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Interview: Dr. med. Christoph Wendelmuth · Living: Es werde Licht · Travel: Wellness-Auszeit
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finest interview | 23 a<br />
Tetra hydrocannabinol (THC) und Can na bidiol (CBD) und<br />
ihren festen Mischungs verhältnissen. Wobei CBD nicht ohne<br />
weiteres als Kassen leistung verschreibungsfähig ist, da es frei<br />
verkäuflich ist. Darüber hinaus können von den Apotheken<br />
aus den verfügbaren Sorten ebenfalls Extrakte, aber auch<br />
Suppositorien (Zäpfchen) hergestellt werden, was therapeutisch<br />
ein großer Gewinn ist.<br />
Für wen und bei welchen Erkrankungen ist die Behandlung<br />
mit Cannabis geeignet bzw. sinnvoll? Wann könnte sie problematisch<br />
sein?<br />
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, einfach<br />
weil die Angriffspunkte und damit die Wirkungen der<br />
pflanzlichen Cannabinoide im Körper so vielfältig sind.<br />
Vor 2017 gab es in Deutschland etwas über 1.000 Inhaber<br />
einer Ausnahmegenehmigung zum medizinischen Cannabis<br />
konsum mit über 100 verschiedenen Diagnosen und<br />
Symp tomen, die damit behandelt wurden. Das darf nicht<br />
überraschen angesichts der vielfältigen Funktionen, die das<br />
Endo cannabinoidsystem im Körper hat, und von denen die<br />
meisten nicht bekannt oder zumindest nicht ausreichend<br />
untersucht sind.<br />
Die Hauptindikationen sind bestimmte Formen des<br />
Kachexiesyndroms, durch Chemotherapie hervorgerufene<br />
Übelkeit und Erbrechen, chronische Schmerzen, bestimmte<br />
Formen der Spastik und eine schlecht verstandene,<br />
vermutlich aber sehr große Gruppe psychiatrischer<br />
Erkrankungen, bei denen eine Störung des körpereigenen<br />
Endocannabinoidsystems vorliegt. Diese sehr heterogene<br />
Gruppe psychiatrischer Erkrankungen ist gleichzeitig die<br />
Gruppe, bei denen die Therapie besonders herausfordernd<br />
ist, da bekannt ist, dass exogen zugeführte Cannabinoide<br />
auch Psychosen auslösen können. Man darf nicht vergessen,<br />
dass diese von extern zugeführten Substanzen sich sehr<br />
stark von den vom Körper selbst gebildeten sogenannten<br />
Endocannabinoiden unterscheiden.<br />
Medizinalcannabis und cannabisbasierte Arzneimittel wirken<br />
übrigens blutdrucksenkend. Bei Patienten, die eh schon an<br />
niedrigem Blutdruck leiden, kann dies therapielimitierend<br />
sein, andere Patienten profitieren sogar davon, dass quasi<br />
nebenbei ein Blutdruckmedikament abgesetzt werden kann.<br />
Für mich in der Forschung besonders spannend ist der altersbedingte<br />
Endocannabinoidmangel. Hier ist die Ar beitshy<br />
pothese, dass der Körper im Alter genau wie viele andere<br />
körpereigene Substanzen auch die von ihm selbst produzierten<br />
sogenannten Endocannabinoide nur noch vermindert<br />
produziert, was dramatische Folgen haben kann. Präklinische<br />
und erste klinische Daten lassen vermuten, dass beispielsweise<br />
der Demenz ein Mangel körpereigener Cannabinoide zugrunde<br />
liegen könnte. In jedem Fall wirken Cannabinoide<br />
anti-neuroinflammatorisch, reduzieren also Entzündungen<br />
der Nervenzellen, und wahrscheinlich auch neuroprotektiv.<br />
Inwiefern untermauern Studien Ihre Erfahrungen in der<br />
Behandlung mit Medizinalcannabis?<br />
Es gibt viele Studien, die unsere tägliche therapeutische<br />
Erfahrung mit Medizinalcannabis und cannabisbasierten<br />
Arzneimitteln bestätigen. Internationale Studien, insbesondere<br />
mit Medizinalcannabis, sind häufig schlecht vergleichbar,<br />
da in den Ländern mitunter sehr unterschiedliche Sorten zugelassen<br />
sind. Insbesondere die schiere Vielzahl der Ein flussfaktoren<br />
(angefangen bei den Inhaltsstoffen bis hin zu den<br />
vielfältigen behandelten Symptomen) macht aussagekräftige<br />
Metaanalysen quasi unmöglich. Ich rechne nicht mit einer<br />
baldigen Verbesserung der Evidenzlage, was nicht bedeutet,<br />
dass da keine Evidenz ist.<br />
Wie steht es um die Akzeptanz und den Wissensstand in der<br />
Ärzteschaft?<br />
Leider ist beides bestenfalls als dürftig zu bezeichnen, wobei<br />
dies ein Henne-Ei-Problem darstellt, da das eine das andere<br />
bedingt. Erfreulicherweise beschäftigen sich immer mehr<br />
Kollegen mit der Thematik, was wiederum die Akzeptanz<br />
und damit die therapeutische Anwendung verbessert.<br />
Was ist die Position von Krankenkassen zur cannabisbasierten<br />
Medikation?<br />
Nun ja, was die Position der Krankenkassen zu einem Kosten<br />
faktor ist, kann sich wahrscheinlich jeder vorstellen. Die<br />
Si tuation der Entscheidungsträger besteht ja genau wie bei<br />
anderen genehmigungspflichtigen Fragen unglücklicherweise<br />
darin, dass Krankenkassenmitarbeiter letztlich über<br />
The ra pien entscheiden müssen, die ihrerseits noch nie einen<br />
Pa tienten behandelt haben. Da möchte ich nicht tauschen.<br />
Für den MDK (medizinischer Dienst der Krankenkassen,<br />
Anm. d. Red.) gilt letztlich das Gleiche: Weit überwiegend<br />
völlig fachfremde Ärzte müssen über teils recht komplexe<br />
The ra pie situationen ein beratendes Gutachten für die Kranken<br />
kassen schreiben. Da bleiben nur eifrige Blicke auf die<br />
Evi denz lage. Wenn diese aber nicht vorliegt, wird automatisch<br />
vielen Patienten eine wirksame Therapie vorenthalten.<br />
Denn als Selbstzahler leisten kann sich eine Therapie mit<br />
Me di zi nal cannabis nicht jeder.<br />
Was hat sich durch die Legalisierung geändert?<br />
Im Jahr 2017 wurde die medizinische Anwendung von Medizinalcannabis<br />
und cannabisbasierten Arzneimitteln möglich,<br />
der Freizeitkonsum ist keineswegs legalisiert, jedenfalls noch<br />
nicht. Es sieht ja aus, als wenn sich dies möglicherweise ändert.<br />
Durch diese erlaubte medizinische Anwendung haben