwegs zu sein, inoffiziell als<br />

‚Forschende’ zu reisen. Trotz eines stetig unangenehmen Gefühls der ORPIA gegenüber<br />

und einer gewissen Angst, erkannt zu werden, stellte ich nach kurzem fest, dass dieses<br />

‚incognito-Dasein’ mich sehr flexibel machte und mir häufig mein Auftreten und<br />

Kennenlernen in einem Indianerdorf in dem Sinn erleichterte, als man mir in allen Fällen<br />

ohne erkennbare Vorurteile entgegentrat und mich recht offen <strong>auf</strong>nahm. Das ist vor allem<br />

deshalb interessant, weil ich vom ersten Tag der Expedition an zu erkennen und auch zu<br />

verstehen begann, was Wilbert und Mosonyi während der Treffen in Caracas meinten,<br />

wenn sie davon sprachen, dass es für AnthropologInnen zunehmend schwieriger sei im<br />

Amazonasgebiet zu forschen: es ging um die praktischen Erfahrungen der Indígenas mit<br />

AnthropologInnen.<br />

Nilo und ich sprachen uns bezüglich der ersten Kontaktsituation in einem Dorf gleich zu<br />

Beginn der ersten Fahrt ab. Wir vereinbarten, dass er mich nach seinem Ermessen in jeder<br />

besuchten comunidad vorstellen wird – so blieb ich manchmal eine interessierte Reisende,<br />

ein anderes mal war ich eine nicht-thematisierte Studentin und wieder andere Male wurde<br />

25


Methode und Arbeitsweise<br />

ich tatsächlich zu einer Anthropologiestudentin, immer war ich aber eine „muy buena<br />

amiga mía“ („sehr gute Freundin“) von Nilo. <strong>Die</strong> Einführung meiner Person in eine<br />

comunidad war also abhängig von dem, wie Nilo das jeweilige Indianerdorf und ihre<br />

Mitglieder einschätzte und auch wie groß oder wie touristisch erschlossen oder<br />

unerschlossen die besuchte comunidad war.<br />

Mir ist <strong>auf</strong>gefallen, dass, je größer aber auch je touristisch unerschlossener ein Dorf war,<br />

wir immer versuchten als erstes mit dem capitán oder auch dem comisario 6 zu sprechen,<br />

um anzufragen, ob wir bleiben dürften. War eine comunidad sehr klein, also umfasste sie<br />

nur ein bis drei (Groß-) Familien, dann fragten wir zwar auch zunächst nach dem ersten<br />

Repräsentanten, aber es erschien mir nicht so bedeutsam wie im oberen Fall. In einem Dorf<br />

wiederum, das über ein eigenes Touristencamp verfügte, erkundigte sich Nilo nach<br />

Ankunft, wo denn der Verantwortliche, der Besitzer des Camps wäre.<br />

In den meisten Fällen hielt ich es auch für angemessen, dass Nilo – nachdem wir<br />

besprochen hatten, welche Personen uns für ein Gespräch am interessantesten erschienen –<br />

bei den Leuten vorfühlen sollte. Danach sprach ich die Personen an und fragte, ob sie sich<br />

bereit erklären würden, sich mit mir zusammenzusetzen. In einigen Fällen war es auch so,<br />

dass Mitglieder einer comunidad von selber <strong>auf</strong> mich zugingen, sich unterhalten wollten<br />

und sich für ein Interview anboten. <strong>Die</strong>s kam vor allem dann vor, wenn wir schon etwas<br />

länger in einem Dorf verweilten.<br />

Wor<strong>auf</strong> ich mit dem gerade Geschriebenen hinweisen möchte ist, dass ich mich zunächst<br />

im Hintergrund hielt und erst dann in den Vordergrund trat, wenn ich dazu eingeladen<br />

wurde. Weiters respektierte ich es, wenn ich <strong>auf</strong> eine vielleicht etwas heiklere Frage, <strong>auf</strong><br />

die man mir aus welchen Gründen auch immer nicht antworten wollte, auch keine<br />

wirkliche Antwort bekam und bohrte nicht <strong>auf</strong> listige Art und Weise mit anders<br />

formulierten Fragen an diesen Stellen nach. Ich versuchte allerdings sehr wohl Fragen, die<br />

6 Der Unterschied zwischen capitán und comisario liegt darin, dass der capitán der von der comunidad<br />

auserwählte Repräsentant ist, um ihre Interessen zu vertreten und der in der Lösung interner Probleme in der<br />

Lokalität interveniert. Der comisario hingegen ist ein von den lokalen Autoritäten (Regierung) ernannter und<br />

bezahlter Beamter, welcher das Verbindungsstück zwischen der comunidad und den Behörden der lokalen<br />

Regierung und anderen öffentlichen und privaten Einheiten darstellt (Secretaría Pro Tempore 1999:461). Wie<br />

mir Abraham González versicherte ist nicht nur der capitán, sondern auch der comisario immer ein Mitglied<br />

der comunidad (Gespräch am 26.97.2002).<br />

26


Methode und Arbeitsweise<br />

von meinem Gegenüber nicht verstanden wurden, so umzuformulieren, dass dieser<br />

erkennen konnte, worum es mir geht und dieser mir dar<strong>auf</strong>hin antworten konnte.<br />

Wie positiv das zurückhaltende Verhalten in den Dörfern ankam und warum, wurde mir<br />

zunächst <strong>auf</strong> Grund einer Schlüsselsituation bei Ankunft in der Missionsstation La<br />

Esmeralda deutlich. An der Anlegestelle befanden sich mehrere Schnellboote der<br />

Yanomami 7 ; unter den Yanomami befand sich allerdings auch eine europäisch aussehende<br />

Frau, die etwas unbeteiligt dem Füllen der Öltonnen für die Weiterfahrt zusah. An ihrem<br />

Akzent im Spanischen, hörte ich heraus, dass sie Französin sein musste 8 . Ich ging <strong>auf</strong> sie<br />

zu, sprach sie <strong>auf</strong> Französisch an und wir unterhielten uns solange, bis die Fässer gefüllt<br />

waren und sie mit den Yanomami wieder abfuhr, um ihre anthropologisch-linguistischen<br />

Forschungen weiter zu betreiben.<br />

Als ich zu unserem Bongo zurück kehrte, wunderte ich mich, dass Nilo und Cheo sehr<br />

verschlossen <strong>auf</strong> meine Freude, hier mit einer Anthropologin zusammenzutreffen,<br />

reagierten. Am nächsten Tag sprach ich die beiden dar<strong>auf</strong> an. Mein Eindruck war richtig<br />

gewesen: Sie hatten es nicht gerne gesehen, dass ich mit der Französin sprach. Denn laut<br />

den beiden gehörte sie zu den AnthropologInnen, die seit Jahren in das Gebiet ohne<br />

jedwede Genehmigungen fahren würden, sich in das Leben der Indígenas, vor allem der<br />

Yanomami einmischten und <strong>auf</strong> Grund ihrer Kontakte zur Guardia Nacional auch politisch<br />

unangemessen agierten. Was die beiden letzten Kritikpunkte anbelangt, so sind diese<br />

folgendermaßen zu verstehen: Mit Einmischen meinten die beiden, dass manche<br />

AnthropologInnen versuchten, ihre Werte den Indígenas <strong>auf</strong>zuzwängen, nicht die internen<br />

Reglementierungen und Lebensweisen respektierten und dies zeige sich beispielsweise, in<br />

dem sie den Yanomami verbieten würden, ihre Zwistigkeiten und Kriegereien<br />

untereinander zwischen verschiedenen Dörfern auszuüben. Doch damit nicht genug, sie<br />

würden auch über beobachtete ‚Unrechtmäßigkeiten’ der Guardia Nacional Bericht<br />

erstatten und somit das interne Rechtssystem enthebeln, weil es dar<strong>auf</strong>hin nicht selten<br />

7 Im Rahmen des Plan de Acción Social y Desarrollo „Bolívar 2.000“ (Plan der Sozialen- und <strong>Entwicklung</strong>s-<br />

Aktion „Bolívar 2000“) verschenkte die Regierung von Chávez eine große Anzahl an Schnellbooten an die<br />

verschiedensten Indianerdörfer im Bundesstaat Amazonas.<br />

8 Aus Gründen der Fairness möchte ich den Namen der Anthropologin hier nicht nennen.<br />

27


Methode und Arbeitsweise<br />

vorgekommen wäre, dass die Guardia Nacional in die betroffenen Dörfer fuhr, um<br />

betroffene Personen abzuführen.<br />

Nilo und Cheo waren sich in der Verurteilung dieser ‚Art’ von AnthropologInnen einig,<br />

denn diese hätten nicht das ‚Recht’, derartig forsch und anmaßend in das Gebiet und Leben<br />

der Indígenas einzugreifen. Innerlich distanzierte ich mich von einem solchen Verhalten,<br />

fand auch ihre Kritik angemessen, nur war es mir leider auch nicht möglich, die<br />

Anschuldigungen nachzuprüfen. Nilo teilte mir später mit, dass er gerade deswegen gerne<br />

mit mir unterwegs wäre und auch hinter meinen Forschungen stehen würde, weil ich mich<br />

‚anders’ verhalten würde und das wäre auch schon einigen der besuchten capitanes<br />

<strong>auf</strong>gefallen.<br />

Bereits während des Gespräches mit Nilo und Cheo musste ich an die Worte Wilberts bei<br />

unserem Treffen in Caracas denken, der mich dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>merksam machte, dass derzeit die<br />

Situation im Amazonasgebiet für anthropologische Forschungen eine extrem<br />

problematische ist. <strong>Die</strong> Erklärung hierfür liegt in der internationalen Debatte über das<br />

Verhältnis zwischen dem <strong>indigene</strong>n Volk der Yanomami und der Anthropologie.<br />

Ausgelöst wurde die jüngste Kontroverse durch das im Jahr 2000 erschienene Buch<br />

„Darkness in El Dorado: How Scientists and Journalists Devasted the Amazon“ von dem<br />

Anthropologen und ‚Aufdeckungsjournalisten’ Patrick Tierney. <strong>Die</strong> Anschuldigungen<br />

Tierneys sind tiefgreifend, wirft der Autor doch seinen Berufskollegen „mörderische<br />

Praktiken mit den <strong>indigene</strong>n Völkern der Amazonas-Region vor.“ (Stumpf 2001:21). <strong>Die</strong><br />

dargelegten Skandale sind nach Tierney Beweise, dass die Yanomami der Grenzregion<br />

zwischen Venezuela und Brasilien jahrzehntelang als Objekte der Forschung ausgebeutet<br />

und missbraucht wurden und reichen von sexuellem Missbrauch über kriminelle<br />

medizinische Vernachlässigung bis hin zur Verbreitung tödlicher Masernepidemien. Mit<br />

der Untersuchung und Überprüfung der schwer wiegenden Vorwürfe beschäftigt sich die<br />

El Dorado Task Force, eine im Februar 2001 gebildete Kommission der American<br />

Anthropological Association. Unabhängig davon, wie sehr die Anschuldigungen der<br />

Wahrheit entsprechen oder aber auch welche Aspekte in der Analyse Tierneys keine<br />

Berücksichtigung finden, lässt sich mit Stumpf (2001:24) schlussfolgern, dass „die<br />

Beziehungen der ‚Anthros’ mit den Yanomami offensichtlich als gegenseitig tief gestört<br />

angesehen werden [müssen].“ Und ich füge <strong>auf</strong> Grund meiner eigenen Erfahrungen hinzu,<br />

28


Methode und Arbeitsweise<br />

dass das gestörte Beziehungsverhältnis zu AnthropologInnen nicht nur die Yanomami,<br />

sondern sämtliche weitere <strong>indigene</strong> Völker des Amazonastieflandes betrifft. Eine zweite<br />

Situation, die die obige Problematik ebenfalls deutlich macht, ergab sich <strong>auf</strong> der zweiten<br />

Fahrt im municipio Autana.<br />

Zunächst ein paar Worte zur Organisation dieser zweiten Tour. Nach Beendigung der<br />

ersten Reise, suchte ich beim <strong>indigene</strong>m Bürgermeister des betreffenden municipio,<br />

Bernabé Arana (Piaroa) um Unterstützung an. Nach wiederholtem Telefonieren und<br />

mehrmaligen Treffen stellte uns dieser eine voladora 9 des Bürgermeisteramtes mit<br />

Bootsführer zur Verfügung, was einer schriftlichen Einladung durch die ORPIA gleich<br />

kam. <strong>Die</strong> Umstände zu Beginn der zweiten Reise waren allerdings etwas kompliziert. So<br />

mussten wir zunächst mit einem Ersatzboot samt Bootsführer und in Begleitung eines<br />

consejal 10 in die comunidad Pendare am Sipapo fahren. Dort wechselten wir das<br />

Schnellboot und lernten Jorge, unseren eigentlichen Bootsführer für die nächsten zwei<br />

Wochen kennen.<br />

Am Abend saßen wir zu viert beim Essen zusammen und unterhielten uns über meine<br />

Forschungen. Jorge gestand mir, dass er überhaupt keine Lust gehabt hätte, mit uns zu<br />

kommen und das <strong>auf</strong> Grund der alleinigen Tatsache, weil ihm sein Schwager (der consejal,<br />

der uns begleitet hatte) gesagt hätte, es handele sich um eine Anthropologin, die er in der<br />

Region begleiten sollte. Doch er habe nur an diesem einen Tag schon gemerkt, dass ich<br />

‚anders’ sei. Ich sprach ihn <strong>auf</strong> seine Erfahrungen mit AnthropologInnen an und er<br />

begründete seine Ablehnung damit, dass diese oftmals die Indígenas nur ausbeuteten und<br />

sie erforschten, um mit dem gesammelten Wissen über die Ethnien Karriere zu machen,<br />

indem sie beispielsweise Bücher schrieben und Vorlesungen hielten. Insbesondere<br />

verurteilte Jorge die Wissenschafter, die ohne Erlaubnis die früher vorwiegend nackten<br />

Indianer fotografiert und deren Bilder veröffentlicht haben; dies sei eine ‚exotisch-<br />

erotische Vermarktung des Indianischen’ und dazu habe niemand und schon gar keine<br />

externe Person das ‚Recht’.<br />

9 Regionale Bezeichnung für ein im Unterschied zum Bongo sehr leichtes, wendiges Aluminiumboot mit<br />

einem zumeist 40 PS Außenbordmotor.<br />

10 Als consejal werden Berater des Bürgermeisters verstanden, die dem Bürgermeister zur Seite stehen, an<br />

Gesetzesvorlagen entscheidend mitwirken und sonstige diverse Tätigkeiten <strong>auf</strong> Amtsebene verrichten.<br />

29


Methode und Arbeitsweise<br />

Ein anderer Fall der Missachtung der Piaroa-Kultur sei vor etlichen Jahren vorgefallen.<br />

Damals habe ein Anthropologe (Jorge wusste den Wissenschafter nicht näher zu<br />

identifizieren) unerlaubterweise das traditionelle 11 Fest wárime gefilmt und das habe große<br />

Aufruhr erzeugt; denn es handelte sich dabei um eine geheime Zeremonie, die<br />

ausschließlich den Piaroa gehöre und auch nur für sie zugänglich sein sollte. Schließlich<br />

brachte er dieselbe Missachtung gegenüber einem Verhalten anthropologischer<br />

ForscherInnen zum Ausdruck, wie bereits im Fall von La Esmeralda beschrieben.<br />

Eine dritte Situation zur gleichen Thematik, spielte sich zu Beginn des Gesprächs mit dem<br />

Piaroa Juan Morillo ab. Er gab mir seinen Unmut darüber kund, dass er von anderen<br />

Piaroa, die in der Stadt gewesen waren, gehört habe, dass im Völkerkundemuseum von<br />

Puerto Ayacucho etwas ausgestellt wäre, das unter den Piaroa als geheim gelte und das vor<br />

allem Mädchen und Frauen nicht sehen dürften. Er könne die Missachtung ihrer Kultur<br />

nicht begreifen und fragte sich, warum AnthropologInnen so anmaßend sein könnten.<br />

Morillo wiederholte sich mehrmals und es kam mir wie ein Testen vor; als ob er nur dar<strong>auf</strong><br />

wartete, dass ich nachfragen würde, um welches Objekt genau es sich denn handelte oder<br />

dass ich anfing die Ausstellung desselbigen zu verteidigen. Ich wiederum erklärte meine<br />

Distanz gegenüber eines solchen Verhaltens und bekundete mein Verständnis darüber, dass<br />

die Betroffenen davon erschüttert seien. Danach folgte eines meiner interessantesten und<br />

informativsten Gespräche.<br />

Bin ich denn tatsächlich ‚anders’? Einerseits möchte ich das vehement bejahen, denn es lag<br />

mir während der Aufenthalte in den <strong>indigene</strong>n Dörfern nichts ferner als mich aktiv in das<br />

Verhalten und Leben der Besuchten derart einzumischen, dass ich ihnen meine Werte und /<br />

oder meine Verhaltensmuster hätte <strong>auf</strong>drängen wollen. Dass ich aber allein <strong>auf</strong> Grund<br />

meines Daseins und meiner Gespräche <strong>auf</strong> irgend eine Weise in die comunidad eindrang,<br />

war und ist mir durchaus bewusst. Es erleichtert mich jedoch, dass mir mein Verhalten und<br />

Dasein nie zum Vorwurf durch die ‚Erforschten’ gemacht wurde. Andererseits wiederum<br />

beobachtete ich das Verhalten und Leben der Mitglieder der besuchten Dörfer, führte<br />

11 Ich verstehe in dieser Arbeit unter ‚Tradition’ oder ‚traditionell/es’ jede Art von Tätigkeit, die zumindest<br />

über eine Generation, im Normalfall jedoch über mehrer Generationen hinweg übertragen, also ‚tradiert’<br />

wurde und <strong>auf</strong> Grund von inneren und äußeren Einflüssen Veränderungen unterliegt und somit dynamisch<br />

ist.<br />

30


Methode und Arbeitsweise<br />

Gespräche mit nicht wenigen Indígenas und mein Freund fotografierte deren Häuser, die<br />

Menschen der Region und ihre Gebrauchsgegenstände (allerdings immer nur nach<br />

Einholen des Einverständnisses der zu Fotografierenden, und hier sei angeführt, dass sich<br />

einige dagegen verwehrten und das mussten wir respektieren). Letztlich werde ich mit dem<br />

gesammelten Material mein Studium beenden, mich somit also nicht zu sehr von anderen<br />

AnthropologInnen unterschieden, die ihre Daten für sich und ihre wissenschaftliche<br />

Karriere verwenden.<br />

Dennoch denke ich, einem einseitigen Prozess in den meisten Fällen entgegengewirkt zu<br />

haben. Zudem kam es nur ganz selten vor, dass ich nach einem Gespräch kein materielles<br />

Geschenk, keinen Tauschartikel als Dankeschön meinen InterviewpartnerInnen<br />

überreichte, und dies kam auch nur dann vor, wenn man mir zum Ausdruck brachte, dass<br />

man es <strong>auf</strong> keinen Fall erwartete und nicht annehmen würde. In anderen Fällen, und das<br />

waren die schönsten und beruhigendsten Momente der Feldforschung, bedankte nicht nur<br />

ich mich für das Gespräch und dass man sich für mich Zeit genommen hatte, sondern<br />

sprachen mir meine Gegenüber, noch bevor ich es tun konnte, ihren Dank darüber aus,<br />

dass sie über Dinge mit mir haben reden können, über die sie sich häufig Gedanken<br />

machen würden. Als besondere Ehre erschien mir der Dank, wenn mir nach dem Gespräch<br />

versicherte wurde, dass ich Bedürfnisse, Ideen und Konzepte zur Umsetzung wieder<br />

freigelegt hätte, die gedanklich zwar schon vorhanden gewesen waren, es aber teilweise<br />

bisher aus Motivationsmangel an ihrer Umsetzung gefehlt habe.<br />

Zur Selbstkritik abschließend meine ich, dass es sehr wichtig ist, sich darüber bewusst zu<br />

sein, welche Problematik hinter einer anthropologischen Forschung liegt, aber auch wie<br />

man diese überwinden kann – einerseits indem man sich selbst etwas zurücknimmt,<br />

andererseits aber hinter sich und seiner Tätigkeit steht. Ich denke, dass in diesem<br />

Zusammenhang vieles von dem ‚Wie’ abhängt und das kann ich als ProtagonistIn der<br />

eigenen Forschungen maßgeblich beeinflussen.<br />

2.2.4. Zur Darstellung der geführten Interviews und Gespräche<br />

Da ich einen Großteil der geführten Interviews und Gespräche nicht mit einem<br />

Aufnahmegerät festgehalten habe, sondern danach Gedächtnisprotokolle anfertigte, werde<br />

ich die Inhalte textlich einbauen, mich dabei <strong>auf</strong> die gesammelten Daten während der<br />

31


Methode und Arbeitsweise<br />

Feldforschung beziehen und nur sehr kurze mitgeschriebene Zitate <strong>auf</strong> Spanisch anfügen.<br />

Informationen, Darstellungen und Meinungen meiner GesprächspartnerInnen, die ich mit<br />

dem Aufnahmegerät festgehalten habe und die mir besonders wichtig erscheinen, werde<br />

ich in der Originalsprache Spanisch zitieren, wobei ich bei den Übersetzungen nach der<br />

Länge unterscheide: Handelt es sich um sehr kurze Zitate (weniger als eine Zeile), so<br />

schreibe ich die Übersetzung <strong>auf</strong> Deutsch in Klammern direkt dahinter, handelt es sich um<br />

längere Zitate, so sind diese mit Nummern versehen (Ü1, Ü2, Ü3 ...) und die<br />

Übersetzungen können im Anhang II nachgelesen werden. Ausnahmen bilden die<br />

Kurzzitate zu Beginn eines Großkapitels, auch diese sind im Anhang nachzuschlagen.<br />

Foto 1:<br />

Campamento turístico ‘Raudal de Danto’, am Río Cuao gelegen.<br />

32


Foto 2:<br />

Gesprächsrunde im Yanomamidorf<br />

Coromoto am Río Casiquiare.<br />

Foto 3:<br />

Erlernen der Yanomami-Aussprache<br />

mittels Aufnahmegerät; ebenfalls in<br />

der comunidad Coromoto.<br />

Methode und Arbeitsweise<br />

33


Foto 5:<br />

Einfallsreichtum in der Herstellung<br />

einer Kerosinlampe: Einmachglas,<br />

Socke, Bierdose und Kerosin.<br />

Methode und Arbeitsweise<br />

Foto 4:<br />

Radio-Kommunikation im Bongo.<br />

34


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

3. Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

„Los indígenas son gente como tú y yo,<br />

no son más puras ni son más salvajes“<br />

(Bernarda Escalante) Ü1<br />

Noch vor 500 Jahren war die Beantwortung der Frage zumindest <strong>auf</strong> dem<br />

lateinamerikanischen Kontinent eine eindeutige: es sind die ‚Ureinwohner’ Amerikas, die<br />

sich durch Sprache und Kultur von den ankommenden Europäern unterscheiden. Im Zuge<br />

der europäischen Expansion, ihrer Kolonisation und Eroberung der ‚Neuen Welt’ sowie<br />

durch Einführung des afrikanischen Sklavenhandels zu Beginn des 16. Jahrhunderts und<br />

<strong>auf</strong> Grund der staatlichen Einwanderungspolitik vor allem im 19. Jahrhundert, die die<br />

Immigration von Asiaten und wiederholt von Europäern vorsah, hat in Lateinamerika eine<br />

undurchsichtige Vermischung stattgefunden, die Müller (1995:76) dazu veranlasst, <strong>auf</strong><br />

diesem Kontinent von „vielschichtigen Assimilierungs- und Überlagerungsgesellschaften“<br />

zu sprechen. Dass diese Tatsache eine objektive ethnohistorische Rekonstruktion und<br />

Erfassung derjenigen Personen erschwert, die heute als ‚<strong>indigene</strong> Völker’ bezeichnet<br />

werden, liegt <strong>auf</strong> der Hand.<br />

3.1. Ethnos und Indianer – zur Frage der Konstituierung der<br />

Ethnologie<br />

Der Terminus des Ethnos oder der Ethnie 12 gehört zu den Basisbegriffen in der Ethnologie.<br />

Gleichzeitig bildete, wie bereits erwähnt, das Studium der ‚unterworfenen Völker’ – also<br />

der Bewohner von Las Indias – einen der ersten Inhalte anthropologischer Forschung. <strong>Die</strong><br />

anthropologische Disziplin entstand demnach zu Zeiten des Imperialismus, was Wolf<br />

(1991:39) auch dazu veranlasste, die Anthropologie als ein „Sproß des Imperialismus“ zu<br />

bezeichnen. In welchem Zusammenhang stehen Ethnos und Indianer und wie lassen sich<br />

die beiden Begriffe zueinander abgrenzen? Oder anders gefragt, was ist eigentlich das<br />

Forschungsobjekt der Ethnologie?<br />

12 Ich verwende die beiden Begriffe synonym.<br />

35


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Während Wernhart (1998:85-94) in seiner Auseinandersetzung mit dem Ethnosbegriff<br />

seine operable Verwendung betont, ohne eine Abgrenzung zum Begriff des ‚Indianischen’<br />

vorzunehmen, steht bei Mires (1992:16-23) die Schwierigkeit einer klaren Trennlinie<br />

zwischen beiden Termini im Vordergrund seiner Begriffsanalyse.<br />

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass es sich bei beiden um ein begriffliches<br />

Konstrukt handelt, wobei sich die Ethnie als wissenschaftliche und der Indianer als<br />

gesellschaftspolitische Erfindung bezeichnen lässt. Beide Kategorien sind also zunächst<br />

durch eine Klassifizierung von außen charakterisiert und haben demnach zugleich eine<br />

realitätsfremde, vereinfachende und homogenisierende Wirkung.<br />

Bonfil (zit. in Mires 1992:16) bezeichnet Ethnie als eine anwendbare Kategorie zur<br />

Identifizierung spezifischer sozio-kultureller Einheiten. <strong>Die</strong>se sehr weite Charakterisierung<br />

lässt sich mit Hilfe von Wernhart (1998:86f) konkretisieren. Für diesen Autor stellt Ethnos<br />

einen Rahmenbegriff dar, dessen demographische Variationsbreite er nicht eingrenzt, wenn<br />

er schreibt, dass der Begriff „von ganz kleinen Lokalgruppen bis hin zu großen<br />

Gemeinschaften reichen kann.“ (Wernhart 1998:87). Spezifische kulturelle<br />

Manifestationen oder Äußerungen, die allerdings nicht als statisch, sondern als<br />

veränderlich und prozesshaft <strong>auf</strong>zufassen sind, sind untrennbar mit der Ethnie verbunden.<br />

Der besagte Autor drückt sich diesbezüglich folgendermaßen aus:<br />

„Mensch und Kultur sind als eine Einheit anzusehen, und mehrere Menschen, die sich durch<br />

gleiche kulturelle Äußerungen zu einer Wir-Gruppe bekennen, sind als Ethnos zu bezeichnen.<br />

(...) Von einem Ganzen kann nicht gesprochen werden, da das Ethnos keine abgeschlossene<br />

Einheit darstellt, sondern mit anderen Gruppen (auch Ethnien) in Kontakt steht.“ (Wernhart<br />

1998:86).<br />

<strong>Die</strong> regional zentrale Kategorie ethnologischer Forschung in Südamerika wiederum ist<br />

nicht die Ethnie, sondern das von Steward und Faron geprägte Konzept der „sozio-<br />

linguistischen Gruppe“. Mit diesem Begriff werden Gruppen bezeichnet, die eine<br />

gemeinsame Sprache sprechen und ein soziales sowie kulturelles Gefüge miteinander<br />

teilen. Wesentlich beeinflusst wurde die Entstehung dieses Konzeptes durch das<br />

„Handbook of South American Indians“, in welchem Steward seine zentralen Thesen zu<br />

den Kulturregionen Südamerikas darlegte. So ist auch zu erklären, dass die spezifischen<br />

kulturellen Merkmale von sozio-linguistischen Gruppen durch ihre Zugehörigkeit zu einer<br />

Kulturregion oder einem kulturellen Typus definiert ist (Steward und Faron 1959:16-21).<br />

36


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Angeregt wurden Stewards Arbeiten von Alfred Kroeber als bedeutenden Vertreter des<br />

culture area approach in der Anthropologie. <strong>Die</strong>ser Ansatz sah das Erstellen von<br />

Kulturregionen vor, indem Kulturen in einem geographischen Kontext kategorisiert<br />

wurden. Kroebers Beitrag lag darin, <strong>auf</strong> den Zusammenhang von Subsistenzformen und<br />

Bevölkerungsdichte mit bestimmten Formen des ökologischen Habitats hinzuweisen<br />

(Harris 1968:374, 399-340).<br />

Ein weiterer, nicht unwichtiger Aspekt wieder im Zusammenhang mit der Entstehung des<br />

Konzeptes der Ethnie, ist seine biologische Komponente. <strong>Die</strong> enge Verbindung zu dem<br />

nicht mehr zeitgemäßen, weil historisch belasteten Wort der ‚Rasse’ ist eindeutig. <strong>Die</strong>s hat<br />

dazu geführt, dass die Ethnologie ihr eigenes Forschungsobjekt neu definieren musste, was<br />

man einerseits als wissenschaftliche Herausforderung <strong>auf</strong>fassen kann, andererseits wurde<br />

die Schwierigkeit der Präzisierung des Ethnoskonzeptes auch als Krise der Ethnologie<br />

bezeichnet, so z.B. von Mires (1991:20). Heute wird der Ethnosbegriff verstärkt in<br />

sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Kategorien gedacht.<br />

Was meine eigenen Erfahrungen mit dem Begriff während der Feldforschung anbelangt, so<br />

bezeichneten sich die Personen nie selber als etnia, sondern verwendeten diesen Ausdruck<br />

zur Abgrenzung gegenüber anderen ethnischen Gruppen (oder <strong>indigene</strong>n Völkern).<br />

Oftmals beobachtete ich im Feld auch eine synonyme Verwendung von Ethnie und<br />

Kultur 13 . <strong>Die</strong> selbstdeskriptive Bezeichnung – Piaroa, Baniva, Yekuana, etc. – nahm in<br />

allen Fällen eine Vorrangstellung ein. Sprachen meine InterviewpartnerInnen jedoch in<br />

Abgrenzung zur kreolischen Gesellschaft, dann fiel mir ein häufiger Rückbezug zu einer<br />

allgemein empfundenen Indigenität und somit zum Indianischen <strong>auf</strong> (vgl. Kapitel 5.2.).<br />

Der letzte Aspekt leitet uns zum Begriff des ‚Indianers’ oder dem der ‚<strong>indigene</strong>n Völker’<br />

über. Ebenso wie andere exonyme Ausdrücke, die in der Terminologie zur Bezeichnung<br />

der darunter verstandenen Bevölkerungsteile zur Auswahl stehen – Indios, Indígena,<br />

Aborígenes, Eingeborene, Ureinwohner, Naturvölker – hinterlässt auch dieser Begriff den<br />

falschen Eindruck, es gäbe nur eine Art Indianer, als würden sie alle eine homogene<br />

13 In Anlehnung an Sahlins verstehe ich Kultur grundsätzlich als ein Gefüge von Bedeutungen, das<br />

Mitglieder einer Gruppe teilen und sich somit von anderen Gruppen unterscheiden (vgl. Sahlins 1985). In<br />

Kapitel 6.1. setze ich mich intensiver mit anthropologischen Kulturkonzepten auseinander und in Kapitel 7.2.<br />

gehe ich genauer <strong>auf</strong> den Begriff der ‚eigenen Kultur’ ein.<br />

37


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Gruppe bilden (Rojas 1993:64). Dass dies eine unsachgemäße Vereinheitlichung darstellt,<br />

wird insbesondere deutlich, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass allein in<br />

Lateinamerika 400 verschiedene <strong>indigene</strong> Völker unterschieden werden, die zahlenmäßig,<br />

politisch, kulturell sowie von ihrer Sozialorganisation und ihrem Grad der Zugänglichkeit<br />

zur westlichen Gesellschaft (die ebenfalls ein begriffliches Konstrukt ist) äußerst<br />

unterschiedliche Merkmale <strong>auf</strong>weisen (Krotz 1993:20).<br />

Der Begriff ‚indigen’ findet heute seine Verwendung im soziologischen, politischen und<br />

auch rechtlichen Wortschatz und hat im L<strong>auf</strong>e der Geschichte eine deutliche Modifizierung<br />

erfahren: weg von der kolonialen Natur des von außen klassifizierenden Begriffes hin zum<br />

Gebrauch des Wortes im Sinne eines selbstbewussten und stolzen Auftretens der<br />

Betroffenen selbst im Kampf um ihre Rechte. Während Bonfil zu Beginn der 1970er<br />

Jahren in erster Linie <strong>auf</strong> die Kolonialbeziehung in Zusammenhang mit dem Konzept des<br />

‚Indio’ <strong>auf</strong>merksam machte und wiederholt el indio als el colonizado (den Kolonisierten)<br />

bezeichnete 14 (Mires 1992:16), konnte Stavenhagen 20 Jahre später die jüngsten<br />

<strong>Entwicklung</strong>en hinsichtlich der Begriffsanwendung in seine Analyse mit einbeziehen:<br />

„Von einem Wort mit diskriminierenden Nebenbedeutungen, das hauptsächlich als Stigma von<br />

den Vertretern der dominanten Gesellschaft verwendet wurde, hat es sich zu einem Begriff<br />

gewandelt, der kulturelle und soziologische Unterschiede anerkennt und auch bei zahlreichen<br />

Anlässen zu einer symbolischen Kampfansage für den Widerstand, die Verteidigung der<br />

Menschenrechte und die Veränderung der Gesellschaft geworden ist.” Stavenhagen (1994:22).<br />

Zusammenfassend komme ich zu dem Schluss, dass einerseits <strong>indigene</strong> Völker oder<br />

Indianer als Ethnien bezeichnet werden können, umgekehrt allerdings unter Ethnien nicht<br />

ausschließlich indianische Gruppen zu verstehen sind. <strong>Die</strong> Ethnie fungiert meines<br />

Erachtens als übergeordnete Kategorie vor allem im wissenschaftlichen Sprachgebrauch<br />

oder in Abgrenzung verschiedener Ethnien (oder Kulturen) untereinander, während die<br />

Bezeichnung des Indianischen sich eher <strong>auf</strong> etwas Konkretes, das es noch näher zu<br />

definieren gilt, bezieht und in Abgrenzung zu einer als national zu bezeichnenden<br />

Gesellschaft gebraucht wird. Der Frage nach dem Konkreten des Indianischen werde ich in<br />

den nächsten zwei Unterkapiteln nachgehen, wo es um seine Definitionsversuche geht.<br />

14 Hierbei sei angemerkt, dass sich Bonfil nicht nur <strong>auf</strong> den europäischen Kolonialismus bezieht, sondern<br />

insbesondere <strong>auf</strong> dessen Ablöse durch einen ‚internen Kolonialismus’, der die Situation der <strong>indigene</strong>n Völker<br />

in den unabhängigen Nationalstaaten bis in die Gegenwart kennzeichnet.<br />

38


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

3.2. Tendenzen in der Definition des ‚Indianischen’<br />

Nach Mires (1992:13-17) lassen sich drei konzeptuelle Annäherungen von dem<br />

‚Indianischen’ unterscheiden: Zum ersten handelt es sich dabei um die evolutionistische<br />

oder auch historische Tendenz, zum zweiten um die kulturalistische Annäherung und zum<br />

dritten um die strukturalistische Position.<br />

<strong>Die</strong> evolutionistische Tendenz sieht den Indianer ausschließlich als Nachkommen der<br />

präkolumbianischen Kulturen an; ein Argument, das, wie bereits dargelegt, gleichermaßen<br />

schwierig zu beweisen als auch zu widerlegen ist. Der dieser Tendenz innewohnende<br />

biologische und rassistische Ton zeigt sich vor allem dann, wenn die Indianer nur als<br />

Indianer in ihrer grundsätzlichen Ursprungsform anerkannt werden. Im Sinne einer derart<br />

verengten Sichtweise gäbe es nur sehr wenige Indígenas in Lateinamerika.<br />

<strong>Die</strong> kulturalistische Annäherung verbindet das Indigene mit bestimmten kulturellen und<br />

spirituellen Eigenheiten, die sich als verschieden bis gegensätzlich zu der westlichen<br />

Gesellschaft zeigen. Folglich wird der Indianer nur mehr als Gegensatz, als Negation des<br />

Westlichen verstanden. <strong>Die</strong> Schwierigkeit hierin ist allerdings zu definieren, was denn<br />

überhaupt das ‚Westliche’ ausmacht – ein Unterfangen, das bis heute die Philosophen<br />

beschäftigt. Gleichzeitig kann sich der kulturalistische Ansatz in seiner Verwendung<br />

großer Beliebtheit erfreuen; denn ganz besonders wirksam hat sich die kulturalistische<br />

Position in diversen <strong>Entwicklung</strong>stheorien gezeigt und zwar indem das Indianische als<br />

Symbol für das Nicht-Moderne, das Rückständige, das Archaische, das Unterentwickelte<br />

und das Exotische steht. <strong>Die</strong> kulturelle Andersartigkeit wird somit der <strong>Entwicklung</strong><br />

gegenübergestellt oder mit anderen Worten, in der kulturellen Andersartigkeit wird der<br />

Grund der Unterentwicklung anderen Völker gesehen.<br />

<strong>Die</strong> strukturalistische Position bezieht sich <strong>auf</strong> den Status der Indígenas, welchen sie in der<br />

vorherrschenden wirtschaftlichen und / oder sozialen Struktur einnehmen. Mit diesem<br />

Ansatz wird eine Reduzierung der Indianer hinsichtlich einer sie absolut bestimmenden<br />

Ausbeutungslage vorgenommen. <strong>Die</strong>ser Ansatz – wenn er auch richtigerweise dar<strong>auf</strong><br />

<strong>auf</strong>merksam macht, dass die Indígenas oft ausgebeutet wurden und werden – übersieht<br />

gleichzeitig ihre Vitalität, die sich nicht nur in dem Weiterbestehen ihrer comunidades<br />

zeigt, sondern sich vor allem an Hand ihrer Mobilisierung beweisen lässt.<br />

39


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Alle drei Definitionstendenzen sind in ihrer Ausschließlichkeit inkomplett und<br />

reduzierend. Von daher ist es wesentlich zielführender, die grundsätzlichen Elemente einer<br />

jeden Annäherung herauszunehmen und sie miteinander zu verbinden. Auf welche Weise<br />

dies geschehen kann und welcher zusätzlichen Komponenten es bedarf, dar<strong>auf</strong> werde ich<br />

nachstehend eingehen.<br />

3.3. Das Nicht-Vorhandensein einer formalen Definition<br />

Mit dem Erstarken der <strong>indigene</strong>n Bewegung seit etwa drei Jahrzehnten, stellt sich<br />

wiederholt die Frage, wer ihre ProtagonistInnen sind. Mehrere Definitionsversuche hat es<br />

bisher <strong>auf</strong> internationaler, vor allem <strong>auf</strong> UN-Ebene, gegeben (vgl. Stavenhagen 1988:135-<br />

138). Als eine wichtige Referenz wird immer wieder die sog. Martinez-Cobo-Studie des<br />

speziellen Berichterstatters der Vereinten Nationen, José Martinez Cobo, zitiert. <strong>Die</strong><br />

„Studie über das Problem der Diskriminierung <strong>indigene</strong>r Bevölkerungsgruppen” schlägt<br />

folgendes vor:<br />

„Son comunidades, pueblos y naciones indígenas los que, teniendo una continuidad histórica<br />

con las sociedades anteriores a la invasión y precoloniales que se desarrollaron en sus<br />

territorios, se consideran distintos de otros sectores de las sociedades que ahora prevalecen en<br />

esos territorios o en partes de ellos. Constituyen ahora sectores no dominantes de la sociedad y<br />

tienen la determinación de preservar, desarrollar y transmitir a futuras generaciones sus<br />

territorios ancestrales y su identidad étnica como base de su existencia continuada como<br />

pueblos, de acuerdo con sus propios patrones culturales, sus instituciones sociales y sus sistemas<br />

legales. […] Desde el punto de vista individual, se entiende por persona indígena toda persona<br />

que pertenece a esas poblaciones inígenas por autoidentificación como tal indígena (conciencia<br />

de grupo) y es reconocida y aceptada por esas poblaciones como uno de sus miembros<br />

(aceptación por el grupo). “ (Stavenhagen 1988:137f). Ü2<br />

Ähnliche Aspekte betont auch der World Council of Indigenous Peoples (WCIP). Der vom<br />

Weltrat Indigener Völker entwickelte Kriterienraster enthält folgende Elemente:<br />

1) Indigene Völker gelten als Nachkommen der ersten Bewohner eines Territoriums, die<br />

später von anderen unterworfen, kolonisiert und teilweise von ihren ursprünglichen<br />

Siedlungsräumen vertrieben wurden. 2) Sie weisen Restbestände einer eigenen Kultur<br />

einschließlich eigener Formen der politischen und sozialen Organisation <strong>auf</strong>. So verfügen<br />

sie über eine eigene Sprache, eigene religiöse Vorstellungen, eigene Weltbilder und<br />

Kosmovisionen. 3) Sie bilden nicht den dominanten Teil der heutigen Nationalstaaten und<br />

wurden in eine marginalisierte Position gedrängt. 4) Sie müssen sich selbst als indigen<br />

bezeichnen (vgl. Rathgeber 2002).<br />

40


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Neben dem historischen, kulturellen und strukturellen Kriterium erscheint mir das in<br />

beiden Definitionsversuchen zutage tretende Argument der Selbstidentifikation von<br />

besonderer Wichtigkeit. <strong>Die</strong> Bedeutung liegt darin, dass dieses Kriterium den betroffenen<br />

