„Ich höre in der U-Bahn Sachen,die ich nicht hören sollte.“Gedichte auf Portugiesisch, Romantik auf Arabisch, Schimpfenauf Russisch, laut sein auf Griechisch – Matea Brandalikspricht stattliche 19 Sprachen. Wie macht sie das?Von Nada El-Azar, Fotos: Zoe OpratkoI TA L I EN I S C HRUMÄN I SCHD E U TS C HWE I SSRUSS I SCHS LOWEN I SCHTÜRKI SCHTSCHECHISCHS PAN I SC HF RA NZÖ S I S C HGR I E CH I SC HMAZEDONI SCHDÄNISCHRUSSISCHFARSIP ORT UG I E S I SC HBULGAR ISCHARAB I SCHSteckbrief: Matea BrandalikIst 25 Jahre alt und in Tuzla, Bosnienund Herzegowina geboren.2014 kam sie nach Wien zumStudieren.Studium: Orientalistik und MasterDialogdolmetschen (Russisch,Deutsch, B/K/S, Portugiesisch)62 / KARRIERE /
BIBER: Welche Sprachen sprichst du?MATEA BRANDALIK: Meine Mutterspracheist B/K/S, ich bin aber auch mitEnglisch aufgewachsen. Dann sprecheich noch Deutsch, Französisch, Italienisch,Spanisch, Portugiesisch, Rumänisch,Dänisch, Griechisch, Arabisch,Farsi, Türkisch, Russisch, Weißrussisch,Tschechisch, Slowenisch, Mazedonisch,und Bulgarisch. Und seit Neuestem lerneich Irisch.Besuchst du für jede einzelne SpracheUnterricht?Das kommt darauf an, ob ich aus derselbenSprachgruppe schon eine andereSprache beherrsche oder nicht. Mazedonischhabe ich mir selbst beigebracht,indem ich mit mazedonischen Freundengesprochen habe. Es ist ja dem B/K/Ssehr ähnlich. Hingegen musste ich mirfür Irisch ein Buch kaufen und einebesondere App runterladen. Da müssteich einen Kurs besuchen, da das dieerste keltische Sprache ist, mit der ich inKontakt bin.Hast du eine Strategie, um bei so vielenSprachen nicht durcheinander zu kommen?Ich habe keine besondere Strategie,außer, dass ich die Sprachen ständigverwende. In meinem Kopf hat jedeSprache ihren eigenen „Ordner“. Es kannnatürlich immer passieren, dass ich Wörtervertausche oder falsch konjugiere.Das Wichtigste ist, dass man mit Leutenredet. Ohne Sprechen geht es einfachnicht. Selbst wenn ich eine Sprache nurauf A1 Niveau beherrscht habe, fing ichimmer wieder an, mit Muttersprachlernzu reden. Ich war immer sehr offenund habe mich nie geschämt Fehler zumachen.Bedeutet das nicht, dass du ständig vielmühsame Grammatik lernen musst?Bei Arabisch, Türkisch und Persisch, dieich während meines Studiums gelernthabe, beschäftige ich mich auch mittieferen grammatikalischen Themen, dieman selbst als Muttersprachler nicht wissenmuss. Bei anderen Sprachen, die ichaus Interesse lerne, baue ich den Wortschatzim Gespräch auf. Ich sage Leutenimmer, dass sie mich gleich korrigierensollen, wenn ich Fehler mache, damit ichmich nicht an sie gewöhne.Was ist für dich das Beste am Dasein alspolyglotte Person?Ich bekomme in der türkischen Bäckereioft mal etwas mit Rabatt oder sogargratis. Ich habe einmal in der Nähe vomBrunnenmarkt gewohnt, das war sehrpraktisch! Immer wieder geschehenwitzige Dinge. In der U-Bahn höre ich oftSachen, die ich nicht hören sollte. (lacht)Viele Menschen geben immens vielGeld für Sprachkurse, Bücher, Apps unddergleichen aus. Wie lernt man eineSprache ohne hohe Ausgaben?Es hängt natürlich von der gewünschtenSprache ab, aber nehmen wir einmalSpanisch oder Italienisch