Aktuell <strong>Guter</strong> Unterricht ist ... 4 Dezember 2011
Aufgr<strong>und</strong> dieser Forschungsarbeiten wissen wir <strong>in</strong>zwischen viel über Bildungs- <strong>und</strong> Lernprozesse. Dieses Wissen ist <strong>in</strong> die tägliche Schul- <strong>und</strong> Unterrichtspraxis e<strong>in</strong>geflossen. Unter dem Titel des Ko-Konstruktivismus <strong>und</strong> der Kompetenzorientierung hat es E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die Lehrpläne <strong>und</strong> Rahmenrichtl<strong>in</strong>ien, <strong>in</strong> die Fortbildung, <strong>in</strong> die Lehrmaterialien <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Unterricht gef<strong>und</strong>en. Die beste Zusammenfassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse bieten nach wie vor Andreas Helmkes Standardwerk „Unterrichtsqualität: Erfassen, Bewerten, Verbessern“ (2007) sowie se<strong>in</strong>e 10 Thesen zum guten Unterricht. Sie bilden e<strong>in</strong>e gute Gr<strong>und</strong>lage, wenn Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer sich <strong>und</strong> ihre Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler – etwa über die Web-Plattform „IQES onl<strong>in</strong>e“ – fragen wollen, wo die Stärken <strong>und</strong> Schwächen ihres eigenen Unterrichts liegen. E<strong>in</strong> Merkmal guten Unterrichts, nämlich „Lernförderliches Unterrichtsklima“, möchte ich kurz herausgreifen, weil es mir besonders wichtig ersche<strong>in</strong>t. E<strong>in</strong> förderliches Lernklima setzt Vertrauen voraus E<strong>in</strong> Schlüsselerlebnis hatte ich, als me<strong>in</strong>e jüngste Tochter die dritte Klasse des Gymnasiums besuchte. Sie <strong>und</strong> ihre Mitschüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitschüler bekamen e<strong>in</strong>e neue Lehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Late<strong>in</strong> <strong>und</strong> Deutsch. Diese setzte zu Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres e<strong>in</strong>en Test an, um zu Föderliches Lernklima VERTRAUEN SCHAFFEN Viele Forschungen s<strong>in</strong>d seit Mitte der 1990er-Jahre zu den Fragen „Wie funktioniert Lernen?“ <strong>und</strong> „Was ist guter Unterricht?“ gemacht worden. E<strong>in</strong>e wichtige Erkenntnis daraus: <strong>Guter</strong> Unterricht baut auf e<strong>in</strong>em förderlichen Lernklima auf <strong>und</strong> ist geprägt von gegenseitigem Vertrauen zwischen Lehrenden <strong>und</strong> Lernenden. sehen, wo die Klasse leistungsmäßig steht. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: Die Klasse hatte sehr große Lücken <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>. Die Lehrer<strong>in</strong> fiel nun allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong>s Klagen, warf der Klasse nicht vor, dass man mit ihr nichts anfangen könne, <strong>und</strong> beklagte sich auch nicht über ihr „Schicksal“. Sie stellte sich <strong>in</strong> die Klasse <strong>und</strong> sagte: „Das Ergebnis ist sehr schlecht. Euer Leistungsstand ist niedrig. Aber bis zum Ende des Jahres werden wir das schon h<strong>in</strong>kriegen.“ Damit gab sie den Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern das Vertrauen, dass sie es schaffen können. Sie kratzte nicht am Selbstwertgefühl der Jugendlichen, sondern signalisierte, dass sie ihnen zutraut, dass sie zu guten Leistungen fähig s<strong>in</strong>d. So förderte sie ihre Lernbereitschaft. Vor allem aber machte sie durch das „Wir“ deutlich, dass sie nicht alle<strong>in</strong>e dastehen, sondern, dass sie sie als Lehrer<strong>in</strong> unterstützen wird <strong>und</strong> Verantwortung mit übernimmt. Damit hat sie mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Satz e<strong>in</strong> Vertrauensverhältnis aufgebaut <strong>und</strong> e<strong>in</strong> lernförderliches Klima geschaffen. Der Lehrer auf de<strong>in</strong>er Seite Welchen Stellenwert e<strong>in</strong> förderliches Lernklima hat, zeigt e<strong>in</strong>e zweite Begebenheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lyzeum <strong>in</strong> Hels<strong>in</strong>ki. Schüler <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen stellten uns Besuchern aus <strong>Südtirol</strong> ihre <strong>Schule</strong> vor. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> hatte e<strong>in</strong> Jahr lang e<strong>in</strong> Gymnasium <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> besucht <strong>und</strong> beschrieb uns, wie sie die Rudolf Meraner <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Deutschland erlebt hatte. Sie brachte e<strong>in</strong>en gravierenden Unterschied zur f<strong>in</strong>nischen <strong>Schule</strong> auf den Punkt: „In Deutschland zeigt dir der Lehrer immer, was du noch nicht kannst. Er ist an de<strong>in</strong>en Fehlern <strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> sagt dir, dass du sie vermeiden musst. Du hast immer das Gefühl, er ist auf der anderen Seite. In F<strong>in</strong>nland ist der Lehrer de<strong>in</strong> Fre<strong>und</strong>, er ist auf de<strong>in</strong>er Seite, er hilft dir.“ Auch hier treffen wir auf das Bild der Lehrperson, die die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler bei ihrem Lernen begleitet, ihnen vertraut <strong>und</strong> dadurch Vertrauen zurückbekommt. Vertrauen ist somit die Gr<strong>und</strong>lage dafür, dass Lernen überhaupt stattf<strong>in</strong>den kann – <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche überhaupt erst gestärkt werden können. Rudolf Meraner Leiter des Bereichs Innovation <strong>und</strong> Beratung Rudolf.Meraner@schule.suedtirol.it Dezember 2011 5