Personen die Möglichkeit bietet, das von außen klassifizierende Konstrukt für ihre eigenen<br />

Zwecke neu zu definieren und mit neuen Inhalten zu versehen, womit eine positive<br />

Neubewertung des Indianischen einhergeht. Umgesetzt wurde diese Klassifikation von<br />

innen in der <strong>indigene</strong>n Bewegung <strong>auf</strong> die ich in Verbindung mit dem indianismo noch<br />

näher eingehen werde.<br />

<strong>Die</strong> Übereinstimmung der Elemente in beiden Definitionsversuchen ist offensichtlich;<br />

dennoch gibt es <strong>auf</strong> internationaler Ebene keine formale Definition. <strong>Die</strong>s wiederum ist aus<br />

folgenden Gründen positiv zu beurteilen: Es bleibt eine gewisse Flexibilität und Offenheit<br />

in der Integration von neuen Aspekten vorhanden. Zudem entspricht dies auch der<br />

Meinung <strong>indigene</strong>r Organisationen. So bestätigt jedenfalls der World Council of<br />

Indigenous Peoples mit Hinblick <strong>auf</strong> „die künstlichen Definitionen” in einigen die<br />

Indígenas betreffenden Gesetze der Ländern wie Kanada, Queensland (Australien)..., dass<br />

das Recht zu bestimmen, wer eine <strong>indigene</strong> Person ist, den <strong>indigene</strong>n Völkern selbst<br />

vorbehalten bleiben soll (Stavenhagen 1988:138). Problematisch wird es aber dennoch und<br />

gerade bei der Anwendung von Rechten und Verfassungsbestimmungen eines Landes, die<br />

sich <strong>auf</strong> die <strong>indigene</strong>n Völker beziehen. Denn <strong>auf</strong> wen sollen sie sich beziehen, wenn nicht<br />

geklärt ist, wer ihre Nutznießer sind?<br />

In der vorliegenden Arbeit werde ich weiterhin unter Berücksichtigung obiger Aussagen<br />

und in dem Bewusstsein, dass die verschiedenen Wörter in den Ländern Lateinamerikas<br />

mit unterschiedlichen Konnotationen belastet sind, die Ausdrücke ‚indianisch / indigen’<br />

und ‚Indianer / Indio / Indígena’ synonym verwenden. Auf die Problematik rechtlicher<br />

Implikationen der Begriffe ‚Volk / Völker’ werde ich in Kapitel 7.3.1 eingehen, wenn es<br />

um die Forderungen und Rechte der <strong>indigene</strong>n Bewegung als Voraussetzung für eine<br />

selbstbestimmte <strong>Entwicklung</strong> <strong>indigene</strong>r Völker geht.<br />

41


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Foto 6:<br />

Haus in der Yanomami-comunidad Coromoto von innen. <strong>Die</strong> Mitglieder von<br />

Coromoto leben teilweise nicht mehr in ihrem traditionellen chabono, sondern in<br />

einem rechteckigen, mit Palmenblättern bedeckten Haus.<br />

Foto 7:<br />

Ein mittlerweile etwas verwittertes chabono, traditionelle offene Wohnstätte der<br />

Yanomami; Sommerlager der Mitglieder von Coromoto am Río Siapa gelegen.<br />

42


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Foto 8:<br />

Prozess der Herstellung von casabe (Maniokfladen), Grundnahrungsmittel der Indígenas<br />

in der Region des Oberen Orinoko; Piaroa-comunidad Boca de Autana.<br />

Foto 9:<br />

Trocknen der frisch gebackenen Maniokfladen <strong>auf</strong> dem Dach; ebenfalls in der<br />

comunidad Boca de Autana.<br />

43


Wer sind die <strong>indigene</strong>n Völker?<br />

Foto 10:<br />

Zubereitung von mañoco (geröstetes yucca-Mehl) in der Curripaco-comunidad<br />

Carisal.<br />

44


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

4. Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

„La política de asimilación quiso imponer la<br />

cultura dominante y eso fue el modelo que se nos<br />

vendió – el modelo de su mismo quedó el modelo<br />

que servía.” (Noelí Pocaterra) Ü3<br />

Der indigenismo als Ausdruck bestimmter <strong>auf</strong> die <strong>indigene</strong> Bevölkerung Lateinamerikas<br />

gerichteter Politiken (namentlich seit den 1940er Jahren) basiert <strong>auf</strong> einer Ideologie und<br />

einer Praxis, die die Sozialwissenschaften, insbesondere die Anthropologie zur Verfügung<br />

stellten. <strong>Die</strong> Interaktion zwischen der Tätigkeit einer angewandten Anthropologie und der<br />

indigenistischen Politik hatte ein klares Ziel vor Augen: die Integration der indianischen<br />

Gemeinschaften in den Nationalstaat. Darin wurde die Lösung der sozialen,<br />

wirtschaftlichen und politischen Probleme der Indianer gesehen. Provokanterweise lässt<br />

sich hierin ein fortgesetzter Missbrauch ethnographischen Wissens anklagen; Missbrauch<br />

deshalb, weil dieses Wissen nicht dazu beigetragen hat, die indianischen Gemeinschaften<br />

in ihrer Eigenständigkeit zu unterstützen und die freie Ausübung ihrer Kultur zu<br />

gewährleisten, sondern zu einer vielfachen Auslöschung spezifisch kultureller, sozialer,<br />

politischer und wirtschaftlicher Charakteristika der <strong>indigene</strong>n Völker geführt hat.<br />

<strong>Die</strong> Ursprünge der lateinamerikanischen indigenistischen Politik liegen geschichtlich sehr<br />

weit zurück und lassen sich bis in die Zeit nach der Unabhängigkeit von der spanischen<br />

Krone verfolgen. Bedenkt man allerdings wie Romero (1994:33), „daß die heutigen<br />

hispano-amerikanischen Gesellschaften zutiefst von der sozialen <strong>Entwicklung</strong> zwischen<br />

1492 und 1825 geprägt sind“ und ist man versucht, die gegenwärtige indianische<br />

Bewegung in ihrer Ablehnung gegenüber dem indigenismo historisch herzuleiten, dann ist<br />

es unablässig, sich einen geschichtlichen Überblick über die Situation der <strong>indigene</strong>n<br />

Völker in Lateinamerika seit der ‚Entdeckung der Neuen Welt’ zu verschaffen.<br />

45


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

4.1. Zur Situation der <strong>indigene</strong>n Völker in Lateinamerika – ein<br />

historischer Abriss<br />

Seit Ankunft der Conquistadoren <strong>auf</strong> dem lateinamerikanischen Kontinent lassen sich grob<br />

drei große politische Rahmenbedingungen unterscheiden, die jeweils und ganz spezifisch<br />

die Situation der <strong>indigene</strong>n Völker determiniert haben: das Kolonialsystem, die<br />

Nationalstaaten und die aktuellen <strong>Entwicklung</strong>en hin zu einem multiethnischen und<br />

plurikulturellen Staat. Gerade in Hinblick <strong>auf</strong> Polemisierungen im aktuellen Prozess der<br />

Anerkennung von Rechten indianischer Völker <strong>auf</strong> nationaler Ebene in Lateinamerika, die<br />

sich als gegensätzlich zu einer indigenistischen Politik zeigen, ist es wichtig, sich einige<br />

historische Begebenheiten zu vergegenwärtigen. Nur dann ist es möglich, kritischen<br />

Argumenten entgegen zu treten und ihnen ihre Grundlage zu entziehen, um eine<br />

differenziertere Sichtweise des aktuellen gewaltlosen Kampfes <strong>indigene</strong>r Völker zu<br />

bekommen.<br />

4.1.1. Vielfalt in der Kolonialzeit<br />

Es besteht kein Zweifel, dass sich seit der Invasion der Europäer <strong>auf</strong> dem amerikanischen<br />

Kontinent im Jahre 1492 das Leben der dort lebenden Bevölkerung von Grund <strong>auf</strong><br />

verändert hat. Der Bemächtigungstrieb der Conquistadoren, ihr Wunsch nach Bereicherung<br />

sowie ihre Vorstellung eines Indianers geben Aufschluss über die Motivation des<br />

Verhaltens der Spanier (und Portugiesen) in der ‚Neuen Welt’.<br />

Ohne aber über die vielfachen und diskriminierenden Vernichtungs-, Zwangs- und<br />

Ausbeutungsmechanismen (Genozid, Encomienda-System, tributo indígena,<br />

Missionierung) hinweg zu sehen, lässt sich konstatieren, dass sich unter der spanischen<br />

Krone und den später eingeführten Schutzmaßnahmen ein System erhalten konnte, „das –<br />

zumindest theoretisch gesehen – die innere Struktur der indianischen Gemeinschaften nicht<br />

<strong>auf</strong>gebrochen hatte“. (Kuppe 1998:121). So verfügten die Indianergemeinschaften<br />

vielerorts über die Kontrolle eines kommunalen Bodenbesitzes, sog. resguardos und<br />

sprachen in weiten Teilen des Kontinents ihre indianischen Sprachen.<br />

Das spanische Gesetz sah weiters vor, dass die Indianer in eigenen Dörfern wohnen<br />

sollten, getrennt also von der weißen und der sich bildenden mestizischen Bevölkerung.<br />

46


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

Zugleich unterwarf man sie jedoch damit einem von außen bestimmten und durch die<br />

spanischen Behörden kontrollierten Verwaltungsnetz (Romero 1994:37).<br />

Auf juristischer Ebene galt das derecho indiano – das in Las Indias geltende Recht –,<br />

welches ihnen zwar einerseits ein eigenes Rechtssystem zugestand, das andererseits<br />

allerdings nicht der monarchisch-katholischen Ordnung widersprechen durfte.<br />

Auf politischer Ebene lebten die Indianer unter den eigenen politischen Autoritäten, die<br />

von den Spaniern anerkannt wurden, weiter. In diesem Kontext nahm die indianische<br />

Bevölkerung einen eigenen Status als ‚Indio’ ein, welcher sich neben dem der spanischen<br />

Conquistadoren behaupten konnte. Voraussetzung dafür war jedoch die (zwangsweise)<br />

Anerkennung der spanischen Oberherrschaft, wollten die indianischen Gemeinschaften<br />

nicht als „<strong>auf</strong>sässige Untertanen“ <strong>auf</strong>fallen (Kuppe 1998:121; Kuppe 1994b:80f).<br />

<strong>Die</strong> kolonialen Rahmenbedingungen lassen sich also zusammenfassend als ein System<br />

beschreiben, das einerseits verschiedene, gewissermaßen autonome Organisationsformen<br />

nebeneinander existieren ließ (womit ein gewisser politischer Pluralismus und eine Vielfalt<br />

an Lebensformen zugelassen wurde), andererseits basierte aber die koloniale Ideologie von<br />

Beginn an <strong>auf</strong> einer diskriminierenden-rassistischen Überzeugung, die den Indianer als<br />

einen den Europäern untergeordneten Menschen ansah.<br />

4.1.2. Der Nationalstaat und die nationale Kultur<br />

Mit dem Status unabhängiger Länder sahen sich die neuen weißen Eliten Lateinamerikas –<br />

die Träger und Gewinner der Unabhängigkeit – konfrontiert mit pluralistischen sozio- und<br />

ethnisch-kulturellen Gesellschaften. Zur Legitimierung ihrer Macht brauchten sie<br />

stattdessen eine einheitliche Nation, ein einheitliches Volk, in dessen Namen sie sprechen,<br />

agieren und nach außen <strong>auf</strong>treten konnten und in deren Namen es ihnen möglich war, eine<br />

eigene, neue Ordnung herzustellen (Stavenhagen 1988:26). <strong>Die</strong> Proklamation der<br />

einheitlichen Nation als erste Priorität der politischen Agitation beeinträchtigte die Lage<br />

der Indígenas in den neuen Staaten besonders. Bis Ende des 20. Jahrhunderts lag die<br />

Diskriminierung ihrer Andersartigkeit in einem engen Zusammenhang mit diesem<br />

Einheitsgedanken. Hinzu kam eine liberale und positivistische Ideologie, in der das<br />

indianische Element nicht nur als wertlos, sondern zudem als ein Hindernis oder gar als<br />

47


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

Bedrohung im Prozess der <strong>Entwicklung</strong> hin zu einer modernen, nationalen und zivilisierten<br />

Kultur gesehen wurde (Stavenhagen 1988:28f).<br />

Alle BewohnerInnen der neuen Staaten wurden grundsätzlich zu ciudadanos<br />

(BürgerInnenn) erklärt; so wurde also auch den indianischen Gemeinschaften die<br />

rechtliche Gleichheit zugebilligt und es folgte eine offizielle Abschaffung der indianischen<br />

Rechtssysteme. <strong>Die</strong> Indios fanden entsprechend auch keine Erwähnung eines eigenen<br />

Status in den unabhängigen Verfassungen vor. Der erste Schritt ihrer Integration im Sinne<br />

einer Assimilation unter die jeweils nationale Gesellschaft war vollzogen. Ihre<br />

minderwertige wirtschaftliche Situation, die Diskriminierung und ihre politische<br />

Untergebenheit in der Nationalgesellschaft verhinderte allerdings die Teilnahme der<br />

Indígenas an den politischen und zivilen Freiheiten, die ihnen als gleiche BürgerInnen<br />

eigentlich zugestanden wäre (Stavenhagen 1988:23).<br />

Daneben bezog sich eine der wichtigsten rechtlich-politischen Fragen <strong>auf</strong> die aus der<br />

Kolonialzeit stammenden Landtitel, welche ihre Lösung in der Aufhebung der<br />

Kommunallandtitel fand. Argumentiert wurde diese Entscheidung mit der Unvereinbarkeit<br />

des neuen Status der Indígenas als vollwertige und gleiche BürgerInnen der Republiken<br />

mit den resguardos. <strong>Die</strong>se liberal-ideologische Privatisierung des Kommunallandes zur<br />

Schaffung von individuellen Landrechten „hatte für zahllose indianische Gemeinschaften<br />

in Lateinamerika vernichtende Folgen“ (Kuppe 1998:123). Eigentlich hätte das Land unter<br />

den Mitgliedern der ehemaligen resguardos <strong>auf</strong>geteilt werden sollen, doch zum einen<br />

erhielten die wenigsten Indianer einen offiziellen Landtitel und zum anderen wurden<br />

alsbald große Teile der Länder zu tierras baldías erklärt, Land „über welches niemals<br />

formelle Verfügung zur Begründung privater Rechte vorgenommen wurde. [Es] gilt als<br />

Staatsland, und seine Verwaltung kommt [...] ‚der Nation’ zu.“ (Kuppe 1994a:87; Bonfil<br />

1975:19).<br />

4.1.3. Missionierung als Zivilisierungsinstrument<br />

Mit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich erstmals etwas heraus, das sich als<br />

konkrete Indianerpolitik bezeichnen lässt. <strong>Die</strong>se sah neben der Fortführung von Genozid<br />

die Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols vor. Zu jener Zeit wurden die religiösen<br />

Missionen zu staatlichen Institutionen eines legalisierten Ethnozids. In dieser<br />

48


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

pragmatischen Haltung wird den Indígenas zugestanden, physisch zu überleben bei<br />

gleichzeitiger Verneinung ihres sozio-kulturellen Überlebens.<br />

In den Missionen wurde diese grundsätzlich ethnozide Politik der Integration als<br />

Assimilation entweder <strong>auf</strong> Grund der Missachtung der indianischen Kulturen oder in dem<br />

Glauben an eine unausweichliche, aber totale Dekulturation am deutlichsten betrieben<br />

(Mosonyi 1975:46f). <strong>Die</strong> Aufgabe der lateinamerikanischen Staaten in der aktiven<br />

Assimilisierungspolitik lag nun in der Schaffung von gesetzlichen Grundlagen, um die<br />

Eigenständigkeit der <strong>indigene</strong>n Völker zu beenden und die spirituelle Welt der Indianer zu<br />

verändern, d.h. durch westlich-kreolische Werte zu ersetzen. Deshalb wurde die<br />

Unterwerfung der Indianer unter eigene Institutionen zu einer im Sinne der<br />

lateinamerikanischen Staaten notwendigen politischen Maßnahme. Den Missionsstationen<br />

wurde gesetzlich vorgeschrieben, die Lebensweise der Indígena zu modifizieren, sie zu<br />

„zähmen und einem bürgerlichen Leben zuzuführen“ (vgl. venezolanisches<br />

Missionsgesetz, 1915 zit. in Kuppe 1998:125). Zur Erreichung dieses Ziels wurden die<br />

indianischen Sprachen verboten, indianische Kinder aus ihrem kulturellen Umfeld<br />

herausgerissen und über Jahre hinweg in Internatsschulen gesperrt. Weiters erfuhr das<br />

Schulsystem eine Ausweitung, um die Kinder „zu ‚richtigen’ [...] Bürger[n] zu machen“<br />

(Kuppe 1998:125). Somit konnte die Wissenstradierung der indianischen sozialen,<br />

kulturellen, wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Werte, Regeln und Systeme (bis<br />

zu einem gewissen Grad) ‚erfolgreich’ unterbunden werden (Jiménez 1975:31f).<br />

4.2. Der klassische indigenismo – Integration durch Assimilation<br />

<strong>Die</strong>se zuvor vorgestellte Idee der Integration mündete ab den 30/40er Jahren des 20.<br />

Jahrhunderts in eine umfassende Ideologie mit theoretischer Legitimierung, welche als<br />

indigenismo in der Wissenschaft Eingang gefunden hat und dessen Politiken als<br />

assimilatorisch, paternalistisch und weiterhin als ethnozid bezeichnet werden müssen<br />

(Stavenhagen 1988:105).<br />

Ausgangspunkt war das sog. problema indígena, welches nach Stavenhagen (1988:105-<br />

107) zwei Aspekte beinhaltet: Zum einen wurde erkannt, dass die indianischen Völker<br />

extremer Armut ausgesetzt und Opfer von Ausbeutung und Unterdrückung waren. Statt<br />

aber den Grund dafür im sozioökonomischen System zu suchen, war die mestizische<br />

49


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

Bevölkerung und Elite davon überzeugt, dass das Problem in den kulturellen<br />

Charakteristika der Indígenas selbst lag. So beinhaltete die Theorie der Integration eine<br />

bewusste Homogenisierung, welche <strong>auf</strong> Mestizaje, Bilingualität, Reichtum, Macht und<br />

einer Akkulturation im Sinne einer (Rück-)gabe von Würde ausgerichtet war. Zum zweiten<br />

sah man weiterhin in der Vielfalt der <strong>indigene</strong>n Völker mit ihren verschiedenen Sprachen<br />

und Kulturen ein Hindernis für eine nationale Einheit in den lateinamerikanischen Ländern<br />

sowie eine Gefahr für Fortschritt und <strong>Entwicklung</strong> einer Nation als Ganzes.<br />

<strong>Die</strong> Anfänge des kontinentalen Indigenismus lassen sich an Hand mehrerer<br />

interamerikanischer Konferenzen und Kongresse ab 1918 zurückverfolgen (vgl.<br />

Stavenhagen 1988:106f). Der wohl wichtigste Kongress in diesem Zusammenhang war der<br />

erste Congreso Indigenista Interamericano, der im April 1940 in Pátzcuaro, Mexiko,<br />

stattfand und dem seither alle vier bis fünf Jahre ein weiterer folgte. Auf diesem Kongress<br />

wurden die Grundlagen einer kontinentalen indigenistischen Politik festgelegt. Inhaltlich<br />

sah diese vor allem den Respekt gegenüber den Indianern, ihrer Kultur und ihren Werten,<br />

die Zurückweisung aller Gesetze gegen Diskriminierung und Rassismus sowie ein<br />

Erziehungssystem zur Vermittlung westlicher Werte und Technologien vor, ohne das<br />

letzteres den Indígena <strong>auf</strong>gezwängt werden sollte (Stavenhagen 1988:107). Aus heutiger<br />

Sicht wirken die verschiedenen Aspekte der klassischen indigenistischen Politik<br />

unvereinbar: einerseits sollten die Indianer und ihre Lebensweise respektiert werden und<br />

man wollte ihnen helfen, ihre Lebenssituation zu verbessern, andererseits sah man als<br />

einzige mögliche Hilfe die Adaption der Indígenas an das westliche (Werte-) System, was<br />

wiederum einer ehrlichen Respekthaltung ihnen gegenüber widerspricht.<br />

Ebenfalls in Pátzcuaro wurde die Gründung des Instituto Indigenista Interamericano (I.I.I.)<br />

beschieden, welches die Aufgabe übertragen bekam, als Exekutivorgan die Resolutionen<br />

der Kongresse auszuführen, der indigenistischen Politik im gesamten Kontinent eine<br />

Orientierung zu geben und die indigenistische Politik zu koordinieren (vgl. Stavenhagen<br />

1988:115-117).<br />

Es folgte weiters die Einrichtung von staatlichen Stellen, den Institutos Indigenistas<br />

Nacionales zur politischen Durchsetzung der indigenistischen Ideologie in den einzelnen<br />

lateinamerikanischen Ländern. Darunter fielen bilinguale Erziehungsstellen, in denen die<br />

Lehre der spanische Sprache als Mittel der Integration galt und Koordinationszentren<br />

50


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

direkt in den indianischen Siedlungsgebieten, in welchen die so bezeichneten<br />

Kulturpromotoren die Indigenen von den Werten der nicht-indianischen Gesellschaft<br />

überzeugen sollten (Stavenhagen 1988:117f).<br />

4.2.1. Aktionsfelder indigenistischer Politik<br />

Wertfrei betrachtet, lässt sich der Indigenismus als eine Strategie bezeichnen, welche die<br />

lateinamerikanischen Staaten entwickelt haben, um die Beziehung mit den indianischen<br />

Völkern in pluriethnischen und multinationalen Gesellschaften zu organisieren. Als eine<br />

solche Beziehungsstrategie unterlagen ihre Inhalte im L<strong>auf</strong>e der Zeit jedoch starken<br />

Veränderungen: Von der Überzeugung der notwendigen und möglichen vollständigen<br />

Inkorporation der <strong>indigene</strong>n Völker in die Nationalgesellschaften über die Anerkennung<br />

der Bedeutung der eigenen indianischen Identität und die Kontakt<strong>auf</strong>nahme zu <strong>indigene</strong>n<br />

Organisationen bis hin zur Unterstützung von Formen eines etnodesarrollo, welche <strong>auf</strong> den<br />

eigenen technologischen und organisatorischen Möglichkeiten basieren (Quintanilla<br />

1990:19f). An dieser Stelle sei allerdings erwähnt, dass der indigenismo hauptsächlich<br />

seine Spuren im ersten Stadium nach der offiziellen Gründung in Pátzcuaro hinterlassen<br />

hat und es deswegen sehr schwer sein wird, das Menetekel der Assimilationsausrichtung<br />

von sich zu streifen.<br />

Es lassen sich grob vier <strong>auf</strong>einander folgende Interventionsbereiche des kontinentalen<br />

offiziellen Indigenismus unterscheiden: die ersten Handlungen betrafen das Feld der<br />

<strong>indigene</strong>n Erziehung (Schulbildung); dar<strong>auf</strong> folgte als Modernisierungs- und<br />

Integrationsmechanismus die Strategie der <strong>Entwicklung</strong> der comunidad; nach dessen<br />

Scheitern ging es um die Reaktivierung traditioneller Technologien und um die Suche nach<br />

alternativen Modellen einer endogenen <strong>Entwicklung</strong> und schließlich erweiterte sich das<br />

Betätigungsfeld des Instituto Indigenista Interamericano <strong>auf</strong> die Bereiche der<br />

Menschenrechte, der Autonomie und der Selbstbestimmung <strong>indigene</strong>r Völker (Quintanilla<br />

1990:20).<br />

4.2.1.1. <strong>Die</strong> educación indígena<br />

Überzeugt davon, dass über die Schulbildung der indianischen Bevölkerung <strong>auf</strong><br />

effizienteste Weise die Distanz hinsichtlich der Gewohnheiten und des Wissens verringert,<br />

51


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

wenn nicht gar <strong>auf</strong>gehoben werden könnte, markiert dieses Integrationsmittel vor allem die<br />

Zeitspanne zwischen 1940 bis 1955 und stellt gleichzeitig das erste Agitationsfeld<br />

indigenistischer Politik dar.<br />

Um der großen Diskrepanz zwischen dem <strong>auf</strong> das Jahr verteilten ungeregelten und<br />

zerstreuten Leben der Indígenas und dem zentralisierten, strikt kalendarisierten Schulalltag<br />

entgegenzuwirken, wurden drei verschiedene Lösungen gefunden und umgesetzt:<br />

� die Errichtung von indianischen Internaten durch vor allem katholische Missionen.<br />

� die Bildung von eigenen Dörfern, in denen die Indianer zusammengebracht und erzogen<br />

werden sollten – eine Praxis, die hauptsächlich von protestantischen Missionen<br />

durchgeführt wurde und <strong>auf</strong> das historische Vorbild der reducciones zurück zu führen<br />

sind. Missionsgeschichtlich handelt es sich hierbei um für Indianer reservierte<br />

Siedlungen, in welchen diese konzentriert und missioniert wurden.<br />

� die <strong>Entwicklung</strong> der escuela rural (Landschule) als alternatives Bildungssystem,<br />

welches vorsah, die Lernbedingungen an das Leben vor Ort anzupassen.<br />

Ausschließlich letzteres eröffnete interessante Erfahrungen und Möglichkeiten im<br />

<strong>indigene</strong>n Bildungsbereich, wie z.B. Fernunterricht über Radio und die Produktion von<br />

entsprechenden (Lehr-) Texten.<br />

<strong>Die</strong> indigenistischen Bildungsprozesse waren anfangs ausschließlich und im<br />

umfassendsten Sinne des Wortes <strong>auf</strong> die Hispanisierung ausgerichtet; das Erlernen der<br />

spanischen Sprache wurde als das natürliche Mittel zur Veränderung der indianischen<br />

Kulturen und zur Integration in die nationale Gesellschaft angesehen (Quintanilla 1990:21-<br />

23). Ganz im Gegensatz dazu stehen die jüngsten <strong>Entwicklung</strong>en und Forderungen nach<br />

Bildung für die Indígenas, die sich <strong>auf</strong> das Hauptanliegen – weg von der Hispanisierung<br />

hin zur ethnosensitiven zweisprachigen Erziehung – zusammenfassen lassen. In diesem<br />

Kontext sind auch die großen Hoffnungen, die die venezolanischen Indígenas in das sich<br />

im Aufbau befindliche interkulturelle bilinguale Bildungssystem haben, zu sehen. Doch<br />

dazu später.<br />

52


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

4.2.1.2. <strong>Die</strong> Strategie der <strong>Entwicklung</strong> der comunidad<br />

<strong>Die</strong> Zeit zwischen 1955 und 1975 ist charakterisiert von der Überzeugung, dass die<br />

Ersetzung traditioneller Praktiken durch die Einführung neuer, innovativer und<br />

effizienterer Technologien und Formen im Produktions- und Organisationsbereich der<br />

indianischen Dörfer ihre <strong>Entwicklung</strong> fördert und <strong>auf</strong> diese Weise das problema indígena<br />

überwunden werden könnte.<br />

Das Erkennen, dass die Ursache in der <strong>indigene</strong>n Problematik materiellen Ursprungs ist<br />

und somit nicht rein kulturell begründbar ist, stellt einen wichtigen Schritt im<br />

indigenistischen Denken dar. Dennoch birgt auch diese Sichtweise negative Vorurteile in<br />

sich und zwar die Unkenntnis über das kulturelle Potenzial der <strong>indigene</strong>n Völker, die<br />

Unterbewertung ihrer hochgradig an die Umwelt angepassten technischen Lösungen und<br />

die Abwertung ihrer gemeinnützigen Formen der Wirtschafts- und Sozialorganisation.<br />

<strong>Die</strong> hier vorgestellte Strategie ist Beispiel einer unilateralen Sicht von <strong>Entwicklung</strong> und hat<br />

in der Folge die Aufgabe einiger wichtiger traditioneller Praktiken provoziert.<br />

Anerkennung sollten allerdings andere Resultate dieser Strategie finden und zwar in den<br />

Bereichen Gesundheit, Kinderernährung sowie der Einführung neuer Pflanzenkulturen und<br />

gewisser Techniken zur Zucht von Tieren (Quintanilla 1990:25f).<br />

In diese Periode indigenistischer Politik fällt auch die Verabschiedung von<br />

Agrarreformgesetzen in fast allen lateinamerikanischen Ländern. Durch die ab den 1960er<br />

Jahren durchgeführten Agrarreformen erfolgte ein „neuer Schub zur Integration“ der<br />

Indigenen (Kuppe 1998:126). Allgemein gesprochen kann man in dieser Zeit die<br />

Indianerpolitik als Agrarpolitik bezeichnen, in der die Indígenas als campesinos<br />

(Bauerngesellschaften) angesehen und auch als solche behandelt wurden.<br />

<strong>Die</strong> Agrarreformen sahen inhaltlich die Vergabe von Landtitel an Einzelpersonen oder an<br />

sog. Agrarkooperativen vor, womit diese die Eigenschaften eines Eigentümers mit allen<br />

dazugehörigen zivilrechtlichen Merkmalen übernahmen. <strong>Die</strong>ser Grundsatz wurde nun auch<br />

<strong>auf</strong> die <strong>indigene</strong>n Völker übertragen. Der Eigentumsbegriff im Sinne dieser indianischen<br />

Landtitel berücksichtigte allerdings nicht die komplexe Beziehung, die die indianischen<br />

Völker zu ihrem Land haben, womit auch der als einheitlich verstandenen Umwelt nicht<br />

entsprochen wurde. Stattdessen sahen die Agrarreformgesetze ausschließlich die<br />

53


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

produktive Nutzung des Landes vor, womit eine Vergabe von Landtitel an indianische<br />

Gruppen <strong>auf</strong> Ländereien, die nicht landwirtschaftlich produktiv im Sinne des Staates<br />

genutzt wurden, ausgeschlossen waren. Folglich wurde das geographisch<br />

zusammenhängende Land der Indígenas in kleine, isolierte Landparzellen <strong>auf</strong>gesplittert.<br />

<strong>Die</strong> Ländereien, die zur traditionellen Landnutzung, für Jagd- und Sammeltätigkeit oder<br />

zum kulturellen Erbe der Indígena gehörten, fielen nicht in diese Kategorie und behielten<br />

ihren Status als tierras baldías (Kuppe 1998:126f).<br />

4.2.1.3. Traditionelle Technologien und alternative <strong>Entwicklung</strong>smodelle<br />

Nach dem Ende der Agrarreformprozesse wurde offensichtlich, dass weder die<br />

Reorganisation des Landbesitzes noch die Kolonisierung neuer Ländereien noch die<br />

willkürliche Einführung neuer Technologien die Probleme der Indígenas gelöst haben –<br />

ganz im Gegenteil. Zu dieser Zeit fingen die <strong>indigene</strong>n Völker an, ihre eigenen<br />

landwirtschaftlichen Praktiken und Organisationsformen neu zu bewerten und sie nun als<br />

Alternativen zu den modernen Mitteln (wieder) einzusetzen. <strong>Die</strong> alte<br />

Gemeinschaftsstruktur, die von Solidarität und Reziprozität gekennzeichnet war, erfuhr<br />

ebenfalls eine Wiederbelebung.<br />

Ab 1975 veränderte sich auch die assimilatorisch-paternalistische Ausrichtung des<br />

klassischen indigenismo und es wurde zögerlich eine neue Epoche indigenistischer Politik<br />

eingeleitet, in der neue Theorien und Methoden zumindest schriftlich in die Politik des<br />

Instituto Indigenista Interamericano. integriert wurden (vgl. auch Fernández 2002:9).<br />

Beispielsweise waren <strong>auf</strong> dem VIII Interamerikanischen Indigenistenkongress<br />

RepräsentantInnen <strong>indigene</strong>r Organisationen geladen, was als Ausdruck der Veränderung<br />

in der grundlegenden Orientierung des Instituts interpretiert werde kann.<br />

<strong>Die</strong> Persistenz der ursprünglichen Aktivitäten und der traditionellen Produktionsmittel<br />

trotz sämtlicher Versuche, bewusst oder unbewusst, sie auszulöschen, ist Beweis für die<br />

starke Widerstandskapazität der <strong>indigene</strong>n Völker. Es liegt in der Art und Weise<br />

begründet, wie die Arbeitsweisen von Generation zu Generation tradiert, jedes mal weiter<br />

verbessert und den aktuellen Begebenheiten angepasst wurden, und dies trotz des hohen<br />

Grades an Ausbeutung, dem die Indios unterlegen waren. Ab dem VIII<br />

Interamerikanischen Indigenistenkongress beteiligte sich auch das Instituto Indigenista<br />

54


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

Interamericano daran, eine Serie von Treffen, Seminaren und Workshops voranzutreiben.<br />

Von Mal zu Mal, wenn sich die <strong>indigene</strong>n Promotoren trafen, um ihre Erfahrungen <strong>auf</strong><br />

diesem Gebiet zu teilen, wurde deutlicher, dass sich die Möglichkeit einer<br />

Selbstbefähigung und einer Wiederanpassung der eigenen Systeme hoher Akzeptanz- und<br />

Beliebtheitswerten unter den <strong>indigene</strong>n comunidades erfreute (Quintanilla 1990:27-29).<br />

Es fiel in diese Zeit, dass es gedanklich möglich wurde, sich ein neues integrales Konzept<br />

zur <strong>Entwicklung</strong> der <strong>indigene</strong>n Dörfer vorzustellen, welches mit den homogenisierenden<br />

Modellen von <strong>Entwicklung</strong> brechen, der kulturellen Diversität Rechnung tragen und als<br />

Projekt für eine gerechtere Zukunft herhalten sollte. Es handelt sich um das Konzept von<br />

etnodesarrollo, <strong>auf</strong> welches ich in Kapital 7.1. detaillierter eingehen werde.<br />

4.2.1.4. Der indianistische indigenismo<br />

<strong>Die</strong> jüngste thematische Richtung des Indigenismus nähert sich <strong>auf</strong> beträchtliche Weise<br />

den Inhalten der <strong>indigene</strong>n Bewegung an, in denen es um ihre Forderungen nach eigenen<br />

Rechten, um Autonomie und Selbstbestimmung, um Menschenrechte und um eine<br />

Gesellschaft geht, die gegen Diskriminierung und für den sozio-kulturellen Frieden eintritt.<br />

Auf dieser Ebene spielt nicht mehr der indigenismo die Hauptrolle, die Protagonisten im<br />

indianismo sind die <strong>indigene</strong>n Völker selbst und mit ihnen alle ihre Verbündeten<br />

(Quintanilla 1990:29f).<br />

55


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

Foto 11:<br />

Guahibo-Dorf südlich von Puerto Ayacucho. Hinter den von der Regierung <strong>auf</strong>gestellten<br />

Fertighäusern stehen die Wohnstätten aus Palmen, in denen üblicherweise weiterhin<br />

geschlafen, gekocht und gegessen wird.<br />

Foto 12:<br />

Flussansicht der Yekuana-comunidad Acanaña, am Río Cunucunuma gelegen.<br />

56


Indigenismo – Aufstieg und Fall einer Indianerpolitik<br />

Foto 14:<br />

Yanomami-Frau mit Hemd zum Schutz<br />

gegen die Moskitos bekleidet; sie flechtet<br />

gerade aus dünnen Palmenblättern einen<br />

Fächer zum Wenden von casabe.<br />

Foto 13:<br />

Junges Yanomami-Mädchen, das gerade<br />

vom Abwaschen der Töpfe zurück kommt.<br />

57


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

5. Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste<br />

Herausforderung<br />

„Según la escala de los criollos somos los pobres<br />

dentro de los más pobres, pero según la escala de<br />

nostros, los indígeans somos muy ricos.“<br />

(Gladys González de Rodriguez) Ü4<br />

Seit etwa drei Jahrzehnten gerät also die klassische indigenistische Haltung, dessen<br />

vorrangigstes Ziel Bonfil 1970 schonungslos als „lograr la desaparición del indio“ („das<br />

Verschwinden des Indio erreichen“) bezeichnete, zunehmend unter Druck (Bonfil 1970:43<br />

zit. in Franch 1990a:11). Der Grund dafür liegt in der Mobilisierung <strong>indigene</strong>r Völker zum<br />

Kampf um ihre kollektiven, politischen, juristischen, kulturellen und wirtschaftlichen<br />

Rechte zur Etablierung von Rahmenbedingungen für eine selbstbestimmte <strong>Entwicklung</strong><br />

indianischer comunidades. <strong>Die</strong> Betonung der vor allem in den letzten Jahren an Stärke<br />

gewonnenen <strong>indigene</strong>n Bewegung soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es<br />

indianischen Widerstand seit Beginn kolonialer Expansion gegeben hat 15 , dessen Beweis<br />

die bloße aktuelle Existenz der <strong>indigene</strong>n Völker und somit die kulturelle Diversität <strong>auf</strong><br />

dem lateinamerikanischen Kontinent ist. Bei der gegenwärtigen Selbstorganisation der<br />

Indígenas handelt es sich allerdings – um mit den Worten Halbmayers (1994:111) zu<br />

sprechen – „um eine Form des Widerstandes, die sich als Aneignung moderner Formen des<br />

politischen Lebens verstehen läßt.“<br />

5.1. Eine Ideologie von Indianern für Indianer<br />

Es würde wohl niemand leugnen, dass gegenwärtig die Hauptträger des Indianismus die<br />

<strong>indigene</strong>n Völker selbst und genauer gesagt die VertreterInnen <strong>indigene</strong>r Bewegungen<br />

sind. In der Rückschau jedoch war das nicht von Anfang an so, denn es bedurfte eines<br />

15 Formen dieses Widerstandes sind beispielsweise Verweigerung, Rückzug, chiliastische Bewegungen und<br />

kriegerische Auseinandersetzungen (Halbmayer 1994:111).<br />

58


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

intellektuellen Wandels in anthropologischen Kreisen, der die indianistische Denkrichtung<br />

einleitete und seine Inhalte auch versuchte voranzutreiben.<br />

Den ersten offiziellen Bruch mit der etablierten indigenistischen Ordnung machte das 1970<br />

erstmals veröffentlichte Buch „De eso que llaman Antropología mexicana“ der Autoren<br />

Arturo Warman, Margarita Nolasco, Guillermo Bonfil Batalla, Mercedes Oliverso und<br />

Enrique Valencia. Inhaltlich stellt es die Orientierung und Richtung der angewandten<br />

Anthropologie und des Indigenismus in Mexiko in Frage. Bereits zwei Jahre zuvor machte<br />

allerdings die Erste Resolution des Internationalen AmerikanistInnen Kongresses in<br />

Stuttgart <strong>auf</strong> die Missstände der Situation der <strong>indigene</strong>n Völker <strong>auf</strong>merksam und klagte die<br />

systematischen genoziden und ethnoziden Handlungen in verschiedenen Tieflandregionen<br />

Südamerikas (vor allem der kolumbianischen und brasilianischen Regierungen) an. In<br />

diese Zeit fällt auch die Popularisierung des von dem französischen Anthropologen Robert<br />

Jaulin geprägten Begriffes ‚Ethnozid’, mit dem heute jegliche Form der Degradation oder<br />

Auslöschung sozio-kultureller Charakteristika eines ethnischen (<strong>indigene</strong>n) Volkes<br />

bezeichnet wird.<br />

1971 fand unter der Koordination des Anthropologen Georg Grünberg ein Symposium mit<br />

dem Titel „Fricción Interétnica en América del Sur No-Andina“ statt, an dem<br />

ausschließlich <strong>auf</strong> diesem Gebiet arbeitende AnthropologInnen teilnahmen. Das<br />

Schlussdokument dieses Treffens ging als Erste Deklaration von Barbados in die<br />

Entstehungsgeschichte des indianismo ein – ihr Inhalt sah die explizite Verantwortung von<br />

AnthropologInnen und Missionaren in Zusammenhang mit ethnoziden Handlungen vor<br />

und man sprach in der Deklaration auch erstmals von Selbstverwaltung, <strong>Entwicklung</strong> und<br />

Verteidigung der Indios durch die <strong>indigene</strong>n Völker selbst.<br />

Sechs Jahre später fand das zweite Treffen <strong>auf</strong> Barbados statt. Seine<br />

Teilnehmerzusammensetzung – es nahmen zu etwa gleichen Anteilen indianische Führer<br />

wie AnthropologInnen teil – machte deutlich <strong>auf</strong> die damals jüngsten <strong>Entwicklung</strong>en in der<br />

Formierung <strong>indigene</strong>r Bewegungen und dem Auftauchen erster <strong>indigene</strong>r<br />

RepräsentantInnen <strong>auf</strong> internationaler Ebene <strong>auf</strong>merksam, die begonnen hatten, eine neue<br />

Ideologie zu entwerfen und zwar die des indianismo. <strong>Die</strong> aus diesem Treffen<br />

hervorgegangene, im Juli 1977 von 18 Indígenas und 17 AnthropologInnen<br />

unterschriebene Zweite Deklaration von Barbados, betont die Notwendigkeit einer<br />

59


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

konsistenten und klaren Ideologie, in der die eigene Kultur als Bindeglied für eine<br />

indianische Einheit fungiert. Das große Ziel jedoch liegt im Bruch mit den Strukturen des<br />

internen Kolonialismus 16 , <strong>auf</strong> welches mit dem folgenden Zitat <strong>auf</strong>merksam gemacht wird:<br />

