Der Augustdorfer: Lebensgeschichte einer Augustdorferin
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Er war also wichtig für die Ernährung der Bevölkerung.<br />
Später wurden jedoch alle eingezogen und sinnlos an die<br />
Front geschickt. Bei dieser Entscheidung soll der Kreisbauernführer<br />
eine unrühmliche Rolle gespielt haben. Mit<br />
dem Bauern selbst wurden auch dessen Pferde und Fahrzeuge<br />
an der Front eingesetzt.<br />
Die Geschichte beschreibt, wie grausam die Folgen der<br />
Herrschaft des Nationalsozialismus waren. Bei einem militärischen<br />
Einsatz wurde Helgas Vater, auf einem Pferdewagen<br />
sitzend, schwer verwundet. Im Lazarett wurde er<br />
medizinisch versorgt. Aber die Amputation eines Beines<br />
war unvermeidlich.<br />
Das Leben zu Hause in der Nachkriegszeit war für Fritz<br />
Düwel kein Zuckerschlecken. In jeder Situation fehlte das<br />
Bein, und auf dem Hof war er körperlich nicht mehr so<br />
leistungsfähig. Deswegen bewarb er sich bei der Landwirtschaftlichen<br />
Hauptgenossenschaft in Lage auf eine Stelle,<br />
die er aufgrund seines Sachverstandes hätte ausfüllen<br />
können. Die Reaktion dort war niederschmetternd: „Kein<br />
Bedarf!“<br />
Helga Böger: „Er war so lebenslustig!“ Aber das Trauma<br />
des Krieges, s<strong>einer</strong> Verletzung, und der Umgang mit den<br />
Heimkehrern im Nachkriegsdeutschland ließen ihn am Leben<br />
verzweifeln.<br />
Helga Böger vom Heidekrug:<br />
„Eigentlich hatte ich drei Leben!“<br />
Das erste Leben der Helga Böger begann natürlich mit<br />
ihrer Geburt, 1939 in Niewald nördlich von Detmold. Sie<br />
war die erste von vier Schwestern. Es war ein Zufall, aber<br />
ein schöner, der als wichtige Erinnerung in der Familiengeschichte<br />
bleibt, dass am gleichen Tag wie Helga ein<br />
kleines Fohlen zur Welt kam.<br />
Ihre Eltern, Fritz und Mimi Düwel, hatten in Niewald einen<br />
Bauernhof gepachtet, den sie, wie das damals so üblich<br />
war, vielseitig bewirtschafteten. Es gab Tiere jeglicher<br />
Art, von Hühnern und Gänsen bis hin zum Pferd, das auf<br />
dem Acker als Arbeitstier seine Dienste leistete. In diese<br />
Zeit passt auch die Erinnerung an Kutsch- und Schlittenfahrten<br />
mit den Pferden. Helga hatte eine behütete Kindheit<br />
in einem durchaus gehobenen Umfeld.<br />
Ihr Vater stammte bereits aus <strong>einer</strong> bäuerlichen Familie<br />
und hatte eine damals moderne Landwirtschaftsschule besucht.<br />
Auf der Basis dieses Studiums konnte er den Hof<br />
erfolgreich bis in die Kriegsjahre und darüber hinaus bewirtschaften.<br />
Am Anfang des von den Nationalsozialisten angezettelten<br />
Krieges galt der Betrieb und damit auch der ihn bewirtschaftende<br />
Bauer noch als systemrelevant.<br />
Helga spricht noch immer voller Bewunderung von der<br />
Leistung ihrer Mutter Mimi Düwel. <strong>Der</strong>en Übersicht,<br />
Sachverstand und Tatkraft war es zu verdanken, dass die<br />
Wirtschaft auf dem Hof nicht zusammenbrach. Auch sie<br />
stammte von einem Bauernhof, in Entrup, und kannte sich<br />
aus.<br />
Wenige Jahre nach dem Krieg wurde der Familie die Pacht<br />
gekündigt, weil der Besitzer von da an den Hof selbst<br />
betreiben wollte. Jetzt zahlte sich aus, dass die Eltern<br />
nicht von der Hand in den Mund gewirtschaftet hatten.<br />
Sie konnten 1950 ein eigenes Haus in Detmold erwerben.<br />
Das große Grundstück erlaubte weiterhin die Fortführung<br />
<strong>einer</strong> kleinen Landwirtschaft. Für Pferde war der Platz aber<br />
nicht mehr vorhanden. Die Schwestern ließen sich für die<br />
anfallenden Arbeiten nun selbst vor den Pflug spannen.<br />
Und natürlich gab es noch so manche andere harte Arbeit.<br />
Heute erinnern sich die Schwestern: „Weißt du noch?“ Sie<br />
sind stolz auf ihre Leistungen von damals. Bei der Arbeit<br />
selbst werden die Schweißtropfen sicher aber auch beklagt<br />
worden sein.<br />
Vom Pachthof in Niewald war Helga die ersten Jahre täglich<br />
zu Fuß in die Schule nach Heiden gegangen. Als sie in<br />
Detmold wohnte, war die Mädchenbürgerschule zuständig.<br />
Das waren keine kurzen Wege. Aber damals mussten und<br />
durften die Kinder noch weit laufen. Immerhin konnte<br />
Helga die letzten Jahre den Schulweg ins Zentrum von<br />
Detmold mit dem Fahrrad zurücklegen. Das war auf dem<br />
Hinweg ganz leicht, aber der Rückweg ging fast immer<br />
bergan.<br />
Alle Schwestern begannen nach der Schulzeit eine Lehre.<br />
Helga hatte großes Glück: Sie erhielt eine Ausbildungs-<br />
4 <strong>Der</strong> <strong>Augustdorfer</strong>/ Oktober - November '21