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Theater KULTUR JOKER 7

Leblose Überlebende

Ein zäher, bedeutungsschwangerer „Don Giovanni“ bei den 100. Salzburger Festspielen

Don Giovanni 2021:

Vito Priante (Leporello),

Mika Kares (Il Commendatore),

Davide Luciano

(Don Giovanni),

Ensemble

Foto: © SF Ruth Walz

Die Kirchenbänke werden

herausgefahren, die Heiligenstatuen

mit dem Gabelstapler

abtransportiert. Erst dann setzt

die Ouvertüre ein - und ein Ziegenbock

kreuzt den entleerten

und entweihten Kirchenraum.

Der „Don Giovanni“ von Teodor

Currentzis und Romeo

Castellucci bei den Salzburger

Festspielen kann beginnen.

Der vier Stunde lange Abend

stellt mehr Fragen, als dass er

Antworten gibt. Das Dramma

giocoso, diese spezielle Mischung

von Komödie und Tragödie,

schlüssig und eindeutig

definiert zu erzählen – das

interessiert den italienischen

Regisseur, der auch Bühne, Kostüme

und Licht verantwortet,

nicht einen Augenblick. Ihm

geht es um um das Nachdenken

über den Don-Juan-Mythos

und das Hinterfragen von Klischees.

In Teodor Currentzis,

Von der Schneekönigin bis zur

Westside Story

Die neue Spielzeit an der Opéra national du Rhin

„Es war einmal“ (Il était une

fois) ist das Motto der neuen

Straßburger Spielzeit, die gleich

zu Beginn mit „The Snow

Queen“ (Die Schneekönigin)

des dänischen Komponisten

Hans Abrahamsen in einer

französischen Erstaufführung

einen Märchenstoff präsentiert

(15.9.) – und das auf aufwändige

Weise mit Animation und

Videos. Mit den Kinderopern

„L’Enfant et sortilèges“ (Das

Kind und der Zauberspuk) von

Maurice Ravel (15.12.) und der

neuen Oper „Les Rêveurs de la

lune“ (Mondträumer) des britischen

Komponisten Howard

Moody (27.2.) sind weitere

Märchen und Fantasiegeschichten

im Programm. Auch die selten

gespielte Oper „Die Vögel“

von Walter Braunfels (19.1.) aus

Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters,

hat er einen

musikalischen Partner auf Augenhöhe,

der an diesem Abend

mit seinem Ensemble musicAeterna

die Extreme besonders im

Leisen und Langsamen sucht,

der die Arien aussingen und

modellieren lässt und der immer

wieder mit den an der Hörbarkeitsgrenze

musizierenden

Streichern die Zeit anhält und

die Musik zum Schweben

bringt. Der Humor ist an diesem

bedeutungsschwangeren

Abend leider ganz getilgt. Das

macht die Produktion zäh und

unnahbar, zumal ein Gazevorhang

die gesamte Szenerie in

mildes Licht taucht und Distanz

schafft.

Vor Leporellos Auftrittsarie

kracht eine Limousine auf die

Bühne. Auch ein Konzertflügel

zerschmettert am Boden,

auf dem Don Giovanni wie ein

dem Jahr 1920, die zum ersten

Mal in Frankreich aufgeführt

wird, trägt märchenhafte Züge.

Die Vögel legen sich mit den

Göttern an und möchten einen

eigenen Staat aufbauen, womit

sie aber am Ende grandios

scheitern.

Von Giuseppe Verdi bringt

die Opéra national du Rhin

mit „Stiffelio“ (10.10.) ein eher

unbekanntes Werk, dass wegen

der behandelten Themen

Ehebruch und religiöser Fanatismus

mehrfach von der

Zensur verändert wurde. Bei

dieser französischen Erstaufführung

ist die Originalversion

zu hören. Mit Georges Bizets

„Carmen“ (2.12.) und Mozarts

Oper „Così fan tutte“ (14.4.),

die in einer Koproduktion mit

dem Musiktheater im Revier

Kind weiterklimpert (Hammerklavier:

Maria Shabashova). In

der Personenregie lässt es Castellucci

ebenfalls krachen. Als

Donna Anna (höhensicher und

berührend: Nadezhda Pavlova)

zitternd von Don Giovannis

Übergriff erzählt, wird die

Szene von zwei Doubles anders

nachgespielt, nämlich mit Donna

Anna als treibender Kraft.

Als Donna Elvira (dunkel

timbriert: Federica Lombardi)

Don Giovanni das erste Mal

zur Rede stellt, läuft ein Kind

auf den mutmaßlichen Vater zu,

der vor seinem Sohn nur flüchten

kann. Verantwortung zu

übernehmen scheut dieser Don

Giovanni (Davide Luciano),

der in Leporello (in der Tiefe

zu wenig: Vito Priante) einen

Doppelgänger hat. Er genießt

den Augenblick wie beim mit

einem nackten Double erotisch

aufgeladenen Zusammensein

Gelsenkirchen vom deutschen

Regisseur David Hermann in

Szene gesetzt wird, finden sich

echte Hits in der neuen Straßburger

Opernsaison, die mit

Leonard Bernsteins „Westside

Story“ (29.5.) in einer Produktion

der Komischen Oper Berlin

(Regie: Barry Kosky“ mit

viel Groove zu Ende geht und

mit fünf Ballettabenden, Konzerten,

Liederabenden und dem

Festival Arsmondo (ab 15.3.,

Premiere von de Falla: „El amor

brujo“ und Janáček: „Tagebuch

eines Verschollenen“) noch viel

mehr zu bieten hat.

Weitere Infos zur neuen Spielzeit

an der Opéra national du

Rhin (Strasbourg, Mulhouse,

Colmar): www.operanationaldurhin.eu

Georg Rudiger

mit Zerlina, die Anna Lucia

Richter zum Blühen bringt.

Michael Spyres besitzt als Don

Ottavio ein wunderbares Legato

und zwei affig frisierte Pudel,

bleibt aber wie Masetto (solide:

David Steffens) ungeliebt. Im

Gegensatz zu seiner magischen

Salzburger „Salome“-Inszenierung

von 2018 entfalten Castelluccis

Bildwelten nur wenig

Suggestionskraft. Er verzettelt

sich im Detail. Auch die extrem

gedehnten Rezitative hemmen

den Fluss.

Nach der Pause lässt der Regisseur

die Frauen, die in der

Registerarie nur als anonyme

Masse benannt werden, auf die

Bühne kommen. Allein durch

ihre Anwesenheit stärken diese

150 Salzburgerinnen Donna

Elvira den Rücken. In der

Choreographie von Cindy Van

Acker bewegen sie sich fließend

über die Bühne. Der Komtur

ist nur als Stimme (fokussiert:

Mika Kares) zu erleben. Bei

der Höllenfahrt härtet Davide

Luciano seinen kantablen Bariton.

Für den Todeskampf reißt

er sich die Kleider vom Leibe

und wälzt sich nackt in grauem

Schlamm – die erschütterndste

Szene des Abends. Danach ist

nichts mehr, wie es war. Den

Schlusschor „Questo è il fin di

chi fa mal“ (So endet, wer Böses

tut) lassen Teodor Currentzis

mit seinem musicAeterna

Orchester und Chor bersten vor

Vitalität, aber die Überlebenden

wirken leblos. Jeder geht seiner

Wege. Einsam sind auch sie.

Georg Rudiger

Fr. 19 – 22 Uhr, Sa. 10 – 19 Uhr, So. 10 – 17 Uhr

www.originale-freiburg.de

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