„Conseguir la unidad de la población india, considerando que para alcanzar esta unidad el<br />

elemento básico es la ubicación histórica y territorial en relación con las estructuras sociales y el<br />

régimen de los estados nacionales en tanto se está participando total o parcialmente en estas<br />

estructuras. A través de esta unidad, retomar el proceso histórico y tratar de dar culminación al<br />

capítulo de colonización.” (Indianidad 1979:391 zit. in Franch 1990b:38). Ü5<br />

(Franch 1990a:12f; Franch 1990b 37f).<br />

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle sämtliche Seminare, Treffen, Symposien,<br />

Dokumente etc. <strong>auf</strong>zulisten, die in der Folge Ausdruck und richtungsweisend für die<br />

indianistische Ideologie sind. Als Zusammenfassung, was unter indianismo verstanden<br />

werden kann, scheint es mir an dieser Stelle zielführender zu sein, eine Kennerin der<br />

Thematik, Marie-Chantal Barre, zu Wort kommen zu lassen, die das indianistische<br />

Ideenkonzept folgendermaßen definiert:<br />

“...se fundamenta en la visión cósmica de la vida y del mundo que para el indio significa<br />

equilibrio y armonía entre los distinos elementos de la naturaleza, de la cual él mismo es parte<br />

integrante. El indianismo es también la búsqueda y la identificación con el pasado histórico,<br />

pues pasado y presente forman un todo inseparable basado en la concepción colectivista del<br />

mundo.“ (Barre 1983:185 zit. in Franch 1990a:14). Ü6<br />

5.2. Identität als Flagge<br />

In der Beschäftigung mit der befreienden Ideologie des indianismo ist die von mir als<br />

solches bezeichnete ‚indianische Identität’ ein entscheidendes Kriterium. Als gemeinsamer<br />

psychologischer Nenner eines heterogenen Gebildes ermöglicht sie – trotz der inneren<br />

ethnisch-kulturellen Unterschiede – das gemeinsame Artikulieren und Auftreten<br />

diversester <strong>indigene</strong>r Völker. <strong>Die</strong>ses identitätsstiftende Gruppenbewusstsein unterstützt die<br />

<strong>indigene</strong> Bewegung, an Stärke und Durchsetzungskraft zu gewinnen. Auf den Begriff der<br />

Identität selbst und seine Konzeptionierung gehe ich in Kapitel 7.3.2. ein.<br />

16 Unter ‚internem Kolonialismus’ wird das Fortbestehen kolonialer Strukturen nach der Unabhängigkeit<br />

vormals kolonialer Länder verstanden, die die Machtverhältnisse in den Nationalstaaten widerspiegeln und in<br />

denen die neuen Eliten und in den letzten Jahren auch die Repräsentanten transnationaler Unternehmen<br />

Träger dieses internen Kolonialismus gegenüber der <strong>indigene</strong>n Bevölkerung sind. <strong>Die</strong> kolonialen Strukturen<br />

in den betroffenen Ländern verhinderten bis <strong>auf</strong> das Weiteste eine wahrhaftige Befreiung des Indio.<br />

60


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

<strong>Die</strong> indianische Identität ist als Reaktion <strong>auf</strong> den Expansionsdrang anderer Völker (in<br />

unserem Fall zunächst der Europäer) zu interpretieren, deren ideologische Wurzeln in der<br />

kolonialen Vergangenheit liegen und bis zu den Erfahrungen der Indígenas mit dem<br />

Nationalstaat reichen. So ist sie weder ein homogenes noch ein einheitliches Gebilde,<br />

weder verfügt sie über eine fertige noch über eine abgerundete Ideologie und nicht jedes<br />

<strong>indigene</strong> Individuum übernimmt und akzeptiert alle Aspekte dieses in diesem Sinn<br />

verstandenen Indianismus. Trotz der unterschiedlichen Erfahrungen treffen sich die<br />

Interessen an einem wichtigen Punkt und zwar im Widerstand gegenüber der Dominanz<br />

anderer Völker, unter deren internen Kolonialismus alle in irgendeiner Weise zu leiden<br />

hatten. Das heißt, die indianische Identität zeigt sich vor allem <strong>auf</strong> politischer Ebene in<br />

einer über ethnisch-kulturelle Grenzen hinweg empfundenen Gruppenidentifikation (Rojas<br />

1993:68f; Schneider 1996:359). Dem hinzufügend betont Barre (1982:39), dass der<br />

indianismo als Gegenposition zum indigenismo eine Bewegung darstellt, die wie bereits im<br />

vorigen Kapital dargelegt, von Indianern für Indianer konzipiert ist und welche die nach<br />

eigenen Rechten fordernde Ideologie der <strong>indigene</strong>n Völker sowie den Kampf gegen den<br />

internen Kolonialismus unterstützt.<br />

Überleitend zum nächsten Punkt sei das verdeutlichende Beispiel der CONIVE angefügt,<br />

einem Netz aus zumindest 32 lokalen und regionalen <strong>indigene</strong>n Organisationen in<br />

Venezuela. Schneider (1996:360) zeigt, dass Helden der Vergangenheit eine Schlüsselrolle<br />

in der Philosophie der Bewegung einnehmen; denn sie würden den Mitgliedern aller<br />

<strong>indigene</strong>n Gruppen sowohl die Möglichkeit bieten, sich mit der indianischen Geschichte zu<br />

identifizieren als auch einen Grund liefern, stolz <strong>auf</strong> die gemeinsame Tradition des<br />

jahrhundertelangen Widerstandes und somit der indianischen Identität zu sein. Mit der<br />

Übertragung des „Feindbildes“ aus vergangenen Tagen <strong>auf</strong> die Gegenwart wird zudem die<br />

historische Erfahrung untermauert: Der Staat und die großen Wirtschaftsunternehmen, die<br />

die <strong>indigene</strong>n Territorien bedrohen, werden zu den „neuen Kolonisatoren“ erklärt.<br />

5.3. Das Beispiel Venezuela<br />

Da ich an dieser Stelle zum ersten mal detailliert <strong>auf</strong> die Situation in Venezuela eingehen<br />

werde, möchte ich das Land im Folgenden kurz vorstellen:<br />

61


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Venezuela wird gerne als ein reiches und zugleich armes, unterentwickeltes Land<br />

beschrieben. Reich an Ölreserven und sonstigen Bodenschätzen leben in dem<br />

südamerikanischen Land ca. 70 % der Gesamtbevölkerung in Armut. <strong>Die</strong> 315.815<br />

Indígenas, die sich nach dem Zensus von 1992 in Venezuela befinden, stellen mit ihren nur<br />

ca. 2 % an der Gesamtbevölkerung einen sehr geringen Anteil im lateinamerikanischen<br />

Vergleich dar; gleichzeitig umfasst ihr Siedlungsgebiet allerdings etwa 50 % des gesamten<br />

venezolanischen Territoriums. Hinzu kommt, dass <strong>auf</strong> diesen 50 % Staatsgebiet wiederum<br />

der Großteil der natürlichen nicht erneuerbaren Ressourcen liegen, was nicht selten für<br />

großen Konfliktstoff sorgt, wenn um die Rechte der <strong>indigene</strong>n Völker verhandelt wird.<br />

Gerade dieses Land verfügt allerdings wie bereits erwähnt seit drei Jahren über eine neue<br />

Verfassung, die von vielen als eine der am weitestgehendsten des Kontinents in Bezug <strong>auf</strong><br />

die Indianergesetzgebung angesehen wird.<br />

5.3.1. Anmerkungen zur venezolanischen Indianerpolitik<br />

Zum besseren Verständnis der indianistischen <strong>Entwicklung</strong>en in Venezuela seit den 80er,<br />

insbesondere allerdings seit den 90er Jahren, greife ich einige wichtige Stadien der<br />

venezolanischen Indianerpolitik heraus und rekapituliere diese in Verbindung mit dem<br />

Kapitel 4.1..<br />

Venezuela kann als eindeutiges Beispiel für das anfangs beschriebene Schema der<br />

offiziellen Politik, welche die Assimilation der Indígenas in die nationale Gesellschaft<br />

vorsah, bezeichnet werden. Ganz in diesem Sinne wurde in Venezuela 1915 die Ley de<br />

Misiones (Missionsgesetz) erlassen, welches die Missionare <strong>auf</strong>forderte, „die <strong>indigene</strong><br />

Bevölkerung in Siedlungen zu konzentrieren und zu zivilisieren.“ (Schulz 1994:50f). Mit<br />

der Übertragung des Schutzes und der Erziehung der Indigenen <strong>auf</strong> die Missionen lag bis<br />

1948 die venezolanische Indianerpolitik ausschließlich in Händen der Missionare.<br />

Im Jahr 1946 trat Venezuela der Konvention von Pátzcuaro bei und gründete 1948 die<br />

Comisión Indigenista Nacional. <strong>Die</strong>ses innenpolitische Organ war jedoch den zwischen<br />

dem Staat und der katholischen Kirche abgeschlossenen Verträgen untergeordnet, womit<br />

ein unabhängiges Arbeiten unmöglich gemacht wurde. Seine Aufgabe lag in der<br />

Durchführung von Studien und Forschungen über die sozio-ökonomischen und kulturellen<br />

Bedingungen der Indianer als Grundlage für die Lösung ihrer Probleme. <strong>Die</strong><br />

62


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

dahinterliegende Ideologie war <strong>auf</strong> Grund ihrer Abhängigkeit weiterhin geprägt von einer<br />

„Christianisierungsideologie“ (Jiménez 1975:33) zur Erreichung eines zivilisierten,<br />

fortschrittlichen Lebens, was Mosonyi (1975:55) dazu veranlasst, die Gleichung:<br />

„offizielle Eingeborenenpolitik = katholische Missionsarbeit“ <strong>auf</strong>zustellen. 1959 wurde ein<br />

Gesetz zur Reformierung der Comisión Indigenista Nacional verabschiedet. <strong>Die</strong> Reform<br />

befähigte die Kommission, eine eigene Politik zu formulieren und von der Kirche<br />

unabhängige Aktionsprogramme zu entwickeln. Allerdings sah sich die Kommission in<br />

Folge stets mit der Knappheit an finanziellen Mitteln konfrontiert und von einem<br />

Umdenken weg von der Assimilierungsideologie konnte auch noch nicht die Rede sein.<br />

Ebenso wenig verabschiedete man sich von der klassischen indigenistischen Politik in der<br />

Verfassung von 1961, welche eine Agrarreform beinhaltete, die ideologisch <strong>auf</strong> die<br />

Angleichung der indianischen an die bäuerliche Bevölkerung basierte.<br />

Im Jahr 1969 fand der Erste Indianerkongress von Venezuela statt, <strong>auf</strong> dem die<br />

teilnehmenden AnthropologInnen und SoziologInnen die herrschenden Probleme vor allem<br />

der Indígenas im Süden des Landes anklagten. Zwei <strong>Entwicklung</strong>en müssen hierbei<br />

berücksichtigt werden: Erstens entstanden Ende der 60er Jahre verschiedene private<br />

Vereinigungen, die sich die Ausarbeitung von Hilfsplänen für die Indianer zur Aufgabe<br />

gemacht haben und zweitens stellte die Regierung ebenfalls 1969 die zuvor schon<br />

erwähnte neue politische Linie der „<strong>Entwicklung</strong> und des Nationalismus“ <strong>auf</strong>, dessen<br />

Inhalte – Industrialisierung mit Schwerindustrie und Förderung von Tourismus – vor allem<br />

den Süden betrafen und in denen das Schicksal der betroffenen <strong>indigene</strong>n Völker völlig<br />

außer acht gelassen wurde (Jiménez 1975:31-38) (vgl. Kapitel 6.3.2. sowie 6.3.3.).<br />

Dem Antiindianismus der indigenistischen Assimilationsideologie entgegengesetzt,<br />

entwickelte sich dar<strong>auf</strong>hin von Universitätskreisen ausgehend ein intellektueller Wandel,<br />

der einen kulturellen Pluralismus und die Eigenständigkeit der Indianer betonte und der<br />

Idee der „Selektiven Integration“ Rechnung trug. Letzteres Konzept besagt, dass die<br />

venezolanische Nation eine Einheit ist, „die sich aus kreolischen, <strong>indigene</strong>n und<br />

afrikanischen Komponenten zusammensetzt“ und dass jede Kultur einzigartige integrative<br />

Strukturen und Werte besäße, die in jeder Kontaktsituation ergänzende Wirkung haben<br />

sollten (Barandiarán / Coppens zit. in Schulz 1994:61). <strong>Die</strong> sich hieraus ergebende<br />

63


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Denkrichtung einer anderen Indianerpolitik wurde von Mexiko ausgehend in ganz<br />

Lateinamerika unter dem Namen nuevo indigenismo bekannt.<br />

<strong>Die</strong>ser als solches bezeichnete Neue Indigenismus verfolgte in Venezuela drei<br />

Basisstrategien: die Vergabe kollektiver Landbesitztitel für indianische Gemeinden, die<br />

Entstehung regionaler indianischer Vereinigungen sowie die Gründung von sogenannten<br />

empresas indígenas (kollektiven Produktionseinheiten). Letztere wurden in Folge der<br />

Agrarreformgesetze vollzogen, um die Anwendung der Gesetze <strong>auf</strong> die verschiedenen<br />

<strong>indigene</strong>n Völker zu ermöglichen; die jeweils ökonomischen und sozialen Merkmale der<br />

indianischen Wirtschaftsweise und die Unterschiede zum nationalen Wirtschaftssystem<br />

sollten laut Papier Berücksichtigung finden (Schulz 1994:59-62, 101; Heinen / Kasburg<br />

1994:18-21). <strong>Die</strong>ses zunächst vielversprechende Programm war allerdings in der<br />

Rückschau nicht von Erfolg beschieden: So wurde bei den den Indianern garantierten<br />

Landtiteln nicht berücksichtigt, dass diese für ihre traditionelle Subsistenztechniken relativ<br />

große Flächen benötigen. Weiters kritisierten die Betroffenen, dass es außer <strong>auf</strong> dem<br />

Papier keine indianischen Vereinigungen gäbe und diese Dokumente nur dazu dienten, sie<br />

<strong>auf</strong> bürokratischem Wege besser manipulieren zu können. Was die empresas indígenas<br />

angelangt, so müssen auch diese als gescheitert betrachtet werden, auch wenn, wie Schulz<br />

betont, den betroffenen <strong>indigene</strong>n Gruppen in den Jahren der Planung und <strong>Entwicklung</strong><br />

derselbigen „neue Wege und Möglichkeiten bewußt geworden [sind], wie sie sich aus der<br />

Ohnmacht gegenüber dem nationalen Wirtschaftssystem wenigstens teilweise befreien<br />

können.“ (Schulz 1994:116).<br />

Das Ziel der kollektiven Produktionseinheiten war es nämlich, das ökonomische System<br />

der Indianer zu verändern und ihnen ihre reine Subsistenzwirtschaft zu nehmen. Mit der<br />

vorsätzlichen Produktion eines Überschusses (z.B. durch eine intensiver betriebene<br />

Landwirtschaft oder mittels großangelegter Viehzucht) sollten die neu entstandenen<br />

Bedürfnisse wie Außenbordmotoren oder Kleidung sichergestellt werden. <strong>Die</strong> damit<br />

einhergehende Einführung von z.B. cash crops hatte jedoch mit den traditionellen<br />

Handelsformen nichts mehr gemeinsam und wirkte sehr desintegrativ <strong>auf</strong> die soziale und<br />

wirtschaftliche Organisationsform (vgl. Schulz 1994:37, 113f). Ganz allgemein muss<br />

außerdem daran erinnert werden, dass die Unterschiede innerhalb der verschiedenen<br />

<strong>indigene</strong>n Völker hinsichtlich ihrer soziale Struktur und ihrer traditionellen ökonomischen<br />

64


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Organisation kein allgemein gültiges <strong>Entwicklung</strong>skonzept wie das der empresas<br />

indígenas zulassen (Schulz 1994:64, 103f).<br />

5.3.2. Indianismus in Venezuela<br />

In Venezuela hat sich in Zusammenhang mit dem Erstarken der indianischen Bewegungen<br />

eine neue <strong>indigene</strong> Führungsschicht etabliert, die frei von Unterwürfigkeit und<br />

Ressentiments gegenüber ihrer staatlichen Ausbildung, innovativ und zugleich ihre<br />

Tradition verteidigend, die Anliegen und Forderungen der <strong>indigene</strong>n Völker vertreten<br />

(Heinen / Kasburg 1994:24).<br />

Was die Forderungen anbelangt, so lässt sich ein gewisser Prozess feststellen: Machte man<br />

zunächst <strong>auf</strong> die eigene unterdrückte Situation bei einer gleichzeitigen Idealisierung der<br />

indianischen präkolonialen Vergangenheit <strong>auf</strong>merksam, wurden die Forderungen in<br />

späteren Jahren wesentlich spezifischer (wie z.B. nach Land, landwirtschaftlichen<br />

Krediten, Ausbildung, Gesundheit, technischer Hilfe) und richteten sich konkret an die<br />

Regierungen. In jüngster Zeit sind die spezifischen sozio-ökonomischen Forderungen eng<br />

gekoppelt mit Autonomie- und Selbstbestimmungsforderungen. Schneider (1996:350f)<br />

verweist dar<strong>auf</strong>, dass die neue <strong>indigene</strong> Bewegung in Venezuela keinesfalls <strong>auf</strong> eine große<br />

homogene Schicht von politisch organisierten Indianern zurückgreifen konnte, sondern<br />

ganz im Gegenteil, die größeren Organisationsformen sowie die neue Autorität den<br />

<strong>indigene</strong>n líderes (Führungspersönlichkeiten) anfangs fremd waren. <strong>Die</strong>ser Hinweis macht<br />

dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>merksam, dass hinter der panindianischen Bewegung ein heterogenes Gefüge<br />

aus unterschiedlichsten <strong>indigene</strong>n Völkern steht, das sich allerdings immer stärker<br />

gemeinsam artikuliert (Kumi 1992:63; Kuppe 1998:129; Stavenhagen 1997:20).<br />

Subsummiert man die einzelnen Aspekte der indianischen Herausforderung einem großen<br />

Bestreben, so richtet sich dieses <strong>auf</strong> eine pluralistische Politik, die die Andersartigkeit als<br />

gleichwertig und die <strong>indigene</strong>n Völker als eigenständige Teile der Nation anerkennt. Ihre<br />

Realisierung liegt im Bruch mit dem kulturellen nationalen Einheitskonzept der<br />

mestizisch-kreolischen Elite und betont eine grundsätzliche Negierung von separatistischen<br />

Abspaltungstendenzen <strong>indigene</strong>r Völker. <strong>Die</strong> simple und doch so präzise Formulierung des<br />

Pemón Vicente Arreaza: „Somos una nación dentro de la Nación.“ („Wir sind eine Nation<br />

innerhalb der Staatsnation.“), bringt diese alles umfassende Forderung <strong>auf</strong> den Punkt.<br />

65


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Dass das <strong>indigene</strong> Anliegen aber nicht nur eine rechtliche, sondern vor allem auch eine<br />

gesellschaftliche Herausforderung in Venezuela – wie wohl nicht nur <strong>auf</strong> dem gesamten<br />

lateinamerikanischen Kontinent, sondern auch weltweit – darstellt, dar<strong>auf</strong> hat bereits Mitte<br />

der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts Jiménez eindringlich verwiesen:<br />

„Dazu müßten alte, tief in der Gesellschaft verankerte Vorurteile dem Indianer gegenüber<br />

ausgemerzt werden, da anderwärtig die offizielle Politik und bloße Gesetze wenig zur Befreiung<br />

des Eingeborenen ausrichten können. Es wäre also nötig, parallel zu einer neuen<br />

Eingeborenenpolitik in der Bevölkerung das Bewußtsein zu wecken, daß eine Wertschätzung<br />

und Bewahrung der Kulturwerte der Eingeborenen ein erstrebenswertes, ein wahrhaft<br />

patriotisches und nationales Ziel ist [...].“ (Jiménez 1975:42).<br />

5.3.3. <strong>Die</strong> Bolivarianische Verfassung Venezuelas: Zeichen eines erfolgreichen<br />

indianismo?<br />

Mit der Wahl von Hugo Chávez Frías als Präsident setzte vor über vier Jahren in<br />

Venezuela eine unerwartete <strong>Entwicklung</strong> die <strong>indigene</strong>n Völker betreffend ein. Bereits im<br />

Zuge seiner Wahlkampagne für die Wahlen 1998 nahm Chávez selbst Kontakt mit den<br />

<strong>indigene</strong>n Organisationen <strong>auf</strong> und versprach ihnen, dass er sich bei einem positiven<br />

Wahlergebnis persönlich für die Beteilung <strong>indigene</strong>r VertreterInnen in der (von ihm<br />

beabsichtigten einzuberufenden) Verfassungsgebenden Versammlung und für die<br />

Anerkennung von Rechten <strong>indigene</strong>r Völker in der neuen Verfassung einsetzen würde<br />

(Gespräch mit Nelson Mavio, 14.08.2002). Mit diesem Versprechen ersuchte Chávez die<br />

VertreterInnen der <strong>indigene</strong>n Organisationen, die Indígenas in den comunidades zur<br />

Beteiligung an den Wahlen zu bewegen und für ihn zu stimmen.<br />

Als ersten Schachzug seiner Präsidentschaft unterzeichnete Chávez noch am Tag seiner<br />

Vereidigung ein Dekret, mit dem er ein Referendum über die Einberufung einer<br />

Verfassungsgebenden Versammlung anberaumte, um damit „die notwendigen<br />

demokratischen Veränderungen für eine ‚Neugründung’ der Republik voranzutreiben“<br />

(Melcher 1999:216). Mit der neuen Verfassung sollten die bestehenden korrupten<br />

Staatsstrukturen grundlegend umgestaltet und die tiefen sozialen Ungerechtigkeiten<br />

überwunden werden. Zudem war vorgesehen, dass alle Sektoren der Gesellschaft, bis <strong>auf</strong><br />

die als korrupt bezeichneten VertreterInnen der bisherigen Parteien und Interessengruppen,<br />

an ihrer Beratung teilnehmen sollten (Melcher 1999:216, 221).<br />

66


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Am 25. April 1999 erhielt schließlich das Referendum über die Einberufung einer<br />

Verfassungsgebenden Versammlung eine Zustimmung von 80 % (Melcher 1999:217).<br />

<strong>Die</strong>ser von Chávez durchgesetzten Asamblea Nacional Constituyente gehörten auch<br />

tatsächlich drei der insgesamt 131 Mitglieder <strong>indigene</strong>n Ethnien an: Guillermo Guevara als<br />

Vertreter der südlichen Region, José Luis Gonzáles als Vertreter der Ostregion und Noelí<br />

Pocaterra als Vertreterin der Nordwestregion (Kuppe 2001:3f). <strong>Die</strong>se bekamen nebst<br />

weiteren neun ExpertInnen in der indianischen Thematik die Aufstellung der<br />

Rechtsbestimmungen für die <strong>indigene</strong>n Völker in der neuen Verfassung übertragen.<br />

<strong>Die</strong> ausgearbeiteten Forderungen lassen sich in vier große Kapitel einteilen:<br />

� <strong>Die</strong> Anerkennung als ‚Völker’ im Sinn der ILO-Konvention 169.<br />

� <strong>Die</strong> Zusicherung von ‚Territorien’, welches folgende Punkte beinhaltet: Anerkennung<br />

der ursprünglichen Rechte über Ländereien <strong>auf</strong> denen sie traditionell leben, kollektive<br />

Eigentumsformen, die Unveräußerlichkeit, das Recht <strong>auf</strong> Nutzung, Nutznießung,<br />

Verwaltung und Erhaltung der natürlichen Ressourcen sowie die freie Zustimmung zu<br />

(<strong>Entwicklung</strong>s-) Projekten innerhalb ihrer Territorien.<br />

� <strong>Die</strong> Reklamation ihrer ‚Selbstbestimmung und Autonomie’ bezogen <strong>auf</strong> eigene<br />

Wirtschaftsmodelle, die Sozialorganisation und die <strong>Entwicklung</strong> eigener politischer<br />

Systeme; außerdem die Anerkennung eigener (Gewohnheits-) Rechtssysteme bei<br />

gleichzeitiger Partizipation an der nationalen Ökonomie und in den nationalen<br />

Gesetzgebungskörpern bei gleichzeitigem expliziten Verweis, dass diese Forderungen<br />

keine separatistischen Absichten verfolgen (Casas / Lopez 1999).<br />

� <strong>Die</strong> Anerkennung ‚kultureller Rechte’ wie die Aufrechterhaltung ihrer Kosmovision,<br />

eigene Erziehung, Zugang zu interkulturellen und bilingualen Schulsystemen,<br />

vollständige Gesundheitsvorsorge (Schulmedizin und Anerkennung traditioneller<br />

Heilpraktiken) sowie die Anerkennung der <strong>indigene</strong>n Sprachen als offizielle<br />

Amtssprachen in dem jeweiligen Bundesstaat, in dem diese gesprochen werden.<br />

In den Plenardiskussionen zur Ausformulierung der endgültigen<br />

Verfassungsbestimmungen wurden die Indígenas mit der feindlichen Realität in mehreren<br />

Sektoren der Verfassungsgebenden Versammlung konfrontiert. GegnerInnen der<br />

Anerkennung ihrer Rechte sahen in allen vier Forderungskomplexen die Souveränität und<br />

67


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Einheit der Nation sowie die territoriale Integrität bedroht oder sprachen gar von einem<br />

„territorialen Selbstmord“ (Casa / Lopez 1999; Olavarria 1999a; Pérez 1999).<br />

<strong>Die</strong> Argumentationsbasis der GegnerInnen lässt sich als polemische Überbewertung<br />

völkerrechtlicher Implikationen der Begriffe Völker, Territorium und Selbstbestimmung<br />

bezeichnen, die zum Teil unangemessene Reaktionen hervorriefen (vgl. z.B. Olavarria<br />

1999b). Eine Vorrangstellung unter diesen nahm das Schauerszenario einer möglichen<br />

Abspaltung <strong>indigene</strong>r Völker samt der Hälfte des venezolanischen Territoriums ein, <strong>auf</strong><br />

dem sich der Großteil nicht-erneuerbarer Ressourcen befindet, was als Hinweis <strong>auf</strong> die<br />

tatsächlichen Hintergründe der Kritik an möglichen Rechten <strong>indigene</strong>r Völker in<br />

Venezuela angesehen werden kann: Hervorzuheben sind vor allem wirtschaftliche<br />

Interessen und die Angst vor einem staatlichen Machtverlust <strong>auf</strong> den tierras baldías<br />

gepaart mit einer nicht zu unterschätzenden Portion Rassismus.<br />

Dennoch wurde die neue Bolivarianische Verfassung in ihrer endgültigen Version von den<br />

venezolanischen BürgerInnen mit knapp 72 % am 15. Dezember 1999 angenommen und<br />

ist mit Januar 2000 in Kraft getreten (Areion 2001). Ihr Inhalt in Bezug <strong>auf</strong> die Rechte<br />

<strong>indigene</strong>r Völker wird, wie bereits mehrmals erwähnt, gerne als der weitestgehende des<br />

Kontinents gedeutet (Haddad 1999). <strong>Die</strong>s mag in gewisser Hinsicht auch stimmen,<br />

dennoch ist ein genaues Hinsehen und Deuten der zugestandenen Rechte im Vergleich mit<br />

den zuvor formulierten Forderungen wichtig, um sich ein präziseres Bild zu machen:<br />

Bezüglich des Begriffes ‚Völker’ einigte man sich <strong>auf</strong> die gleiche Lösung wie in der ILO-<br />

Konvention 169, nämlich dass dieser nicht im Sinne des Souveränitätsanspruches im<br />

internationalen Recht interpretiert werden dürfe.<br />

<strong>Die</strong> Landbestimmungen der neuen Verfassung sehen für die <strong>indigene</strong>n Völker<br />

ursprüngliche Rechte über Ländereien vor, „<strong>auf</strong> denen sie seit Urzeiten und<br />

traditionellerweise leben und die für die <strong>Entwicklung</strong> und Aufrechterhaltung ihrer<br />

Lebensformen notwendig sind“ (Art. 119). Weiters enthält der Artikel 119 die Garantie<br />

über „kollektives, unveräußerliches, unverjährbares, beschlagnahmefreies und nicht<br />

übertragbares Eigentum“. Zur Frage des Eigentums und einer vorausgehenden<br />

Demarkierung zur Abgrenzung <strong>indigene</strong>r Länderein werden allerdings nur<br />

Vorsichtsmaßnahmen in Hinblick <strong>auf</strong> eine zukünftige sekundäre Gesetzgebung, die die<br />

68


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Implementierung dieses Rechts vorsehen soll, getroffen. <strong>Die</strong> Verfassung spricht im<br />

Zusammenhang mit den Landbestimmungen nicht von ‚Territorien’, sondern von<br />

‚Habitat’, womit sie die Kontrolle der <strong>indigene</strong>n Völker über die natürlichen Ressourcen<br />

(insbesondere der nicht-erneuerbaren) nicht zuerkennt. Allerdings darf die (Aus-) Nutzung<br />

der natürlichen Ressourcen in den <strong>indigene</strong>n Habitats die kulturelle, soziale und<br />

wirtschaftliche Integrität der Indigenen nicht verletzen (Art. 120). Sie unterliegt außerdem<br />

einer vorherigen Befragung und Information der Betroffenen, allerdings keiner freien<br />

Zustimmung.<br />

In Artikel 123 wird das geforderte Recht <strong>auf</strong> „eigene traditionelle wirtschaftliche<br />

Praktiken“, die <strong>auf</strong> Reziprozität, Solidarität und Austausch basieren, zugestanden sowie die<br />

Teilhabe der <strong>indigene</strong>r Völker an der nationalen Ökonomie versprochen. Zudem formuliert<br />

dieser Artikel das Recht der <strong>indigene</strong>n Völker <strong>auf</strong> professionelle Bildung und garantiert<br />

„die Partizipation an der Erstellung, Durchführung und Leitung von spezifischen<br />

Programmen zur Bereitstellung von technischer und finanzieller Unterstützung, die die<br />

Indígenas in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten in Hinblick <strong>auf</strong> eine nachhaltige<br />

<strong>Entwicklung</strong> stärken sollen.“<br />

<strong>Die</strong> politischen Bestimmungen der Verfassung sehen ihre Partizipation in den staatlichen<br />

gesetzgebenden Räten sowie <strong>auf</strong> Gemeindeebene vor (Art. 125). Artikel 186 besagt, dass<br />

die <strong>indigene</strong>n Völker im Einklang mit dem Wahlrecht und mit ihren Traditionen und<br />

Gewohnheiten drei ParlamentsvertreterInnen wählen werden. <strong>Die</strong> Bildung von <strong>indigene</strong>n<br />

Gemeindebezirken soll ebenfalls ermöglicht werden; allerdings nur, wenn 10.000 Personen<br />

in der Gemeinde leben, was angesichts der Tatsache, dass <strong>indigene</strong> Gemeinden in den<br />

seltensten Fällen diesen Umfang haben, sehr eingeschränkte Wirkung hat.<br />

<strong>Die</strong> Verfassung gesteht den <strong>indigene</strong>n Völkern zunächst nicht zu, eigene politische Formen<br />

für ihre Selbstverwaltung zu entwickeln. Es sei hier allerdings erwähnt, dass der Prozess<br />

hinsichtlich der Formen einer <strong>indigene</strong>n politischen Autonomie noch nicht abgeschlossen<br />

ist. <strong>Die</strong> Vorschläge, die unter Mitwirkung des Beraters der indianischen<br />

Parlamentsangehörigen Venezuelas, Dr. René Kuppe, erstellt wurden, liegen zur Beratung<br />

vor.<br />

69


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

<strong>Die</strong> Verfassung erkennt das Recht <strong>auf</strong> eigene Rechtssprechung durch die <strong>indigene</strong>n<br />

Autoritäten an, welche <strong>auf</strong> eigenen Normen und Verfahrensweisen basieren, welche<br />

allerdings weder der Verfassung, noch dem Gesetz, noch der öffentlichen Ordnung<br />

widersprechen dürfen (Art. 260). <strong>Die</strong>ses Recht ist zudem <strong>auf</strong> das jeweilige Habitat und <strong>auf</strong><br />

seine <strong>indigene</strong>n Einwohner beschränkt, womit eine Rechtssprechung über nicht-<strong>indigene</strong><br />

Personen, die sich in diesem Gebiet ein Delikt zu Schulden kommen haben lassen,<br />

ausgeschlossen ist.<br />

Wiederum sehr positiv zu bewerten sind die Zugeständnisse im Bereich der kulturellen<br />

Rechte. Neben dem Recht <strong>auf</strong> die Aufrechterhaltung und <strong>Entwicklung</strong> der eigenen<br />

Identität, ihrer Kosmovision, der eigenen Werte, der <strong>indigene</strong>n Sprachen, der Spiritualität<br />

und ihrer heiligen Stätten, einer eigenen Erziehung sowie von interkulturellen bilingualen<br />

Schulsystemen, sieht die Verfassung auch das Recht <strong>auf</strong> vollständige Gesundheit mit<br />

Anerkennung der traditionellen Medizin und Heilpraktiken sowie das Recht <strong>auf</strong> geistiges<br />

Eigentum vor (Art. 121, 122 und 124).<br />

Ob es berechtigt ist, die neuen Bestimmungen der Verfassung Venezuelas tatsächlich als<br />

„conquista de los pueblos indígenas” („Eroberung der <strong>indigene</strong>n Völker“) zu bezeichnen,<br />

wie der zweite Vizepräsident der Verfassungsgebenden Versammlung es tat (Casas 1999),<br />

wage ich dennoch zu bezweifeln. Trotz des Bewusstseins über die Bedeutung der neuen<br />

Verfassung und ihrer Bestimmungen ist klar, dass die Übereinstimmungen zwischen<br />

Forderungen und anerkannten Rechten nicht immer gegeben sind.<br />

Das Auseinanderklaffen zwischen den Positionen zeigt sich im Detail. <strong>Die</strong> intensiven<br />

Auseinandersetzungen in den Plenardiskussionen zeigen, dass sich die Eliten des Landes<br />

durch die Anerkennung der <strong>indigene</strong>n Forderungen bedroht sehen. Außerdem bleibt<br />

abzuwarten, welches Veränderungspotenzial die neue Verfassung in den Köpfen der<br />

Menschen und in ihrer Haltung gegenüber den Indígenas hat oder ob Ignoranz, Vorurteile,<br />

Marginalisierungsdenken und Diskriminierung weiterhin vorherrschend sein werden. Das<br />

Regierungssekretariat und der Journalist Galicia (1999) finden dazu ähnliche Worte:<br />

„(...), pero sostiene que ‚la situación no va a cambiar por promulgar leyes, o normas<br />

constitucionales indigenistas’. El problema, señalan, se origina en la falta de conciencia y<br />

voluntad nacional respecto a las comunidades; es decir a la carencia de una política social por<br />

parte de los gobiernos democráticos hacia esas poblaciones.” Ü7<br />

70


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Dennoch – und das möchte ich unterstreichen – stellt das Kapitel VIII über die Rechte<br />

<strong>indigene</strong>r Völker einen gewichtigen politischen Schritt für die rechtliche Voraussetzung<br />

eines autodesarrollo indígena dar. (vgl. auch Kapitel 7.3.1.).<br />

Foto 15:<br />

Plátano-Ernte bei Hochwasser. Kochbananen stehen im Speiseplan der Indígenas<br />

hoch im Kurs.<br />

Foto 16:<br />

Antonio ist so freundlich und rollt uns ein paar frische Tabakflöten aus<br />

Baumrinde zum Mitnehmen nach Österreich.<br />

71


Indianismo – die <strong>indigene</strong> Bewegung als jüngste Herausforderung<br />

Foto 17:<br />

Fest bei den Yanomami in Coromoto; die Kinder stellten sich mit Begeisterung für<br />

das Foto <strong>auf</strong>.<br />

Foto 18:<br />

Fürs Fest geschminkte Yanomami-Frau.<br />

72


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

6. <strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

„Yo entiendo que el desarrrollo es una<br />

concepción intergral (…) en la cual el centro<br />

humano sea el centro de todo desarrollo.”<br />

(Noelí Pocaterra) Ü8<br />

<strong>Die</strong> Berücksichtigung sozio-kultureller Faktoren im entwicklungspolitischen Diskurs<br />

nimmt trotz seinem derzeitigem ‚Boom’ in der <strong>Entwicklung</strong>szusammenarbeit seit jeher<br />

einen sehr untergeordneten Stellenwert ein. In seiner Spurensuche nach ihrer Relevanz in<br />

den unterschiedlichen <strong>Entwicklung</strong>stheorien hat Faschingeder (2001) <strong>auf</strong>gezeigt, dass –<br />

wenn berücksichtigt – häufig eine saubere Definition des jeweils angewendeten<br />

Kulturbegriffes fehlt. Seine Verwendung hat folglich zu mehr Verwirrung als Klarheit<br />

hinsichtlich einer potenziell kulturell geprägten Sicht <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> geführt.<br />

Es stellt sich also stets die Frage, <strong>auf</strong> wen oder was man sich bei ‚Kultur’ bezieht; werden<br />

kulturelle Faktoren als ein Aspekt neben anderen im <strong>Entwicklung</strong>sprozess angesehen<br />

oder geht man davon aus, dass alle Lebensbereiche kulturell geprägt sind und in diesem<br />

Sinn auch der <strong>Entwicklung</strong>sprozess – will er erfolgreich sein – kulturell eingebettet<br />

erfolgen muss. Während der erste Kulturbegriff eine kulturell geprägte Sicht <strong>auf</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> gedanklich erst gar nicht zulässt, fordert der zweite eine solche implizit<br />

heraus und verleiht somit auch der Suche und Formulierung einer indianischen<br />

<strong>Perspektive</strong> <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> einen Sinn.<br />

6.1. Anthropologische Kulturkonzepte<br />

<strong>Die</strong> Fülle sozial- und kulturanthropologischer sowie anderer kulturwissenschaftlicher<br />

Konzepte und Definitionen von Kultur ist kaum fassbar; ihre Theorien und Modelle<br />

reflektieren jeweils bestimmte Forschungsrichtungen und Fragestellungen. Grundsätzlich<br />

lassen sich jedoch zwei verschiedene gedankliche Traditionen unterscheiden:<br />

� <strong>Die</strong> Verortung der Kultur als spezifische Einheit im Sinne eines ‚Stammes’, eines<br />

‚Dorfes’, eines ‚Volkes’ oder einer ‚Nation’. <strong>Die</strong>se lokalisierte Einheit und integrierte<br />

Totalität ist die Basis einer Weltkonzeption als Mosaik separater Gesellschaften,<br />

73


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

wobei hier unter Gesellschaft eine Gruppe von interagierenden Individuen derselben<br />

Kultur verstanden wird. Sie bildete den theoretischen Hintergrund für<br />

kulturvergleichende Studien als auch für klassische ethnographische Beschreibungen<br />

in Form von Monographien (Gupta / Ferguson 1997:1f). <strong>Die</strong>ser Kulturkonzeption<br />

immanent ist das Ausblenden überregionaler Kontakte, also solcher, die über die<br />

Lokalität hinausweisen.<br />

� Das Einbetten von Kulturen in größere Zusammenhänge bei gleichzeitiger Betonung<br />

zwischenregionaler und interethnischer Kontakte. <strong>Die</strong> theoretische Basis für diese<br />

Kulturkonzepte lieferte der Diffusionismus. <strong>Die</strong> daraus resultierenden Gegenstände<br />

ethnologischer Forschung sind Phänomene der Verflechtung und Vernetzung, deren<br />

Prozesse heute unter dem Schlagwort der Globalisierung zusammengefasst werden.<br />

Wie Hauser-Schäublin und Braukämper (2002:10) betonen, müssen sich heute<br />

EthnologInnen „diesem andauernden Prozess des Divergierens, aber auch des Sich-<br />

Vereinigens von globalen und lokalen Elementen stellen.“<br />

<strong>Die</strong> Bedeutung der seit etwa zwei Jahrzehnten stattfindenden Ablöse der ersten<br />

Kulturkonzeption durch die zweite liegt nicht primär in der Erkenntnis, dass Kulturen<br />

nicht an einen Ort gebunden sind, sondern vielmehr in der Anerkennung, dass jedwede<br />

Assoziationen mit Orten, Völker und Kulturen zu erklärende soziale und historische<br />

Kreationen sind und keine naturgegebenen Fakten darstellen. Kulturelle Verortungen<br />

müssen folglich als komplexe und mögliche Ergebnisse permanenter historischer und<br />

politischer Prozesse verstanden werden (Gupta / Ferguson 1997:4).<br />

Im Gegensatz zu früheren ethnologischen Studien, in denen Kulturbeschreibungen das<br />

‚Fremde’ und ‚Westliche’ weitgehend ausgeklammert haben, um sich <strong>auf</strong> das<br />

‚Traditionelle’ und ‚Autochthone’ zu konzentrieren, beschäftigen sich gegenwärtig<br />

immer mehr EthnologInnen „mit Fragen des Umgangs mit Neuem und Anderem, Fragen<br />

der Aneignung von fremden Dingen und Ideen sowie der kulturellen Interpretation und<br />

Umdeutung [derselbigen].“ (Hauser-Schäublin / Braukämper 2002:11). Einen<br />

solchermaßen dynamisch verstandenen Kulturbegriff vertritt beispielsweise Sahlins,<br />

indem er sowohl die Kontinuität von Kultur als auch ihren Veränderungsprozessen<br />

gleichermaßen beachtet. Wie bereits erwähnt, versteht Sahlins Kultur als ein<br />

Zeichensystem, das die Mitglieder einer Gruppe teilen. Über dieses Zeichensystem<br />

