mebulive 4/2020 Vorschau

Kommentar
IAN SHARPE
Beyond Binge-Watching – Die Geburt des Video-Einkaufszentrums
Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass Netflix
erstmals ganze Staffeln seiner Fernsehsendungen
auf einmal veröffentlichte und damit das klassische
TV-Regelwerk über den Haufen warf. Über Nacht
wurden wir zu Binge-Watchern, die zu jedem Zeitpunkt
genau das sehen konnten was wir wollten.
Die globale Pandemie hat die langfristigen strukturellen
Veränderungen der Rundfunkindustrie zudem
unterstrichen. Durch die anhaltenden sozialen Distanzierungsmaßnahmen
wird die Zeit, die sonst in
Restaurants oder Kinos verbracht wird jetzt auf
dem Sofa mit Bewegtbildinhalten verkürzt. Die neuen
„Stay at home“-Regeln haben
dazu geführt, dass Online-Streaming
wichtiger ist denn je. Es
überrascht daher nicht, dass ein
kürzlich veröffentlichter Bericht
des Global Web Index ergab,
dass über 80% der Bewegtbild-
Konsumenten seit dem Ausbruch
der Pandemie vermehrt
Videoinhalte angesehen haben.
Dieses On-Demand-Phänomen
ist eindeutig ein disruptiver
Moment für die Medienlandschaft,
der zu drastischen Marktverschiebungen
und weiteren
digitalen Veränderungen führte.
Wie geht es also weiter? Wie werden sich diese
Publikumsgewohnheiten entwickeln? Bei Promethean
TV glauben wir, dass man künftig bei der Frage
„Was will ich und wann will ich es?“ deutlich weiterdenken
muss als bislang.
Die Herausforderung für Fernsehanstalten besteht
darin, Video-Erlebnisse auf ihren VOD-Plattformen
und Streaming-Kanälen zu kuratieren, die Zuschauer
in den Bann ziehen und einen echten Mehrwert
bieten. Dabei ist ein Videostream idealerweise nicht
länger nur ein einseitiger Informationsfluss. Stattdessen
sollten die Zuschauer mit einer einfachen
Berührung des Bildschirms in der Lage sein, sich
mit dem Inhalt zu beschäftigen und das Fernsehen
aktiv mitzugestalten. Etwa mit der Möglichkeit, an
einer Abstimmung teilzunehmen, Statistiken einzusehen,
sich für einen bestimmten Dienst anzumelden
oder Kommentare abzugeben. Ein guter interaktiver
Videostream kann auch ein Marktplatz für
den Handel sein – ein virtuelles Einkaufszentrum
samt Video-Entertainment.
Da viele Menschen pandemiebedingt mehr Zeit vor
den Bildschirmen verbringen, gibt es keinen besseren
Zeitpunkt für Streaming-Dienste, sich endlich
mit dem Sammeln von Zuschauerdaten zu befassen
und zu verstehen, was die eigenen Zielgruppen
sehen möchten und wie sich das Engagement mit
den Inhalten verbessern lässt. Die Verwendung von
Daten zur Personalisierung von Fernseherlebnissen
bedeutet auch, dass Rundfunkanstalten relevante
und kontextbezogene Angebote in Form von Werbung
unterbreiten können – das wird in Zukunft
enorm wichtig. Um vom Online-Video-Hype zu profitieren
und die Zuschauer auf möglichst natürliche
Weise in Käufer zu verwandeln ist es wichtig, dass
Zuschauer eine reibungslose und positive Erfahrung
bei der Integration von Inhalten und Zusatzangeboten
machen.
Es ist auch klar, dass wir alle nicht mehr nur passive
Zuschauer sind. Bewaffnet mit Smartphones haben
Menschen mittlerweile gelernt, mit Bewegtbild zu
interagieren. Das also ist erst der Anfang. Es gibt
große Chancen, das zunehmende Interesse an digitalen
Plattformen zu nutzen und das Engagement
bei den Zuschauern weiter zu steigern. Dieser
Boom der Video-Streaming-Dienste bedeutet, dass
Rundfunkanstalten nah und persönlich mit ihren
Zuschauern in Kontakt treten können, um interaktive
und ansprechende Inhalte zu schaffen. Mit Hilfe
von Nutzerdaten lässt sich nicht nur das Kundenerlebnis
verbessern, sondern auch der Return of
Invest (ROI) durch interaktiven Video-Commerce.
Ian Sharpe ist CEO bei Promethean TV
60 mebulive 4.2020