Guter - Kindergarten und Schule in Südtirol
Guter - Kindergarten und Schule in Südtirol
Guter - Kindergarten und Schule in Südtirol
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Aufgr<strong>und</strong> dieser Forschungsarbeiten<br />
wissen wir <strong>in</strong>zwischen viel über Bildungs-<br />
<strong>und</strong> Lernprozesse. Dieses Wissen<br />
ist <strong>in</strong> die tägliche Schul- <strong>und</strong> Unterrichtspraxis<br />
e<strong>in</strong>geflossen. Unter dem<br />
Titel des Ko-Konstruktivismus <strong>und</strong> der<br />
Kompetenzorientierung hat es E<strong>in</strong>gang<br />
<strong>in</strong> die Lehrpläne <strong>und</strong> Rahmenrichtl<strong>in</strong>ien,<br />
<strong>in</strong> die Fortbildung, <strong>in</strong> die Lehrmaterialien<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> den Unterricht gef<strong>und</strong>en. Die<br />
beste Zusammenfassung der wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse bieten nach<br />
wie vor Andreas Helmkes Standardwerk<br />
„Unterrichtsqualität: Erfassen, Bewerten,<br />
Verbessern“ (2007) sowie se<strong>in</strong>e<br />
10 Thesen zum guten Unterricht. Sie<br />
bilden e<strong>in</strong>e gute Gr<strong>und</strong>lage, wenn<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer sich <strong>und</strong> ihre<br />
Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler – etwa über<br />
die Web-Plattform „IQES onl<strong>in</strong>e“ – fragen<br />
wollen, wo die Stärken <strong>und</strong> Schwächen<br />
ihres eigenen Unterrichts liegen. E<strong>in</strong><br />
Merkmal guten Unterrichts, nämlich<br />
„Lernförderliches Unterrichtsklima“,<br />
möchte ich kurz herausgreifen, weil es<br />
mir besonders wichtig ersche<strong>in</strong>t.<br />
E<strong>in</strong> förderliches Lernklima<br />
setzt Vertrauen voraus<br />
E<strong>in</strong> Schlüsselerlebnis hatte ich, als<br />
me<strong>in</strong>e jüngste Tochter die dritte Klasse<br />
des Gymnasiums besuchte. Sie <strong>und</strong><br />
ihre Mitschüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitschüler<br />
bekamen e<strong>in</strong>e neue Lehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Late<strong>in</strong><br />
<strong>und</strong> Deutsch. Diese setzte zu Beg<strong>in</strong>n<br />
des Schuljahres e<strong>in</strong>en Test an, um zu<br />
Föderliches Lernklima<br />
VERTRAUEN<br />
SCHAFFEN<br />
Viele Forschungen s<strong>in</strong>d seit Mitte der 1990er-Jahre zu den Fragen<br />
„Wie funktioniert Lernen?“ <strong>und</strong> „Was ist guter Unterricht?“<br />
gemacht worden. E<strong>in</strong>e wichtige Erkenntnis daraus: <strong>Guter</strong> Unterricht<br />
baut auf e<strong>in</strong>em förderlichen Lernklima auf <strong>und</strong> ist geprägt<br />
von gegenseitigem Vertrauen zwischen Lehrenden <strong>und</strong> Lernenden.<br />
sehen, wo die Klasse leistungsmäßig<br />
steht. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus:<br />
Die Klasse hatte sehr große Lücken <strong>in</strong><br />
Late<strong>in</strong>. Die Lehrer<strong>in</strong> fiel nun allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht <strong>in</strong>s Klagen, warf der Klasse nicht<br />
vor, dass man mit ihr nichts anfangen<br />
könne, <strong>und</strong> beklagte sich auch nicht<br />
über ihr „Schicksal“. Sie stellte sich <strong>in</strong><br />
die Klasse <strong>und</strong> sagte: „Das Ergebnis ist<br />
sehr schlecht. Euer Leistungsstand ist<br />
niedrig. Aber bis zum Ende des Jahres<br />
werden wir das schon h<strong>in</strong>kriegen.“ Damit<br />
gab sie den Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern<br />
das Vertrauen, dass sie es schaffen können.<br />
Sie kratzte nicht am Selbstwertgefühl<br />
der Jugendlichen, sondern signalisierte,<br />
dass sie ihnen zutraut, dass sie zu<br />
guten Leistungen fähig s<strong>in</strong>d. So förderte<br />
sie ihre Lernbereitschaft. Vor allem aber<br />
machte sie durch das „Wir“ deutlich,<br />
dass sie nicht alle<strong>in</strong>e dastehen, sondern,<br />
dass sie sie als Lehrer<strong>in</strong> unterstützen<br />
wird <strong>und</strong> Verantwortung mit übernimmt.<br />
Damit hat sie mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Satz e<strong>in</strong><br />
Vertrauensverhältnis aufgebaut <strong>und</strong> e<strong>in</strong><br />
lernförderliches Klima geschaffen.<br />
Der Lehrer auf de<strong>in</strong>er Seite<br />
Welchen Stellenwert e<strong>in</strong> förderliches<br />
Lernklima hat, zeigt e<strong>in</strong>e zweite Begebenheit<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lyzeum <strong>in</strong> Hels<strong>in</strong>ki.<br />
Schüler <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen stellten uns<br />
Besuchern aus <strong>Südtirol</strong> ihre <strong>Schule</strong><br />
vor. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> hatte e<strong>in</strong> Jahr lang<br />
e<strong>in</strong> Gymnasium <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />
besucht <strong>und</strong> beschrieb uns, wie sie die<br />
Rudolf Meraner<br />
<strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Deutschland erlebt hatte. Sie<br />
brachte e<strong>in</strong>en gravierenden Unterschied<br />
zur f<strong>in</strong>nischen <strong>Schule</strong> auf den Punkt:<br />
„In Deutschland zeigt dir der Lehrer<br />
immer, was du noch nicht kannst. Er<br />
ist an de<strong>in</strong>en Fehlern <strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong><br />
sagt dir, dass du sie vermeiden musst.<br />
Du hast immer das Gefühl, er ist auf der<br />
anderen Seite. In F<strong>in</strong>nland ist der Lehrer<br />
de<strong>in</strong> Fre<strong>und</strong>, er ist auf de<strong>in</strong>er Seite, er<br />
hilft dir.“ Auch hier treffen wir auf das<br />
Bild der Lehrperson, die die Schüler<strong>in</strong>nen<br />
<strong>und</strong> Schüler bei ihrem Lernen<br />
begleitet, ihnen vertraut <strong>und</strong> dadurch<br />
Vertrauen zurückbekommt. Vertrauen ist<br />
somit die Gr<strong>und</strong>lage dafür, dass Lernen<br />
überhaupt stattf<strong>in</strong>den kann – <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der<br />
<strong>und</strong> Jugendliche überhaupt erst gestärkt<br />
werden können.<br />
Rudolf Meraner<br />
Leiter des Bereichs Innovation <strong>und</strong> Beratung<br />
Rudolf.Meraner@schule.suedtirol.it<br />
Dezember 2011<br />
5