74


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

werden Dingen und Handlungen Bedeutungen zugeschrieben, es beeinflusst folglich das<br />

Denken und Handeln der Mitglieder einer Kultur. <strong>Die</strong> Bedeutungskategorien wiederum<br />

stehen miteinander in Beziehung und definieren und differenzieren sich gegenseitig. So<br />

ist das kulturelle Bedeutungsgefüge auch verschiedenen Formen der Veränderungen<br />

unterworfen und nicht statisch. Nach Sahlins ist weiters das Verhältnis zwischen Kultur<br />

und Ereignissen und Handlungen durch einen dynamischen Prozess von<br />

Wechselwirkungen charakterisiert, wobei er insbesondere die Beziehungen zwischen<br />

kulturellen Systemen und historischen Geschehnissen in den Mittelpunkt seiner Theorie<br />

stellt. Ausschließlich <strong>auf</strong> Grund von Bedeutungszuschreibungen werden Ereignisse und<br />

Handlungen innerhalb einer Kultur signifikant. Gleichzeitig wird das kulturelle<br />

Zeichensystem stets durch das soziale Handeln beeinflusst, weil die Bedeutungsträger<br />

wie z.B. Artefakte, Gesten, Naturerscheinungen usw. nicht nur eine Interpretation<br />

erfahren, sondern unterschiedliche, neue und andere Bedeutungen annehmen können. Das<br />

kreative Handeln ihrer Akteure kann zu Neuerscheinungen und somit zur Veränderung<br />

kultureller Systeme beitragen (Sahlins 1985:ix-x).<br />

Ganz in diesem Sinn ist auch der bereits besprochene indianismo als eine an moderne<br />

politische Mittel angepasst Form des <strong>indigene</strong>n Widerstandes zu verstehen sowie die<br />

nachfolgenden Ausführungen zu den <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> und zum<br />

autodesarrollo indígena.<br />

6.2. <strong>Entwicklung</strong> – ein definierter undefinierbarer Begriff?<br />

Es scheint, als ob es kaum möglich ist, sich Zugang zum Begriff <strong>Entwicklung</strong> zu<br />

verschaffen. Dirmoser (1991:13) schreibt, dass <strong>Entwicklung</strong> „einer jener<br />

Konglomeratbegriffe [ist], die einen zur Weißglut treiben“ und Esteva (1993:89)<br />

vergleicht <strong>Entwicklung</strong> mit einer „unbegrabenen Leiche, die gefährlich die Luft<br />

verpestet“. Auf welche Bedeutung von <strong>Entwicklung</strong> beziehen sich die beiden Autoren?<br />

<strong>Die</strong> schwierige Definition liegt nach Nohlen und Nuscheler (1992:55f) in seinem nicht-<br />

statischen Wesen und Wortsinn; so bezieht sich jede Begriffsdefinition von <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>auf</strong> ein Ziel, ist normativ und abhängig von individuellen und kollektiven<br />

Wortvorstellungen bezogen <strong>auf</strong> Raum und Zeit. Gleichzeitig besteht laut beiden Autoren<br />

die wesentliche Funktion eines Begriffes darin, einen Gegenstand zu bestimmen,<br />

intersubjektiv begreifbar und somit für den wissenschaftlichen Diskurs zugänglich zu<br />

75


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

machen. <strong>Die</strong> beiden Aussagen verweisen <strong>auf</strong> einen grundlegenden Widerspruch im<br />

Anspruch an <strong>Entwicklung</strong>: Einerseits kann es einen einheitlichen <strong>Entwicklung</strong>sbegriff<br />

nicht geben, weil er selbst geprägt ist von dynamischen Prozessen und vielfältigen<br />

Bedeutungszuweisungen. Andererseits wird ein eindeutiger <strong>Entwicklung</strong>sbegriff<br />

gefordert, damit er der wichtigsten Begriffsfunktion stand hält. Trotz dieser<br />

widersprüchlichen Einschränkung, die eine grundsätzlich Problematik im<br />

wissenschaftlichen Diskurs und im Umgang mit Begriffen widerspiegelt, möchte ich<br />

versuchen, mich zunächst dem vorherrschenden und allgemeinen Gebrauch von<br />

<strong>Entwicklung</strong> anzunähern.<br />

6.2.1. Aspekte in der jüngeren Geschichte des <strong>Entwicklung</strong>sbegriffes<br />

Am Tag seiner Amtsübernahme 1949 stellte US-Präsident Truman erstmals <strong>Entwicklung</strong><br />

in seinen heute üblichen Zusammenhang und veränderte damit die historisch-politische<br />

und soziale Ausrichtung des Begriffes, welche sich in einer rein reflexiven Bedeutung<br />

eines ‚sich entwickeln’ niederschlug. Ab nun galt das sozio-ökonomische<br />

Gesellschaftsmodell der USA (später des Westens allgemein) als das zu erreichende<br />

Ideal, womit eine transitive Verwendung im Sinne von ‚etwas zu entwickeln’ deutlich<br />

wird. Zur gleichen Zeit machten auch andere Worte wie Fortschritt, Modernisierung und<br />

Reife Karriere; sie sind seither eng an den <strong>Entwicklung</strong>sbegriff gekoppelt.<br />

<strong>Die</strong> ersten BefürworterInnen der <strong>Entwicklung</strong>spolitik nahmen schließlich eine weitere<br />

Bedeutungsverengung vor: Sie interessierten sich nur mehr für das Wirtschaftswachstum.<br />

Zusammenfassend beschreibt Dirmoser (1991:18-20) die Wirkung des „Projektes<br />

<strong>Entwicklung</strong>“ als „Universalisierung der Warenökonomie und der Universalisierung der<br />

westlichen Zivilisation“, wobei ersteres mit der Zerstörung der Subsistenzwirtschaft<br />

sowie der kostenlos verfügbaren Ressource Umwelt einhergehe und zweiteres <strong>auf</strong> das<br />

Gefühl „unterentwickelt zu sein“ hinweise (Dirmoser 1991:13; Esteva 1993:90, 96-99,<br />

Faschingeder 2001:27).<br />

Vier UN-<strong>Entwicklung</strong>sdekaden hindurch (1960-2000) hält sich nun schon dieses Konzept<br />

im wissenschaftlichen Diskurs und in der internationalen Zusammenarbeit in seinem<br />

modernisierungstheoretisch <strong>auf</strong>holenden und nachahmenden Sinn des westlichen Ideals:<br />

Zunächst als Rechtfertigungsdoktrin für den damit einhergehenden Kulturimperialismus<br />

76


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

und als unlinearer Prozess im Sinne der Stufentheorie von Rostow. Es gab auch<br />

Versuche, mit einer differenzierteren Sichtweise wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> und soziale<br />

<strong>Entwicklung</strong> zu trennen, um sie dann wieder als zwei Aspekte in einem integrierten<br />

<strong>Entwicklung</strong>sprozess zu vereinen. Kurz danach erfuhr die <strong>Entwicklung</strong>spolitik eine<br />

Ausrichtung <strong>auf</strong> die Befriedigung der Grundbedürfnisse und nach der sogenannten<br />

verlorenen Dekade der 1980er Jahre kam die Zauberformel der nachhaltigen <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>auf</strong> (Nohlen / Nuscher 1992:58f; Esteva 1993:100-105). Und obwohl bereits die<br />

Erklärung von Cocoyoc vor 28 (!) Jahren betont, dass Verschiedenheit der Schlüssel für<br />

eine erfolgreiche Modernisierung sei, insofern es also gelte, viele verschiedene Wege zur<br />

<strong>Entwicklung</strong> zu verfolgen, Selbstvertrauen zu wecken und dass dazu grundlegende<br />

wirtschaftliche, soziale und politische Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen von<br />

Nöten seien (Esteva 1993:103), kann mit Dirmoser (1991:24) festgestellt werden, dass<br />

<strong>Entwicklung</strong> eine Reduzierung der unendlich vielfältigen Lebensformen und<br />

Sozialgebilden vornimmt und sich als gleichgültig gegenüber Lebenswelten zeigt, „die<br />

nicht so sind wie jene, wo sie geprägt wurden.“<br />

6.3. Desarrollismo in Venezuela<br />

<strong>Die</strong> staatliche <strong>Entwicklung</strong>splanung in Venezuela lässt sich bis in die 1930er Jahre<br />

zurückverfolgen und drückt sich seitdem in den mit fünfjährigem Abstand<br />

veröffentlichten <strong>Entwicklung</strong>splänen aus. Der diesen Plänen stets unterliegende<br />

Grundkonsens im nationalen Fortschrittsdenken findet seinen Ursprung im<br />

positivistischen Dualismuskonzept von ‚Zivilisierung versus Barbarei’. Demnach wurde<br />

unter Fortschritt oder eben <strong>Entwicklung</strong> ein schnelles (industrielles)<br />

Wirtschaftswachstum sowie ein struktureller Wandel der venezolanischen Gesellschaft<br />

verstanden. Erst im L<strong>auf</strong>e der Zeit bekamen die <strong>Entwicklung</strong>spläne ein vermehrt soziales<br />

Antlitz. <strong>Die</strong>se sozialpolitische Orientierung schlägt sich in Ausdrücken wie „integrale<br />

<strong>Entwicklung</strong>“ oder „verbesserte Lebensqualität der ärmsten Bevölkerungsschichten“<br />

nieder. Durch Investitionen im Sozialbereich und im <strong>Die</strong>nstleistungssektor sowie über<br />

eine gerechtere Einkommensverteilung sollten diese Ziele erreicht werden (Werz<br />

1983:74, 94-97).<br />

Seit 1989 hat die Sozialpolitik eine neue Ausrichtung erfahren und zwar in der<br />

Durchführung von sog. programas sociales compensatorios (soziale<br />

77


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

Kompensationsprogramme), welche zur Bekämpfung der Armut entwickelt wurden und<br />

vier übergeordnete Bereiche ansprechen: Gesundheit und Ernährung, Ausbildung, Arbeit<br />

und soziale Infrastruktur (Luengo / Gonzáles 1995:184-186).<br />

Inwieweit diese Programme auch die <strong>indigene</strong>n Völker Venezuelas erreichen, habe ich<br />

der Literatur nicht entnehmen können. Allerdings lassen sich in Schulz (1994:90f, 97-99)<br />

einige Ausführungen zu den beiden Themen ‚Indigene und das Bildungswesen’ und<br />

‚Gesundheitsversorgung und <strong>indigene</strong> Völker’ finden. So besaßen 76 % der indianischen<br />

Gemeinden nach dem Zensus von 1982 keinen Lehrer und nur 22 % der <strong>indigene</strong>n<br />

Gemeinschaften waren medizinisch versorgt, wobei es in 19 % einen angestellten<br />

Krankenpfleger gab und nur 13 % über einen regulär zuständigen Arzt verfügten. Es<br />

muss jedoch erwähnt werden, dass die Lerninhalte lange Zeit nicht <strong>auf</strong> die Lebensumwelt<br />

der indianischen Kinder abgestimmt waren und zum Teil noch immer nicht sind. Insofern<br />

muss mit einer quantitativen Erhöhung der Lehrerzahl auch eine angepasste<br />

Neugestaltung der Lerninhalte und -ziele einhergehen.<br />

<strong>Die</strong> Verbesserung der schlechten Versorgungslage mit Medikamenten gegen die Vielzahl<br />

von Infektions- und parasitären Krankheiten (eingeführt durch die verschiedenen Siedler<br />

seit Ankunft der Spanier bis zu den heutigen Touristen) sollte in Kombination mit eine<br />

Wiederbelebung und Stärkung der traditionellen medizinischen Praktiken erfolgen. Eine<br />

verstärkte Ausbildung junger IndianerInnen <strong>auf</strong> beiden Gebieten hat das Potenzial, sich<br />

den Problemen <strong>auf</strong> umfassende Weise zu nähern, um zu einer integralen Lösung<br />

beizutragen. Dass es in Venezuela diesbezüglich bereits Ansätze gibt, dar<strong>auf</strong> werde ich<br />

später noch eingehen.<br />

6.3.1. Fortschritt durch Erdölförderung?<br />

Der Wachstums- und Modernisierungsprozess, der in Venezuela seit 1929 maßgeblich<br />

durch die einfließende Ölrente bestimmt ist und dem Land den Ruf eines zugleich reichen<br />

wie unterentwickelten Landes einträgt, stellt sich an Hand von fünf Folgeentwicklungen<br />

dar:<br />

� Veränderung der Beschäftigungsstruktur und der Staat als Motor des<br />

Industrialisierungsprozesses.<br />

78


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

� <strong>Die</strong> Auslösung interner Migrationsbewegungen durch die Erdölförderung, was eine<br />

massive Urbanisierung und einen Wandel in den Lebens- und Konsumgewohnheiten<br />

nach sich zog.<br />

� <strong>Die</strong> Vorstellungen einer demokratischen Verteilung der Erdöleinnahmen.<br />

� <strong>Die</strong> <strong>Entwicklung</strong> einer Rentenideologie, die eine stete Vergrößerung des staatlichen<br />

Anteils an Ölgewinnen verfolgt.<br />

� <strong>Die</strong> Eingliederung des an natürlichen Ressourcen reichen Landes in das Weltsystem<br />

der Abhängigkeiten (Werz 1983:61; Schmidt-Relenberg u.a. 1980:45).<br />

<strong>Die</strong> einseitige Ausrichtung <strong>auf</strong> die Förderung des schwarzen Goldes hat vor allem eine<br />

strukturelle Abhängigkeit hervorgebracht, die sich in einem kapitalisierten Industriesektor<br />

und einem unterkapitalisierten Agrarsektor zeigt. Hierin liegt die starke Landflucht<br />

begründet. Das Bild der großen Städte Venezuelas ist heute geprägt von sich stets weiter<br />

ausbreitenden barrios (hier: Slumsiedlungen) (Schulz 1994:31f). Auf Grund der<br />

Einführung hochmoderner Technologien kam es gleichzeitig trotz der jahrzehntelangen<br />

Erdöleinnahmen nicht zu einer verbesserten Erwerbs- oder Beschäftigungssituation<br />

(Werz 1983:67; Schmidt-Relenberg u.a. 1980:38). Es ist daher durchaus angemessen zu<br />

schließen, dass die Mehrheit der venezolanischen Bevölkerung nicht von der<br />

Erdölförderung profitiert. <strong>Die</strong>ser Mehrheit sind vor allem auch die <strong>indigene</strong>n Völker<br />

zuzurechnen, die im Zuge von Landenteignungen für Ölexplorationen in<br />

Rückzugsregionen gedrängt wurden oder ebenfalls in die Städte migrierten (davon<br />

betroffen sind insbesondere die Yukpa, die Barí und die Wayúu im Nordwesten des<br />

Landes). Betrachtet man die Zahl von 70.150 der laut dem Zensus von 1992 17 in Städten<br />

lebenden Indígenas, so sind das immerhin 22,5 % der Gesamtzahl der in Venezuela<br />

lebenden Indianer, wobei die Ursachen der Stadtmigration nicht nur in Folge der<br />

Landverluste durch Ölausbeutung, sondern z.B. auch in Folge großer Viehzuchtbetriebe<br />

zu suchen sind. <strong>Die</strong> Migration hat neben den typischen Problemen der Barrio-Bewohner<br />

(z.B. Arbeitslosigkeit, Gesundheits- und Hygienezustände, Kriminalität) erhebliche<br />

Folgen für die soziale Organisation <strong>indigene</strong>r Völker, und das Beispiel der Wayúu von<br />

Heinen und Kasburg (1994:36) hat sicherlich allgemeingültigen Charakter: es besagt dass<br />

17 Eine Auflistung der Ergebnisse befindet sich in Heinen / Kasburg 1994:9f.<br />

79


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

„der Aufstieg in eine angesehenere soziale Schicht fast zwangsläufig mit dem Verlust der<br />

kulturellen Identität verbunden ist“.<br />

Das Beispiel Erdöl zeigt eindringlich, dass die rein wirtschaftliche Begriffsdefinition von<br />

Fortschritt, Wachstum, Modernisierung und <strong>Entwicklung</strong> nicht ausreichend ist, um die<br />

tatsächliche Lage der Bevölkerung (abgesehen von der profitierenden Elite) zu erfassen.<br />

Folglich kann man mit einer sozialwissenschaftlich-anthropologischen<br />

Begriffsannäherung keinesfalls davon sprechen, dass der Ölreichtum allen Venezolanern<br />

und schon gar nicht den Indianern ‚Fortschritt’ oder ‚<strong>Entwicklung</strong>’ beschert hat.<br />

6.3.2. Conquista del Sur im Zeichen des desarrollismo<br />

<strong>Die</strong> Politik des desarrollismo ist die lateinamerikanische Variante des zu Beginn des<br />

Kapitels vorgestellten und mit Beginn der 1960er Jahre von den Metropolen in die<br />

Peripherien getragenen <strong>Entwicklung</strong>soptimismus. Als Erklärungshintergrund des<br />

desarrollismo diente ebenfalls das Dualismuskonzept. Hier allerdings nicht mehr als<br />

Gegenüberstellung von ‚Zivilisation versus Barbarei’ verstanden, sondern von der<br />

Überzeugung geprägt, dass ein Land aus zwei Teilgesellschaften bestehe: Der moderne,<br />

hochentwickelte und kapitalistische stehe dem traditionellen, archaischen und<br />

rückständigen Gesellschaftsteil gegenüber, wobei das Ziel verfolgt wird, dass letztere von<br />

ersterem zukünftig absorbiert wird (Schmidt-Relenberg u.a. 1980:45f).<br />

Ganz in diesem Sinne ist die Ende der 1960er Jahre entwickelte Conquista del Sur in der<br />

<strong>Entwicklung</strong>spolitik Venezuelas zu verstehen, die gleichzeitig eine neue Phase der<br />

venezolanischen Indianerpolitik einleitete. <strong>Die</strong> 1969 gegründete Kommission für die<br />

<strong>Entwicklung</strong> des Südens, CODESUR, wurde be<strong>auf</strong>tragt, die Kontrolle der<br />

wirtschaftlichen <strong>Entwicklung</strong> der Südregion (in einem weiteren Sinne wird damit die<br />

Region südlich des Orinoko verstanden) zu übernehmen. Dem neuen Interesse der<br />

desarrollistas im amazonischen Hinterland als Quelle für Rohstoffe und hydroelektrische<br />

Energie sowie als Touristenziel, dessen Gebiete großteils indianisch waren, lag noch<br />

immer eine Integrationsideologie zu Grunde, die ein faktisches Verschwinden der<br />

<strong>indigene</strong>n Kulturen vorsah.<br />

80


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

6.3.3. Ressourcenausbeutung und die Folgen für <strong>indigene</strong> Völker 18<br />

<strong>Die</strong> folgenden Beispiele stehen im Kontext der Programme von CODESUR bzw. seiner<br />

Wieder<strong>auf</strong>erlegung unter PRODESUR (Projekt zur nachhaltigen <strong>Entwicklung</strong> des<br />

Südens). Folgende Ausbeutungsformen und ihre Problematik für die davon betroffenen<br />

<strong>indigene</strong>n Völker der Region Guayana werde ich kurz erläutern: Gold- und<br />

Diamantenbergbau, Wasserkraft, Holzschlag, Abbau von Bauxit sowie die bereits aus<br />

dem Nordwesten bekannte Erdölförderung.<br />

Seit Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts vergibt die CVG (Venezolanische<br />

Kooperation Guyana) für eine Vielzahl von Parzellen Konzessionen für eine Gold- und<br />

Diamantenausbeutung. <strong>Die</strong> Konflikte zwischen der neuangesiedelten Bevölkerung <strong>auf</strong><br />

den Minen und den Pemón verschlimmerten sich vor allem in den 1990er Jahren, als die<br />

hohe Inflation die Abnahme von Arbeitsmöglichkeiten in den urbanen Zentren sowie die<br />

<strong>Entwicklung</strong> einer großen Kommunikationsinfrastruktur den Siedlungsdruck sowie den<br />

Bergbau intensivierte. Der Goldabbau zieht eine starke Verseuchung der Flüsse durch<br />

den Gebrauch von Quecksilber als Reduktor in der Behandlung des Goldes nach sich; die<br />

Folge sind kontaminierte Fische, deren Verzehr jedoch an erster Stelle in der<br />

Proteinversorgung der Pemón steht.<br />

In der Region Guayana befinden sich 80 % der Wasservorkommen Venezuelas. Allein<br />

entlang des Río Caroní stehen drei große Wasserkraftwerke. <strong>Die</strong> Auswirkungen von<br />

Wasserkraftwerken und Stauseen <strong>auf</strong> die betroffenen <strong>indigene</strong>n Völker (Pemón,<br />

Yekuana, Uruak und Sapé) liegen in der Öffnung weiter Territorien für ihre<br />

Kolonisierung, in der Zerstörung großer Waldflächen, in der Unterbrechung der<br />

Flussfahrt und der Kommunikation zwischen den indianischen comunidades, in der<br />

unkontrollierten Zerstörung von Biomasse und der Verringerung der Biodiversität sowie<br />

der Änderung der Qualität und Quantität des Wassers. Hinzu kommt, dass Stauseen<br />

schwere Gesundheitsprobleme verursachen wie z.B. die Verschmutzung durch<br />

Quecksilber, Ausbreitung der Malaria und der unkontrollierte Einzug neuer infektiöser<br />

Krankheiten.<br />

18 Wo nicht anders vermerkt, entnehme ich die Informationen für dieses Kapitel dem Artikel Rodriguez /<br />

Monterry 1996:210-214.<br />

81


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

<strong>Die</strong> Finanz- und Schuldenkrise in Venezuela im Jahre 1983 hatte die Öffnung großer<br />

Waldreserven für private Investoren zur Folge. Im Rahmen von CODESUR kam es auch<br />

zur Vergabe von Konzessionen für Holzeinschläge von Parzellen, <strong>auf</strong> denen <strong>indigene</strong><br />

Gemeinschaften lebten, insofern stellen Holzschläger eine ernsthafte Bedrohung für das<br />

Leben der davon betroffenen <strong>indigene</strong>n Völker dar.<br />

Der Abbau von Mineralien wie Bauxit und Kaolin sollte in den 1980er Jahren ebenfalls<br />

die <strong>Entwicklung</strong> bisheriger Rückzugsgebiete, in denen die Panare, Piaroa, Guajibo und<br />

die Mapoyo leben, beschleunigen. Das Beispiel von Los Pijiguaos, einem Dorf nördlich<br />

von Puerto Ayacucho, ist besonders eindringlich. <strong>Die</strong> neuen Siedler, die in die Region<br />

zum Abbau von Bauxit kamen, stellten die dort ansässigen Indígenas vor die Wahl:<br />

entweder sie verlassen das Gebiet oder sie leben dort weiter, aber dann ohne Garantien<br />

für ihr kulturelles Überleben. So sieht man heute in dem Gebiet bettelnde und / oder<br />

alkoholisierte Indianer oder auch Prostituierte, die ohne Optionen marginal in das System<br />

eingebunden sind.<br />

Zur <strong>Entwicklung</strong> des Orinoko-Deltas wird auch in der dortigen Zone seit 1993 Erdöl<br />

gefördert. Selbst das leidgeprüfte Volk der Warao sah dieser Idee mit Optimismus<br />

entgegen. Seit Ende 1996 starben allerdings mindestens 120 Warao an ihnen bislang<br />

unbekannten Krankheiten, die durch die Arbeiter in der Erdölindustrie eingeführt wurden.<br />

Weiters werden die Warao von ihren Territorien verdrängt und ziehen<br />

gezwungenermaßen in die nahegelegenen Städte, wo sie „ein Leben unter erbärmlichen<br />

Lebensbedingungen führen müssen“ (Aray 1998:15).<br />

6.3.4. Desarrollismo als Fassadenpolitik<br />

Eine weitere inhaltliche Ausrichtung der staatlichen venezolanischen <strong>Entwicklung</strong>spolitik<br />

betonte vor allem die Wayúu Noelí Pocaterra (Interview am 6.07.2002). Ihr geht es um<br />

die Überzeugung, dass über die Verbesserung der Infrastruktur, der Errichtung<br />

bedeutender Gebäude und Autobahnen ein Wachstum stattfindet, welches als Synonym<br />

von Fortschritt und <strong>Entwicklung</strong> stehe. Mit diesem Prozess einher ging getreu dem<br />

Dualismuskonzept die Zerstörung von allem, was als typisch für traditionelle<br />

Gesellschaften angesehen wurde und durch Zementbauten zu ersetzen war. Mit diesem<br />

Beispiel wird die transitive Verwendung von <strong>Entwicklung</strong> besonders anschaulich. Auf<br />

82


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

eine gegensätzliche reflexive Bedeutung macht Pocaterra im selben Atemzug<br />

<strong>auf</strong>merksam, in dem sie anfügt: „Pero la gente no creció ...“ („Aber die Menschen sind<br />

nicht gewachsen ...“). Auf eine <strong>Perspektive</strong>, in der ‚der Mensch wächst’, werde ich in<br />

Kapitel 6.4.2. näher eingehen.<br />

Als Folge der transitiven <strong>Entwicklung</strong>spolitik ist einerseits die Vernachlässigung<br />

moralischer Werte und solidarischer Prinzipien untereinander zu nennen und andererseits<br />

die Bildung des Individualismus und die Überzeugung anzuführen, dass alles – koste es<br />

was es wolle – möglich ist. <strong>Die</strong> Attraktivität dieses <strong>Entwicklung</strong>smodells liegt in der<br />

Vorstellung einer Gesellschaft des unerschöpflichen Konsums und das hat auch in den<br />

Köpfen mancher Indígenas zu falschen Erwartungen geführt. Darin liegt auch der Grund<br />

für die Bildung urbaner indianischer Zonen, die genau diese falschen <strong>Perspektive</strong>n für<br />

ihre Zukunft suchten.<br />

<strong>Die</strong>se Ausrichtung der venezolanischen <strong>Entwicklung</strong>spolitik ist für Pocaterra auch für die<br />

aktuelle Situation des Landes verantwortlich, wo beispielsweise überschüssige<br />

Nahrungsmittel weggeworfen werden und gleichzeitig Mangelernährung herrscht. Das<br />

Nebeneinander einer sehr starken Armut größter Bevölkerungsteile und eines ebenso<br />

starken Reichtums in Kreisen der Oberschicht ist Beweis, dass es sich hierbei um ein<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzept handelt, das <strong>auf</strong> Akkumulation und Wirtschaftswachstum basiert<br />

und den Menschen als humanes Wesen nicht beachtet.<br />

6.4. Indigene <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Indigene Völker befinden sich an der Peripherie der Peripherie und es wurde ihnen ihr<br />

Platz am Rande der Gesellschaft und auch am Rande des <strong>Entwicklung</strong>sdiskurses<br />

zugewiesen. Zu sehr mit Wirtschaftswachstum, Industrialisierung, Staatenbildung,<br />

politischen Konflikten, sozialen Klassen und Bewegungen, Sozialtheorien und deren<br />

entwicklungsmäßiger Mannigfaltigkeit beschäftigt, hat man derart marginale Gruppen<br />

wie <strong>indigene</strong> Völker als nicht beachtenswert betrachtet. Ein <strong>auf</strong>richtiger Diskurs mit<br />

<strong>indigene</strong>n Völkern fordert jedoch eine Neubewertung der bisherigen <strong>Entwicklung</strong>spraxis,<br />

unter anderem auch im Umgang mit der Natur. <strong>Die</strong> Dekonstruktion des westlich<br />

definierten <strong>Entwicklung</strong>sbegriffes bringt es zwangsläufig mit sich, die fundamentale<br />

Frage der Bedeutung von <strong>Entwicklung</strong> anzusprechen: <strong>Entwicklung</strong> meint für nicht-<br />

83


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

westliche Völker oft zur Bedeutungslosigkeit bestimmt oder gar verdammt zu sein. <strong>Die</strong><br />

Vernichtung <strong>indigene</strong>r Kosmologien angesichts einer desakralisierten Rationalität könne<br />

nach Tucker (1999:19f) eine Moderne produzieren, die keine kohärente Bedeutung oder<br />

keine konzeptuelle Gültigkeit für <strong>indigene</strong> Völker darstellt. <strong>Die</strong> Begegnung zwischen der<br />

westlichen Moderne und den <strong>indigene</strong>n Kosmologien ist problematisch und zwar deshalb,<br />

weil das tief in dem normativen Ideal der westlichen Gesellschaft verwurzelte<br />

Säkularitätskonzept zu einer Intoleranz gegenüber Gesellschaften führe, welche es als<br />

religiös betrachten. <strong>Die</strong> westlich-christliche Säkularität stellt den Menschen ins Zentrum<br />

des Universums, was andere Kosmologien nicht vorsehen; ihre Beziehung zur Natur ist<br />

vielmehr durch Respekt und Bescheidenheit charakterisiert.<br />

6.4.1. Zur Begründung nach der Frage<br />

<strong>Die</strong> Anwendung des <strong>Entwicklung</strong>sbegriffes bei <strong>indigene</strong>n Völkern lässt sich<br />

grundsätzlich in Frage stellen und zwar <strong>auf</strong> Grund des damit verbundenen Oktroyierens<br />

eines Konzeptes <strong>auf</strong> Gesellschaften, die bisher nur passiv an seiner Umsetzung beteiligt<br />

waren und ohne Zweifel als eine der größten Verlierer staatlicher <strong>Entwicklung</strong>splanungen<br />

anzusehen sind. Es zeugt jedoch von Ausschlussdenken, wenn man <strong>indigene</strong>n Völkern<br />

die Teilnahme am <strong>Entwicklung</strong>sdiskurs vorenthält oder <strong>indigene</strong> <strong>Perspektive</strong>n als nur<br />

eine weitere Neuformulierung (wie es derer schon viele gegeben hat) von <strong>Entwicklung</strong> zu<br />

degradieren. Abgesehen davon lässt sich das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen und<br />

es gibt so gut wie keine <strong>indigene</strong> comunidad mehr, die nicht wie auch immer mit der<br />

‚westlichen Welt’ und somit mit ‚<strong>Entwicklung</strong>’ in Kontakt geraten ist. <strong>Die</strong> sich daraus<br />

ergebenden Dynamiken mögen gewichtiger sein; kulturelle Veränderungen <strong>auf</strong> Grund der<br />

Kommunikation und dem Austausch mit anderen indianischen Nachbardörfern gab es<br />

jedoch immer schon, vor allem im Amazonasgebiet. Heute den existierenden <strong>indigene</strong>n<br />

Völkern ein Glaskasten überstülpen zu wollen, sie zu isolieren versuchen und zu meinen,<br />

dass ein vermeintlich statisches Verweilen für die Betroffenen das Beste sei, weil<br />

unbeeinflusst von der westlichen Gesellschaft, sehe ich als ein Verkennen der<br />

tatsächlichen Gegebenheiten und letztlich als brutal an. <strong>Die</strong> Unmöglichkeit einer solchen<br />

Überlegung bestätigte mir auch die Wayúu Noelí Pocaterra (Interview am 6.07.2002),<br />

indem sie die heutige Situation zwischen indianischer und westlicher Welt<br />

folgendermaßen skizzierte:<br />

84


Indigene Völker<br />

Indianische<br />

Welt<br />

oral<br />

<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

Zusammenleben<br />

verschriftlicht<br />

Okzidentale<br />

Welt<br />

„El problema es el siguiente: hoy en día nosotros somos esta sociedad, somos pueblos<br />

indígenas, somos un pueblo oral. Tenemos entonces otro pueblo que es el pueblo ajeno,<br />

occidente, donde todo está escrito. Ahora la situación es así: hay unos pueblos que están aquí,<br />

allí o allá. Hay también pueblos que han desaparecido culturalmente, existen físicamente, pero<br />

ya no hablan su idioma, ya no se pueden creer en las creencias. Yo creo que hoy en día , es<br />

una realidad que estamos en esta convivencia.” Ü9<br />

Wichtig scheint mir zudem, dass sich die Indígenas mit ihren Auffassungen primär <strong>auf</strong><br />

das eigene Umfeld konzentrieren und nicht behaupten oder sich anmaßen, ein durch und<br />

durch neues universales Konzept von <strong>Entwicklung</strong> zu entwerfen. Und schließlich ist der<br />

Begriff der <strong>Entwicklung</strong> derart im globalen Wortschatz verankert, dass es trotz der<br />

berechtigten Kritik an ihm, nicht mehr möglich sein wird, ihn abzuschaffen oder durch<br />

einen neuen zu ersetzen.<br />

Wenn es folglich um eine indianische <strong>Perspektive</strong> von <strong>Entwicklung</strong> gehen wird, dann ist<br />

diese zuerst einmal als eine Reaktion <strong>auf</strong> die Erfahrungen mit dem oben dargelegten<br />

transitiven Konzept anzusehen. Das soll heißen, dass sich erst mit einer wie auch immer<br />

gearteten Kontaktsituation zwischen <strong>indigene</strong>r und westlich-kreolischer Welt eine<br />

indianische Auffassung gebildet hat. <strong>Die</strong> Kontaktnahme fand über die neuen<br />

Kommunikationswege wie z.B. <strong>auf</strong> Grund des Vorhandenseins von Booten mit<br />

Außenbordmotoren oder einer Radioverbindung statt, die die geographischen Distanzen<br />

reduzierten und eine verstärkte Mobilität und Migration ermöglichten. So durchdrang das<br />

okzidentale <strong>Entwicklung</strong>skonzept die gesamte auch die <strong>indigene</strong> Bevölkerung (Interview<br />

mit Esteban E. Mosonyi, 5.07.2002). <strong>Die</strong> sich daraus ergebende Konfrontation von<br />

Werten, Normen und Systemen fand psychisch gesehen hauptsächlich über die Institution<br />

85


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

der Schule und der Bildung statt 19 , physisch gesehen erfolgte und erfolgt die<br />

Konfrontation <strong>indigene</strong>r Völker mit staatlichen <strong>Entwicklung</strong>sprojekten über die<br />

Ausbeutung der <strong>indigene</strong>n Arbeitskraft und / oder in der Verschmutzung und<br />

Vernichtung der Umwelt, dessen Ausmaße das Leben in den comunidades unmittelbar<br />

beeinträchtigt. (vgl. Kapitel 6.3.3.). Um sich diesem <strong>Entwicklung</strong>skonzept zu stellen, war<br />

es letztlich notwendig, sich ihm zu stellen, aber dem Begriff gleichzeitig eine neue<br />

Ausrichtung zu verleihen.<br />

6.4.2. Inhalte <strong>indigene</strong>r Begriffszuweisungen<br />

Meine Feldforschung hat ergeben, dass die Suche nach den Inhalten einer indianischen<br />

Sicht von <strong>Entwicklung</strong> nur im Zusammenhang mit der Betrachtung weiterer Begriffe und<br />

zwar der der Zivilisation, der Technologie und des Fortschrittes erfolgen kann. <strong>Die</strong>ses<br />

Konglomerat aus vier Begriffen, die eng miteinander verbunden sind und deren<br />

Verwendung oftmals synonym erfolgt, möchte ich zunächst versuchen <strong>auf</strong>zuschlüsseln.<br />

Nach dieser Begriffsklärung werde ich mich im Detail mit der inhaltlichen Ausrichtung<br />

eines indianischen Verständnisses von <strong>Entwicklung</strong> auseinandersetzen.<br />

6.4.2.1. Zivilisation, Technologie und Fortschritt – was steht für was?<br />

Laut Lexikon des Deutschen Taschenbuch Verlags (1999:287; Bd. 20) lässt sich<br />

zwischen einem weiteren und einem engeren Sinn von Zivilisation unterscheiden;<br />

während sich Zivilisation i.w.S. <strong>auf</strong> „die verfeinerte Lebensweise und Gesittung“ bezieht,<br />

meint Zivilisation i.e.S. „die durch Wissen und Technik überformten und perfektionierten<br />

materiellen und sozialen Gegebenheiten einer Gesellschaft, in Abhebung von einem<br />

ungeformten Naturzustand menschlichen Zusammenlebens.“ Es ist offensichtlich, dass<br />

sich diese Definition an sich nicht <strong>auf</strong> eine bestimmte Gruppe organisierter Menschen<br />

bezieht, sondern <strong>auf</strong> viele Gesellschaften zutrifft, so auch <strong>auf</strong> indianische Gesellschaften,<br />

die über eine klar strukturierte Sozialordnung verfügen wie z.B. die Inka zu ihrer<br />

Hochblüte.<br />

19 <strong>Die</strong> Problematik von Schule und Bildung sowie deren Neubewertung scheint mir in diesem Kontext<br />

insbesondere von Bedeutung. Deswegen werde ich dar<strong>auf</strong> detaillierter in Zusammenhang mit den<br />

Voraussetzungen für einen autodesarrollo indígena in Kapitel 7.2. eingehen.<br />

86


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

Meine indianischen GesprächspartnerInnen jedoch bezogen sich stets <strong>auf</strong> eine nicht näher<br />

definierte ‚westliche Gesellschaft’ in Abgrenzung zur der eigenen <strong>indigene</strong>n Kultur,<br />

wenn sie von Zivilisation sprachen oder sich <strong>auf</strong> den Prozess des Zivilisierens bezogen.<br />

Mit letzterem wird die Übernahme westlicher Produkte, Verhaltensweisen und Normen<br />

verstanden.<br />

An diesem Punkt wird auch die Verbindung zur Technologie deutlich; denn Technologie<br />

steht für Produkte aus der anderen, der westlichen Welt wie beispielsweise<br />

Außenbordmotor, Gewehr, Werkzeug, maschinelle yucca-Reibe, elektrisches Licht,<br />

Wellblech, Fernseher, Kühlschrank, Küchenofen, Geschirr. Es sei vorweggenommen,<br />

dass diese technologische Aneignung von den Indígenas grundsätzlich als sekundär für<br />

ihre <strong>Entwicklung</strong> eingestuft oder aber als Mittel zum Zweck benutzt wird, wobei der<br />

Zweck hier die reale Umsetzung <strong>indigene</strong>r <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> darstellt.<br />

Fortschritt wird aus indianischer Sicht zumeist mit der Verwendung westlicher<br />

technologischer Erneuerungen gleichgesetzt. <strong>Die</strong> in diesem Zusammenhang gefallenen<br />

Aussagen meiner GesprächspartnerInnen stimmen darin überein, dass mit den Produkten<br />

aus der westlichen Welt die alltäglichen Aktivitäten einfacher zu bewerkstelligen sind<br />

und somit das Überleben erleichtert wird. Darin wiederum wird eine Verbesserung des<br />

Lebens an sich gesehen, weil manche Tätigkeiten wesentlich weniger anstrengend und<br />

praktischer sind als früher: Z.B. das maschinelle Reiben der yucca oder das<br />

Vorhandensein eines Außenbordmotors, der den Zugang zu den Märkten in größeren<br />

Dörfern oder in der Stadt für den Verk<strong>auf</strong> ihrer Produkte und dem K<strong>auf</strong> von nicht-<br />

indianischen Produkten wesentlich erleichtert. Meinen Beobachtungen zufolge liegt ein<br />

weiterer interessanter Aspekt in dieser Art von Fortschritt darin, die körperliche Arbeit so<br />

zu reduzieren, dass mehr Zeit für kulturelle und andere gesellschaftliche Aktivitäten<br />

bleibt, anstatt sämtliche alltägliche Aktivitäten zu beschleunigen, um deren mehr<br />

verrichten zu können, was dann einem (ökonomischen) Wachstum gleich käme. Zu einer<br />

sehr ähnlichen Schlussfolgerung kommt auch Haudry de Soucy, nur dass er in seinen<br />

Überlegungen von einem Modernisierungsprozess an Stelle von Fortschritt spricht:<br />

„Al respecto es interesante señalar que la modernidad no debe ser sinónimo de aceleración de<br />

ritmo de vida, sino por el contrario debe bajar la intensidad del trabajo (del esfuerzo físico) y<br />

permitir ganar tiempo libre para la cultura y otras actividades no necesariamente ‘rentables’.”<br />

(Haudry de Soucy 1998:102). Ü10<br />

87


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

Das Vorhandensein von Strom zur Lichterzeugung oder zum Fernsehen hat<br />

gestalterischen Charakter. Das gemeinsame Ansehen eines Films und die Diskussion<br />

darüber trägt zur Auseinandersetzung mit anderen Lebensformen, Ansichten, Werten und<br />

Gewohnheiten bei. Der Stellenwert von elektrischem Licht ist vor allem deswegen<br />

gestiegen, weil die Schulkinder vor allem abends lernen und Lesen und Schreiben üben.<br />

Der Ersatz der früheren Lichtquelle in Form eines brennenden Astes durch elektrisches<br />

Licht ist auch aus gesundheitlichen Gründen von Vorteil, weil es so nicht mehr zu den<br />

starken Verbrennungen am Körper durch herunterfallende heiße Glut und Asche kommt.<br />

(Gespräch mit Simón Cayupare am 17.07.2002; Gespräch mit Antonio González Pérez<br />

am 9.08.2002).<br />

Oftmals stellten aber auch die Rechte der <strong>indigene</strong>n Völker in der neuen Verfassung<br />

Venezuelas die erste Assoziation mit dem Fortschrittsbegriff dar. <strong>Die</strong> Begründung einer<br />

solchen Sichtweise von Fortschritt liegt darin, die <strong>indigene</strong>n Kulturen <strong>auf</strong>rechtzuerhalten,<br />

sie zu fördern, um das physische und sozio-kulturelle Überleben der <strong>indigene</strong>n Völker in<br />

Venezuela sicher zu stellen. Über diesen letzten Aspekt möchte ich nun zum indianischen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sbegriff überleiten.<br />

