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SPORTaktiv Outdoorguide 2021

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Franco Breijla aus Serfaus ist Lawinenkommissar<br />

und Hundeführer. Er ärgert<br />

sich über die „Vollkasko-Mentalität“.<br />

„SONST IST DIE<br />

BERGRETTUNG<br />

GESCHICHTE.“<br />

men. Zum Beispiel für Gemeindeoder<br />

Betriebsräte oder leitende Mitglieder<br />

in Vereinen wie Obmänner und<br />

Obfrauen.<br />

Häufig synonym verwendet wird der<br />

Begriff der Freiwilligen. Damit bezeichnet<br />

man Personen, die außerhalb<br />

ihres Haushaltes unentgeltlich gemeinnützige<br />

Leistungen erbringen – entweder<br />

einmalig, zum Beispiel im Rahmen<br />

eines Projektes, befristet auf einen bestimmten<br />

Zeitraum oder regelmäßig.<br />

Die Mehrzahl der Engagierten ist an<br />

circa 30 Tagen im Jahr im Einsatz und<br />

investiert durchschnittlich rund vier<br />

Stunden pro Woche. Würde man von<br />

einem Mindestlohn von 9,50 Euro pro<br />

Stunde ausgehen, so ergibt das einen<br />

Verdienstwert von über 7 Milliarden<br />

(!) Euro, davon allein in den lebensrettenden<br />

ehrenamtlichen Organisationen<br />

über 766 Mio. Euro. Dabei ist Leben<br />

retten unbezahlbar.<br />

Die Motivation Leben zu retten und<br />

dabei seine Freizeit für eine komplexe<br />

Ausbildung und die oftmals gefährlichen<br />

Einsätze zu opfern, ist vielfältig.<br />

„Ein Familienmitglied hatte selbst einen<br />

tragischen Autounfall und benötigte<br />

Hilfe von anderen. Er bekam damals<br />

schnelle und professionelle Hilfe.<br />

Das war für mich der ausschlaggebende<br />

Punkt, Menschen, die in eine Notlage<br />

geraten, zu helfen“, erklärt Patrik<br />

Marinelli. Der 28-jährige Bergretter<br />

aus Warth am Arlberg ist im Familienbetrieb<br />

tätig und hat die nötige Flexibilität<br />

und das Verständnis der Familie<br />

zu Einsätzen der Bergrettung auszurücken.<br />

Dass das nicht immer selbstverständlich<br />

ist, weiß Werner Fischer und findet<br />

deutliche Worte: „Es wird immer<br />

schwieriger, zu helfen, wenn man will<br />

– hier spreche ich die Arbeitgeber an.<br />

Es sollte doch in allen Bundesländern<br />

möglich sein, dass Unternehmer für in<br />

Einsatz gehende Frauen und Männer<br />

eine Entschädigung bekommen. Hier<br />

wird es unumgänglich sein, das Ehrenamt<br />

auf gesunde Beine zu stellen und<br />

zu fördern, Ausbildungen auch im<br />

dienstlichen Bereich anzuerkennen,<br />

bzw. Ausbildungen, die nicht nur der<br />

Feuerwehr, sondern auch den Betrieben<br />

helfen, zu fördern.“ Fischer<br />

wünscht sich für die Zukunft des Ehrenamtes<br />

mehr Unterstützung vom<br />

Gesetzgeber, damit die Retter helfen<br />

können, ohne im Anschluss Angst um<br />

ihren Arbeitsplatz haben zu müssen.<br />

Sorge um seinen Arbeitsplatz hat<br />

Franco Breijla aus Serfaus im Tiroler<br />

Oberland nicht. Auch er ist selbstständig<br />

tätig und kann sich seine Trainings-<br />

und Einsatzzeiten frei einteilen,<br />

auch wenn sich seine Familie Sorgen<br />

macht, wenn eine Rettung mal länger<br />

dauert. Der Lawinenkommissar und<br />

Hundeführer begründet sein freiwilliges<br />

Engagement mit der Kameradschaft:<br />

„Bei der Hundeausbildung beispielweise<br />

ist man auf seine Kameraden<br />

angewiesen, allein ist es unmöglich,<br />

einen Hund auszubilden. Man<br />

arbeitet gemeinsam am selben Ziel und<br />

freut sich über gemeinsame Erfolge.“<br />

Und weiter: „Es ist nicht immer<br />

Leichtsinn oder Unerfahrenheit, dass<br />

man in Not gerät, manchmal ist man<br />

einfach zur falschen Zeit am falschen<br />

Ort und kommt in eine missliche<br />

Lage. Das kann jederzeit jedem passieren<br />

und da wäre ich froh und dankbar,<br />

wenn es Personen gibt, auf die ich<br />

mich verlassen kann, die sich für mich<br />

einsetzen und mir Hilfe leisten.“<br />

„Vollkasko-Mentalität“<br />

Dabei weist Breijla aber auch darauf<br />

hin, dass das Ehrenamt immer mehr<br />

zur Selbstverständlichkeit wird. Es verbreitet<br />

sich eine Art „Vollkasko-Mentalität“<br />

und wenn Einsätze von der Organisation<br />

in Rechnung gestellt werden,<br />

kommt das böse Erwachen. Oft<br />

werden Rechnungen nicht bezahlt<br />

oder erst nach langwierigen, nervenaufreibenden<br />

Streitereien. Teilweise<br />

bleiben die Organisationen auf den<br />

Kosten auch sitzen.<br />

Zusätzlich wird es immer schwieriger,<br />

Nachwuchs zu finden oder Spenden<br />

zu generieren, um den Betrieb der<br />

Rettungsorganisationen am Laufen zu<br />

halten. Einem Artikel der Tiroler Tageszeitung<br />

war unlängst zu entnehmen,<br />

dass das Ausbildungssystem der<br />

Bergrettung vor dem Kollaps stehe.<br />

Dass die Bergrettung selbstständige<br />

Ausbildner als Dienstnehmer anstellen<br />

müsse, sei finanziell nicht mehr tragbar<br />

und koste fast 200.000 Euro mehr im<br />

Jahr. Man fordert vom Gesetzgeber<br />

eine praktikable Lösung. „Sonst ist die<br />

Bergrettung Geschichte“, heißt es.<br />

Damit das Ehrenamt und die Freiwilligenarbeit<br />

weiterhin bestehen können,<br />

braucht es also viel Unterstützung<br />

– finanziell, personell – und natürlich<br />

eine gewisse Wertschätzung. Die positiven<br />

Erfahrungen und die Freude am<br />

Helfen überwiegen für die Retter.<br />

Doch damit das so bleibt, sind nicht<br />

nur der Staat, sondern auch wir alle<br />

als Gesellschaft gefragt.<br />

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