Fokus öffner, sie bieten spontan eine Bindung an, erlauben Körperkontakt, die Beziehung zu ihnen ist unbelastet usw. Abgesehen davon ist der Hund auch für die Therapeutin eine Hilfe. Er steht an meiner Seite und unterstützt mich. Wir sind ein Team und können uns aufeinander verlassen. Bei welchen Krankheitsbildern eignen sich Tiere besonders? Bei sehr vielen. Auffällig ist der Erfolg bei selektivem Mutismus. Kinder, welche nur im engsten Umfeld ungehemmt sprechen, öffnen sich dem Hund gegenüber meist schnell und bauen eine Beziehung zu ihm auf. Vielfach beginnen sie zuerst mit den Tieren zu sprechen, bevor sie zu uns Kontakt aufnehmen. Auch bei Angststörungen oder bei Depressionen sehen wir, dass die Betroffenen oftmals Freude zeigen, Vertrauen fassen, die Wärme und den Körperkontakt geniessen. In der Regel ist nicht das Krankheitsbild ausschlaggebend, sondern der Patient und seine Beziehung zu Tieren. Und wann sehen Sie vom Einsatz der Tiere ab? Natürlich bei Allergien oder Phobien. Letztere versuchen wir zu bearbeiten. Und in Ausnahmefällen, bei schweren Bindungsstörungen, die sich destruktiv äussern, müssen wir die Tiere schützen. Beim Versuch, ein Tier zu manipulieren oder zu quälen, greifen wir sofort ein. Die Art der Kontaktaufnahme, der Bindung macht jedoch sehr schnell klar, wohin die Diagnose zielt. Haben Ihre Tiere eine spezielle Ausbildung? Unser Hund hat eine Bisspräventionsausbildung und einen Wesenstest absolviert. Er könnte auch als «Klassenhund» eingesetzt werden, d.h., wir könnten mit ihm Schulklassen besuchen, um den Kindern das richtige Verhalten im Umgang mit Hunden beizubringen. Ich selbst habe natürlich auch eine entsprechende Ausbildung, um speziell den Kindern zu zeigen, was sie tun dürfen und was nicht. Die Katzen kann man aufgrund ihres viel selbstbestimmteren Naturells nicht ausbilden. Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt. Auch das ist für Kinder eine wichtige Erfahrung: Sie lernen, den Willen eines andern Lebewesens zu respektieren und entwickeln eine bessere Frustrationstoleranz und Affektkontrolle. Wie kommen Sie zu geeigneten Tieren? Unser derzeitiger Hund, ein in jeder Hinsicht wunderbarer Grosspudel, kommt aus einer sehr guten Zucht und wurde absolut artgerecht sozialisiert. Natürlich habe ich mit ihm die Welpen- und Hundeschule sowie die oben angesprochene Ausbildung absolviert. Unsere zwei Katzen sind Siam-Thai-Katzen, bekannt für ihre «Sprechfreudigkeit». Sie sind sehr gut sozialisiert, bestimmen aber selbst, ob sie kommen wollen oder nicht. Wichtig ist bei allen Tieren, dass sie keine Instrumente sind, sondern artgerecht gehalten werden müssen. Alle können sich jederzeit zurückziehen, und das muss von allen respektiert werden. Bindung ist in der Psychotherapie ein wichtiges Thema. Im Falle der tiergestützten Therapie ist eine zweite Bindung vorhanden. Wie gehen Sie damit am Therapieende um? Das ist unterschiedlich. Manchmal wird die Ablösung speziell vom Tier schwierig. Da die Kinder über einen längeren Zeitraum kommen, entwickeln sie im Laufe der Zeit jedoch andere Neigungen, machen häufiger mit Kollegen ab, erhalten evtl. ein eigenes Haustier, nehmen Reitstunden usw. Der Stellenwert der Therapie nimmt ab, die Bindung zur Therapeutin wird schwächer. Da Tier und Therapeutin oftmals als Einheit wahrgenommen werden, löst sich die Bindung parallel. Wir gestalten für jedes Kind und jeden Jugendlichen einen richtigen Abschied und geben ihnen jeweils ein Foto der Tiere mit. Raten Sie Eltern oder auch Institutionen, Tiere anzuschaffen? Wenn Eltern sich mit dem Gedanken tragen, bespreche ich das sehr genau mit ihnen. Die Dimension des Entscheids muss in jeder Hinsicht klar sein, bezüglich Verantwortung, Angebundensein, finanzieller und zeitlicher Aspekte, Wohnsituation usw. Wir versuchen gemeinsam die passende Tierart auszuwählen. In Institutionen muss gewährleistet sein, dass eine Bezugsperson vorhanden ist, die für die Tiere langfristig zuständig ist. Das ist oftmals schwierig zu gewährleisten. In allen Fällen muss sichergestellt sein, dass die Tiere artgerecht gehalten und ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Zur Person Elisabeth Frick Tanner (geb. 1955), aufgewachsen in St. Gallen, studierte nach der Ausbildung zur Primarlehrerin Psychologie und Pädagogik an der Universität Zürich und absolvierte die Jung’sche Therapieausbildung. Seit über 30 Jahren führt sie mit ihrem Ehemann Robert Tanner-Frick die selbständige psychotherapeutische Praxis Altamira. Von 2000 bis 2019 leitete sie zusammen mit Dennis Turner und Robert Tanner-Frick den berufsbegleitenden Weiterbildungskurs in tiergestützten Interventionen. Bis heute ist sie Dozentin für tiergestützte Psychotherapie an mehreren Institutionen. Veröffentlichung: Praxis der tiergestützten Psychotherapie, 2016. 22 2/22 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
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