6.4.2.2. <strong>Entwicklung</strong> mit indianischen Augen sehen<br />

<strong>Die</strong> Formulierung einer <strong>indigene</strong>n Sicht <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist äußerst umfassend und<br />

deswegen auch nicht leicht kategorisch fassbar. Es handelt sich um ein sehr komplexes, ja<br />

holistisches Phänomen, das tief mit der eigenen Lebenswelt verbunden ist und von dem<br />

Menschen als eingebundenes Mitglied einer Gemeinschaft ausgeht. Anders ausgedrückt<br />

handelt es sich hier um ein wahrhaftig integrales Konzept, das den Prozess des Lebens als<br />

solches und somit auch <strong>Entwicklung</strong> als Ganzes <strong>auf</strong>fasst und grundsätzlich <strong>auf</strong> die<br />

Verbesserung der Lebensqualität gerichtet ist.<br />

„Porque yo entiendo que el desarrollo es una concepción integral que tiene que partir de la<br />

gente, que tiene que partir del humano, no necesariamente hay que vivir en una casa fastuosa.<br />

Se puede vivir en una casa tradicional si hay alimentos, si hay salud, si hay un signo de<br />

solidaridad, de convivencia. En nuestros pueblos practicaron eso, en nuestros pueblos unos<br />

pescaban, otras pasaban, otros buscaban frutas y se intercambiaban los productos y tenían<br />

menos problemas que ahora y eran menos enfermo.” (Interview mit Noelí Pocaterra am<br />

6.07.2002) Ü11<br />

<strong>Die</strong> folgenden Ausführungen sollen <strong>auf</strong>zeigen, worin eine verbesserte Lebensqualität<br />

gesehen wird: Zuerst einmal geht es um die physische und psychische Erhaltung der<br />

88


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

eigenen Kultur, die das Überleben der <strong>indigene</strong>n Völker sowie die Bewahrung ihrer<br />

sozio-kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Charakteristika sicher stellen sollen.<br />

Gleichzeitig wird das Aufrechterhalten von Gewohnheiten (hier als traditionelle und<br />

alltägliche Aktivitäten verstanden) und die tiefe, von Respekt gekennzeichnete Beziehung<br />

zur Natur für die Erhaltung der Umwelt betont. Der oftmalige Verweis in diesem<br />

Zusammenhang <strong>auf</strong> die Notwendigkeit einer Umsetzung der zugesicherten Rechte<br />

<strong>indigene</strong>r Völker in der Bolivarianischen Verfassung unterstreicht diesen Aspekt. Als<br />

primäres Anliegen ist hier die Hoffnung <strong>auf</strong> die wahrhaftige Übergabe eines Landtitels zu<br />

nennen.<br />

Ebenso ist der Anspruch der Bewahrung und Stärkung des Gemeinschaftsgefühls<br />

(Identität) und der Solidarität unter den Mitgliedern einer comunidad und auch<br />

derjenigen, die temporär nicht in dem eigenen Dorf wohnen, weil sie sich in einer<br />

formalen Bildungsinstitution in einem größeren Dorf oder einer Stadt befinden oder<br />

gerade einer entgeltlichen Arbeit außerhalb der comunidad nachgehen, von großer<br />

Bedeutung. Denn es geht hierbei vor allem um die soziale Integration innerhalb der<br />

comunidad.<br />

Weiters geht es um die Befriedigung gewisser (Grund-)Bedürfnisse wie das Verfügen<br />

über ausreichend Nahrungsmittel, der Wunsch nach einer besseren gesundheitlichen<br />

Versorgung sowie der Möglichkeit einer guten Ausbildung. Das Erfassen der Bedeutung<br />

dieser drei Elemente fordert eine genauere Analyse heraus.<br />

Im ersten Fall muss man sich vergegenwärtigen, dass im Zuge der Sesshaftwerdung der<br />

vormals semi-nomadischen Völker im venezolanischen Amazonasgebiet sich auch die<br />

Versorgungslage verändert hat. <strong>Die</strong> vormals starke Ausrichtung entweder <strong>auf</strong> Sammel-<br />

und Jagdtätigkeiten oder <strong>auf</strong> Fischfang gerät dann in Bedrängnis, wenn es in der nahen<br />

Umgebung immer schwerer wird Tiere zu finden, reife Früchte zu sammeln und<br />

genügend gesunde Fische zu fangen, weil das natürliche Gleichgewicht der Reproduktion<br />

gestört wurde. Eine interne Anpassung an diese neuen äußeren Umstände z.B. in Form<br />

eines verstärkten und diversifizierten Ackerbaus findet, wie Bernarda Escalante betonte<br />

(Interview am 2.07.2002) oftmals nur sehr langsam und schwerfällig statt. Dennoch<br />

liegen gerade hier im Zusammenhang mit diesbezüglichen Beispielen eines<br />

autodesarrollo indígena bedeutsame Potenziale (vgl. Kapitel 7.4.3.).<br />

89


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

Was den Wunsch nach einer besseren gesundheitlichen Versorgung anbelangt, so ist auch<br />

dieser nur Kontext gebunden zu verstehen. Auf zwei wichtige Aspekte möchte ich an<br />

dieser Stelle eingehen, erstens wurde mit der Kolonisierung und der Durchdringung<br />

weiter Teil des Tieflandes durch weiße Siedler, Minenarbeiter oder Kautschuksammler<br />

unbekannte Krankheiten in das Gebiet eingeschleppt, die teilweise zu schlimmen<br />

Epidemien unter der indianischen Bevölkerung geführt haben und zweitens wurde im<br />

Rahmen indigenistischer Politiken die Ausübung traditioneller Heilkunst und<br />

schamanischer Aktivitäten verboten, was <strong>auf</strong> Grund der ‚erfolgreichen’ Unterbindung<br />

verheerende Folgen für die gesundheitliche Situation in den comunidades hatte. <strong>Die</strong><br />

Erfüllung obigen Wunsches liegt somit einerseits im Zugang zu Medikamenten für die<br />

Heilung von Krankheiten, die nicht <strong>auf</strong> traditionelle Weise behandelt werden können und<br />

andererseits in einer verstärkten freien (Wieder-)Inanspruchnahme schamanischer<br />

Heilformen.<br />

Der Wunsch nach guten Ausbildungsmöglichkeiten beinhaltet ebenfalls zumindest zwei<br />

Komponenten: erstens besteht der hohe Anspruch an Bildung in der Verteidigung der<br />

eigenen Kultur und zweitens will man über die Bildung über sich selbst hinauswachsen<br />

und mit den erworbenen Kenntnissen der Gemeinschaft Nutzen bringen und ihre<br />

Lebenssituation verbessern (vgl. Kapitel 7.3.3.).<br />

Dass die <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong>n sich nicht <strong>auf</strong> einen ausschließlich linear nach vorne<br />

gerichteten <strong>Entwicklung</strong>sprozess beziehen, zeigt sich nicht nur in dem Wunsch nach der<br />

Aufrechterhaltung gegenwärtiger Elemente im Leben, sondern vor allem auch in dem<br />

Bedürfnis und dem Willen, Kulturverluste wiederzubeleben und sich der eigenen<br />

früheren kulturellen Besonderheiten rückzubesinnen. <strong>Die</strong>s wird vor allem von Eltern<br />

betont, die sehen, dass ihre Kinder immer weniger über ihre und von ihren Vorfahren<br />

wissen, weil sie zu vielen neuen Einflüssen ausgesetzt sind. <strong>Die</strong> Bewusstwerdung der<br />

jungen Leute über die Bedeutung ihrer Herkunft hat hier einen hohen Stellenwert. In<br />

diesem Sinn gilt es auch, wieder eine Brücke zur Vergangenheit zu schlagen, um in<br />

Kombination mit dem traditionellen Wissen und den neu in der formalen Bildung<br />

erworbenen Kenntnissen die Zukunft nach den eigenen Maßstäben zu gestalten.<br />

<strong>Die</strong> grundsätzlich kulturelle und identitätsbezogene Ausrichtung der <strong>indigene</strong>n<br />

<strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> verweist zudem dar<strong>auf</strong>, dass die Diversität in der<br />

90


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

indianischen Welt keinen vordefinierten unilinearen <strong>Entwicklung</strong>sweg zulässt. Wohl<br />

lassen sich Tendenzen und geteilte Visionen für die Zukunft darlegen, die genaue<br />

Ausgestaltung des Prozesses und die konkreten <strong>Entwicklung</strong>sziele bleiben aber den<br />

jeweiligen <strong>indigene</strong>n Völkern und im speziellen den einzelnen comunidades vorbehalten.<br />

Mit anderen Worten ist <strong>Entwicklung</strong> hier polylinear konzipiert.<br />

<strong>Die</strong> vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass es sich in der <strong>indigene</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzeption um einen Prozess handelt, der von innen heraus gesteuert und<br />

determiniert ist. <strong>Die</strong> reflexive Ausrichtung eines ‚sich entwickeln’ bildet somit die<br />

Grundlage indianischer Sichtweisen von <strong>Entwicklung</strong>. <strong>Die</strong> Verwendung westlicher<br />

Produkte im Sinne eines transitiven ‚Entwickelt Werdens’ hat in dieser Konzeption, wie<br />

schon zuvor dargelegt, keine Bedeutung. Das abschließende Zitat aus dem Gespräch mit<br />

dem Yekuana Marcos Jiménez am 17.07.2002 soll obige Schlussfolgerungen nochmals<br />

untermauern:<br />

„Hay que realizar que todos los productos occidentales como electricidad, mesa, silla, ollas<br />

etcétera, que esos son tecnología, no es para nosotros desarrollo, sólo es tecnología. Mucha<br />

gente no sabe lo que es un desarrollo porque desarrollo no es tecnología. (...), luz o televisor<br />

sí, es parte del desarrollo pero no te puede ayudar a tí para desarrollarte – son cosas que hay<br />

que interpretarlo bien. (...). ...un desarrollo tiene que ser integral, es una cosa integral.” Ü12<br />

6.5. Indianische Welt – westliche Welt: ein Widerspruch? Der Versuch<br />

einer versöhnlichen Gegenüberstellung<br />

<strong>Entwicklung</strong> stellt ein Prozess dar – in einem indianischen Verständnis sowie aus Sicht<br />

des Westens – darüber herrscht Einigkeit. Ein Vergleich zwischen den beiden<br />

Konzeptionen ist vor allem dann interessant und zielführend, wenn man nach der<br />

Bedeutung, der grundsätzlichen Ausrichtung und vor allem nach dem Ziel (dem<br />

gewünschten Zustand der erreicht werden soll) fragt. <strong>Die</strong> vorangegangenen Kapitel<br />

haben bereits einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen geleistet. Ich möchte an<br />

dieser Stelle nochmals die bedeutsamsten Unterschiede herausstreichen:<br />

91


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

vorherrschende westliche Sicht indianisches Verständnis<br />

transitive Verwendung (etwas entwickeln) reflexive Verwendung (sich entwickeln)<br />

Konzentration <strong>auf</strong> einzelne Aspekte integrales Konzept<br />

<strong>auf</strong> (ökonomisches) Wachstum zielend Verbesserung der Lebensqualität als Ziel<br />

unilinear und universal konzipiert polylinear ausgerichtet, keinen Anspruch <strong>auf</strong><br />

Universalität, Diversität anerkennend<br />

geradlinig <strong>auf</strong> die Zukunft gerichtet Revitalisierung von Vergangenem<br />

Umweltaspekte weitgehend ausgeblendet die enge Beziehung zur Natur betonend<br />

Temple (1993:203) schreibt in seinem Artikel über den Widerspruch der Systeme<br />

indianischer und westlicher Gesellschaften, dass die Welt der ersteren für die ethische<br />

Dimension menschlicher Werte vor allem der Anerkennung des anderen, der<br />

gegenseitigen Solidarität und der Reziprozität steht; hingegen basiert die gegenwärtige<br />

okzidental geprägte internationale Ordnung <strong>auf</strong> Wettbewerb und Privatisierung sowie <strong>auf</strong><br />

Akkumulation und Ausbeutung. Am deutlichsten ließe sich der Unterschied im<br />

wirtschaftlichen System darstellen, wo bei den einen die Solidarität, bei den anderen der<br />

Egoismus vorherrsche. Dass die Suche indianischer comunidades nach einer anderen<br />

<strong>Entwicklung</strong>, die von eben dieser Solidarität und von Verantwortung geprägt ist, eine<br />

Herausforderung für den Westen darstellt, darin gehe ich mit Temple konform. In diesem<br />

Kontext ist es insbesondere wichtig zu berücksichtigen, dass, während der westliche<br />

<strong>Entwicklung</strong>sdiskurs die Integration peripherer (so auch indianischer) Ansichten als nicht<br />

Wert beachtet hat, das indianische <strong>Entwicklung</strong>skonzept neben den bereits dargelegten<br />

Inhalten grundsätzlich interkulturell ausgerichtet ist.<br />

„Hablamos de interculturalidad porque yo tengo que aprender tanto de tí como tú de mi.”<br />

(Gespräch mit Gladys González am 3.07.2002). Ü13<br />

“(...) digamos así, un desarrollo intercultural, es decir a tomar lo bueno de cada uno.”<br />

(Interview mit Noelí Pocaterra am 6.07.2002). Ü14<br />

Beide Zitate weisen dar<strong>auf</strong> hin, dass es sich hierbei um ein gegenseitiges Lernen handelt,<br />

das von Seiten der Indígenas angestrebt wird. <strong>Die</strong>ses Ineinandergreifen beider Welten als<br />

<strong>Entwicklung</strong>sperspektive kann allerdings nur unter der Voraussetzung gegenseitiger<br />

92


<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

Anerkennung und Respekterweisung sowie gleicher Bewertung von Erfolg beschieden<br />

sein. Schlussfolgernd sucht die indianische <strong>Entwicklung</strong> also nicht die Isolation; es geht<br />

vielmehr darum, eine Schnittstelle zwischen beiden Welten zu finden, die eine wahrhafte<br />

ebenbürtige Kommunikation erlaubt (Gespräch mit Abraham González am 26.07.2002;<br />

Temple 1993:200).<br />

Foto 19:<br />

Traditionelle Lichtquelle bei den Piaroa:<br />

<strong>auf</strong> die abgebrochene Seite wird die<br />

Milch eines bestimmten Baumes<br />

gegossen, den man heutzutage nur mehr<br />

sehr hoch oben in den Bergen finden<br />

kann. Wenn der Nektar getrocknet ist,<br />

dann kann man das Holz anzünden; es<br />

verbrennt aber hauptsächlich nur die<br />

getrocknete Baummilch und kaum das<br />

Holz.<br />

Foto 20:<br />

Stromleitung inklusive Satellitenschüssel in der Curripaco-comunidad Cariche<br />

am Orinoko gelegen. Der <strong>Die</strong>selgenerator zur Erzeugung des Stromes wird<br />

generell nur für zwei bis drei Stunden am Abend eingeschaltet.<br />

93


Foto 21:<br />

Hand-yucca-Reiben; das linke Modell ist<br />

mit Kieselsteinen in der Mitte beklebt, das<br />

rechte besteht aus reiner sehr scharfer<br />

Baumrinde.<br />

<strong>Entwicklung</strong> und <strong>indigene</strong> Völker<br />

Foto 22:<br />

Hand-yucca-Reibe, bestehend aus einem<br />

robusten Ast, umwickelt mit einer<br />

<strong>auf</strong>geschnittenen Aluminiumdose, in<br />

welche Löcher gestochen wurden.<br />

Foto 23:<br />

Maschinelle yucca-Reibe, mit <strong>Die</strong>sel-Ölgemisch betrieben. Kostenfaktor etwa<br />

350.000,- Bolívares (entspricht ca. 500 Euro)!<br />

94


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

7. Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des<br />

problema indígena<br />

„Sólo los pueblos indígenas saben desde el<br />

principio de qué forma vamos a desarrollar y de<br />

qué forma podemos verlo.“ (Gladys González de<br />

Rodriguez) Ü15<br />

In der Entstehungsphase des indianismo, also der Mobilisierung der Indianer und der<br />

Formierung <strong>indigene</strong>r Bewegungen, entwickelte sich in anthropologischen und<br />

soziologischen Kreisen eine neue Denkrichtung der Zukunft der indianischen Bevölkerung.<br />

Es ging um die Suche nach Möglichkeiten, wie man die Verlusterscheinungen der<br />

kulturellen Identität <strong>indigene</strong>r Völker Lateinamerikas abwenden und in ihr Gegenteil<br />

umkehren kann. Auf mehreren internationalen Foren wurden ebenfalls die vielschichtigen<br />

Prozesse von Ethnozid angeklagt, deren historische, soziale, politische und ökonomische<br />

Ursachen neu überdacht werden sollten. Daraus entwickelte sich Anfang der 80er Jahre das<br />

ideologische Konzept eines etnodesarrollo, das die Anwendung von Politiken fordert, die<br />

als diametral zu den vorherrschenden ethnoziden Politiken zu sehen und dar<strong>auf</strong> gerichtet<br />

sind, die verschiedenen Ethnien sich nach ihren eigenen Maßstäben entwickeln zu lassen.<br />

Wenn es um die konkrete Forderung <strong>indigene</strong>r Völker nach einer selbstbestimmten<br />

<strong>Entwicklung</strong> geht, dann sei an dieser Stelle soviel vorweggenommen, dass die eigene<br />

<strong>Entwicklung</strong> von sich selber ausgehen, sich nach den eigenen Bedürfnissen und Zielen<br />

richten sowie die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinbeziehen soll. In einem<br />

derartigen <strong>Entwicklung</strong>sprozess manifestiert sich <strong>auf</strong> deutlichste Weise das Prinzip von<br />

‚bottom-up’, welches eine deutliche Absage gegenüber der bisherigen Praxis einer von<br />

außen übergestülpten <strong>Entwicklung</strong>splanung nach dem Prinzip von ‚top-down’ impliziert.<br />

Der notwendige gesamtpolitische Rahmen für eine solche andere Lösung des problema<br />

indígena liegt, wie auch Serbin (1980:206) unterstreicht, in einem weitgefassten Projekt<br />

der nationalen Befreiung <strong>indigene</strong>r Völker und der sozialen Transformation.<br />

95


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

7.1. Zu den Begriffen etnodesarrollo und autodesarrollo indígena<br />

Das Konzept des etnodesarrollo wurde in der Declaración de San José sobre el etnocidio y<br />

el etnodesarrollo geprägt, die das schriftliche Ergebnis eines von der UNESCO<br />

einberufenen internationalen Treffens im Dezember 1981 in der Hauptstadt Costa Ricas<br />

war. Bereits der Titel der Deklaration verweist <strong>auf</strong> den unmittelbaren Zusammenhang<br />

zwischen Ethnozid und etnodesarrollo, der sich in seiner fundamentalen Gegensätzlichkeit<br />

findet. <strong>Die</strong> Deklaration ist als eine Proklamation zu verstehen, die es als notwendig<br />

erachtet, mit den ethnoziden Politiken zu brechen und stattdessen den Prozess eines<br />

wahrhaftigen etnodesarrollo in Gang zu setzen. Der Artikel 3 gibt Aufschluss darüber, was<br />

die TeilnehmerInnen an dem Treffen unter etnodesarrollo verstehen:<br />

„Entendemos por etnodesarrollo la ampliación y consolidación de los ámbitos de cultura propia,<br />

mediante el fortalecimiento de la capacidad autónoma de decisión de una sociedad<br />

culturalmente diferenciada para guiar su propio desarrollo y el ejercicio de la<br />

autodeterminación, (...). Esto significa que el grupo étnico es unidad político-administrativa con<br />

autoridad sobre su propio territorio y capacidad de decisión en los ámbitos que constituyen su<br />

proyecto de desarrollo dentro de un proceso de creciente autonomía y autogestión.” (Rojas<br />

1982:24) Ü16<br />

Folglich wird die Errichtung und Anwendung von Politiken gefordert, die dazu geeignet<br />

sind, die freie Ausübung der eigenen Kultur ethnischer Gruppen zu garantieren an Stelle<br />

von ethnoziden Politiken, die ihnen das Recht verweigern, die eigene Kultur und die<br />

eigene Sprache zu gebrauchen, zu entwickeln und weiterzugeben.<br />

Obwohl der etnodesarrollo ausgehend von der Situation der <strong>indigene</strong>n Völker konzipiert<br />

wurde und ich mich auch in Folge seiner analytischen Mittel bedienen werde, habe ich<br />

mich in gedanklicher und logischer Konsequenz zu meiner Schlussfolgerung aus dem<br />

Kapitel 3.1. dazu entschlossen, von einem autodesarrollo indígena anstatt von<br />

etnodesarrollo zu sprechen. Zum einen möchte ich damit betonen, dass sich die folgenden<br />

Ausführungen ausschließlich <strong>auf</strong> die <strong>indigene</strong>n Völker und nicht <strong>auf</strong> andere ethnische<br />

Gruppen oder Minderheiten beziehen, was im Zuge einer erweiterten Auffassung von<br />

etnodesarrollo durchaus denkbar ist und zum anderen möchte ich mit dieser Entscheidung<br />

den Begriff in seiner von den Indígenas selbst verwendeten Form benutzen. Eine dritte<br />

Begründung liegt in der Bedeutung der Vorsilbe auto, die <strong>auf</strong> einen der wichtigsten<br />

Aspekte eines solchen autodesarrollo indígena verweist, nämlich <strong>auf</strong> seine endogene<br />

Ausrichtung; dar<strong>auf</strong>, dass hier die Indígenas selbst zu den Akteuren ihrer eigenen<br />

96


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

<strong>Entwicklung</strong> werden. Vierter und letzter Aspekt meines Vorzugs liegt darin, den<br />

<strong>Entwicklung</strong>en der letzten 20 Jahre in Zusammenhang mit der hier behandelten Thematik<br />

Rechnung zu tragen. Damit unterstelle ich bewusst dem Ausdruck autodesarrollo indígena<br />

einen wesentlich höheren Grad an Aktualität als dem Wort etnodesarrollo, ohne letzteren<br />

als veraltet herab setzen zu wollen.<br />

Der autodesarrollo indígena als ideologisches Konzept umfasst verschiedene Bereiche und<br />

Dimensionen. Er kann nicht in einseitigen Kategorien – wirtschaftlichen, politischen,<br />

sozialen oder kulturellen – gedacht, sondern muss vielmehr als eine Totalität <strong>auf</strong>gefasst<br />

werden (Gamboa 2003:17). Eine Totalität von Verflechtungen, eine integrale <strong>Entwicklung</strong><br />

im Sinne der <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Formen und Beispiele eines<br />

autodesarrollo indígena lassen sich aber auch als Phänomene von<br />

Hybridisierungsprozessen verstehen; Hybridisierung hier nicht in seiner ursprünglich<br />

biologisch-botanischen Herleitung einer Kreuzung von unterschiedlichen (Pflanzen)Arten<br />

verstanden, sondern in einem übertragenem Sinn als Ergebnismöglichkeiten von<br />

Situationen eines intensiven Kulturkontaktes. Elke Mader (2001:83) weist dar<strong>auf</strong> hin, dass<br />

„hybride kulturelle Situationen“ ein großes kreatives Potenzial darstellen, in welchen sich<br />

Elemente des Eigenen und des Fremden zu neuen Formen und Praktiken verbinden. Um<br />

welche Ausgestaltungsmöglichkeiten es sich hierbei bei einem autodesarrollo indígena<br />

handeln kann, dar<strong>auf</strong> werde ich in Kapitel 7.4.3. eingehen.<br />

Zunächst soll es um die inhaltliche Darstellung eines autodesarrollo indígena gehen. In<br />

Übereinstimmung mit der Definition Bonfils (1982:133) von etnodesarrollo als die soziale<br />

Kapazität eines Volkes, seine Zukunft selbst zu gestalten, beschreibt Gamboa (2003:17)<br />

autodesarrollo indígena als die Kapazität eines jeden <strong>indigene</strong>n Volkes, autonom über sein<br />

eigenes Schicksal zu entscheiden und es zu kontrollieren. Der <strong>Entwicklung</strong>sprozess bei<br />

beiden Autoren definiert sich nach den eigenen Werten und Zielvorstellungen, bezieht die<br />

historischen Erfahrungen und Lehren mit ein und ist mit den real existierenden und<br />

potenziellen Mitteln der Kultur abgestimmt. Es handelt sich demnach um ein offenes und<br />

vielfältiges Konzept, das nicht exakt definiert werden kann und auch gar nicht soll; geht es<br />

doch vor allem darum, der Diversität und Heterogenität der <strong>indigene</strong>n Völker Rechnung zu<br />

tragen und somit unterschiedliche Wege, Ausgestaltungsformen und Ziele der eigenen<br />

<strong>Entwicklung</strong> zuzulassen.<br />

97


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

7.1.1. Was heißt hier Selbstbestimmung?<br />

<strong>Die</strong> Inhalte von Selbstbestimmung und eines indianisch geprägten <strong>Entwicklung</strong>sprozesses<br />

sind eng miteinander verbunden und überlappen sich weitgehend. Deutlich wird das<br />

insbesonders, wenn es aus <strong>indigene</strong>m Munde heißt:<br />

„Unsere <strong>Entwicklung</strong> ist die Anerkennung unserer Selbstbestimmung. Unsere <strong>Entwicklung</strong><br />

erfordert Respekt gegenüber unserer Selbstbestimmung“ (COICA 1991:230).<br />

<strong>Die</strong> Problematik in der Verwendung des Wortes autonomía (Selbstbestimmung) in<br />

Zusammenhang mit dem Willen nach einer autonomen <strong>Entwicklung</strong> als <strong>indigene</strong> Völker<br />

liegt in den völkerrechtlichen Implikationen dieses Begriffes. So macht die Declaration of<br />

Principles aus dem Jahr 1984 des WCIPs dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>merksam, dass ‚Selbstbestimmung’ als<br />

Recht eines Volkes definiert wird, die Bestimmung seines politischen Status und die<br />

Leitung seiner wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen <strong>Entwicklung</strong> ohne Einmischung<br />

von außen vorzunehmen (Bacal 1990:18). Nach dem Internationalen Gerichtshof muss<br />

eine Gruppe als ‚Volk’ anerkannt sein, um dieses Recht <strong>auf</strong> Selbstbestimmung in<br />

Anspruch nehmen zu können. Im Internationalen Recht kennt man bisher nur Fälle, in<br />

denen ein Volk zu einem Staat wird, wenn dieses das Recht der Selbstbestimmung<br />

zugestanden bekommt (Oland 1990:84). Von den <strong>indigene</strong>n Bewegungen wird dies jedoch<br />

anders gesehen:<br />

“Unter freier Selbstbestimmung verstehen wir das juristisch anerkannte und respektierte Recht<br />

unserer Völker, ein jetziges oder angestammtes Territorium zu besitzen, zu verwalten und zu<br />

entwickeln, in dem ein Volk ohne fremde Einwirkung alle Facetten seiner spezifischen Kultur<br />

entwickeln, pflegen und planen kann. In diesen Territorien implementieren unsere Völker ihr<br />

eigenes Modell und ihr <strong>Entwicklung</strong>sparadigma <strong>auf</strong>grund ihrer eigenen kosmischphilosophischen<br />

Konzepte von Wirtschaft und ihrer Beziehung zur Natur, verbunden mit einer<br />

wirksamen Kontrolle der Ressourcen an Land und Bodenschätzen.” (zit. in Grefa 1997:35).<br />

<strong>Die</strong>ses Zitat stammt aus der Erklärung <strong>indigene</strong>r Organisationen <strong>auf</strong> der Weltkonferenz<br />

über Menschenrechte in Wien 1993. Das hier dargelegte Konzept der <strong>indigene</strong>n freien<br />

Selbstbestimmung spricht zwei Bereiche von Selbstbestimmung an und zwar eine interne<br />

und eine externe.<br />

<strong>Die</strong> externe Selbstbestimmung bezieht sich <strong>auf</strong> das Recht, direkte Beziehungen zu Staaten<br />

herzustellen, wobei grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die<br />

Selbstbestimmungsbestrebungen <strong>indigene</strong>r Völker die Souveränität der Nationalstaaten<br />

nicht in Frage stellen. <strong>Die</strong> interne Selbstbestimmung beinhaltet die Entscheidungsfähigkeit<br />

98


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

der Völker über ihr eigenes politisches System und ihre wirtschaftliche, soziale und<br />

kulturelle <strong>Entwicklung</strong>.<br />

<strong>Die</strong> freie <strong>indigene</strong> Selbstbestimmung bedeutet nicht die Separation von den jeweiligen<br />

Nationalstaaten, sie spricht aber sehr wohl das Machtgefüge innerhalb der Staaten an,<br />

wenn sie dar<strong>auf</strong> zielt, <strong>auf</strong> anerkannte Weise anders zu sein und anders behandelt zu<br />

werden. Zur Bewahrung der eigenen Identität verlangen die <strong>indigene</strong>n Bewegungen vom<br />

Nationalstaat als auch von internationalen Institutionen Maßnahmen, die ihr ‚Recht <strong>auf</strong><br />

Differenz’ garantieren. Es geht letztlich um die Freiheit, in unterschiedlichen Formen der<br />

Autonomie innerhalb des Staatsgefüges und innerhalb der bestehenden politischen und<br />

ökonomischen Verhältnisse zu leben. Somit lässt sich die Forderung nach<br />

Selbstbestimmung auch als eine Reaktion <strong>auf</strong> die Bedrohung der eigenen Lebenswelt und<br />

die Abwertung indianischer Kulturen interpretieren (Grefa 1997:34f; vgl. auch Kuppe<br />

2000/2001:105-133).<br />

7.2. Zwei grundlegende Elemente: cultura propia und control cultural<br />

<strong>Die</strong> vorhergehenden Ausführungen belegen die Bedeutung von kulturellen Aspekten im<br />

Zuge einer autonomen und selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> <strong>indigene</strong>r Völker. In Anlehnung<br />

an die von Bonfil benutzen analytischen Begriffe in Zusammenhang mit einem<br />

etnodesarrollo, werde auch ich mich intensiver mit der cultura propia (eigenen Kultur)<br />

und der control cultural (kulturellen Kontrolle) – hier bezogen <strong>auf</strong> den autodesarrollo<br />

indígena – beschäftigen.<br />

Bonfil betont, wie in Kapitel 7.1. dargelegt, die Rolle der cultura propia im<br />

<strong>Entwicklung</strong>sprozess, deren Bedeutung er vor allem <strong>auf</strong> politischer Ebene hebt, wenn er<br />

den Aspekt der control cultural anspricht. Der Prozess der kulturellen Kontrolle definiert<br />

sich in der sozialen Entscheidungsmacht über die eigenen kulturellen Mittel, d.h. über alle<br />

Aspekte einer Kultur die notwendig sind, nicht nur um die Bedürfnisse, Probleme und<br />

Ziele der eigenen Gesellschaft zu bestimmen, sondern auch um sie zu befriedigen, zu lösen<br />

und zu erreichen. Für die Umsetzung einer selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> <strong>indigene</strong>r<br />

Völker heißt das: Reduzierung fremder und oktroyierter <strong>Entwicklung</strong>svorstellungen bei<br />

gleichzeitiger Stärkung und Ausweitung autonomer Entscheidungskapazitäten (Bonfil<br />

1982:133f). An dieser Stelle spricht Bonfil deutlich die vorherrschenden Machtstrukturen<br />

99


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

an. Ich stimme mit ihm überein, dass es einen Wandel der Wechselspiele sozialer Kräfte<br />

bedarf, um eine autonome <strong>Entwicklung</strong> zu ermöglichen. <strong>Die</strong>ser politische Wandel muss<br />

sich zu Gunsten der sozialen Gruppen neigen, die für die <strong>Entwicklung</strong> ihrer eigenen Kultur<br />

kämpfen (Bonfil 1982:134).<br />

Weil die beiden Begriffe ‚eigene Kultur’ und ‚kulturelle Kontrolle’ einen bedeutsamen<br />

Stellenwert in der Umsetzung eines autodesarrollo <strong>auf</strong> Ebene der comunidades einnehmen<br />

– wenn sie auch nicht ausschlaggebend für einen solchen sind – werde ich in Folge einige<br />

Feldforschungsergebnisse aus Venezuela darlegen, die das bereits Zitierte teilweise<br />

bestätigen, teilweise konkretisieren und teilweise ergänzen.<br />

Weitestgehend Übereinstimmung herrscht darüber, dass es sich bei der eigenen Kultur um<br />

einen, wie es der venezolanische Anthropologe Esteban E. Mosonyi ausdrückt,<br />

„panchronischen Ausdruck“ handelt, im Sinne eines allzeitumfassenden Phänomens – die<br />

eigene Kultur speist sich aus dem Vergangenen, beinhaltet das Gegenwärtige und bezieht<br />

Zukünftiges mit ein (Interview mit Esteban Emilio Mosonyi am 5.07.2002). Interessant ist<br />

anzumerken, dass das Einbeziehen von Zukünftigem in die eigene Kultur vor allem von<br />

Seite der AnthropologInnen betont wurde, während sich die Indígenas zunächst verstärkt<br />

<strong>auf</strong> die vergangenen und gegenwärtigen Elemente der eigenen Kultur beriefen. <strong>Die</strong>s lässt<br />

sich mit dem stark empfundenen Kulturverlust der Indígenas begründen, <strong>auf</strong> den ich später<br />

noch eingehen werde.<br />

<strong>Die</strong> eigene Kultur <strong>indigene</strong>r Völker beschreibt Bernarda Escalante auch als die Art und<br />

Weise, die Welt und sich selbst in dieser Welt zu sehen und wie man die Welt für das<br />

eigene Wohlbefinden ausnutzt. <strong>Die</strong>ser Bezug zum Weltbild und zur Kosmovision stellt die<br />

Verbindung mit dem Vergangenem dar; doch können daraus auch Konflikte der<br />

Glaubwürdigkeit entstehen, weil sich die Umwelt, die die <strong>indigene</strong>n comunidades umgibt<br />

verändert hat. Der Wald gibt nicht mehr soviel her, sei es an wilden Früchten, Tieren oder<br />

Palmensorten und nur zu oft sind die Flüsse stark verschmutzt, was extreme Auswirkungen<br />

<strong>auf</strong> den Fischbestand haben kann. Zur Überwindung dieser Problematik ist es wichtig, sich<br />

bewusst an die realen Bedingungen dieser neuen (Um-)Welt anzupassen, ohne das Eigene<br />

zu verlieren. <strong>Die</strong>s ermöglicht nur ein dynamisches Verständnis von Kultur. <strong>Die</strong> eigene<br />

<strong>indigene</strong> Kultur wird zur Brücke zwischen dem Vergangen und dem Gegenwärtigen<br />

(Interview mit Bernarda Escalante am 2.07.2002); <strong>auf</strong> zwischenmenschliche Beziehungen<br />

100


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

bezogen ist sie die Brücke zwischen den ancianos und der Jugend, wie Maigualida Ocaño<br />

Ortiz (Gespräch am 3.07.2002) betont.<br />

Was die grundlegenden Elemente der jeweils eigenen Kultur anbelangt, so rangiert an<br />

erster Stelle die eigene Sprache als Voraussetzung für das inter- und intragenerationale<br />

Verständnis als auch für die spezifische Denk- und Lebensweise. Weiters drückt sie sich in<br />

der sozialen und politischen Organisation sowie in dem Verrichten diverser traditioneller<br />

und alltäglicher Aktivitäten aus, die unter dem Ausdruck ‚Gewohnheiten’<br />

zusammengefasst werden können und die Bereiche Jagen, Sammeln, Ackerbau betreiben,<br />

Fischen und auch Geschichten und Mythen erzählen, umfassen. Interessant bei beiden<br />

letzten Punkten ist, dass die befragten Indígenas an der Bedeutung von Erzählungen und<br />

Mythen argumentativ stark festgehalten haben, bei gleichzeitig immerwiederkehrendem<br />

Klagen darüber, dass bereits sehr viel an derartigem Wissen verloren gegangen sei.<br />

Einen ganz besonderen Platz, vor allem <strong>auf</strong> comunidad-Ebene, nimmt die Gemeinschaft<br />

als Gefühl der Gruppenzugehörigkeit ein. Als Basis für das Empfinden und Ausüben der<br />

eigenen Kultur, ist sie der Ort der Entscheidungsfindung sowie vieler Aktivitäten, wie z.B.<br />

Hausbau, Feiern von Festen, Organisation von großen Jagdexkursionen usw.<br />

Das Einbeziehen von Zukunftsvisionen in die eigene Kultur stellt eine grundlegende<br />

Verbindung zum autodesarrollo indígena dar, sieht man einen solchen als mögliche<br />

Umsetzung der <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> an. An erster Stelle steht hier die<br />

Revitalisierung kultureller Verluste, die Wieder<strong>auf</strong>nahme derartigen Wissens in die eigene<br />

Kultur – für die gegenwärtigen Generationen als auch für die zukünftigen.<br />

<strong>Die</strong> obigen Ausführungen zusammenfassend und abschließend wähle ich die Worte<br />

Esteban E. Mosonyis:<br />

„Allí la noción de cultura propia indígena es tener una gran continuidad identitario con el<br />

anterior, ni solamente con el pasado y el presente sino también agarando así el futuro, pero de<br />

una forma selectiva, entonces que les conviene y que está de acuerdo con el ambiente en el cual<br />

ellos viven y también que está de acuerdo con su identidad, es decir que no implica perder<br />

valores fundamentales, como el idioma, la forma de la socialización, de la etnoeducación,<br />

entonces sólo cual que es complementario con eso.” (Interview mit Esteban E. Mosony am<br />

5.07.2002). Ü17<br />

<strong>Die</strong> Feldforschungsergebnisse zur Frage der kulturellen Kontrolle gehen zwar mit den<br />

Überlegungen von Bonfil konform, weisen aber, wie zu erwarten, einen praxisbezogeneren<br />

101


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Charakter <strong>auf</strong>. So spricht beispielweise die Wayúu Noelí Pocaterra direkt die<br />

Assimilationspolitik des indigenismo an, die über die Schule und über die Ausbildung ihre<br />

kulturelle Kontrolle zum Ausdruck brachte und mit dem Verbot, die indianische Sprache<br />

zu sprechen, traditionelle Kleidung zu tragen etc. hauptsächlich dazu beitrug, sich als Indio<br />

seiner selbst zu schämen. So folgert sie, dass kulturelle Kontrolle auch sehr viel mit<br />

Diskriminierung zu tun haben kann.<br />

<strong>Die</strong>se Art der kulturellen Kontrolle lässt sich als eine externe kulturelle Kontrolle<br />

bezeichnen, d.h. dass die eigene Kultur von außen kontrolliert, beeinflusst und<br />

beeinträchtig wird. Dem gegenüber steht eine interne kulturelle Kontrolle, die Pocaterra<br />

ebenfalls anspricht, indem sie dar<strong>auf</strong> verweist, dass die Indígenas dennoch immer – die<br />

einen mehr, die anderen weniger – ihre eigenen Mechanismen zur Bewahrung ihrer Kultur<br />

gehabt haben. So hätten die älteren Mitglieder der comunidad stets Wege gesucht, um allen<br />

Mitgliedern, vor allem den jungen, die Möglichkeit zu geben, ein Gefühl der Zugehörigkeit<br />

zur kulturellen Gemeinschaft zu entwickeln. Beispiele dafür sind die Mitgabe eines<br />

traditionellen Kleidungsstückes oder eines anderen Objektes, wenn ein Kind die<br />

comunidad verlässt, um die Schule zu besuchen oder das Geben von Ratschlägen das<br />

Leben allgemein oder auch die Erziehung der späteren Kinder betreffend (Interview mit<br />

Noelí Pocaterra am 6.07.2002).<br />

In einem anderen Sinn lässt sich kulturelle Kontrolle auch als das Wissen verstehen, das<br />

ein jemand von (s)einer oder mehreren Kulturen hat, um sich mit diesen Informationen<br />

besser zurechtzufinden. In unserem Fall geht es um das Kennen und Erfassen <strong>indigene</strong>r<br />

Völker ihrer eigenen Kultur und die der fremden, d.h. der westlichen (kreolisch-weißen)<br />

Kultur. Escalante unterstreicht, dass nur so das Eigene bewahrt werden kann, wobei<br />

gleichzeitig dynamische Prozesse eines Kulturwandels nie ausgeschlossen werden können<br />

und auch gar nicht sollen (Interview mit Bernarda Escalante am 2.07.2002). (vgl. auch<br />

Kapitel 7.3.2. und 7.3.3.).<br />

7.3. Voraussetzungen für eine <strong>indigene</strong> selbstbestimmte <strong>Entwicklung</strong><br />

Das Wissen allein, was autodesarrollo indígena bedeutet und umfasst, reicht für seine<br />

Umsetzung nicht aus. Es muss weiter nach den grundlegenden Bedingungen gefragt<br />

werden, die erfüllt sein müssen, damit <strong>indigene</strong> Völker als jeweils ‚eigene kulturelle<br />

102


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Einheiten’ (über-)leben können und somit die Möglichkeit erhalten, sich nach ihren<br />

eigenen Maßstäben zu entwickeln. Mit anderen Worten braucht es bestimmte<br />

Voraussetzungen, um den Prozess eines autodesarrollo indígena in Gang zu setzen und ihn<br />

im Zuge seiner Realisierung auch <strong>auf</strong>recht zu erhalten.<br />

Während der Beschäftigung mit dem Thema haben sich folgende vier<br />

Hauptvoraussetzungen herauskristallisiert:<br />

1) <strong>Die</strong> Rechte <strong>indigene</strong>r Völker, die die notwendigen politischen und rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen schaffen müssen. <strong>Die</strong>se Rahmenbedingungen von Seiten des<br />

Staates begünstigen oder besser ermöglichen erst einen autodesarrollo indígena.<br />