als Beispiel.Man kann sich die Basics im Alleingangaufbauen und sich dann einenSprachtandempartner suchen, mit demman das Sprechen übt. Das Gute amTandem ist, dass dein Partner auch Hilfemit deiner Muttersprache braucht. Dasist nicht nur ziemlich effektiv, sondernbaut auch Hemmungen ab. Und nebenbeifindet man dabei auch neue Freunde!Ich kann auch Sprachencafés stark empfehlen.Es war jedenfalls vor Corona so,dass es bis zu zehn Tische gegeben hat,wo jeder eine unterschiedliche Spracheüben konnte. Pro Tisch gibt es eine Person,die die Sprache perfekt beherrscht,um Fehler auszubessern.Gibt es Sprachen, die du lieber sprichstals andere?Ich liebe alle diese Sprachen, als obes meine Kinder wären. Ich kann nurschwer sagen, dass ich eine Sprachemehr mag als die andere! Die Sprache,in der ich häufig nachdenke, ist Englisch.Meine Mutter sagt, dass ich imSchlaf manchmal Spanisch spreche. Ichfinde, dass Schimpfen auf Russisch vielbesser klappt als auf Deutsch. Romantiküberlasse ich dem Arabischen. Gedichtelese ich am liebsten auf Portugiesisch,ich fühle sie ganz anders. Und auf Griechischbin ich wesentlich lauter als aufTschechisch!Gibt es einen Ort, an dem du dich mitdeinen Sprachkenntnissen wirklichzuhause fühlst?Ich liebe Belarus, das ist meine zweiteHeimat. Mir tut es im Herzen weh, wasnach den Präsidentschaftswahlen undden Protesten dort passiert. Und, wennman die Sprachsituation betrachtet, istmir letztes Jahr auch aufgefallen, wieschlecht es um die Sprache Weißrussischsteht. 90 Prozent der Menschen, mitdenen ich Belarusisch sprechen wollte,haben mich zwar verstanden, aber antwortetenmir auf Russisch. Belarusischist im Begriff auszusterben, einige Landsleutehaben kein Wort verstanden. DieIdentität der Weißrussen ist stark geprägtvon der Beziehung zu Russland, dieLukashenko unterhält. Belarusisch wirdvon der UNESCO schon seit Jahren alspotenziell gefährdete Sprache geführt.Ich hoffe, dass sich das nun ändern wird.Welche neuen Horizonte haben sich dirdurch deine Sprachkenntnisse eröffnet?Ich verstehe andere Kulturen durchdie Landessprachen viel besser. Mir istaufgefallen, dass sich gewisse kulturelleAspekte gut durch Schimpfwörterbegreifen lassen. Auf Russisch beleidigtman Menschen ganz anders als aufDeutsch oder Französisch. Dafür scheintes Parallelen zum Arabischen zu geben,weil man viel auf die Eltern schimpft.Sowas lernt man allerdings nicht imSprachkurs, sondern im alltäglichenKontakt mit Menschen. Das finde ichsehr schade! Wenn meine Sprachschülermich nach Schimpfwörtern fragen undwie man sie verwendet, versuche ichdas so gut wie möglich zu erklären. ImEnglischen sind Schimpfwörter überallzu hören, und nicht so beleidigend. ImGriechischen jedoch wäre es unmöglich,in einer Arbeits- oder Studiensituation zuschimpfen, wie man es mit Freunden tut.Für die meisten Leute hört das Lernenbei der zweiten Fremdsprache auf. Warumhast du immer weitergemacht?Mir wäre nie eingefallen, dass ich aufhörenkönnte! Ich hab noch eine ganzeListe von Sprachen, die ich unbedingtlernen will. Zum Beispiel Maltesisch,Hindi, Albanisch und Finnisch. Und dieseListe wächst bestimmt weiter./ KARRIERE / 63