Das Magazin MAI / JUN 2022
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In diesem Sinn liefert Strauss ein entscheidendes Stichwort auch<br />
für das weitere Programm. Zwischen den beiden Teilen des Konzerts<br />
lässt sich eine spiegelbildliche Entsprechung erkennen.<br />
Während Strauss in seiner musikalischen Befindlichkeit eine weltumspannende<br />
Katastrophe reflektiert, thematisiert Mahler mit dem<br />
»Lied von der Erde« eine tiefe persönliche Krise im globalen Zuschnitt.<br />
Es waren gleich drei gravierende Schicksalsschläge, die<br />
er 1907 zu verarbeiten hatte. Unter dem Druck antisemitischer Anfeindungen<br />
quittierte er den Posten als Direktor der Wiener Hofoper.<br />
Dazu kamen gesundheitliche Probleme des 48-Jährigen.<br />
Eher zufällig wurde eine lebensbedrohliche Herzkrankheit diagnostiziert,<br />
an der er wenige Jahre später tatsächlich sterben sollte.<br />
Aber mehr als seine eigene Erkrankung traf ihn der Tod seiner erst<br />
vierjährigen Tochter, und das derart krass »daß ich einfach mit eiim<br />
Vergehen<br />
sich Jahre vorher unter der barbarischen Tyrannei des Nationalsozialismus.<br />
Insofern ist – bei aller Melancholie – ein zarter Anklang<br />
von Zuversicht zu hören. Beethoven dringt ja noch durch, zu guter<br />
Letzt. Und setzt nicht schon der Titel einen Kontrapunkt zur bedrückenden<br />
Stimmung der Musik, widerspricht jeder Schwere und<br />
Endgültigkeit und weckt Vertrauen, zumindest Hoffnung auf eine<br />
Zukunft? Metamorphose meint ja nicht Untergang, sondern Wandlung,<br />
ein neues Werden im Vergehen.<br />
nem Schlage alles an Klarheit und Beruhigung verloren habe, was<br />
ich mir je errungen; und … nun am Ende eines Lebens als Anfänger<br />
wieder gehen und stehen lernen muß.«<br />
Auch für Mahler bedurfte es einer Metamorphose, eines Neuanfangs.<br />
Beruflich sollte er ihn in New York finden, zunächst an der<br />
Metropolitan Opera, dann als Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker.<br />
Für eine künstlerische Bewältigung seiner Krise sorgte<br />
»<strong>Das</strong> Lied von der Erde«, eine hybride Mischung aus Sinfonie und<br />
Liederzyklus, die sich schon rein formal von allen vorgegebenen<br />
Gattungsgrenzen verabschiedet.<br />
In Hans Bethges Nachdichtungen chinesischer Lyrik aus dem<br />
8. Jahrhundert fand Mahler einen adäquaten Stoff. Seine Textauswahl<br />
betont die komplementären Aspekte allen irdischen Lebens.<br />
Jugend und Alter, Frühling und Herbst, Rausch und Besinnung stehen<br />
sich gegenüber, musikalisch alternieren Pentatonik und Diatonik,<br />
Orchesterklang und Gesangssolisten, Höhe und Tiefe in den<br />
Stimmlagen von Alt und Tenor. Auch bei Mahler erstirbt die Musik<br />
am Ende wie im Nichts. <strong>Das</strong> abschließende »ewig« ist kaum noch<br />
gehaucht, klingt wie entrückt aus jenseitigen Sphären. Beklemmende<br />
Schwermut bleibt zurück, die sich in großorchestralem Pathos<br />
vorbereitet. »Ist das überhaupt zum Aushalten«, hatte Mahler<br />
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