2) <strong>Die</strong> Bedeutung von Identität.<br />

3) <strong>Die</strong> selbstbestimmte <strong>Entwicklung</strong> eines Indianerdorfes hat auch sehr viel mit dem<br />

Ausbildungsgrad ihrer Mitglieder und ihrer Organisationskapazität zu tun.<br />

4) <strong>Die</strong> Unterstützung von außen, die nicht zu unterschätzen ist und sich in Form von<br />

finanziellen Förderungen oder einer technologisch-organisatorischen Assistenz zeigt.<br />

7.3.1. Rechte <strong>indigene</strong>r Völker<br />

<strong>Die</strong> im Folgenden vorgetragenen Inhalte sind grundsätzlich Bestandteil der Debatten <strong>auf</strong><br />

nationaler und internationaler Ebene, wo es um Fragen der Anerkennung <strong>indigene</strong>r<br />

Forderungen als Rechte und deren Formulierung geht.<br />

7.3.1.1. Eigener legaler Status<br />

Hierbei geht es um die Anerkennung eines eigenen legalen Status als <strong>indigene</strong>s Volk. Der<br />

wichtigste Aspekt des Begriffes ‚Volk’ liegt in der darin enthaltenen permanenten Existenz<br />

der jeweils eigenen ethnischen Identität mit bestimmten kulturellen und sozio-<br />

ökonomischen Charakteristika. Auf internationaler Ebene wurde dieser Prämisse in der<br />

ILO-Konvention 169 von 1989 Rechnung getragen, womit der Begriff der<br />

‚Bevölkerungsgruppe’ als vorübergehende demographische Einheit der ILO-Konvention<br />

107 ersetzt wurde.<br />

103


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Da ich in dieser Arbeit nicht weiter <strong>auf</strong> die Besprechung international existierender<br />

Dokumente über die Rechte <strong>indigene</strong>r Völker eingehen werde, sei hier nur bezüglich der<br />

Neuformulierung des Abkommens 107 der ILO folgendes erwähnt: Der integrationistische<br />

und paternalistische Ansatz der Konvention 107 von 1957 wurde Mitte der 80er Jahre als<br />

unzeitgemäß, überholt und destruktiv angesehen, da er richtigerweise und nach Ansicht der<br />

KritikerInnen zerstörerische Wirkung und unerwünschte Konsequenzen zufolge gehabt hat<br />

wie beispielsweise die Auslöschung von Lebensweisen und -formen, die sich von denen<br />

der vorherrschenden Gesellschaft unterschieden (Swepston 1994:51f).<br />

Der Begriff des Volkes beinhaltet aber auch ein historisch begründetes<br />

Selbstbestimmungsrecht, welches sich <strong>auf</strong> die Kontrolle über die eigene <strong>Entwicklung</strong><br />

bezieht; dabei geht es um die Zurückweisung kolonialer Institutionen, um die Befreiung<br />

der lateinamerikanischen Völker von fremder Herrschaft und um die Proklamation der<br />

eigenen nationalen Souveränität und territorialen Integrität (Stavenhagen 1994:32-35).<br />

<strong>Die</strong>se historische Situation ist meines Erachtens <strong>auf</strong> die aktuelle Situation und Forderung<br />

<strong>indigene</strong>r Völker übertragbar, sieht man ihre Situation in den Nationalstaaten als eine des<br />

internen Kolonialismus. Der einzige Unterschied liegt darin, dass die <strong>indigene</strong>n<br />

Forderungen keine Abspaltungstendenzen <strong>auf</strong>weisen, sondern als Völker innerhalb der<br />

Nation anerkannt werden wollen. (vgl. weiterführend Kapitel 7.3.1.3.)<br />

7.3.1.2. Territoriale Begrifflichkeit und Landrechte<br />

An erster Stelle steht hier die besondere, kulturspezifische Beziehung <strong>indigene</strong>r Völker mit<br />

dem Land, das sie bewohnen und bestellen und welches mit all seinen sozialen, geistigen,<br />

kulturellen, ökonomischen und politischen Aspekten Grundlage ihres Weltbildes und ihrer<br />

Kosmovision darstellt. <strong>Die</strong>ses umfassende sehr spezifische Lebensgefühl zwischen<br />

Mensch und Natur soll der Begriff des Territoriums ausdrücken, der weit über eine reine<br />

Besitz- und Produktionsdefinition hinausgeht. Ein weiterer Aspekt liegt in dem Anspruch<br />

von kollektiven Landtiteln indianischer Gemeinschaften gegenüber den vorherrschenden<br />

individuellen Landbesitzbestimmungen der lateinamerikanischen Staaten.<br />

<strong>Die</strong> Problematik in den Eigentums- und Besitzrechten für Ländereien liegt zum einen in<br />

der Anerkennung von Ländereien, <strong>auf</strong> denen <strong>indigene</strong> Völker traditionell leben und zum<br />

anderen in der Nutzung und Verwaltung der natürlichen Ressourcen (Dandler 1994:10).<br />

104


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Bei letztem ist es nicht nur wichtig, zwischen erneuerbaren und nicht-erneuerbaren<br />

Ressourcen zu unterscheiden, sondern die rechtlichen Bestimmungen eines Informations-,<br />

Konsultations- oder gar Zustimmungsrechtes des betroffenen <strong>indigene</strong>n Volkes zu<br />

betrachten, wenn es um die Ausbeutung nicht-erneuerbarer Ressourcen wie z.B. von Erdöl<br />

geht. Was den Ausdruck ‚traditionell leben’ oder ‚traditionell wohnen’ anbelangt, so liegt<br />

die Problematik in seiner Interpretation: Ab wann kann man von traditionell sprechen?<br />

Und eng damit verbunden die Frage: Inwiefern findet der Ausdruck Anwendung nach einer<br />

zurückliegenden Vertreibung oder dem Verlust des zuvor bewohnten Territoriums <strong>auf</strong><br />

Grund sonstiger Gründe?<br />

7.3.1.3. Politische Rechte<br />

<strong>Die</strong> Forderungen nach politischen Rechten beinhalten zum einen die Anerkennung<br />

eigenständiger politischer Organisationsstrukturen der <strong>indigene</strong>n Völker innerhalb der<br />

bestehenden Nationalstaaten. <strong>Die</strong>ser ersten Forderung kann im Rahmen eines Föderalismus<br />

in Form selbstverwalteter <strong>indigene</strong>r Territorien, durch die Einrichtung indianischer<br />

departamentos (Bundesstaaten) oder als Ausgestaltung spezifischer <strong>indigene</strong>r municipios<br />

(Gemeindebezirke) nachgegangen werden. <strong>Die</strong> Selbstverwaltung beinhaltet auch die<br />

eigene Form der Machtorganisation sowie die Entscheidungskompetenz über das eigene<br />

<strong>Entwicklung</strong>sprojekt und steht in enger Verbindung mit der Autorität über ein definiertes<br />

Territorium (Kuppe 1998:130; Bonfil 1982:142).<br />

Neben der politischen Selbstverwaltung wird zum anderen auch das Recht gefordert,<br />

eigenes Recht setzen zu können. Trotz jahrelanger staatlicher und juristischer Ignoranz<br />

gegenüber den besonderen sozialen Organisationsformen und der Sozialstruktur der<br />

lokalen indianischen Gemeinschaften, hat sich ein System von Gewohnheitsrechten<br />

bewahren können, um dessen Anerkennung es hier geht. Es liegt <strong>auf</strong> der Hand, dass wir<br />

angesichts der ca. 400 ethnischen Gruppen in Lateinamerika nicht von einem einzigen<br />

Gewohnheitsrecht sprechen können. Dennoch gibt es einige gemeinsame Punkte, die eine<br />

Definition im weiteren Sinne zulassen: Unter Gewohnheitsrecht werden soziale Normen<br />

und Verhaltensregeln verstanden, die zur Integration der Gemeinschaft, zur<br />

Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und zur Lösung von Konflikten beitragen. Es stellt<br />

sich hierbei auch die Frage nach dem Ursprung dieser Normen und Regeln, die von den<br />

105


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Mitgliedern als legitim angesehen werden und die <strong>auf</strong> die <strong>indigene</strong> systematische<br />

Kohärenz verweisen. <strong>Die</strong> Legitimierung von Gewohnheitsrechten findet sich meist im<br />

Verwandtschaftssystem, in den religiösen Konzeptionen und in der engen Verbindung der<br />

Gemeinschaft mit dem Boden, <strong>auf</strong> dem sie leben (Stavenhagen 1988:99; Dandler 1994:11).<br />

7.3.1.4. Bewahrung und Weiterentwicklung der spezifisch kulturellen <strong>indigene</strong>n<br />

Formen<br />

Der diesbezügliche Forderungskomplex umfasst Aspekte zur Bewahrung der eigenen<br />

kulturellen Identität, angefangen bei der Betonung der eigenen Sprache, einer eigenen<br />

Geschichtsschreibung, eines bilingualen Unterrichts (wobei die Alphabetisierung in der<br />

indianischen Sprache vorgenommen werden soll und Spanisch / Portugiesisch als<br />

Zweitsprache rangiert) und eigener Literatur bis hin zur eigenverantwortlichen Gestaltung<br />

des Erziehungswesens und zur eigenständigen LehrerInnenausbildung (Boris 1998:71f).<br />

Stavenhagen (1988:93) spricht in diesem Zusammenhang auch von der Forderung und<br />

Bedeutung der Anerkennung <strong>indigene</strong>r Sprachen als offizielle Sprachen des jeweiligen<br />

Landes und Gleich (1997:121) betont, dass damit die Anerkennung der Multiethnizität und<br />

Multikulturalität vollzogen werden würde.<br />

Weitere Forderungen beziehen sich <strong>auf</strong> die Gewährung einer umfassenden Gesundheit, die<br />

einen verbesserten Zugang zum nationalen Gesundheitssystem ermöglichen und<br />

gleichzeitig die traditionellen Heilpraktiken anerkennen soll.<br />

7.3.2. Zur Bedeutung von Identität<br />

Bereits im Kapitel über den indianismo bin ich <strong>auf</strong> die zentrale Bedeutung der<br />

Identitätsfrage in der indianischen Bewegung eingegangen. An dieser Stelle erscheint es<br />

mir jedoch angemessen, von einer anderen Ebene der Identität zu sprechen und zwar von<br />

der ethnisch-kulturellen Identität eines jeweiligen <strong>indigene</strong>n Volkes. Es sei an dieser Stelle<br />

angefügt, dass die Grenzen zwischen einer von mir als solches bezeichneten ‚indianischen<br />

Identität’ und einer ‚ethnisch-kulturellen Identität’ fließend sind.<br />

Wie der vierte Forderungskomplex der obigen Ausführungen über die Rechte <strong>indigene</strong>r<br />

Völker angedeutet hat, nimmt die Identitätsfrage einen zentralen Raum in Zusammenhang<br />

mit Autonomiefragen und somit auch hinsichtlich eines autodesarrollo indígena ein, denn<br />

106


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

das von der nationalen Gesellschaft und von westlichen <strong>Entwicklung</strong>splanungen<br />

unterdrückte Selbstwertgefühl der Indígenas muss wieder gestärkt werden.<br />

Der aus der Logik und der Philosophie entstammende Begriff der Identität wurde<br />

wissenschaftsgeschichtlich <strong>auf</strong> zwei verschiedenen Pfaden innerhalb der Psychologie<br />

eingeführt: zum einen über die Sozialpsychologie und zum anderen über die<br />

Psychoanalyse. In der soziologischen und anthropologischen Beschäftigung mit Identität<br />

wird immer wieder <strong>auf</strong> vor allem zwei Autoren zurückgegriffen: George Herbert Mead und<br />

Erik H. Erikson. (Heinz 1993:16f). Der wesentlichste Aspekt des Meadschen<br />

Identitätskonzeptes ist der sogenannte „Symbolische Interaktionismus“, der dar<strong>auf</strong><br />

verweist, dass Identität ein gesellschaftlicher Prozess der gegenseitigen Beeinflussung der<br />

Mitglieder einer Gruppe ist. Identität ist folglich nicht statisch, sondern grundsätzlich<br />

dynamisch.<br />

“Identität entwickelt sich; sie ist bei der Geburt anfänglich nicht vorhanden, entsteht aber<br />

innerhalb des gesellschaftlichen Erfahrungs- und Tätigkeitsprozesses, das heißt im jeweiligen<br />

Individuum als Ergebnis seiner Beziehungen zu diesem Prozeß als Ganzem und zu anderen<br />

Individuen innerhalb dieses Prozesses.” (Mead 1991:177).<br />

Mead hat noch einen weiteren wichtigen Aspekt der Identität herausgearbeitet, nämlich<br />

den, dass Identität mehrdeutig und situationsbedingt ist:<br />

“Wir haben viele verschiedene Beziehungen zu verschiedenen Menschen. Für den einen<br />

Menschen bedeuten wir dieses, für den anderen jenes. [...] Es gibt die verschiedensten<br />

Identitäten, die den verschiedensten gesellschaftlichen Reaktionen entsprechen.” (Mead<br />

1991:184f).<br />

Der Ansatz Eriksons geht über das Identitätskonzept von Mead hinaus. Er hat alle späteren<br />

Identitätskonzepte beeinflusst und ist als wesentlich komplexer als auch schwerer<br />

verständlich zu beurteilen, obwohl oder vielleicht auch gerade weil Erikson nie eine<br />

wirklich exakte Definition von Identität geliefert hat. <strong>Die</strong>sbezüglich schreibt Heinz<br />

(1993:32) auch:<br />

“Es muß aber davon ausgegangen werden, daß er [Erikson] unter Identität immer die bewußt<br />

wahrgenommene und sozial eingebettete Gleichheit und Kontinuität eines Individuums gemeint<br />

hat.”<br />

Wor<strong>auf</strong> Erikson zusätzlich <strong>auf</strong>merksam gemacht hat, ist, dass die Identität eines Menschen<br />

nicht ausschließlich von gesellschaftlichen Prozessen abhängig, sondern auch sozial und<br />

kulturell determiniert ist. Für die Identitätsfindung eines jungen Menschen, der innerhalb<br />

107


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

einer bestimmten Kultur heranwächst, ist es demnach unerlässlich, dass sie den<br />

Anforderungen eben dieser Kultur gerecht wird (Heinz 1993:39).<br />

Den kurzen theoretischen Teil über den Begriff der Identität abschließend möchte ich noch<br />

Donald Rojas Moroto, Mitglied der Asociación Indígena de Costa Rica und Teilnehmer an<br />

dem bereits erwähnten internationalen Treffen in San José 1981 anführen. Prinzipiell<br />

lassen sich im Konzept der Identität nach Rojas (1993:58) zumindest zwei Ebenen<br />

unterscheiden: <strong>Die</strong> der Klassifizierung von außen und die der Selbstklassifizierung. <strong>Die</strong><br />

Problematik, die mit einer Klassifizierung von außen verbunden ist, habe ich bereits in<br />

Kapitel 3. behandelt. Sich <strong>auf</strong> die zweite Ebene beziehend beschreibt Rojas (1993:64)<br />

Identität als Einstellung, Verhalten und Wahrnehmung, als ein Abstrakt, als Resultat<br />

zwischenmenschlicher Beziehungen und gemeinsamer Erfahrungen wie z.B.<br />

Gewohnheiten, Sprache, Wirtschaft, Politik, Soziales, welches sich in Form eines<br />

Solidaritätsverhaltens zeigt und nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein „estado<br />

mental“ („geistiger Zustand“) ist. So sei Identität auch nichts Spezifisches, sondern eine<br />

Lebensart, eine Form zu leben und zu sterben oder besser eine Art über Leben und Tod zu<br />

denken.<br />

Als wichtiger Faktor im Prozess der Selbstbestimmung und einer selbstbestimmten<br />

<strong>Entwicklung</strong> eines <strong>indigene</strong>n Volkes hilft die ethnisch-kulturelle Identität zur Orientierung.<br />

Ihre Bedeutung wächst mit dem wachsenden Druck von externen Einflüssen und dem<br />

häufig damit einhergehenden Zerfall traditioneller Konzepte. Als greifbare Bausteine der<br />

kulturellen Identität lassen sich Elemente wie Sprache, aber auch Tradition und die<br />

gemeinsame Geschichte bezeichnen, die in einer veränderten Welt herangezogen werden<br />

und gestärkt werden müssen. So dient die kulturelle Identität auch zur Abgrenzung<br />

gegenüber den ethnischen Grenzen zur Außenwelt, d.h. in erster Linie zur kreolischen<br />

(weißen) Gesellschaft, allerdings auch zu anderen Ethnien im Umkreis (Schneider<br />

1996:348).<br />

In Anlehnung zu dem, was Rojas über Identität geschrieben hat, möchte ich anfügen, dass<br />

sich die kulturelle Identität auch als ein tiefverwurzeltes Gefühl bezeichnen lässt, als etwas,<br />

das im Inneren gespürt wird, als Ausdruck des Stolzes über die eigene Herkunft. Oft teilten<br />

mir meine Gesprächspartner mit (und das unabhängig ihrer ethnischen Zugehörigkeit als<br />

Piaroa, Curripaco, Yekuana, Baniva oder Yanomami), dass dieses Gefühl die Brücke zu<br />

108


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

der eigenen comunidad bildet, vor allem dann, wenn ein Mitglied für eine Zeitlang in die<br />

Stadt geht, um dort zu studieren oder zu arbeiten.<br />

<strong>Die</strong> cultura propia – in ihrer historischen Kontinuität die gegenwärtige Situation sowie<br />

zukünftige Aspirationen einschließend – kann man schlussfolgernd als Basis für die<br />

ethnisch-kulturelle Identität ansehen. <strong>Die</strong> enge Beziehung zwischen Kultur- und<br />

Gemeinschaftsempfindung liegt <strong>auf</strong> der Hand, vor allem dann, wenn man die<br />

Gemeinschaft als Basis für die eigene Kultur bezeichnet.<br />

7.3.3. Ausbildung und Organisationskapazität<br />

Eine dritte Voraussetzung für die praktische Umsetzung einer von der jeweiligen<br />

comunidad selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> liegt in der Art und Weise, wie sich die<br />

Mitglieder untereinander organisieren. <strong>Die</strong>sem Prozess des Organisierens mit dem Ziel,<br />

Klarheit über die eigenen Prioritäten zu gewinnen, geht wiederum ein anderer Prozess<br />

voraus und zwar der, den ich als die ‚Bewusstwerdung über das spezifisch und kulturell<br />

Eigene’ bezeichnen möchte. Mit diesem Prozess einher geht unausweichlich die<br />

Bewusstwerdung über das Andere, das Fremde; die <strong>indigene</strong>n Völker betreffend also<br />

Werte, Normen, Charakteristika, Verhaltensweisen, Institutionen etc. der kreolisch-weißen<br />

Gesellschaft als Vertreterin der als solches bezeichneten ‚westlichen Welt’. <strong>Die</strong><br />

Anthropologin Nelly Arvelo de Jiménez definiert diesen Prozess als ein Phänomen, dessen<br />

Ziel es ist, die aktive Beteiligung der Indígenas in ihrem eigenen Befreiungskampf zu<br />

fördern (Jiménez 1980:231).<br />

Wie bereits dargelegt, war für lange Zeit die formale Schulbildung das Mittel zur<br />

Indoktrination ‚westlicher’ Werte und zur Assimilation der Indianer unter die nationale<br />

Gesellschaft. Heute wiederum zeigt sie sich als der größte Hoffnungsträger für die<br />

<strong>indigene</strong>n Völker. Wie ist das zu verstehen? Der gegenwärtige Anspruch an<br />

Bildungseinrichtungen von Seiten indianischer Eltern liegt in dem Wunsch, dass über die<br />

Teilnahme an dem dort gelehrten Wissen vor allem die ‚Verteidigung der eigenen Kultur’<br />

gestärkt, die erfolgreiche Umsetzung einer selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> ermöglicht und<br />

ein Hinauswachsen über sich selbst erfolgen wird. Mosonyi spricht in diesem<br />

Zusammenhang davon, dass die Indígenas sich im Zuge des indianismo bewusst wurden,<br />

109


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

dass sie selber seit Urzeiten über eine eigene Bildung verfügen. <strong>Die</strong>se Art von Bildung<br />

wird als endogenes Wissen bezeichnet und man versteht darunter:<br />

„(...) die Gesamtheit der Kenntnisse und Fertigkeiten, die innerhalb einer ethnisch (sprachlich,<br />

kulturell, sozialräumlich) definierten Bevölkerungsgruppe entwickelt und akkumuliert worden<br />

ist und in der Regel auch oral weitergegeben wird.“ (Gleich 1997:104).<br />

Nach Gleich (1997:104f) umfasst dieses endogene <strong>indigene</strong> Wissen folgende Bereiche:<br />

1) die Kosmovision, 2) die Kenntnis und Pflege der Natur mittels schonender<br />

Technologien, 3) die Organisation sozialer, kollektiver Strukturen und 4) die Erhaltung des<br />

Gleichgewichts zwischen Natur und Mensch innerhalb der Ethnie, was die Autorin als<br />

etnoeducación bezeichnet.<br />

Es scheint mir allerdings für diese Arbeit zielführender, die etnoeducación zu erweitern<br />

und nicht nur als einen Aspekt des endogenen Wissens anzusehen, sondern vielmehr als<br />

seine Übersetzung. So lässt sich auch viel besser verstehen, dass Mosonyi weiters meint,<br />

dass das formale Wissen, erworben in den staatlichen Bildungseinrichtungen, eigentlich<br />

nur einen Zusatz zu der eigenen etnoeducación darstellt, welcher man heute entsprechend<br />

eine neue Bedeutung zuweist. <strong>Die</strong> Verbindung zwischen dieser etnoeducación und der<br />

formalen Schulbildung soll ein speziell dafür geschaffenes Bildungsprogramm sein und<br />

zwar die educación intercultural bilingüe (interkulturelle zweisprachige Bildung), welches<br />

von der venezolanischen Verfassung unterstützt wird (Art. 121) 20 .<br />

Ziel der educación intercultural bilingüe ist es, die jeweiligen kulturellen Besonderheiten<br />

einer Ethnie in der Schulbildung zu berücksichtigen. Der Unterricht findet in der eigenen<br />

<strong>indigene</strong>n Sprache statt, Spanisch rangiert an zweiter Stelle und wird als erste<br />

Fremdsprache gelehrt. <strong>Die</strong> Alphabetisierung findet ebenfalls kultursensitiv statt, was<br />

heißen soll, dass Buchstaben und Zahlen an Hand von Begriffen und Produkten gelernt<br />

werden, die in der eigenen Kultur verankert sind. <strong>Die</strong> didaktischen Methoden sollen den<br />

sozio-kulturellen und sozio-ökonomischen Gegebenheiten angepasst sein, darunter fällt<br />

auch die Kombination zwischen oralen und schriftlichen Unterrichtsmethoden (Interview<br />

mit Esteban Emilio Mosonyi am 5.07.2002 sowie mit Noelí Pocaterra am 6.07.2002).<br />

20 Weiterführende Informationen zur educación intercultural bilingüe in Venezuela sind in D.A.I. 1998 zu<br />

finden.<br />

110


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Escalante beschreibt die <strong>auf</strong> Grund von Bildung ermöglichte Bewusstwerdung als<br />

Notwendigkeit, um sich den realen Zuständen einer sich veränderten (Um-)Welt anpassen<br />

zu können, ohne dass das Eigene verloren geht oder besser verloren gehen muss.<br />

Deswegen bilden Reflexion (im Sinne einer Selbsterkenntnis) und folglich<br />

Selbstwertschätzung in Verbindung mit der Identität (hier vor allem als<br />

Abgrenzungsmechanismus verstanden) das Wissen über sich selbst und über das Andere<br />

(Interview mit Bernarda Escalante am 2.07.2002). <strong>Die</strong>s wiederum ist nach Wilbert<br />

notwendig, um zu bestimmten, wer sie sind, was sie haben, wer sie (zukünftig) sein und<br />

was sie (zukünftig) haben wollen (Interview mit Werner Wilbert am 1.07.2002). An dieser<br />

Stelle lässt sich nun deutlich der Bezug zu Bonfil und Gamboa herstellen: <strong>Die</strong> (soziale)<br />

Kapazität <strong>indigene</strong>r Völker, von der Bonfil spricht, ist das ‚Wissen über sich selbst’.<br />

Ist dieser Prozess der Bewusstwerdung über sich selbst, sprich über die eigene Identität<br />

relativ weit vorangeschritten, kommt die Bedeutung des Sich-Organisierens zum Tragen.<br />

Hierbei kann es sich wieder nur um einen Prozess handeln, der erstens zum Ziel hat, sich<br />

Klarheit darüber zu verschaffen, was erreicht und zweitens wie dies zu Erreichende<br />

umgesetzt werden soll. Es scheint überflüssig zu wiederholen, dass ein sich <strong>auf</strong> diese Art<br />

und Weise bildendes <strong>Entwicklung</strong>sprogramm von den Indígenas, d.h. von den Mitgliedern<br />

der comunidad, selber ausgehen muss und zwar von ihrer jeweiligen sozialen und<br />

kulturellen Realität und unter Berücksichtigung der realen wirtschaftlichen und politischen<br />

Potenziale.<br />

7.3.4. Unterstützung von außen<br />

An dieser Stelle angelangt kann und häufig muss realistischerweise um externe Hilfe in der<br />

Zukunftsplanung angesucht werden, sei es in Form von Finanzierungshilfen oder von<br />

technischer Unterstützung. Finanzierungsunterstützungen können staatliche Stipendien für<br />

Studierende, Kleinkredite, Spenden oder Schenkungen von der Regierung oder von NGOs<br />

sein. Technische Assistenz <strong>auf</strong> verschiedenste Weise wird häufig von NGOs oder von<br />

AnthropologInnen übernommen. <strong>Die</strong>se kann sich in Form von Unterstützung im<br />

organisatorischen Bereich, von Schulungen oder Workshops zu bestimmten von den<br />

Indígenas ausgewählten Thematiken oder in der konkreten Umsetzung von Projekten<br />

zeigen.<br />

111


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Dass in diesem Zusammenhang Schenkungen nicht eine bevorzugte Art der Finanzierung<br />

von wirtschaftlichen Initiativen darstellt, dar<strong>auf</strong> macht insbesondere Valerio Grefa von der<br />

COICA <strong>auf</strong>merksam. Sie führten zu schwerwiegenden Verzerrungen der <strong>indigene</strong>n<br />

Wirtschaft, sie verletzten die Normen der Reziprozität und sie verzerrten ebenfalls die<br />

Beziehung zur nichttraditionellen Wirtschaft, also zum Markt und beeinträchtigten damit<br />

die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Initiativen, „denn die Praxis hat uns gelehrt, daß sie<br />

keine Garantie sind für eine autonome und langfristige <strong>Entwicklung</strong> unserer Völker<br />

[sind].“ (Grefa 1997:41).<br />

Dem hinzufügend sollten grundsätzlich Schenkungen in Form von materiellen Gütern oder<br />

von Technologie im Zuge eines autodesarrollo indígena immer in Absprache mit den<br />

Begünstigten erfolgen, da es sonst zu groben Fällen von kulturimperialistischen<br />

Handlungen kommen kann. Beispiele dafür gibt es aus der Zeit des indigenismo genug, sei<br />

es in Form von kleinen Fertighäusern, von Wellblech zur Dachkonstruktion oder gar der<br />

Errichtung einer Plaza Bolívar 21 in indianischen comunidades. Wenn diese Produkte nicht<br />

von den Indígenas selbst gewollt sind, dann handelt es sich hierbei, um in Worten Bonfils<br />

zu sprechen, um eine „<strong>auf</strong>gebürdete Kultur“ (vgl. Bonfil 1982:134).<br />

Noch einmal zurück zu Grefa. <strong>Die</strong> von ihm zitierte Studie 22 rät vielmehr dazu, die<br />

Ressourcen vor Ort, die Bemühungen der interessierten Familien für eine gemeinsame<br />

(wirtschaftliche) Initiative zu motivieren. Zusätzlich zu solchen Sparaktivitäten <strong>auf</strong><br />

Gruppenbasis, können auch spezifische Kreditprogramme die örtlichen Anstrengungen<br />

unterstützen. <strong>Die</strong>ses Verfahren stünde nach obiger Studie „zudem den traditionellen<br />

Mechanismen der Rückgabe bzw. Erbringung von Gegenleistungen viel näher.“ Wichtig<br />

ist allerdings, dass die Mechanismen der Kreditprogramme für die <strong>indigene</strong>n Völker nicht<br />

die Territorien (Grund und Boden) gefährden, wie es übliche Kreditinstitutionen verlangen<br />

(Grefa 1997:42).<br />

21 Acanaña, ein relativ großes Yekuana-Dorf am Fluß Cunucunuma gelegen, verfügt beispielweise seit 1984<br />

über eine Plaza Bolívar, die die Regierung dort errichtet, weil Acanaña als Schauplatz und als<br />

Ausgangspunkt für missionarische Aktivitäten und anthropologische Studien ins tiefere Amazonasgebiet galt.<br />

(Gespräch mit Abraham González am 26.07.2002).<br />

22 Es handelt sich um eine Studie <strong>auf</strong> Grundlage von 25 <strong>indigene</strong>n Wirtschaftsprojekten in 5 Ländern mit<br />

dem Titel „Wirtschaftliche Strategien“ (Grefa 1997:39).<br />

112


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Dennoch sollten die <strong>indigene</strong>n comunidades nicht zu sehr <strong>auf</strong> den Staat hoffen oder sich<br />

gar <strong>auf</strong> seine Hilfe verlassen, denn das kann zu Apathie und Enttäuschung führen. Im<br />

Rhythmus eines autodesarrollo sei es vor allem wichtig, dass die Indianer „aus eigener<br />

Kraft und ohne fremde Hilfe leben“ können (Ribeiro 1980:273). Mosonyi sieht das<br />

ähnlich:<br />

„Tienen que buscar su lucha de su propia fuerza y sin confiar mucho en las instituciones<br />

estatales y los grandes poderes, por que ellos sólo trabajan para sus mismos.“ (Interview mit<br />

Esteban E. Mosonyi, 5.07.2002). Ü18<br />

7.4. Realitäten und Visionen der <strong>indigene</strong>n Völker im venezolanischen<br />

Amazonasgebiet<br />

<strong>Die</strong> gegenwärtige Lage der <strong>indigene</strong>n Völker in der Region des Oberen Orinoko ist durch<br />

eine Situation des Umbruchs charakterisiert. Der Umgang mit den Ereignissen der etwa<br />

letzten 70 Jahre – intensiver Kontakt mit der ‚westlichen Welt’ vor allem über die Mission,<br />

Kennenlernen von Alternativen, Weckung neuer Bedürfnisse, Bewusstwerdung über das<br />

Eigene, Stärkung des Selbstwertgefühls, Wille zur Selbstbestimmung – hat zu einem<br />

teilweise erzwungenen, teilweise freiwilligen Kulturwandel 23 geführt, um dessen Ausmaße<br />

es hier geht.<br />

Wie Wernhart (1986:100) betont, ist der Begriff des Kulturwandels selbst völlig neutral, so<br />

kann die Richtung der Wandelprozesse grundsätzlich sowohl positiv als auch negativ<br />

betrachtet werden. Dem hinzufügend kommt es sehr wohl <strong>auf</strong> den Standpunkt der<br />

Beurteilung an, wie kulturelle Veränderungen wahrgenommen und bewertet werden. In<br />

unserem Kontext ist es unablässig, dass die Indígenas selbst im Rahmen eines<br />

autodesarrollo indígena die Beurteilung der Ergebnisse ihres eigenen Kulturwandels<br />

übernehmen und zugleich die Richtung für zukünftige bewusste Adaptierungen vorgeben.<br />

<strong>Die</strong> Revitalisierung von als verloren empfundenen kulturellen Elementen im Leben der<br />

Indígenas stellt einen gewichtigen Aspekt in den <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

dar. In der nahen Zukunft eine grundsätzlich verbesserte Lebenslage (ernährungsmäßig,<br />

gesundheitlich, bildungstechnisch) vorzufinden, ist ein weiterer bedeutender Punkt – bildet<br />

23 Zur Auseinandersetzung mit den Begriffen Kulturwandel, Akkulturation, culture und ethno change siehe<br />

Wernhart 1986:99-115.<br />

113


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

eine solche doch die Voraussetzung für das (Über)leben der <strong>indigene</strong>n Völker in ihren<br />

comunidades.<br />

7.4.1. Hauptproblemfelder der Indígenas<br />

In der Literatur sowie als Ergebnis der geführten Interviews und Gespräche aller Ebenen<br />

sind die schwerwiegendsten Probleme der Indianer <strong>auf</strong> dem Gebiet der Bildung, der<br />

Gesundheit und des Territoriums zu finden.<br />

<strong>Die</strong> Thematik der Bildung – formale Schulbildung, etnoeducación, educación intercultural<br />

bilingüe etc. – habe ich bereits in Kapitel 7.3.3. behandelt.<br />

<strong>Die</strong> Problematik in Zusammenhang mit der Gesundheitssituation <strong>indigene</strong>r Völker ist<br />

ebenfalls sehr vielschichtig. Wie schon in Kapitel 6.4.2.2. hingewiesen, sind hier viele<br />

Elemente miteinander vernetzt. Angefangen mit dem Eindringen fremder Krankheiten in<br />

das indianische Siedlungsgebiet durch Missionare, weiße SiedlerInnen,<br />

WissenschafterInnen, Kautschukpflücker, Minenarbeiter und Touristen über das Nicht-<br />

Zur-Verfügung-Stellen von Medikamenten zur Behandlung dieser<br />

‚Zivilisationskrankheiten’ bei gleichzeitigem Verbot der Ausübung schamanischer<br />

Heiltraditionen bis hin zur Vorenthaltung einer minimalen ärztlichen Grundversorgung<br />

reichen die diesbezüglichen Ursachen, die erklären, warum die Indígenas sich in einer<br />

gesundheitlich sehr misslichen Lage befinden. Ist man gewillt die Situation zu verbessern,<br />

dann bedarf es einer integralen Lösung. Im Rahmen eines autodesarrollo indígena sollte<br />

diese zumindest folgende zwei Aspekte berücksichtigen:<br />

� <strong>Die</strong> Vergabe ausreichender Medikamente, welcher allerdings eine andere Bedingung<br />

vorausgeht, nämlich, dass jemand aus der comunidad die Kenntnisse darüber besitzt,<br />

wie diese nicht-indianischen Arzneimittel einzunehmen sind und welchen Schaden sie<br />

anrichten können im Falle eines Missbrauchs. Es braucht also einer spezifischen<br />

Ausbildung für die Übernahme krankenpflegerischer Tätigkeiten in der comunidad.<br />

Hier wird auch die Bedeutung spezieller Sparten ‚westlicher’ Bildung für die Indígenas<br />

deutlich.<br />

114


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

� Eine Aufwertung und Wiederbelebung traditioneller Heilformen. Hier lässt sich<br />

ebenfalls ein Bildungsbezug herstellen, diesmal allerdings das endogene Wissen<br />

betreffend, welches neu bewertet wird.<br />

<strong>Die</strong> ideale Lösung stellt daher das Ineinandergreifen moderner und traditioneller<br />

gesundheitlicher Versorgung dar.<br />

<strong>Die</strong> Territorialfrage gehört schon seit langem zu den Schwerpunktthemen im indianismo.<br />

Das Verfügen über einen Eigentumstitel <strong>indigene</strong>r Völker ist gleichzeitig ein äußerst<br />

kontroverses Thema <strong>auf</strong> nationalpolitischer Ebene. Bester Beweis dafür sind die<br />

Polemiken im Zusammenhang mit der Entstehung der Bolivarianischen Verfassung und<br />

den territorialen Zugeständnissen an die <strong>indigene</strong>n Völker des Landes. Trotz der<br />

schriftlichen Existenz des Rechtes für <strong>indigene</strong> Völker in Venezuela über ein kollektives,<br />

unveräußerliches, unverjährbares, beschlagnahmefreies und nicht übertragbares Eigentum<br />

sowie eines Demarkationsgesetzes, stehen ein Großteil der von mir befragten Indígenas<br />

einer praktischen Umsetzung dieser Rechte sehr skeptisch gegenüber. Bis <strong>auf</strong> das positive<br />

Beispiel der Yekuana, die mit NGO-Unterstützung ihr Territorium selbstständig<br />

abgegrenzt haben, aber im Sommer 2002 noch immer <strong>auf</strong> die schriftliche Bestätigung<br />

warteten (Gespräch mit Marcos Jiménez am 17.07.2002 und mit Abraham González am<br />

26.07.2002), gab mir keine andere der besuchten comunidades eine überzeugte<br />

optimistische Antwort. <strong>Die</strong> Hoffnung allerdings <strong>auf</strong> territoriales Eigentum ist groß, gehört<br />

ein sicheres Territorium doch zu den Grundvoraussetzungen für einen autodesarrollo<br />

indígena.<br />

7.4.2. Verlusterscheinungen und Veränderungen im indianischen Leben<br />

Häufig wird im Vergleich zwischen ‚Früher’ und ‚Heute’ an erster Stelle das Fehlen einer<br />

intergenerationalen Integrität beklagt, womit das sich verändernde Verhältnis zwischen<br />

Jung und Alt angesprochen wird. Früher wurde dem cacique oder capitán und auch dem<br />

Schamanen eine tiefe Respekterweisung zuteil. <strong>Die</strong>se bezog sich <strong>auf</strong> sein Alter, <strong>auf</strong> seine<br />

Taten und <strong>auf</strong> das lebenslang erworbene Wissen als anciano. Mit der formalen<br />

Schulbildung und der Lehre der spanischen Sprache als primäre Handelssprache in<br />

Kontaktsituationen mit der kreolischen Gesellschaft erhielten aber vor allem die jungen<br />

Leute einen neuen Status in ihren comunidades und das traditionelle Beziehungssystem<br />

115


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

wurde durchbrochen. <strong>Die</strong> oftmals daraus resultierende und als solches empfundene<br />

Überlegenheit der jungen Indígenas gegenüber der Generation ihrer Großeltern zeigt sich<br />

teilweise in einer respektlosen Haltung gegenüber dem Verhalten der ‚Alten’, was<br />

wiederum bei den ancianos dazu führt, dass sie sich zurückziehen und viel an<br />

überliefertem Wissen, an Kenntnissen und Erzähltraditionen für sich behalten und letztlich<br />

mit ins Grab nehmen.<br />

Im alltäglichen Leben zeigen sich kulturelle Verluste z.B. in dem Verlernen, gayucos<br />

(traditionelle rockartige Kleidungsstücke der <strong>indigene</strong>n Völker im venezolanischen<br />

Amazonasgebiet in jeweils ethnisch-spezifischer Ausführung) zu fertigen, die<br />

durchdachten Palmendachkonstruktionen herzustellen oder mit Pfeil und Bogen oder<br />

Blasrohr zu jagen. <strong>Die</strong> Gründe dafür liegen <strong>auf</strong> der Hand, sei es im ersten Fall in Form von<br />

Kleidung, im zweiten in Form von Wellblechdächern oder im dritten in Form von<br />

Gewehren, die die vormals traditionellen Techniken ablösten.<br />

<strong>Die</strong> Beurteilung der Veränderungen allerdings ist wesentlich schwieriger als ihre<br />

Darstellung. Dennoch lässt sich zunächst schließen, dass alle diese Beispiele<br />

zusammengenommen einen deutlichen Beweis für die ‚erfolgreiche’ Politik der<br />

Missionstätigkeit und des indigenismo liefern.<br />

<strong>Die</strong>sen kulturellen Realitäten stehen allerdings Visionen der indianischen Völker<br />

gegenüber, die <strong>auf</strong> den Ideen eines autodesarrollo basieren und den <strong>indigene</strong>n<br />

<strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> entsprechen.<br />

7.4.3. Autodesarrollo indígena ist realisierbar!<br />

In Anlehnung an die Überlegungen zur Begriffsdeutung eines autodesarrollo indígena in<br />

Kapitel 7.1. sei auch an dieser Stelle dar<strong>auf</strong> hingewiesen, dass die im folgenden skizzierten<br />

Beispiele einer selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> indianischer comunidades nicht<br />

missverstanden werden dürfen, und zwar in dem Sinn als dass es sich hierbei nicht um<br />

reine oder ursprüngliche Formen der Selbstbestimmung als Abbild des Lebens der<br />

<strong>indigene</strong>n Völker vor der ersten Kontaktsituation mit den Weißen handelt, sondern es<br />

vielmehr um autonome <strong>Entwicklung</strong>swege, die alte Mechanismen oder vormalig autarke<br />

Versorgungsmöglichkeiten <strong>auf</strong> neue Art darstellen geht.<br />

116


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Zudem kann es sich bei den Beispielen auch um die Inkorporation völlig neuartiger<br />

Tätigkeitsbereiche handeln, um die (neuen) Bedürfnisse der comunidad zu decken;<br />

vorausgesetzt, dass es sich hierbei um von den Indígenas selbst gefällte Entscheidungen<br />

und frei gewählte Alternativen handelt. <strong>Die</strong> Prozesse selbstbestimmter <strong>Entwicklung</strong>swege<br />

<strong>indigene</strong>r Völker sind Ausdruck von Situationen intensiver Kulturkontakte, in welchen<br />

sich Elemente des Eigenen und des Fremden zu neuen symbolischen Formen und<br />

Praktiken verbinden. Es handelt sich also um ständige kulturelle Veränderungen im Sinne<br />

Sahlins; denn nach ihm ist keine Kultur ein abgeschlossenes System, sondern steht immer<br />

in Kontakt zu anderen Kulturen. Der Austausch, die Aneignung als auch die Umdeutung<br />

fremder Güter und Ideen, wie es beispielsweise die Formulierung <strong>indigene</strong>r <strong>Perspektive</strong>n<br />

<strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> gezeigt hat und wie es die nachstehenden Formen eines autodesarrollo<br />

indígena noch zeigen werden, bilden einen inhärenten Bestandteil jeder dynamisch<br />

verstandenen Kultur (Sahlins 1985:xiv). Mit diesen Prozessen einher gehen auch Neu-<br />

Interpretationen und Neubewertungen der bestehenden Kultur, was zu Innovation und<br />

somit zur Veränderung kultureller Systeme führen kann; vor allem dann, wenn tradierte<br />

Vorstellungen oder Handelsformen den Erfordernissen der aktuellen (spezifisch<br />

historischen) Situation nicht mehr gerecht werden.<br />

Gleichzeitig soll die indianische Eigenständigkeit im Sinne ihres ‚Rechts <strong>auf</strong> Differenz’<br />

gefördert werden. Wenn sich <strong>indigene</strong> Gesellschaften dabei Elemente der fremden Kultur<br />

aneignen und diese kontrollieren, kommt die control cultural von Bonfil in ihrer<br />

positivsten Gestalt zum Tragen, weil hier nicht mehr nur Elemente der traditionellen<br />

Kultur unter die kulturelle Kontrolle der fremden (nationalen) Kultur geraten. So kann es<br />

auch zu einer verbesserten Position der <strong>indigene</strong>n Gruppen im Machtgefüge von<br />

Gruppenbeziehungen kommen. Der Analyse Eric Wolfs zufolge sind komplexe<br />

Gesellschaftsgefüge und Gruppenbeziehungen in der lateinamerikanischen Gesellschaft<br />

insbesondere durch zwei Faktoren bestimmt:<br />

� <strong>Die</strong> Ausübung von Macht einer oder mehrer Gruppen über andere. Dabei können die<br />

Machtverhältnisse verschiedene kulturelle Formen <strong>auf</strong>weisen und werden meist durch<br />

politische und ökonomische Institutionen vermittelt.<br />

117


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

� Der historische Prozess. Gruppenbeziehungen beinhalten Konflikte und Anpassungen,<br />

Integration und Desintegration, sie sind nicht statisch, sondern gestalten sich in<br />

größeren Zeiträumen (Wolf 1956:1066).<br />

Schlussfolgernd reflektiert das <strong>auf</strong>gezeigte Spannungsverhältnis deutlich die nationalen<br />

und auch globalen Verflechtungen – die Beispiele eines autodesarrollo indígena sind zwar<br />

lokal, spiegeln aber überregionale, nationale und globale Bedingungen wider.<br />

7.4.3.1. <strong>Die</strong> escuela de ancianos und die escuela chamánica<br />

Als neue Form der vormals üblichen Tradierung von Wissen lassen sich die Ideen zur<br />

Errichtung von sog. escuelas de ancianos und escuelas chamánicas beschreiben.<br />

<strong>Die</strong> escuela de ancianos soll neben der formalen Schulbildung die Förderung der<br />

etnoeducación übernehmen. <strong>Die</strong> ‚Alten’ erhalten hier als LehrerIn eine ihrem Status<br />

angemessene Position und geben ihr traditionelles und überliefertes Wissen insbesondere<br />

in den Bereichen Mythologie, Ahnenkunde und Techniken des traditionellen<br />

Wohnstättenbaus an die Gemeinschaft weiter. Dabei findet eine Transformation der<br />

inhaltlichen Begründung von Anerkennung statt. Beruhte eine solche früher <strong>auf</strong> der<br />

langjährigen Erfahrung und dem natürlichen Alterserwerb von Mitgliedern der comunidad,<br />

so findet sie heute über ein aus der westlichen Welt übernommenes Element und zwar der<br />

sozialen Kategorie des Lehrerberufes statt 24 .<br />

Mit der escuela de ancianos können zumindest zwei Verlusterscheinungen gelindert<br />

werden: Erstens findet eine Revitalisierung von teilweise verloren geglaubtem Wissen statt<br />

und zweitens ermöglicht sie, wieder eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen,<br />

weil von ihr <strong>auf</strong> adaptierte Weise das traditionelle Beziehungs- und Anerkennungssystem<br />

gefördert wird.<br />

<strong>Die</strong> escuela chamánica ist ebenfalls im Bereich der etnoeducación angesiedelt, im<br />

speziellen aber geht es hierbei um die Weitergabe von traditionellem Heilkundewissen.<br />

Trotz des damit verbundenen <strong>auf</strong> die Heilkunst eingeschränkten Agitationsfeldes<br />

24 Konsequenterweise sind auch Anträge an die Gemeindebezirksverwaltung in Planung, in denen um ein<br />

staatliches Gehalt für die lehrenden ancianos angesucht werden soll (Gespräch mit Abraham González am<br />

27.07.2002).<br />

118


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

schamanistischer Aktivitäten, sollte ihre Bedeutung für die gesundheitliche Lage und auch<br />

für das zeremonielle und rituelle Leben der comunidad nicht unterschätzt werden. Neben<br />

dieser inhaltlichen Transformation findet eine zweite statt und zwar bezogen <strong>auf</strong> die<br />

Auswahl, wer Schamane wird.<br />

Während es beispielsweise bei den Piaroa früher üblich war, dass der Nachfolger von dem<br />

aktiven Schamanen ausgesucht und bereits von Geburt an <strong>auf</strong> sein Leben als Schamane<br />

vorbereitet wurde, so besteht heute die Möglichkeit, dass junge Piaroa sich selbst dazu<br />

entschließen, sich einer enseñanza (hier: Ausbildung zum Schamanen) zu unterziehen.<br />

Antonio, ein dreißigjähriger Piaroa, begründete seine vor Jahren getroffene Entscheidung<br />

Schamane zu werden folgendermaßen: Auf Grund eines Schlüsselerlebnisses wurde ihm<br />

bewusst, dass auch er diese traditionellen Heilformen erlernen möchte. Er hatte sich mit<br />

einem Messer den rechten Zeigefinger abgeschnitten und ersuchte seinen Schwiegervater,<br />

den Schamanen der comunidad, um Hilfe. <strong>Die</strong>ser behandelte ihn und er hatte keine<br />

Schmerzen mehr.<br />

Es lehrte ihn zunächst sein Schwiegervater, danach verspürte er jedoch den Drang, von<br />

anderen weisen und mächtigeren Schamanen gelehrt zu werden. <strong>Die</strong>s wiederum stellte sich<br />

als nicht sehr leicht heraus, weil Antonio nur mehr wenige von ihnen ausfindig machen<br />

konnte. Dennoch ist er gewillt, diesen bedeutsamen Ausdruck der eigenen Kultur <strong>auf</strong>recht<br />

zu erhalten und die Schmerzen seiner Mitmenschen zu lindern. (Gespräch mit Antonio<br />

González Pérez am 9.08.2002).<br />

Mit der Errichtung von escuelas chamánicas verteilt im Siedlungsgebiet der Piaroa, würde<br />

die Möglichkeit geschaffen werden, das vorhandene Wissen zusammenzuführen und an<br />

interessierte, verantwortungsbewusste junge Schamanenanwärter weiter zu geben.<br />

7.4.3.2. Förderung der selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong> durch Projekte<br />

Während sich die Beispiele aus dem vorigen Kapitel als Ansätze zur Wiederbelebung und<br />

Stärkung von sich im Verschwinden befindenden Elementen der eigenen Kultur<br />

beschreiben lassen, soll es nachfolgend um Formen und Lösungen gehen, wie die<br />

gegenwärtige und zukünftige Versorgungslage und das Leben allgemein gestaltet werden<br />

können.<br />

119


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Das Potenzial diverser Projekte zur Realisierung eines autodesarrollo indígena ist sehr<br />

groß. Unter der hier vorgestellten Art von Projekten ist zu verstehen, dass die Mitglieder<br />

der einzelnen comunidades gemeinsam und ohne externe Beeinflussung darüber<br />

entscheiden, <strong>auf</strong> welchen Wegen sie ihre Lebensqualität verbessern wollen. <strong>Die</strong> Bandbreite<br />

der Projektinhalte ist beachtlich: Sie reicht von der Anschaffung von Technologie (z.B.<br />

<strong>Die</strong>selgeneratoren oder Solaranlagen zur Erzeugung von Strom, Radio-Kommunikation<br />

über Batterie oder Solar) und der Errichtung von Sozialeinrichtungen (z.B. Bereitstellung<br />

einer Krankenstation mit Medikamenten, Schaffung der Voraussetzungen für eine primaria<br />

oder secundaria (erste und zweite Schulstufe)) über die aktive Beteiligung am Tourismus<br />

(z.B. mittels dem Bau von Touristencamps) bis hin zu verschiedenen Zucht- und<br />

Anbauprojekten.<br />

Viele der nachfolgenden Projektbeispiele setzen die Notwendigkeit einer guten Ausbildung<br />

von Mitgliedern der comunidades zur zukünftigen selbständigen technischen Umsetzung<br />

und Leitung voraus. Darin liegen auch die Forderungen und der Wunsch <strong>indigene</strong>r Völker<br />

nach Zugang zu Ausbildung und Studium in formalen staatlichen Bildungseinrichtungen<br />

begründet. <strong>Die</strong>se betreffen z.B. ein Studium als KrankenpflegerIn oder LehrerIn, das<br />

Gewinnen von agronomischen und landwirtschaftlichen Fertigkeiten oder von<br />

Buchhaltungskenntnissen, das Lernen von ‚richtigen’ Verhaltensweisen im Umgang mit<br />

TouristInnen. In diesem Zusammenhang kann es auch vorkommen, dass sich vor allem die<br />

Mitglieder kleiner comunidades zusammenschließen und gemeinsam das Geld dafür<br />

<strong>auf</strong>bringen, damit ein junges Mitglied von ihnen die Chance bekommt, in der Stadt ein<br />

Studium zu machen. Das in der Ausbildung erworbene Wissen soll dann später dazu<br />

beitragen, dass die comunidad <strong>auf</strong> dem jeweiligen Gebiet mit Verbesserungen rechnen<br />

kann (Gespräch mit Cheo Espinoza, 14.07.2002). Eine Vorgehensweise, die deutlich die<br />

Prinzipien von Solidarität und Reziprozität veranschaulicht.<br />

Von Seiten der Finanzierung oder der Genehmigung lassen sich grundsätzlich zumindest<br />

drei Ebenen von Projekten unterscheiden:<br />

1. Projektfinanzierung durch FIDES: Hat sich eine comunidad für ein oder mehrere<br />

Projekte entschieden, wird ein Projektantrag geschrieben und der Dorfvorsteher reicht den<br />

Antrag beim Bürgermeisteramt <strong>auf</strong> Gemeindebezirksebene ein. In der Regel handelt es<br />

sich hierbei um Technologieanschaffungsprojekte oder um Ansuchen nach<br />

120


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Sozialeinrichtungen. Nach Durchsicht und Genehmigung durch das Bürgermeisteramt,<br />

gelangt der Antrag zur FIDES, dem Regierungsfonds zur Dezentralisierung mit Sitz in<br />

Caracas 25 . Wird das Vorhaben von der FIDES bewilligt, stellt der Fonds die notwendigen<br />

Projektgelder zu Verfügung und übergibt sie dem Bürgermeisteramt. <strong>Die</strong>ses ist dann<br />

wiederum für die Realisierung des Ansuchens verantwortlich.<br />

Nicht selten allerdings kommt es gar nicht erst zum letzten Schritt, weil die ausbezahlten<br />

Gelder im Korruptionsgeflecht untergehen würden (Gespräch mit Alberto Nixon am<br />

10.08.2002). An dieser Stelle wird deutlich, wor<strong>auf</strong> bereits Mosonyi hingewiesen hat,<br />

nämlich der Rat an die <strong>indigene</strong>n comunidades, sich nicht zu sehr <strong>auf</strong> die staatlichen<br />

Stellen und deren Hilfe zu verlassen.<br />

2. Projektrealisierungen durch NGOs: Hierbei handelt es sich um das Angebot an<br />

finanzieller Unterstützung und technischer Assistenz durch Fachleute, die im Rahmen<br />

spezifischer Programme von Nichtregierungsorganisationen <strong>auf</strong> Einladung in die<br />

comunidades kommen.<br />

<strong>Die</strong> hierunter fallenden vielfältigen Zucht- und Anbauprojekte umfassen die<br />

Domestizierung vormals wilder Früchte und Palmensorten, die Zucht von Hühnern,<br />

Schweinen oder Rindern, die Aufzucht bestimmter Fischsorten, die Kombination zwischen<br />

traditionellen und neuen Anbausorten sowie die Einführung von<br />

Weiterverarbeitungsprozessen diverser Anbauprodukte. Mit der offensichtlichen Diversität<br />

der Strategien sollen sämtliche Subsistenzalternativen offen gehalten werden. Damit<br />

werden auch die traditionellen Diversifizierungsstrategien <strong>indigene</strong>r Subsistenzaktivitäten,<br />

die die Tragfähigkeit der indianischen Wirtschaft ausmacht, nicht beeinträchtigt. <strong>Die</strong><br />

Herausforderung der Projekte liegt darin, die Subsistenzaktivitäten mit den Leistungen für<br />

den Markt so zu verbinden, dass der Nahrungsmittelbedarf befriedigt und das benötigte<br />

Bargeld zur Befriedigung neuer Bedürfnisse beschafft werden kann.<br />

Hinsichtlich der ökologischen Viabilität jedweder wirtschaftlichen Aktivität <strong>indigene</strong>r<br />

comunidades unterstreicht Grefa, dass die Indígenas einer doppelten Herausforderung<br />

25 Der FIDES als unabhängiger <strong>Die</strong>nstleister ist dem Ministerium für Planung und <strong>Entwicklung</strong><br />

zugeschrieben und soll der Prozess der Dezentralisierung und der regionalen <strong>Entwicklung</strong> unterstützen<br />

(www.fides.gov.ve/quienes.htm).<br />

121


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

gegenüberstehen und zwar gleichzeitig eine versorgende und ökologisch verträgliche<br />

Wirtschaft für die Zukunft zu entwickeln. <strong>Die</strong> Lösung liegt in dem Konzept der<br />

Ressourcenbewirtschaftung als Kombination von Pflege und Nutzung der Ressourcen,<br />

welches die bisherige <strong>indigene</strong> Wirtschaftsweise <strong>auf</strong>bauend <strong>auf</strong> dem Ressourcenabbau<br />

ersetzen soll (Grefa 1997:40f).<br />

Am Beispiel des Proyecto Amazonas, getragen von der venezolanischen<br />

Bürgervereinigung PROVITA und der niederländischen Nichtregierungsorganisation<br />

NOVIB, lässt sich zeigen, wie solche Projekte <strong>auf</strong> comunidad-Ebene umgesetzt werden<br />

und welchen Erfolg sie nur nach kurzer Zeit verzeichnen können. Vor drei Jahren startete<br />

das Amazonas-Projekt in der Piaroa comunidad Pendare am Sipapo. Mittels einführenden<br />

Workshops in den Bereichen Projektdurchführung, -leitung und -verwaltung sowie der<br />

internen Organisation von Kleinstunternehmen wurde die comunidad darin unterstützt, sich<br />

zu organisieren und Klarheit über die eigenen Prioritäten zu gewinnen. Dar<strong>auf</strong> folgten die<br />

Entscheidungen der Mitglieder der comunidad, welche verschiedenen Projekte man in<br />

Angriff nehmen wollte. <strong>Die</strong> jeweils dafür notwendigen Kenntnisse wurden den Indígenas<br />

im Zuge spezieller Workshops übermittelt.<br />

Im Zuge dessen konnten auch diverse Versuche neuartiger Agrarproduktion konsolidiert<br />

werden. Hauptanliegen der diesbezüglichen Initiativen von sog. conucos integrales<br />

(integraler Ackerbau) lagen in der Minimierung der Belastungen des Tropenwaldes durch<br />

die comunidades bei gleichzeitiger Stärkung alternativer Versorgungs- und<br />

Produktionsmodelle für eine ausreichende und abwechslungsreiche Protein- und<br />

Kalorienabdeckung als auch für den Verk<strong>auf</strong> von Überschüssen.<br />

<strong>Die</strong> Projekte basieren prinzipiell <strong>auf</strong> der gemeinschaftlichen Organisation einer<br />

Großfamilie. <strong>Die</strong>se microempresas familiares werden über das Proyecto Amazonas in das<br />

venezolanische Handelsregister eingetragen und erhalten damit einen legalen Status.<br />

Mittel- und langfristig gesehen hofft man über die Organisation familiärer<br />

Kleinstunternehmungen, die Verk<strong>auf</strong>sprozesse und das interne Kommerzialisierungsnetz<br />

so zu stärken, dass ein Überschuss der Agrarproduktion erwirtschaftet wird, der nach der<br />

Selbstversorgung vermarktet werden kann.<br />

122


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Was die neuartigen Weiterverarbeitungsprozesse anbelangt, so sind davon diverse<br />

Fruchtsorten betroffen, insbesondere copo asú. Aus den Früchten werden dann<br />

Schokolade, Nektar, Marmeladen, Säfte und Kompott hergestellt. (www.provitaonline.org;<br />

Gespräch mit Jorge Herrera, 7.08.2002).<br />

Für eine abschließende Darstellung des Proyecto Amazonas möchte ich die Leiterin des<br />

Projektes, Lusi Videla zu Wort kommen lassen:<br />

„De esta forma se apoya un proceso liderado por la misma comunidad para lograr un<br />

mejoramiento social y económico armónico con la naturaleza y los valores culturales propios de<br />

la etnia.” Ü19 (www.provitaonline.org/amazonas/noticias/noticia_02.htm).<br />

3. Projektgenehmigung durch staatliche Institutionen: Wenn sich eine comunidad dazu<br />

entschieden hat, an touristischen Aktivitäten teilzunehmen und ein campamento turístico<br />

zu errichten, so wird ein entsprechendes Ansuchen an das Bürgermeisteramt <strong>auf</strong><br />

Gemeindebezirksebene geschrieben. Nach der Genehmigung durch das municipio bedarf<br />

es zusätzlich der Zustimmung vom Bundesstaat Amazonas.<br />

Nach Absegnung des Vorhabens müssen sich die Mitglieder der comunidad darüber<br />

beraten, wo die Touristen untergebracht werden sollen. Meistens werden offene Hütten mit<br />

aus Baumstämmen hergestellten Tischen, Stühlen und Regalen ein Stück weiter<br />

fluss<strong>auf</strong>wärts oder flussabwärts von der eigenen comunidad errichtet, um das<br />

Zusammentreffen zwischen deren Mitgliedern und den Touristen kontrollieren zu können.<br />

Außerdem muss geklärt werden, welche Art von Tourismus und welche zusätzlichen<br />

Aktivitäten man anbieten will. An erster Stelle rangiert der Öko-Tourismus und meist<br />

werden geführte Spaziergänge durch den Dschungel und Ausflüge zu besonderen<br />

Naturplätzen angeboten. Um weitestgehend Zwist und Reibereien unter den Mitglieder der<br />

comunidad in der Zukunft zu verhindern, muss ein Übereinkommen gefunden werden, wer<br />

welche Aufgaben in dem Tourismusprojekt übernimmt, wer welche Verantwortungen zu<br />

tragen hat und worin die eingenommenen Gelder fließen sollen (Gespräch mit Juan<br />

Morillo, 11.08.2002).<br />

Selbstverständlich könnte man bei jedem der Projekte abwägen und detaillierter <strong>auf</strong>zeigen,<br />

welche Veränderungen seine Umsetzung in Bezug <strong>auf</strong> traditionelle Aktivitäten, <strong>auf</strong> die<br />

soziale Organisation oder <strong>auf</strong> das ökonomische System hervorrufen können oder werden.<br />

Gleichzeitig sollte man sich aber vergegenwärtigen, dass, wenn die drei Voraussetzungen<br />

123


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

für einen autodesarrollo gegeben sind, die Indígena sehr bewusst mit solchen<br />

Fragestellungen umgehen oder umgehen sollten, geht es doch um die Weiterexistenz ihrer<br />

Gemeinschaft, wo insbesondere die Beziehung zum Territorium sowie die reziproken<br />

Wirtschaftsbeziehungen untereinander neben den vielen anderen Aspekten der eigenen<br />

Kultur und der kulturellen Kontrolle Erwähnung finden.<br />

7.4.4. ... könnte aber auch scheitern ...<br />

<strong>Die</strong> oben genannten aussichtsreichen Beispiele eines autodesarrollo indígena befinden<br />

sich mehrheitlich in einem Anfangsstadium, das macht eine kritische Analyse ihrer<br />

Wirksamkeit schwierig. Dennoch möchte ich abschließend einige Gründe <strong>auf</strong>zeigen, die zu<br />

einem Scheitern der dargelegten Beispiele führen können oder erklären, warum es zu der<br />

einen oder anderen Umsetzung erst gar nicht kommen kann.<br />

<strong>Die</strong> begrüßenswerte Grundbedingung zur Realisierung selbstbestimmter<br />

<strong>Entwicklung</strong>swege, nämlich dass die Indígenas selbst die TrägerInnen ihres autodesarrollo<br />

sind, kann auch zu ihrem Verhängnis werden und zwar dann, wenn die langjährigen<br />

Enttäuschungen über die sie betreffenden Politiken dazu geführt haben, dass es ihnen an<br />

Motivation und infolgedessen auch an Kapazität und Organisation fehlt, ihr Schicksal<br />

selbst in die Hand zu nehmen.<br />

Weiters habe ich <strong>auf</strong>zeigen können, dass vieles in den indianischen Zukunftsperspektiven<br />

<strong>auf</strong> der Jugend <strong>auf</strong>baut. Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft um sich auszumalen,<br />

wie schnell der Prozess eines autodesarrollo indígena <strong>auf</strong> comunidad-Ebene paralysiert<br />

werden kann, wenn die studierenden jungen Indígenas andere Entscheidungen für ihr<br />

Leben treffen als die, mit denen die Elterngeneration in den comunidades rechnen. Auch<br />

wenn es während meiner Feldforschung im venezolanischen Amazonasgebiet nicht den<br />

Anschein hatte, dass dieses Problem hier aktuell werden könnte, bin ich dennoch<br />

überzeugt, dass die Möglichkeit einer solchen Problematik zumindest angedacht werden<br />

muss. Oftmals traf ich aber Indígenas, die bereits in der Stadt gelebt hatten und bewusst in<br />

die comunidad zurückgekehrt waren oder unterhielt mich mit jungen Studenten, die gerade<br />

in den Ferien zu Hause waren und deren Studienwahl außer ihrer mündlichen Zusicherung<br />

dar<strong>auf</strong> hinwiesen, dass sie planten nach Beendigung ihrer Studien die erworbenen<br />

Kenntnisse der comunidad zur Verfügung zu stellen.<br />

124


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Eine sehr reale Schwierigkeit liegt auch in den äußerst knappen finanziellen Ressourcen<br />

zur Anschaffung technologischer und sozialer Einrichtungen und in dem Fehlen an<br />

technischer Assistenz zur Umsetzung kombinierter Formen der Bodenbewirtschaftung oder<br />

von Weiterverarbeitungsprozessen. Trotz verschiedenster Projektmöglichkeiten ist oftmals<br />

schon die erste Antragstellung ein undurchschaubares bürokratisches Labyrinth für die<br />

Indígenas; manchmal ist aber auch das Angebot diesbezüglicher Programme von NGO-<br />

Seite nicht verfügbar. <strong>Die</strong> Problematik von Korruption und Vetternwirtschaft spielt hierbei<br />

natürlich eine bedeutende Rolle, denn genehmigte Projektgelder finden nicht immer den<br />

Weg bis zu den rechtmäßig Begünstigten.<br />

Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor liegt in möglichen Rücknahme verfassungsmäßig<br />

verankerter Rechte bei einem Machtwechsel. Gerade im Hinblick <strong>auf</strong> die aktuelle<br />

politische Situation in Venezuela, in der die Opposition sehr stark gegen das Regime von<br />

Chávez zu intervenieren versucht, erhält die grundsätzliche Frage nach der Stabilität von<br />

Verfassungen Gewicht.<br />

Foto 24:<br />

Projekt zur Errichtung von neuen Dächern in<br />

zwei comunidades südlich bei Puerto<br />

Ayacucho. <strong>Die</strong> Finanzierung läuft über den<br />

Bundesstaat Amazonas und dem FIDES.<br />

125


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Foto 25:<br />

Piaroa-comunidad Ceguera de Autana. Im vorderen Bereich sieht man das campamento<br />

turístico, im hinteren Teil befindet sich das Indianerdorf; eines der seltenen Beispiele,<br />

wo <strong>indigene</strong>s Alltagsleben und Touristen so nah zusammenkommen.<br />

Foto 26:<br />

Alltägliche Gebrauchsgegenstände: Rückentrage, yucca-Reibe, sebucán,<br />

Körbe, Brennholz, Wendevorrichtung, usw.<br />

126


Autodesarrollo indígena oder die andere Lösung des problema indígena<br />

Foto 27:<br />

Der nächtliche Fischfang war sehr ergiebig – ausgelassenes Treiben am Flussufer:<br />

Verteilen und Ausnehmen der gefangenen Fische; Yanomami-comunidad Coromoto.<br />

Foto 28:<br />

Gerechte Aufteilung der mitgebrachten Geschenke: alle Mitglieder der comunidad<br />

Coromoto umringen den capitán, der Angelhaken und Schnüre verteilt.<br />

127


Conclusio<br />

8. Zusammenfassung / Schlussbemerkung<br />

Wenn man <strong>indigene</strong> <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> formulieren möchte, bedarf es einiger<br />

Überlegungen im Vorfeld. Der vorherrschende Gebrauch von <strong>Entwicklung</strong> ist<br />

charakterisiert von einem unilinearen, universellen, vor allem aber transitiven Verständnis<br />

mit dem Ziel nach Steigerung, Wachstum und Akkumulation. Getragen wird diese<br />

Konzeption von der westlichen Welt als gesellschaftliches Konstrukt in Gegenüberstellung<br />

zur indianischen Welt. (Um Missverständnisse zu vermeiden sei angemerkt, dass es sich<br />

bei begrifflichen Konstrukten in dieser Arbeit stets um bewusst eingegangene<br />

Homogenisierungen und Reduzierungen handelt).<br />

Das wirtschaftsorientierte westliche <strong>Entwicklung</strong>skonzept zielt wie das integrale<br />

indianische <strong>auf</strong> Verbesserung. Es fragt sich allerdings, was unter Verbesserung verstanden<br />

wird und für wen oder besser für was sie gilt. <strong>Die</strong> Darstellung der venezolanischen<br />

<strong>Entwicklung</strong>spolitik als anschauliches Beispiel der aus den westlichen Zentren in die<br />

Peripherie getragenen <strong>Entwicklung</strong>sideologie hat zum einen gezeigt, dass die<br />

Konfrontation zwischen westlicher und indianischer Welt fatale Auswirkungen <strong>auf</strong> die<br />

<strong>indigene</strong>n Völker gehabt hat und zum anderen, dass von Beginn an Indianerpolitik und<br />

<strong>Entwicklung</strong>spolitik ineinander gegriffen und an dem selben Strang gezogen haben. Der<br />

beiden Politiken unterliegende gemeinsame Grundkonsens findet sich im<br />

Dualismuskonzept von Zivilisierung versus Barbarei und dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>bauend etwas später<br />

von <strong>Entwicklung</strong> versus Unterentwicklung. Unter diesen Rahmenbedingungen ist auch der<br />

erste Lösungsansatz zur Behebung des sog. problema indígena zu sehen.<br />

Der indigenismo als die sich seit der Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten<br />

bildende Ideologie wurde in den 1940er Jahren zur offiziellen Indianerpolitik mit<br />

Unterstützung der damaligen angewandten Anthropologie. Seine Lösung in Bezug <strong>auf</strong> die<br />

verarmte und marginalisierte Lage der Indígenas, die in Konsequenz zu obiger<br />

Schlussfolgerung in rein entwicklungstheoretischen Kategorien analysiert wurde, sah die<br />

vollständige Auflösung des Indianischen, die Assimilation der <strong>indigene</strong>n Völker unter die<br />

nationalen Gesellschaften, vor. <strong>Die</strong>se zudem von einem Paternalismus gekennzeichnete<br />

indigenistische Integrationspolitik ist Ausdruck bewusster Homogenisierungsprozesse und<br />

zugleich verantwortlich für die ethnoziden Verbrechen in Lateinamerika.<br />

128


Conclusio<br />

Es bedurfte eines starken Impetus, um die indigenistische Lösung des problema indígena<br />

mit anderen Augen zu sehen und <strong>auf</strong> andere, humanere, insbesondere aber die Ideen der<br />

Indígenas berücksichtigende Art, abzulösen. In den 1970er Jahren vollzog sich ein<br />

entsprechender intellektueller Wandel in anthropologischen und soziologischen Kreisen.<br />

Es folgte die Anklage ethnozider Handlungen und die Forderung nach Politiken, die dem<br />

Anti-Indianismus des indigenismo entgegen gesetzt werden können. Hintergrund der sich<br />

bildenden Denkrichtung war das Bewusstsein darüber, dass die klassischen<br />

indigenistischen Aktivitäten die kulturelle Diversität gefährdet und die kulturellen<br />

Verlusterscheinungen <strong>indigene</strong>r Völker immer deutlicher zum Vorschein traten. Der<br />

entstehende nuevo indigenismo stellte den Nährboden für Ideen und Versuche bereit, wie<br />

die Integration und die Verbesserung der Lebenssituation <strong>indigene</strong>r Völker ohne ethnozide<br />

Begleiterscheinungen erfolgen könnte. <strong>Die</strong> diesbezüglich ergriffenen Strategien in<br />

Venezuela waren allerdings nicht von Erfolg gekrönt und trugen auch nicht dazu bei, den<br />

Indígenas Wege zu öffnen, um ihr Leben nach eigenen Maßstäben zu gestalten.<br />

Es fällt auch in diese Zeit, dass die Indígenas zunächst noch mit Unterstützung von außen<br />

begannen, sich über ethnische, später regionale und auch nationale Grenzen hinweg zu<br />

organisieren. Über den Austausch von Erfahrungen mit dem Einheitskonzept der<br />

Nationalstaaten entwickelte sich ein gemeinsames indianisches Bewusstsein, das die innere<br />

Heterogenität anerkannte, sich aber zugleich über sie hinweg setzte, um ein gemeinsames<br />

Artikulieren zu ermöglichen und um damit an Stärke und Durchsetzungskraft zu gewinnen.<br />

Der Aspekt der Identität in der <strong>indigene</strong>n Bewegung spielt folglich eine gewichtige Rolle.<br />

Schlussfolgernd wurde eine neue Ideologie von Indianern für Indianer konzipiert, der als<br />

indianismo in Wissenschaft und Literatur Einzug gehalten hat. <strong>Die</strong> indianistische<br />

Bewegung steht für die kulturelle Diversität und kämpft um die Anerkennung der<br />

kulturellen Andersartigkeiten die <strong>indigene</strong>n Völker selbst betreffend, insbesondere aber in<br />

Abgrenzung zur kreolisch-weißen Gesellschaft als Vertreterin der westlichen Welt.<br />

Etwa ein Jahrzehnt später fand 1981 in San José ein von den Vereinten Nationen<br />

einberufenes internationales Treffen statt, <strong>auf</strong> welchem nach neuen Wegen gesucht wurde,<br />

um aktiv gegen die kulturellen Verlusterscheinungen bei den Indianern anzukämpfen. Das<br />

sich unter den TeilnehmerInnen formierende Gegenkonzept heißt etnodesarrollo und sieht<br />

die <strong>Entwicklung</strong> ethnischer Gruppen nach ihren eigenen Prioritäten und Maßstäben vor.<br />

129


Conclusio<br />

In Übereinstimmung mit der Auffassung, dass <strong>indigene</strong> Völker immer auch als Ethnien<br />

bezeichnet werden können, ethnische Gruppen aber nicht immer <strong>indigene</strong> Völker sein<br />

müssen, habe ich mich unter der Berücksichtigung der in der Arbeit dargelegten weiteren<br />

drei Argumente dazu entschlossen, den Begriff etnodesarrollo im Hinblick <strong>auf</strong> indianische<br />

Kulturen mit autodesarrollo indígena zu ersetzen. Mit der gleichzeitig bewusst<br />

vorgenommen etymologischen Betonung der diesem endogenen Konzept innewohnenden<br />

Selbstbestimmung unterstreiche ich, dass in Einklang mit der indianistischen Ideologie hier<br />

die Indígenas selbst zu den AkteurInnen und TrägerInnen ihrer eigenen <strong>Entwicklung</strong><br />

werden.<br />

Als Zwischenfazit möchte ich meine eingangs gestellte These soweit bestätigen, dass man<br />

die ethnoziden Politiken den Strategien eines autodesarrollo indígena ebenso<br />

gegenüberstellen kann wie die Ideologie des indigenismo der des indianismo. <strong>Die</strong><br />

Verbindung zwischen den vier Elementen zeigt sich dergestalt, dass jeweils die eine oder<br />

andere Ideologie den entsprechenden Bezugsrahmen und das kongruente Handlungsfeld<br />

zur Verfügung stellen. <strong>Die</strong> Lösungsansätze des problema indígena sind folglich von Grund<br />

<strong>auf</strong> unterschiedlich ausgerichtet und lassen sich <strong>auf</strong> einer Makro-Ebene auch als<br />

Gegenüberstellung zweier großer Theorieansätze analysieren. Während die<br />

assimilatorischen, paternalistischen und ethnoziden Aktivitäten eines indigenismo<br />

grundsätzlich <strong>auf</strong> eine kulturelle Vereinheitlichung zielen und somit<br />

Homogenisierungsprozesse fördern, fordern die Inhalte und Strategien eines<br />

autodesarrollo indígena im indianismo die Akzeptanz und Anerkennung der kulturellen<br />

Diversität und tragen somit zu Heterogenisierungsprozessen bei.<br />

Es fragt sich nun, welche Inhalte und Strategien der autodesarrollo indígena verfolgt und<br />

welche Voraussetzungen für seine Realisierung erfüllt sein müssen. An dieser Stelle<br />

schließt sich der Bogen zu dem Willen, <strong>indigene</strong> <strong>Perspektive</strong>n <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> zu<br />

formulieren, die ihre Umsetzung im autodesarrollo indígena finden können. Wenn von<br />

indianischen Auffassungen über <strong>Entwicklung</strong> die Rede ist, dann sollte das stets unter der<br />

Berücksichtigung folgender Überlegungen und Bedingungen geschehen: Erstens sind<br />

solche immer als eine Reaktion <strong>auf</strong> die Erfahrungen mit dem vorherrschenden<br />

<strong>Entwicklung</strong>smodell anzusehen und somit Resultat der Kontaktsituation zwischen<br />

indianischer und westlicher Welt sowie der Konfrontation unterschiedlicher Werte,<br />

130


Conclusio<br />

Normen und Systeme. Zweitens handelt es sich um die notwendige Teilnahme am<br />

<strong>Entwicklung</strong>sdiskurs von Seiten der Peripherie, die bisher nicht als Wert beachtet wurde.<br />

Drittens gehören die <strong>indigene</strong>n Völker zu den größten Verlierern übergestülpter<br />

<strong>Entwicklung</strong>splanungen, wie die indigenistisch-ethnozide Lösung ihrer Schwierigkeiten<br />

gezeigt hat. Und viertens ist der in diesem Zusammenhang verwendete Kulturbegriff<br />

Ausgangspunkt jedweder weiterer Überlegung, d.h. zum einen, dass hier kulturelle<br />

Aspekte nicht neben anderen Aspekte im <strong>Entwicklung</strong>sprojekt behandelt werden, sondern<br />

die eigene Kultur als Basis für die eigene <strong>Entwicklung</strong> gilt und zum zweiten, dass genau an<br />

diesem Punkt der deutlichste Bezug zum autodesarrollo indígena hergestellt werden kann.<br />

Bei den <strong>indigene</strong>n Sichten <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong> handelt es sich um ein integrales Phänomen<br />

zur Verbesserung der Lebensqualität, die sich nicht an Hand von wirtschaftlichen<br />

Steigerungs- und Wachstumsraten messen lässt, sondern die sich <strong>auf</strong> das gemeinsame<br />

Fortkommen der Gemeinschaft bezieht. <strong>Die</strong> reflexive Verwendung des<br />

<strong>Entwicklung</strong>sbegriffes nach indianischem Verständnis, wo es in erster Linie darum geht,<br />

sich selbst zu entwickeln, die eigene Kultur zu stärken und die Gemeinschaft zu festigen,<br />

stellt den bedeutsamsten Unterschied zum westlichen transitiven Gebrauch von<br />

<strong>Entwicklung</strong> dar. <strong>Die</strong>ser zeigt sich nämlich darin, etwas von außen eingreifend entwickeln<br />

zu wollen. <strong>Die</strong> Diversität und damit auch die Notwendigkeit anerkennend, dass es ebenso<br />

viele unterschiedliche Ziele als auch Wege gibt, die den <strong>Entwicklung</strong>sprozess<br />

kennzeichnen können, erheben die <strong>indigene</strong>n <strong>Perspektive</strong>n keinen Anspruch <strong>auf</strong><br />

Universalität und lassen sich als polylinear ausgerichtet beschreiben. Einen besonderen<br />

Stellenwert nimmt zudem das Bedürfnis nach Revitalisierung kultureller<br />

Verlusterscheinungen ein.<br />

Stellen also die indianischen <strong>Entwicklung</strong>sperspektiven den inhaltlichen Bezugsrahmen<br />

eines autodesarrollo indígena dar, so bedarf es noch einer Klärung, welche<br />

Voraussetzungen für seine reale Umsetzung erfüllt sein müssen. Es handelt sich dabei um<br />

die Zusicherung von eigenen Rechten <strong>indigene</strong>r Völker in den jeweiligen Verfassungen.<br />

Hier wird die Verbindung zum indianismo besonders deutlich; denn die <strong>indigene</strong><br />

Bewegung kämpft seit ihrer Formierung um eigene Rechte, die sich in vier Großkapitel<br />

untergliedern lassen: eigener Status, politisch-administrative und juristische Rechte,<br />

wirtschaftliche Rechte sowie sozio-kulturelle Rechte. <strong>Die</strong> Analyse der Bolivarianischen<br />

131


Conclusio<br />

Verfassung Venezuelas und der darin anerkannten Rechte <strong>indigene</strong>r Völker hat gezeigt,<br />

dass sie zwar sehr wohl einen gewichtigen Schritt für die Erfüllung der Bedingung eines<br />

autodesarrollo indígena darstellt, dass sich aber zugleich die kontroversen Positionen in<br />

der Frage wie weit und umfassend die Rechte tatsächlich sein sollen im Detail zeigen und<br />

deutlich die Grenzen der indianischen ‚Reconquista’ <strong>auf</strong>weisen.<br />

Eine zweite Voraussetzung ist der reflexive Prozess der Selbsterkenntnis über das Eigene<br />

und das Fremde und bezieht sich folglich <strong>auf</strong> die Bedeutung von Identität. Identität diesmal<br />

nicht <strong>auf</strong> Indianität, sondern <strong>auf</strong> die eigene Kultur, die eigene ethnische Zugehörigkeit<br />

bezogen. <strong>Die</strong> dritte Voraussetzung baut <strong>auf</strong> der zweiten <strong>auf</strong> und beinhaltet den Grad der<br />

Ausbildung und die Organisationskapazität. Mit zweitem ist das Gewinnen von Klarheit<br />

über die zu erreichenden Ziele als auch die strategische Ausgestaltung gemeint. Was den<br />

Ausbildungsgrad betrifft ist es wichtig, sich einiger Prozesse im Zusammenhang mit der<br />

formalen Schulbildung als Übermittlerin westlichen Wissens und der etnoeducación als<br />

endogenes Wissen bewusst zu sein. Zur indigenistischen Hochblüte war die formale<br />

Bildungsinstitution der Schule das Mittel zur Indoktrination westlicher Werte und zur<br />

forcierten Auslöschung indianischer Charakteristika. Im Zuge indianistischer Erfolge <strong>auf</strong><br />

bildungspolitischer Ebene wurde ein neues Schulsystem entwickelt, das nicht nur in<br />

Venezuela als educación intercultural bilingüe bezeichnet wird. <strong>Die</strong>se interkulturelle<br />

zweisprachige Erziehung in der Schule soll zwar weiterhin westliches Wissen vermitteln,<br />

aber die Rahmenbedingungen und die didaktischen Methoden beinhalten Aspekte der<br />

etnoeducación. So ist es auch zu verstehen, dass heute von Seiten der Indígenas in die<br />

Bildung große Hoffnungen gesetzt werden, um über sich selbst im Einklang mit der<br />

eigenen Kultur hinaus zu wachsen.<br />

Wie die <strong>auf</strong> Basis meiner Feldforschung dargestellten Beispiele eines sich im Prozess<br />

befindenden autodesarrollo indígena gezeigt haben, ist auch oftmals die Notwendigkeit<br />

einer vierten Voraussetzung nicht zu unterschätzen, nämlich die finanzielle und / oder<br />

technische Unterstützung von außen. Es lassen sich grob zumindest drei Ebenen einer<br />

solchen Außenunterstützung unterschieden: (1) Projektfinanzierung über FIDES, dem<br />

Regierungsfonds zur Dezentralisierung, (2) Projektfinanzierung inklusive organisatorisch-<br />

technischer Assistenz durch NGOs und (3) Projektgenehmigungen von diversen staatlichen<br />

Stellen.<br />

132


Conclusio<br />

Trotz der mit dieser vierten Bedingung anscheinend einhergehenden Abhängigkeit der<br />

