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Der Augustdorfer: 120 Jahre Bäckerei Gräser

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<strong>120</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Bäckerei</strong> <strong>Gräser</strong><br />

„Gefühlt hatte jeder dritte <strong>Augustdorfer</strong> Haushalt einen<br />

kleinen Laden“, erinnert sich Adolf Steffen. Das ist natürlich<br />

stark übertrieben. Aber der alte Carl <strong>Gräser</strong> kam<br />

täglich mit frischem Brot und Gebäck. Natürlich war sein<br />

Sohn Karl inzwischen als Lehrling eine starke Unterstützung.<br />

Und da konnte die Konkurrenz aus Pivitsheide und<br />

Lage nicht mithalten.<br />

<strong>Bäckerei</strong> u. Kolonialwarenhandlung von Karl <strong>Gräser</strong>“<br />

Augustdorf Nr. 146 später Pivitsheider Straße 30 – 1902 erbaut durch den<br />

Bäckermeister Karl <strong>Gräser</strong>. (Ausschnitt aus einer Ansichtskarte, Werning „Augustdorf,<br />

Erinnerungen in Bildern“ S. 199)<br />

Es ist unklar, ob sie das Land von dem damaligen Besitzer<br />

Büker gekauft oder gepachtet hatten. Wilhelm Rehm<br />

erzählt, dass die zweite Tochter des Büker im November<br />

1902 einen Rehm heiratete. Ihr gehörte das Eckgrundstück.<br />

Carl <strong>Gräser</strong> hatte gerade da, wo sich heute die Garagen des<br />

Malermeisters Rehm befinden, seinen ersten Backofen gebaut.<br />

In der Chronik erfährt man, dass von dem Zeitpunkt<br />

an täglich frisches Brot und Weißbrot in Augustdorf zu<br />

haben waren.<br />

Mühselig, aber doch nach und nach erfolgreich eroberte er<br />

mit seiner Frau den <strong>Augustdorfer</strong> Markt. Mit einem Hundekarren<br />

lieferte er seine Erzeugnisse aus. 1902 lief sein<br />

Betrieb so gut, dass er es sich erlauben konnte, sein „Geschäft“<br />

an der Stätte, die jetzt Rehm Nr. 174 hieß, aufzugeben,<br />

um sich an einem neuen Standort niederzulassen.<br />

Keine 100m weiter in Richtung Multhaupt erwarb er an<br />

der linken Straßenseite ein Stück Land, auf dem dann die<br />

„<strong>Bäckerei</strong> <strong>Gräser</strong>“ stand. Inzwischen waren sie zu dritt.<br />

Carl und Johanna hatten seit 1899 einen Sohn, einen Karl.<br />

Die geschäftliche Entwicklung machte Fortschritte. Die <strong>Augustdorfer</strong><br />

waren zwar Lipper, aber die Hochzeiten ließen<br />

sie sich etwas kosten. Für manche dieser Feiern wurden<br />

mehr als 2 Zentner Mehl verarbeitet. Dazu kamen natürlich<br />

auch noch entsprechende Zutaten, die für die Schmackhaftigkeit<br />

des Gebäckes sorgten. Dass solche Aufträge lukrativ<br />

waren, versteht sich von selbst.<br />

Aus dem Grunde gab es einen Konkurrenten, der sich ausschließlich<br />

als „Hochzeitsbäcker“ betätigte. Die Zutaten,<br />

hauptsächlich das Mehl, wurden selbstverständlich von<br />

den Auftraggebern geliefert, so dass sich der Bäcker voll<br />

auf seine Arbeit, das Backen, konzentrieren konnte.<br />

Ein Selbstläufer war die <strong>Bäckerei</strong> <strong>Gräser</strong> nicht. Noch nach<br />

1900 gaben die Pivitsheider und Lagenser Bäcker nicht<br />

klein bei und belieferten die alten <strong>Augustdorfer</strong> Kunden<br />

und Kolonialläden.<br />

Carl <strong>Gräser</strong> ging mit der modernen Backofentechnik. Er ließ<br />

sich bereits 1917 einen Backofen auf ebener Erde bauen,<br />

mit dem seine Arbeit leichter und erfolgreicher wurde. Die<br />

Befeuerung seines alten Backofens war aus dem Kellerraum<br />

erfolgt. Längst hatte er sein Hundegespann gegen<br />

einen Pferdewagen eingetauscht, mit dem er oder seine<br />

„Firma“ im ganzen Dorf die Produkte auslieferte.<br />

Das, woran oben erinnert wurde, dass auf dem Dören viele<br />

einen Kolonialwarenladen hatten, galt bald auch für<br />

die <strong>Bäckerei</strong> <strong>Gräser</strong>. Neben Brot und Brötchen konnten<br />

die <strong>Augustdorfer</strong> dort auch Artikel des täglichen Bedarfs<br />

einkaufen.<br />

Obwohl er seine Heimat Thüringen schon lange verlassen<br />

hatte, seine Heimatsprache konnte Carl nicht verbergen.<br />

So wurde er von vielen Dörenern „de aule Two“ oder „Opa<br />

Two“ genannt, wahrscheinlich, weil er die Zwei nicht so<br />

aussprechen wollte, wie die Dörener das auf <strong>Augustdorfer</strong><br />

Platt erwarteten.<br />

„Ganz alte“ <strong>Augustdorfer</strong> erinnern sich noch an ihn und<br />

daran, dass ihm schon in Thüringen ein Auge verloren<br />

gegangen war. Beim Umgang mit einem Ziegenbock, so<br />

erzählt man sich, soll Carl sich mit dem Messer selbst das<br />

Auge ausgestochen haben. Diesem Umstand hatten es die<br />

Familie und der Betrieb zu verdanken, dass der „aule Two“<br />

nicht als Soldat in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde.<br />

Außerdem war er für die Ernährung der <strong>Augustdorfer</strong><br />

„systemrelevant“, wie man heute sagt.<br />

Das Führen einer <strong>Bäckerei</strong> war bis lange nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg in Augustdorf und sicher auch anderswo eng<br />

mit der Landwirtschaft vor Ort verbunden. In den ersten<br />

100 <strong>Jahre</strong>n hatten die Siedler noch zum größten Teil von<br />

den Produkten gelebt, die sie selbst erzeugt hatten. Das<br />

änderte sich natürlich, aber langsam.<br />

Nach der Urbarmachung der Senne konnten nach und<br />

nach, aber eben viel später, auch Getreidesorten angebaut<br />

und geerntet werden. Dem ärmlichen Buchweizen folgte<br />

irgendwann Roggen, den man zum Brotbacken gebrauchen<br />

konnte. Kleine Mengen wurden selbst gedroschen und sogar<br />

zu Mehl gemahlen. Je erfolgreicher die Bauern hierbei<br />

waren, desto dringender mussten sie mit ihrem Getreide<br />

zu einer Dreschmaschine.<br />

Die größeren Landwirte hatten das Privileg, dass die<br />

Dreschmaschine zu ihnen auf den Hof kam. Das war dann<br />

schon ein herausragendes Ereignis. Von einem großen<br />

Lanz Bulldog, einem Trecker oder Ackerschlepper, wurde<br />

die noch viel größere Dreschmaschine an ihren Platz gezogen.<br />

<strong>Der</strong> Antrieb erfolgte von dem starken Trecker über<br />

gewaltige Antriebsriemen.<br />

6 <strong>Der</strong> <strong>Augustdorfer</strong>/ April - Mai '21

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