Das Magazin MAI / JUN 2022
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Eine Stimme,<br />
viele Facetten<br />
Countertenor Bejun Mehta blickt in seinem Konzertprogramm<br />
auf die unterschiedlichsten Formen der Liebe<br />
In Ihrem Programm singen Sie Werke verschiedener Komponisten aus ganz<br />
unterschiedlichen Epochen. Gibt es dennoch einen roten Faden?<br />
Die Countertenorstimme wird mit ganz gegensätzlichen Adjektiven beschrieben:<br />
androgyn, weiblich, maskulin, kraftvoll, delikat … Und in der<br />
Tat ist es ein bemerkenswert flexibler Stimmentyp, der in ganz unterschiedliche<br />
Identitäten schlüpfen kann, unterschiedliche Geschlechter<br />
und Sexualitäten – und dabei unterschiedliche Betrachtungsperspektiven<br />
einnehmen kann. Und darum geht es in diesem Programm: die unterschiedlichen<br />
Facetten von Liebe aus unterschiedlichen Blickwinkeln<br />
zu betrachten. Zum Beispiel den heterosexuellen männlichen Blick in<br />
»Ombra felice« oder »An die ferne Geliebte«; um die tiefgründige Liebe<br />
zwischen zwei Männern in Brittens »Canticle I«; ein mystisches, fast<br />
religiöses Statement zur Liebe in Purcells »Evening Hymn«; oder eine<br />
betrogene Frau auf der Suche nach Liebe in Haydns »Arianna a Naxos«.<br />
Sie beginnen das Konzert mit Mozart, der seine Arien oft für ganz bestimmte<br />
Sängerinnen und Sänger geschrieben hat, in diesem Fall für den Altkastraten<br />
Francesco Fortini. Können wir Rückschlüsse auf dessen Stimme<br />
ziehen?<br />
Wenn Mozart für Sopran komponierte, hat er mit Vorliebe dessen hohe<br />
Lage bedient, mit vielen hohen Tönen besonders in den Konzertstücken.<br />
Im Vergleich dazu ist der Stimmumfang in »Ombra felice« nicht<br />
ganz so groß, was die Vermutung nahelegt, dass Francesco Fortini nicht<br />
den großen Umfang bis in die Sopranhöhe besaß. <strong>Das</strong> war für mich<br />
auch der Grund, die Arie an den Anfang des Programms zu setzen, also<br />
mit einem noch etwas kleineren Stimmumfang zu starten und diesen<br />
im Verlauf des Konzertes zu steigern<br />
Mozart hat seine Arie für einen Altkastraten geschrieben, während Haydn<br />
seine Kantate »Arianna a Naxos« für Sopranstimme gesetzt hat. Sehen Sie<br />
sich selbst eher als Alt oder als Sopran?<br />
Ich würde mich selbst als Mezzo-Counter bezeichnen, wenn es diese<br />
Kategorisierung überhaupt gibt. Am Ende sind diese strengen Facheinteilungen<br />
aber überhaupt nicht hilfreich. Ich habe glücklicherweise einen<br />
recht großen Stimmumfang, was mir erlaubt, unterschiedlichstes<br />
Repertoire zu singen. Vor allem aber habe ich wirklich hart an meiner<br />
Mittel- und tiefen Lage gearbeitet, um meine Stimme nach unten zu<br />
verlängern. Damit kann ich nun auch Stücke für Contralto singen. Von<br />
den großen Kastraten gleicht meine Stimmlage ziemlich genau derjenigen<br />
von Senesino oder Guadagni, die beide in der Mezzo- und Altlage<br />
unterwegs waren. Eine gut ausgebildete Mittellage ist wichtig für<br />
alle Stimmtypen, weil nur von diesem Zentrum aus eine gesunde Höhe<br />
bzw. Tiefe entstehen kann. <strong>Das</strong> ist bei einem Countertenor nicht anders,<br />
da unterscheiden wir uns also gar nicht von den traditionellen Stimmfächern.<br />
Wir sind alle verwurzelt in der gleichen Belcanto-Technik.<br />
Neben Mozart hat auch Britten für die hohe Männerstimme geschrieben,<br />
und verlangt in seinen »Canticles« explizit einen Countertenor. Anders sieht<br />
das im Fall von Beethovens Liederzyklus »An die ferne Geliebte« aus, ein<br />
eher unübliches Repertoire für Countertenor, oder?<br />
Gegenfrage: Warum gibt es diese Wahrnehmung überhaupt, dass das<br />
so außergewöhnlich ist? Für mich ist lediglich entscheidend, ob ich der<br />
Musik mit meiner Stimme gerecht werden kann. Bei Wagner könnte ich<br />
das zum Beispiel nicht, das ist eine Frage von Volumen und Gewicht. Bei<br />
Beethovens Zyklus sieht das jedoch ganz anders aus. Wir sind nur ein-<br />
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