<strong>indigene</strong>n comunidades in ihrem Prozess der selbstbestimmten <strong>Entwicklung</strong>, eröffnet der<br />

autodesarrollo indígena den <strong>indigene</strong>n comunidades bedeutende Möglichkeiten, ihr Leben<br />

in der Gegenwart als auch zukünftig wieder selbst in die Hand zu nehmen. Denn zweierlei<br />

sei hier unterstrichen: Zum ersten dass die <strong>indigene</strong>n Völker vor Ankunft der Spanier und<br />

Portugiesen <strong>auf</strong> dem lateinamerikanischen Kontinent in einem vollendeten autodesarrollo<br />

indígena gelebt haben und zum zweiten dass sämtliche Überlegungen und Initiativen im<br />

Zuge ihrer autonomen <strong>Entwicklung</strong>splanung von den Indígenas selbst ausgehen und erst<br />

danach um externe Unterstützung – wenn nötig – angesucht wird. Damit relativiert sich<br />

nicht nur ihre Außenabhängigkeit, sondern es zeigt sich auch, dass es nicht mehr möglich<br />

ist, die Vergangenheit zurück zu holen; denn auch das wäre nicht mehr im Sinne der<br />

Indianer selbst. Vielmehr geht es darum, dass sich die Machtverhältnisse zu Gunsten der<br />

Indígenas geneigt haben und sie die Möglichkeit erhalten, unter den gegebenen<br />

Voraussetzung und mit der ‚anderen’ Welt besser zu leben. Mit anderen Worten lassen sich<br />

sämtliche Beispiele eines autodesarrollo indígena auch unter dem Aspekt vorausgehender<br />

intensiver Kulturkontakte analysieren. Letztlich kann man die diversen Initiativen und<br />

Projekten als neuartige Formen bezeichnen, um traditionelles Wissen zu vermitteln und um<br />

vergangene Zustände der Autonomie und Selbstversorgung wieder herzustellen, ohne die<br />

Isolation zu suchen. Dabei findet eine Aufwertung des Eigenen und eine bewusste<br />

Inkorporation des Fremden statt. Ein weitgefasster und dynamischer Traditionsbegriff<br />

umfasst die in diesem Prozess entstehenden Formen.<br />

<strong>Die</strong> Erfolge des indianismo haben Wege für die <strong>indigene</strong>n Völker eröffnet, die ihnen seit<br />

gut 500 Jahren verschlossen waren. Wenn auch der Prozess der indianischen<br />

Bemächtigung noch lange Zeit nicht abgeschlossen ist und die Vollendung eines<br />

autodesarrollo indígena eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />

Herausforderung bleibt, so gibt es berechtigten Anlass zu hoffen, dass auch weiterhin nicht<br />

nur Dynamik, sondern auch Vielfalt unsere gemeinsame Welt auszeichnet.<br />

133


Anhang<br />

I Fragenkatalog<br />

Anhang<br />

A 1 Ebene von AnthropologInnen, PolitikerInnen, VertreterInnen <strong>indigene</strong>r<br />

Organisationen<br />

� El concepto del desarrollo está caracterizado desde los años 50 del siglo pasado por el<br />

objeto del crecimiento, sobre todo el crecimiento económico. En este sentido es una<br />

construcción del oeste (es decir de los Estados Unidos y de los países europeos),<br />

adaptado por los gobiernos latinoamericanos que impone a sus inhabitantes de sentirse<br />

subdesarrollado.<br />

1. ¿Qué significa para usted “desarrollo”?<br />

2. ¿Qué piensa usted es la perspectiva indígena en cuanto al “desarrollo”?<br />

3. ¿Qué entiende usted bajo cultura propia?<br />

4. ¿Y qué significa para usted control cultural?<br />

� El antropólogo mexicano Bonfil Batalla habla del “etnodesarrollo” en lo cual la cultura<br />

propia y el control cultural son nociones muy importantes. Por etnodesarrrollo se<br />

entiende según Bonfil “el ejercicio de la capacidad social de un pueblo para construir<br />

su futuro, aprovechando para ello las enseñanzas de su experiencia histórica y los<br />

recursos reales y potenciales de su cultura, de acuerdo con un proyecto que se defina<br />

según sus propios valores y aspiraciones.”<br />

5. ¿Qué piensa usted sobre este concepto?<br />

6. ¿Qué significa para usted “etnodesarrollo”?<br />

7. ¿Piensa usted que hay posibilidades para los pueblos indígenas de Venezuela de<br />

construir su propio desarrollo?<br />

8. ¿Qué son las condiciones y los requisitos para un propio desarrollo indio?<br />

� Se dice que la nueva constitución de Venezuela es una de las más amplias de<br />

Latinoamérica.<br />

134


Anhang<br />

9. ¿ Está usted/su organización (CONIVE, ORPIA etc.) de acuerdo con este juicio?<br />

10. ¿Permiten las condiciones básicas de la nueva Constitución un desarrollo<br />

autodeterminado y propio de los pueblos indígenas?<br />

� El movimiento indígena ha logrado de desafiar el concepto liberal de una nación, de un<br />

pueblo y aspira a una concepción de un estado multinacional y pluriétnico.<br />

11. ¿Qué importancia tiene la identidad indígena o cultural en la formulación de<br />

diversas reinvindicaciones por autonomía (el poder de construir el propio<br />

desarrollo)?<br />

12. Por un lado, los pueblos indígenas exigen autonomía políticamente (administración<br />

y jurisdicción) y económicamente para poder desarrollarse de una manera propia,<br />

por el otro luchan por una partizipación verdadera en el sistema político y<br />

económico del Estado. ¿Qué es el objetivo más importante?<br />

A 2 Comunidad-Ebene<br />

1. ¿Qué es lo importante de su cultura? ¿Qué importancia tienen las tradiciones, las<br />

costumbres? ¿Qué importancia tiene el grupo, el conjunto?<br />

2. ¿En qué sentido han pasado cambios? – la vida económica (subsistencia), política<br />

(caciques, solución de conflictos ), organización social (normas, valores, matrimonio),<br />

creencia, ceremonial. ¿Cómo era antes? ¿Y hoy?<br />

3. ¿Qué son las necesidades más importantes? ¿Cómo se puede satisfacerlas?<br />

4. ¿Hay problemas en sus vidas que impiden vivir bien? ¿Qué quieren ustedes mejorar?<br />

5. ¿Cómo se puede mejorar la situación de la vida? – salud, educación, compra de<br />

motores para embarcaciones (acceso al mercado).<br />

6. ¿Qué quieren ustedes en el futuro? ¿Qué utopias tienen?<br />

7. ¿Qué importancia tiene la creencia, la espiritualidad en la vida cotidiana?<br />

8. ¿Qué entiende usted bajo “civilizar”, “civilización”?<br />

9. ¿Qué significa “avanzar” para ustedes?<br />

10. ¿En qué piensan ustedes cuando oyen la palabra “desarrollo”?<br />

135


II Übersetzung von Zitaten 26<br />

Anhang<br />

Ü1: „<strong>Die</strong> Indígenas sind Leute wie du und ich, sie sind weder reiner noch sind sie<br />

wilder.“<br />

Ü2: „Es sind jene <strong>indigene</strong> Gemeinschaften, Völker und Nationen, die sich <strong>auf</strong> eine<br />

historische Kontinuität mit den vor der Invasion <strong>auf</strong> ihren Territorien entwickelten<br />

präkolonialen Gesellschaften berufen, sich von anderen Sektoren der Gesellschaft,<br />

die jetzt in diesen Territorien oder Teilen von ihnen vorwiegen, unterscheiden. Sie<br />

bilden heute nicht-dominante Sektoren der Gesellschaft, und sie haben die<br />

Entschlossenheit, ihr Ahnenterritorium und ihre ethnische Identität als Grundlage<br />

ihrer kontinuierlichen Existenz als Volk in Übereinstimmung mit ihren eigenen<br />

kulturellen Schutzherren, ihren sozialen Institutionen und ihren legalen Systemen<br />

für zukünftige Generationen zu bewahren, zu entwickeln und zu vermitteln. [....]<br />

Von einem individuellen Standpunkt aus versteht man unter einer <strong>indigene</strong>n Person<br />

jede Person, die <strong>auf</strong> Grund ihrer Selbstidentifikation als Indígena zu einer der<br />

<strong>indigene</strong>n Bevölkerungsgruppen gehört (Gruppenbewusstsein) und von diesen<br />

<strong>indigene</strong>n Bevölkerungsgruppen als ein Mitglied anerkannt und akzeptiert wird<br />

(Annahme durch die Gruppe).“<br />

Ü3: „<strong>Die</strong> Assimilationspolitik wollte uns die dominante Kultur <strong>auf</strong>zwängen und das war<br />

auch das Modell, dass sie uns verk<strong>auf</strong>ten – das eigene Modell blieb das Modell<br />

derer sie sich bedienten.“<br />

Ü4: Nach der Skala der Criollos sind wir die Armen unter den Ärmsten – aber nach<br />

unserem Maßstab sind wir, die Indígenas, sehr reich.“<br />

26 <strong>Die</strong> Übersetzungen wurden von der Autorin selbst vorgenommen.<br />

136


Anhang<br />

Ü5: „Um die Einheit der indianischen Bevölkerung zu erlangen, muss als<br />

Grundvoraussetzung die historische und territoriale Verortung in Beziehung mit<br />

den sozialen Strukturen und den Gesetzen der Nationalstaaten gegeben sein. <strong>Die</strong>se<br />

Einheit kann entweder gänzlich oder teilweise bereits in diesen Strukturen<br />

verankert sein. Auf alle Fälle soll mit dieser Einheit der historische Prozess wieder<br />

<strong>auf</strong>genommen und der ‚interne’ [Anm. der Autorin] Kolonialismus beendet<br />

werden.“<br />

Ü6: „... sie gründet <strong>auf</strong> einer kosmischen Vision des Lebens und der Welt, die für den<br />

Indianer Ausgeglichenheit und Harmonie zwischen den verschiedenen Elementen<br />

der Natur bedeutet, in die er selbst integriert ist. Der Indianismus ist auch die Suche<br />

und die Identifikation mit der historischen Vergangenheit, d.h. Vergangenheit und<br />

Gegenwart bilden ein untrennbares Ganzes, welches <strong>auf</strong> einer gemeinschaftlichen<br />

Konzeption der Welt basiert.“<br />

Ü7: „[...] aber sie [das Regierungssekretariat] behauptet, dass ‚sich die Situation nicht<br />

durch die Verkündung von Gesetzen oder <strong>indigene</strong>n Verfassungsnormen ändern<br />

wird’. Das Problem, so wird hingewiesen, ist zurückzuführen <strong>auf</strong> das Fehlen eines<br />

nationalen Bewusstseins und Willens betreffend der Gemeinschaften; d.h. <strong>auf</strong> den<br />

Mangel einer sozialen Politik von Seiten der demokratischen Regierungen in Bezug<br />

<strong>auf</strong> diese Bevölkerungsgruppen.“<br />

Ü8: „Ich verstehe unter <strong>Entwicklung</strong> eine integrale Konzeption (...), in welcher das<br />

Menschliche das Zentrum jeder <strong>Entwicklung</strong> sein soll.“<br />

Ü9: „Das Problem ist folgendes: heute sind wir diese Gesellschaft, wir sind <strong>indigene</strong><br />

Völker, wir sind ein orales Volk. Weiters gibt es das andere Volk, das fremde,<br />

westliche Volk, wo alles verschriftlicht ist. Nun ist die Situation so: einige Völker<br />

sind hier, da oder dort. Es gibt auch Völker die kulturell verschwunden sind, sie<br />

leben noch, aber sie sprechen nicht mehr ihre Sprache und kennen ihren Glauben<br />

nicht mehr. Ich denke, dass es heute der Realität entspricht, dass wir uns in diesem<br />

Zusammenleben befinden.“<br />

137


Anhang<br />

Ü10: „<strong>Die</strong>sbezüglich ist es wichtig dar<strong>auf</strong> hinzuweisen, dass die Moderne nicht ein<br />

Synonym für die Beschleunigung des Lebensrhythmus sein darf, sondern im<br />

Gegenteil, sie soll die Intensität der Arbeit (der körperlichen Anstrengung) senken<br />

und es ermöglichen, Freizeit für die Kultur und andere Aktivitäten, die nicht<br />

notwendigerweise ‚rentabel’ sind, zu gewinnen.“<br />

Ü11 „Ich meine, dass die <strong>Entwicklung</strong> eine integrale Konzeption ist, die von den<br />

Menschen ausgehen muss, die von der Menschlichkeit ausgehen muss; man muss<br />

nicht notwendigerweise in einem prachtvollen Haus wohnen. Man kann in einer<br />

traditionellen Wohnstätte leben, vorausgesetzt es gibt Nahrungsmittel, man ist<br />

gesund und es gibt ein Zeichen von Solidarität und von einem Leben miteinander.<br />

In unseren Dörfern wurde das gelebt, in unseren Dörfern haben die einen gefischt,<br />

die anderen gingen umher, andere suchten Früchte und die Produkte wurden<br />

untereinander ausgetauscht; und sie hatten weniger Probleme als heute und waren<br />

weniger krank.“<br />

Ü12: „Man muss sich vergegenwärtigen, dass alle aus dem Westen stammenden<br />

Produkte wie Strom, Tisch, Stühle, Töpfe usw., dass diese Technologie sind und es<br />

sich für uns nicht um <strong>Entwicklung</strong> handelt, sondern nur um Technologie. Viele<br />

Leute wissen nicht, was <strong>Entwicklung</strong> ist, weil <strong>Entwicklung</strong> nicht mit Technologie<br />

gleichzusetzen ist (...), Licht oder Fernseher sind zwar schon Teil von <strong>Entwicklung</strong>,<br />

aber sie können dir nicht helfen, dich selbst zu entwickeln – dies sind Sachen, die<br />

man richtig auslegen muss. (...) ... eine <strong>Entwicklung</strong> muss integral erfolgen, es<br />

handelt sich hierbei um eine integrale Sache.“<br />

Ü13: „Sprechen wir von Interkulturalität, denn ich habe genauso viel von dir zu lernen<br />

wie du von mir.“<br />

Ü14: „(...) sagen wir es so, es handelt sich um eine interkulturelle <strong>Entwicklung</strong>, d.h. das<br />

jeweils Gute von beiden Seiten übernehmen.“<br />

Ü15: „Nur die <strong>indigene</strong>n Völker wissen von Anfang an, wie wir uns entwickeln werden<br />

und welche Auffassung wir davon haben können.“<br />

138


Anhang<br />

Ü16: “Unter etnodesarrollo verstehen wir die Ausweitung und Verstärkung der Bereiche<br />

der eigenen Kultur mittels der Stärkung der autonomen Entscheidungskapazität<br />

einer kulturell differenten Gesellschaft, um die eigene <strong>Entwicklung</strong> und die<br />

Ausübung der Selbstbestimmung zu leiten, (...). Das bedeutet, dass eine ethnische<br />

Gruppe eine politisch-administrative Einheit ist, die über die Autorität über das<br />

eigene Territorium und über die Entscheidungskapazität in den Bereichen verfügt,<br />

die das eigene <strong>Entwicklung</strong>sprojekt innerhalb eines Prozesses der wachsenden<br />

Autonomie und Selbstverwaltung bilden.”<br />

Ü17: “Der Begriff der eigenen <strong>indigene</strong>n Kultur beinhaltet eine lange identitätsbildende<br />

Kontinuität, nicht nur mit der Vergangenheit und der Gegenwart, sondern auch in<br />

der Art und Weise in die Zukunft zu gehen, sie anzunehmen. Aber dies nur <strong>auf</strong><br />

selektive Weise, so wie es ihnen angemessen erscheint und dass der ausgesuchte<br />

Weg mit der Umwelt in der sie leben als auch mit ihrer Identität vereinbar ist, d.h.<br />

dass keine grundlegenden Werte wie die Sprache, die Art der Sozialisierung, die<br />

ethnische Erziehung verloren gehen müssen – nur <strong>auf</strong> ergänzende Weise zu dem<br />

hier dargelegten.“<br />

Ü18: „Sie müssen den Kampf aus eigener Kraft suchen, ohne zu sehr <strong>auf</strong> die staatlichen<br />

Institutionen und die mächtigen Persönlichkeiten [z.B. PolitikerInnen; Anm. der<br />

Autorin] zu vertrauen, denn diese arbeiten nur für sich selbst.“<br />

Ü19: „So wird ein von der eigenen comunidad geleiteter Prozess unterstützt, um eine<br />

soziale und wirtschaftliche Verbesserung in Harmonie mit der Natur und den der<br />

Ethnie eigenen kulturellen Werten zu erreichen.“<br />

139


Bibliographie<br />

Bücher und Sammelbände<br />

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1994b 500 Jahre Indianergesetzgebung in Lateinamerika. In: <strong>Die</strong> Welt im Umbruch:<br />

fremde Wirklichkeiten als gesellschaftliche Herausforderung. Klaus Zapotoczky<br />

/ Hildegard Griebl [Hrsg.]. Frankfurt am Main: Brandes und Apsel / Wien:<br />

Südwind Verlag: 73-89.<br />

1998 Indianerrechte: Vom Minderheitenschutz zum rechtlichen Pluralismus. In:<br />

Recht <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong>? Martina Kaller-<strong>Die</strong>trich [Hrsg.]. Frankfurt am Main:<br />

Brandes und Apsel / Wien: Südwind Verlag: 121-136.<br />

2001 Reflexiones sobre los derechos de los pueblos indígenas en la nueva<br />

constitución de Venezuela y el establecimiento de una sociedad participativa,<br />

pluricultural y multiétnica. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript.<br />

Mader, Elke<br />

2001 Kulturelle Verflechtungen. Hybridisierung und Identität in Lateinamerika. In:<br />

Lateinamerika im Umbruch. Geistige Strömungen im Globalisierungsstress.<br />

Axel Borsdorf / Getrut Krömer / Christof Parnreiter [Hrsg.]. Innsbruck:<br />

Selbstverlag des Instituts für Geographie der Universität Innsbruck: 77-86.<br />

Mader, Elke / Sharup, Francisco<br />

1993 Strategien gegen Ausgrenzung und Assimilierung: <strong>Die</strong> Föderation der Shuar<br />

und Achuar im ekuadorianischen Amazonasgebiet. In: Kultur, Identität und<br />

Macht: ethnologische Beiträge zu einem Dialog der Kulturen der Welt. Thomas<br />

Fillitz u.a. [Hrsg.]. Frankfurt am Main: Verlag für Interkulturelle<br />

Kommunikation: 109-120.<br />

Mead, George Herbert<br />

1991 Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Aus<br />

dem Amerikanischem von Ulf Pacher. 8. Auflage. Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp Verlag.<br />

144


Bibliographie<br />

Melcher, Dorothea<br />

1999 Venezuela: eine friedliche Revolution? In: Lateinamerika Analysen und<br />

Berichte. Migrationen. Band 23. Karin Gabbert u.a. [Hrsg.]. Bad Honnef:<br />

Horlemann Verlag: 212-223.<br />

Mires, Fernando<br />

1992 El Discurso de la Indianidad. La cuestión indígena en América Latina.<br />

Colección 500 Años. Nr. 53. Quito: Abya-Yala.<br />

Mosonyi, Esteban Emilio<br />

1975 <strong>Die</strong> Situation der Eingeborenen in Venezuela: <strong>Perspektive</strong>n und Lösungen. In:<br />

<strong>Die</strong> Situation der Indios in Südamerika. Walter Dostal [Hrsg.]. Wuppertal: Peter<br />

Hammer Verlag: 46-62.<br />

Munck, Ronaldo / O’Hearn, Denis [Hrsg.]<br />

1999 Critical Development Theory: Contributions to a New Paradigm. London / New<br />

York: Zed Books Ltd.<br />

Müller, Wolfgang<br />

1995 <strong>Die</strong> Indianer Amazoniens: Völker und Kulturen im Regenwald. München: C.H.<br />

Beck’sche Verlagsbuchhandlung.<br />

Müller-Plantenberg, Clarita<br />

1994 Rechte <strong>indigene</strong>r Völker. Zur Konvention 169 der OIT. Gesamthochschule<br />

Kassel. Bad Honnef: Horlemann Verlag.<br />

Münzel, Mark / Rathgeber, Theodor<br />

1992 Unsere Zukunft ist eure Zukunft. Indianer heute. Gesellschaft für bedrohte<br />

Völker. Hamburg / Zürich: Leuchterhand Literaturverlag.<br />

Nohlen, <strong>Die</strong>ter / Nuscheler, Franz<br />

1992 Handbuch der Dritten Welt I. Grundprobleme, Theorien, Strategien. Bonn: Verl.<br />

J. H. W. <strong>Die</strong>tz Nachf.<br />

1992 Was heißt <strong>Entwicklung</strong>? In: Handbuch der Dritten Welt I. Grundprobleme,<br />

Theorien, Strategien. <strong>Die</strong>ter Nohlen / Franz Nuscheler [Hrsg.]. Bonn: Verl. J. H.<br />

W. <strong>Die</strong>tz Nachf.: 55-75.<br />

Oland, Klaudine<br />

1990 Zum Beispiel Indianer in Lateinamerika. Originalausgabe. Göttingen: Lamuv<br />

Verlag.<br />

Quintanilla, Oscar Arze<br />

1990 Del indigenismo a la indianidad. In: Indianismo e indigenismo en América. José<br />

Alcina Fanch [Hrsg.]. Madrid: Alianza Editorial: 18-33.<br />

Ribeiro, Darcy<br />

1980 Unterentwicklung, Kultur und Zivilisation. Ungewöhnlich Versuche. Deutsche<br />

Erstausgabe. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.<br />

145


Bibliographie<br />

Rodriguez, Alexánder M. / Monterry, Nalúa S.<br />

1996 Rohstoffabbau und <strong>indigene</strong> Völker in der Provinz Guayana, Venezuela. In:<br />

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte <strong>indigene</strong>r Völker. Prävention der<br />

Auswirkungen des Ressourcenabbaus. Gesamthochschule Kassel [Hrsg.].<br />

Kassel: Horlemann Verlag: 205-215.<br />

Rojas Aravena, Francisco [Hrsg.]<br />

1982 América Latina: Etnodesarrollo y etnocidio. Ediciones Flacso. San José:<br />

EUNED.<br />

Rojas Maroto, Donald<br />

1993 La identidad cultural y la autodeterminación. In: Hacia nuevos modelos de<br />

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Nacional para la Cultura y las Artes: 58-71.<br />

Romero, Germán<br />

1994 <strong>Die</strong> sozialen Spannungen im spanischen Amerika der Kolonialzeit. In: Amerika<br />

im Gedächtnis: Beiträge zur Geschichte und Gegenwart von „500 Jahre<br />

Widerstand in Lateinamerika“. Otto König [Hrsg.]. Wien / Köln / Weimer:<br />

Böhlau Verlag: 33-46.<br />

Sachs, Wolfgang [Hrsg.]<br />

1993 Wie im Westen so <strong>auf</strong> Erden. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.<br />

Sahlins, Marshall<br />

1985 Inseln der Geschichte. Hamburg: Junius Verlag.<br />

Schlüter, Heinz [Hrsg.]<br />

1996 <strong>Die</strong> Anderen: Indianer in Lateinamerika. Frankfurt am Main: Vervuert.<br />

Schmidt-Relenberg, Norbert / Kärner, Hartmut / Köhler, Volkmar<br />

1980 Selbstorganisation der Armen: ein Bericht aus Venezuela. Frankfurt am Main:<br />

Vervuert.<br />

Schneider, Christian<br />

1996 Venezuelas Indígenas <strong>auf</strong> der Suche nach einer selbstbestimmten Zukunft. „El<br />

futuro está en nuestras manos“. In: <strong>Die</strong> Anderen: Indianer in Lateinamerika.<br />

Heinz Schlüter [Hrsg.]. Frankfurt am Main: Vervuert: 341-379.<br />

Schulz, Jochen<br />

1994 Indianerpolitik in Venezuela. Ansätze zur Mitsprache der Betroffenen?.<br />

Münster / Hamburg: LIT.<br />

Secretaría Pro Tempore<br />

1999 Guía Metodológica. Para el diseño de políticas de desarrollo con enfoque de<br />

género, en la región amazónica. Venezuela. Tratado de cooperación amazónica.<br />

Caracas: Cromática S.A.L.<br />

146


Bibliographie<br />

Serbin, Andrés<br />

1980 La autogestión desde la perspecitva antropológica: modelos y realidades. In:<br />

Indigenismo y autogestión. Andrés Serbin / O. González Ñañez. Caracas: Monte<br />

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Serbin, Andrés / Ñañez, O. González<br />

1980 Indigenismo y autogestión. Caracas: Monte Ávila Ed., C.A..<br />

Stavenhagen, Rodolfo<br />

1988 Derechos Indígenas y Derechos Humanos en América Latina. Mexiko: El<br />

Colegio de México.<br />

1994 Indigene Rechte. Einige konzeptuelle Probleme. In: Tierra: <strong>indigene</strong> Völker,<br />

Umwelt und Recht. Doris Cech / Elke Mader / Stefanie Reinberg [Hrsg.].<br />

Frankfurt am Main: Brandes und Apsel / Wien: Südwind Verlag: 17-39.<br />

1997 Indigene Völker: Neue Akteure in Lateinamerika. In: Indigene Völker in<br />

Lateinamerika: Konfliktfaktor oder <strong>Entwicklung</strong>spotential?. Utta von Gleich<br />

[Hrsg.]. Frankfurt am Main: Vervuert: 15-33.<br />

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1948 Handbook of South American Indians. 7 Vols. Washington: Bureau of<br />

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Steward, Julian / Faron, Luis<br />

1959 Native Peoples of South America. New York: MacGraw-Hill.<br />

Swepston, Lee<br />

1994 Ein Fortschritt im internationalen Recht für Indigene und Stammesvölker. In:<br />

Rechte <strong>indigene</strong>r Völker. Zur Konvention 169 der OIT. Clarita Müller-<br />

Plantenberg. Gesamthochschule Kassel. Bad Honnef: Horlemann Verlag: 37-86.<br />

Temple, Dominique<br />

1993 La contradicción de sistema entre civilización india y occidental. In: Hacia<br />

nuevos modelos de relaciones interculturales. Guillermo Bonfil Batalla.<br />

Mexiko, D.F.: Consejo Nacional para la Cultura y las Artes: 192-203.<br />

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Tucker, Vincent<br />

1999 The Myth of Development: A Critique of a Eurocentric Discourse. In: Critical<br />

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Warman, Arturo u.a. [Hrsg.]<br />

1970 De eso que llaman Antropología mexicana. Mexika: Editorial Nuestro Tiempo.<br />

147


Bibliographie<br />

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1986 Bemerkungen zum Kulturwandel aus der Sicht der Ethnohistorie und<br />

Kulturgeschichte. In: Ethnohistorie und Kulturgeschichte. Karl. R. Wernhart<br />

[Hrsg.]. Wien / Köln: Böhlau Verlag: 99-115.<br />

1986 Ethnohistorie und Kulturgeschichte. Wien / Köln: Böhlau Verlag.<br />

1998 Ethnos – Identität – Globalisierung. In: Ethnohistorie: Rekonstruktion und<br />

Kulturkritik: eine Einführung. Karl R. Wernhart / Werner Zips [Hrsg.]. Wien:<br />

Promedia Verlag: 81-98.<br />

Wernhart, Karl R. / Zips, Werner [Hrsg.]<br />

1998 Ethnohistorie: Rekonstruktion und Kulturkritik: eine Einführung. Wien:<br />

Promedia Verlag.<br />

Werz, Nikolaus<br />

1983 Parteien, Staat und <strong>Entwicklung</strong> in Venezuela. München / Köln / London:<br />

Weltforum Verlag.<br />

Wolf, Eric<br />

1991 <strong>Die</strong> Völker ohne Geschichte: Europa und die andere Welt seit 1400. Aus dem<br />

Amerikanischen von Niels Kadritzke. Studienausgabe. Frankfurt am Main /<br />

New York: Campus Verlag.<br />

Zapotoczky, Klaus / Griebl, Hildegard [Hrsg.]<br />

1994 <strong>Die</strong> Welt im Umbruch: fremde Wirklichkeiten als gesellschaftliche<br />

Herausforderung. Frankfurt am Main: Brandes und Apsel / Wien: Südwind<br />

Verlag.<br />

Zeitschriften<br />

Krotz, Esteban<br />

1993 Folklore, Assimilierung, Zivilisationskritik. Zu Lage und Aussichten der<br />

lateinamerikanischen Indiobevölkerung. In: 500 Jahre nach der Erfindung<br />

Amerikas. Martina Kaller / Stefanie Reinberg [Hrsg.]. Zeitschrift für<br />

Lateinamerika. Wien. Sondernummer 44/45: 19-33.<br />

Kuppe, René<br />

2000/01 Indianische Rechte und Partizipation im Rahmen der Verwirklichung eines<br />

plurikulturellen und mulitethnischen Staates. In: Indiana. Nr. 17/18: 105-133.<br />

Luengo, Néstor Luis / Gonzáles, Lissette<br />

1995 La pobreza en Venezuela. In: Contribuciones. Nr. 3: 167-192.<br />

Stumpf, Markus<br />

2001 Das Schicksal der Yanomami und die Schattenseiten der Anthropologie. In:<br />

Lateinamerika anders Panorama. Österreichisches Zeitschrift für Lateinamerika.<br />

Nr. 2. April. Jahrgang 26: 21-24.<br />

148


Bibliographie<br />

Wolf, Eric<br />

1956 Aspects of Group Relations in a Complex Society: Mexico. In: American<br />

Anthropologists. Vol. 58. Nr. 6: 1065-1078.<br />

Zeitungsartikel (aus dem Internet-Archiv der venezolanischen Tageszeitung El<br />

Nacional <strong>auf</strong> der URL-Seite: http://www.el-nacional.com)<br />

Casas, Alcides C.C./Lopez, Edgar<br />

2.11.1999 Discrepancias sobre derechos indígenas complica el debate constituyente.<br />

Casas, Conovia<br />

4.11.1999 Reconocen derechos a los pueblos indígenas.<br />

Galicia, Hernan Lugo<br />

18.11.1999 Seconasede teme creación de un Estado multiétnico.<br />

Haddad, Beltrán<br />

11.12.1999 Pueblos indígenas y constitución.<br />

Olavarria, Jorge<br />

7.11.1999a La mayor desmembración territorial de nuestra historia.<br />

14.11.1999b Carta a los constituyentes.<br />

Pérez Rodriguez, Solbella<br />

25.11.1999 Venezuela corre el riesgo de perder más de la mitad de su territorio.<br />

Weitere Internet-Recherchen<br />

Areion Edition<br />

2001 Bolivarische Republik Venezuela. 2000/2001.<br />

URL: http://www.urbanplus.tintagel.net/venezuela.html. 31/10/01.<br />

Fernández, José M.<br />

2002 Indigenismo: Diccionario crítico de ciencias sociales. Universidad Complutense<br />

Madrid.<br />

URL: http://www.ucm.es/info/eurotheo/d-jmfdz1.htm. 08/03/02.<br />

FIDES<br />

2003 ¿Qué es el FIDES?<br />

URL: http://www.fides.gov.ve/quienes.htm. 24/02/03.<br />

Gamboa Martínez, Juan Carlos<br />

2003 Pueblos Indígenas y ordenamiento territorial o la urgente necesidad de ordenar<br />

el pensamiento. Universidad Complutense Madrid.<br />

URL: http://www.ucm.es/info/cecal/encuentr/areas/antropol/1a/gamboa.<br />

30/01/02.<br />

149


Bibliographie<br />

Provita<br />

2003 Comunidades Indígenas Piaroas consolidan microempresas famil de PROVITA.<br />

URL: http://provitaonline.org/amazonas/noticias/noticia_01.htm. 18/02/03.<br />

Conucos Integrales y Centro de Capacitación.<br />

URL: http://provitaonline.org/amazonas/proyecto/actualidad.htm. 18/02/03.<br />

El Proyecto.<br />

URL: http://www.provitaonline.org/amazonas/proyecto/index.htm. 18/02/03.<br />

Proyecto Amazonas inició capacitación.<br />

URL: http://www.provitaonline.org/amazonas/noticias/noticia_02. 18/02/03.<br />

Rathgeber, Theodor<br />

2002 Wer sind die Indigenen? Ureinwohner, Eingeborene, Hüter der Erde?<br />

URL: http://www.ines.org/apm-gfbv/3dossier/klima/klima1.html#top. 18/03/02.<br />

Landkarten<br />

Nelles Maps<br />

Venezuela, Guyana, Suriname, French Guiana. 1:2.500.000. München: Nelles<br />

Verlag GmbH.<br />

Countryreports<br />

URL: http://www.countryreports.org/images/Venezuela.gif. 28/11/02.<br />

Interviews und Gespräche<br />

Franziska Schmidtkunz mit Vicente Arreaza / Pemón. Ciudad Bolívar. 11.08.2001.<br />

Gedächtnisprotokoll.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Werner Wilbert / Anthropologe am IVIC. 1.07.2002.<br />

Mitschrift.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Bernarda Escalante / Anthropologin bei der Fundación La<br />

Salle. Caracas. 2.07.2002. Mitschrift.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Maigualida Ocaño Ortiz / Mitarbeiterin in der DGAI. Caracas.<br />

3.07.2002. Mitschrift.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Gladys González de Rodriguez / Wayúu, Mitglied der<br />

CONIVE. Caracas. 3.07.2002. Aufnahmegerät.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Esteban Emilio Mosonyi / Anthropologe an der UCV. Caracas.<br />

5.07.2002. Aufnahmegerät.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Noelí Pocaterra / Wayúu, Vizepräsidentin der Nationalen<br />

Vollversammlung. Caracas. 6.07.2002. Aufnahmegerät.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Simón Cayupare / Baniva. Lau Lau. 17. Juli 2002.<br />

Gedächtnisprotokoll.<br />

150


Bibliographie<br />

Franziska Schmidtkunz mit Marcos Jiménez / Yekuana, ehemaliger Consejal (Berater) des<br />

municipio (Gemeindebezirk) ‚Alto Orinoco’ des Bundesstaates Amazonas.<br />

La Esmeralda. 17.07.2002. Aufnahmegerät.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Abraham González / Yekuana, ehemaliger Consejal (Berater)<br />

des municipio (Gemeindebezirk) ‚Alto Orinoco’ des Bundesstaates Amazonas. Acanaña.<br />

26. und 27.07.2002. Gedächtnisprotokolle.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Antonio González Pérez / Piaroa. Caño Guaca. 9.08.2002.<br />

Gedächtnisprotokoll.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Juan Morillo / Piaroa. Raudalito Picure. 11.08.2002.<br />

Gedächtnisprotokoll.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Nelson Mavio / Bare, Mitglied der ORPIA. Puerto Ayacucho.<br />

14.08.2002. Gedächtnisprotokoll.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Cheo Espinoza / Piaroa – Kreole. Reise 1. Reise. Juli 2002.<br />

Gedächtnisprotokolle, Mitschrift.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Jorge Herrera / Piaroa. Reise 2. August 2002.<br />

Gedächtnisprotokolle, Mitschrift.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Alberto Nixon / Curripaco – Yeral. Reise 1 und 2.<br />

Juli/August 2002. Gedächtnisprotokolle, Mitschrift.<br />

Franziska Schmidtkunz mit Mitgliedern verschiedener comunidades der Piaroa, der<br />

Baniva, der Yekuana, der Curripaco und der Yanomami. Juli / August 2002.<br />

Gedächtnisprotokolle, vereinzelt Tonband<strong>auf</strong>nahmen.<br />

151


Lebensl<strong>auf</strong><br />

Name Schmidtkunz<br />

Vorname Franziska<br />

Lebensl<strong>auf</strong><br />

Anschrift Untere Augartenstraße 16 / 20; 1020 Wien<br />

Tel.: 01 / 545 95 39<br />

E-Mail franziska.schmidtkunz@sphinx.co.at; FUM@gmx.at<br />

Geburtstag 16. August 1975<br />

Geburtsort Kassel (Deutschland)<br />

Nationalität deutsch<br />

Familienstand ledig<br />

Schulischer<br />

Werdegang 1982 - 1986 Grundschule Harleshausen, Kassel<br />

1986 - 1992 Gymnasium Heinrich-Schütz-Schule, Kassel<br />

1992 - 1995 Gymnasium Jacob-Grimm-Schule, Kassel<br />

Abschluss: Matura<br />

Beruflicher<br />

Werdegang 1995 - 1998 Academy for Management Assistants<br />

in Lippstadt (Deutschland)<br />

Ziel:<br />

Internationale Management Assistentin<br />

(mit integriertem Auslandsstudium für ein Jahr in<br />

Spanien)<br />

1997 - 1998 Fundesem (Fundación para el desarrollo empresarial)<br />

WS 1998/99 -<br />

in Alicante (Spanien)<br />

Ziel:<br />

Secretariado de Dirección (Direktionsassistentin)<br />

SS 1999 Universität Wien<br />

Studienrichtung im Erstfach:<br />

Publizistik und Kommunikationswissenschaft (PKW)<br />

Studienrichtung im Zweitfach:<br />

Ethnologie, Sozial- und Kulturanthropologie<br />

152


Lebensl<strong>auf</strong><br />

seit WS 1999 Studienwechsel<br />

Studienrichtung im Erstfach:<br />

Ethnologie, Sozial- und Kulturanthropologie<br />

1. Diplomprüfung: 30.01.2001<br />

Note: mit Auszeichnung bestanden<br />

Studienrichtung im Zweitfach:<br />

Fächerkombination (Wahlfach Internat. <strong>Entwicklung</strong>)<br />

1. Diplomprüfung: 28.06.2001<br />

Note: mit Auszeichnung bestanden<br />

2. Diplomprüfung: 18.09.2002<br />

Note: mit Auszeichnung bestanden<br />

Sprachkenntnisse Spanisch: fließend in Wort und Schrift<br />

Englisch: fließend in Wort und Schrift<br />

Französisch: fließend in Wort und Schrift<br />

Chinesisch: Basiskenntnisse<br />

Ketchua: Basiskenntnisse<br />

Berufserfahrung seit 4. Sept. 2000:<br />

Teilzeitanstellung bei der Firma Sphinx IT Consulting, Wien<br />

Tätigkeitsfeld: Office Management, Marketing, Homepage<br />

Okt. 1999 bis Aug. 2000:<br />

Geringfügige Beschäftigung im Völkerkundemuseum, Wien<br />

Tätigkeitsfeld: Digitale Fotografie ethnographischer Objekte<br />

Feb. bis Mai 2000:<br />

Projektbezogene Arbeiten bei der Firma Pin Position, Wien<br />

März bis Dez. 1999:<br />

Teilzeitanstellung bei der Firma omni.info, Wien<br />

Tätigkeitsfeld: Vertrieb, Telemarketing<br />

Sept. 1998 bis Feb. 1999:<br />

Geringfügige Beschäftigung bei der Firma omni.info, Wien<br />

Tätigkeitsfeld: Telemarketing und Datenerfassung<br />

1998:<br />

8 Wochen Praktikum in Alicante, Spanien<br />

Tätigkeitsfeld: Hotel-Rezeption<br />

1997:<br />

5 Wochen Praktikum in Kassel, Deutschland<br />

bei der Firma B.L.& P. Communication GmbH<br />

Tätigkeitsfeld: Kontaktarbeit und Texten<br />

153


Lebensl<strong>auf</strong><br />

1996:<br />

6 Wochen Praktikum in Paris, Frankreich<br />

bei der Firma B. Braun Medical S.A.<br />

Tätigkeitsfeld: Einführung in den Aufgabenbereich einer<br />

Direktionsassistentin und Urlaubsvertretung derselbigen<br />

1995:<br />

4 Monate K<strong>auf</strong>männische Tätigkeit in Kassel, Deutschland<br />

Tätigkeitsfeld: Inventurleitung<br />

Abschlussdiplome Geprüfte Fremdsprachensekretärin bSb<br />

(Bundesverband Sekretariat und Büromanagement e. V.)<br />

Certificado Básico, Español de los negocios<br />

(Cámara de Comercio e Industria de Madrid)<br />

Certificat de Français du Tourisme et de l’Hotellerie<br />

(Chambre de Commerce et d’Industrie de Paris)<br />

Certificat Pratique de Français commercial et économique<br />

(Chambre de Commerce et d’Industrie de Paris)<br />

Certificate, English for Business - Second Level<br />

(London Chamber of Commerce and Industry Examinations Board)<br />

Publikationen 2002 Armutsbekämpfung der Bretton Woods-Institutionen. In:<br />

Journal für <strong>Entwicklung</strong>spolitik (JEP). Bd. 2. Jg. XVIII.<br />

Brandes und Apsel: Frankfurt am Main / Südwind Verlag:<br />

Wien: 105-118.<br />

2003 Etnodesarrollo in Venezuela: zu den <strong>Perspektive</strong>n<br />

<strong>indigene</strong>r Völker <strong>auf</strong> <strong>Entwicklung</strong>. In: Kultur als<br />

umkämpftes Terrain. Paradigmenwechsel in der<br />

<strong>Entwicklung</strong>spolitik? HSK 21 Internationale <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Promedia Verlag / Südwind Verlag: Wien: 155-185.<br />

Sonstiges 2002 Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Kultur als<br />

umkämpftes Terrain – Paradigmenwechsel in der<br />

<strong>Entwicklung</strong>spolitik?“ an der Universität Wien.<br />

WS 02/03.<br />

2002 2 Monate Feldforschung in Venezuela<br />

2001 6 Wochen Studien- und Erfahrungsreise in Venezuela<br />

2000 3 Monate Studien- und Erfahrungsreise in Peru und<br />

Bolivien<br />

154

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