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vsao Journal Nr. 2 - April 2022

Tier - Ein ambivalentes Verhältnis Pneumologie Lufthygiene als Erfolgsfaktor Allergene - Die Gesichter der Ekzeme Politik - Qualitätsentwicklung – amtlich verfügt

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Fokus<br />

Spinnenangst plagt viele Menschen,<br />

sie zählt denn auch zu<br />

den häufigsten Phobien. Die<br />

Angst vor Spinnen äussert sich<br />

in leichtem Unbehagen, Ekelgefühlen bis<br />

hin zu panischer Angst mit körperlichen<br />

Symptomen. Zudem zeigen Betroffene<br />

ein starkes Vermeidungsverhalten, was zu<br />

Einschränkungen im Alltag und psychischer<br />

Belastung führen kann.<br />

Angst kennen wir alle. Es ist eine<br />

menschliche Grundemotion, um uns vor<br />

Gefahren zu schützen. Doch ist dies bei<br />

Spinnen auch angebracht? Betroffene wissen<br />

meistens, dass ihre Angst – rational<br />

betrachtet – übertrieben ist, und doch<br />

sind sie ihr ausgeliefert.<br />

Die Ursachen von Arachnophobie sind<br />

individuell sehr unterschiedlich, und es<br />

gibt diverse Theorien zu ihrer Entstehung.<br />

Vielleicht hatten unsere Vorfahren mit viel<br />

gefährlicheren Spinnen zu tun, und uns<br />

wurde diese Angst evolutionär mitgegeben.<br />

Phobien entstehen häufig in jungen<br />

Jahren, die Angst kann durch Beobachtung<br />

erlernt worden sein. Oder es gab ein<br />

traumatisches Erlebnis, das sich ins Gedächtnis<br />

eingebrannt hat. Frauen sind<br />

häufiger betroffen als Männer, was sicherlich<br />

auch an der Erziehung liegen kann.<br />

Mädchen werden eher in Schutz genommen,<br />

Jungen zur Konfrontation animiert.<br />

Zudem werden Spinnen in Filmen und Geschichten<br />

gerne als angsteinflössende und<br />

ekelerregende Monster dargestellt. Doch<br />

Spinnen sind faszinierende Tiere und spielen<br />

in unserem Ökosystem eine wichtige<br />

Rolle. Nur gehören sie für uns in die Natur<br />

und nicht in unsere Häuser.<br />

Sich der Angst stellen<br />

Zur Überwindung der Spinnenangst gibt<br />

es wirksame Behandlungsverfahren wie<br />

die Expositionstherapie. Betroffene nähern<br />

sich therapeutisch angeleitet den<br />

gefürchteten Tieren, um die Angst schrittweise<br />

abzubauen. Denn bleibt man länger<br />

in der Situation, wird die Angst von ganz<br />

alleine abnehmen. So werden korrektive<br />

Erfahrungen gesammelt, und man lernt,<br />

neu mit der Angst umzugehen.<br />

Diese Therapieform wird jedoch selten<br />

in Anspruch genommen. Betroffene<br />

setzen sich nur ungern echten Spinnen<br />

aus, zudem ist die Durchführung logistisch<br />

aufwändig. Daher wird vermehrt mit<br />

virtueller Realität (VR) gearbeitet, mit der<br />

sich die angsteinflössenden Situationen<br />

simulieren lassen und die Annäherung<br />

virtuell geübt werden kann. Doch die<br />

VR-Brillen haben noch lange nicht alle<br />

unsere Haushalte oder Therapiepraxen erreicht.<br />

Was wir mittlerweile jedoch fast<br />

alle besitzen, ist ein Smartphone. Mit der<br />

Technologie der erweiterten Realität<br />

(Augmented Reality, AR), die mit der VR<br />

verwandt ist, lassen sich die virtuelle und<br />

die reale Welt verbinden. Hier setzt die<br />

App Phobys an.<br />

Phobys basiert auf der Expositionstherapie<br />

und verwendet ein realistisches<br />

3-D-Spinnenmodell, das mit der Kamera<br />

des Smartphones in die reale Umgebung<br />

projiziert wird. Wie in einer Therapie kann<br />

die schrittweise Annäherung an Spinnen<br />

virtuell, aber eben in der realen Welt geübt<br />

werden – auf dem Sofa, im Keller oder im<br />

Therapieraum. Die zehn Trainingslevel<br />

mit spielerischen Elementen nehmen<br />

graduell an Intensität und Schwierigkeit<br />

zu. Jedes Level endet mit einer Bewertung<br />

von Angst und Ekel. So wird entschieden,<br />

ob das Level wiederholt werden sollte<br />

oder ob zum nächsten fortgeschritten<br />

werden kann.<br />

Phobys wurde in einer klinischen Studie<br />

mit 66 Spinnenängstlichen untersucht,<br />

von denen die Hälfte in Eigenregie<br />

für zwei Wochen zu Hause mit der App<br />

trainierte. Vor und nach der Trainingsphase<br />

wurde der Schweregrad der Spinnenangst<br />

durch klinische Interviews und<br />

Fragebögen erfasst. Zudem gab es einen<br />

Verhaltenstest mit einer echten Spinne.<br />

Dabei näherten sich die Teilnehmenden<br />

so weit möglich einer Spinne und bewerteten<br />

Angst und Ekel. Die Ergebnisse der<br />

Studie zeigten, dass ein Konfrontationstraining<br />

mit der App die Spinnenangst reduziert<br />

und das Verhalten in einer realen<br />

Spinnensituation positiv verändert. Zudem<br />

übertrugen sich diese Effekte auch<br />

auf den Alltag.<br />

Eigene Betroffenheit schafft<br />

Innovation<br />

Die Entwicklung einer solchen App verlangt<br />

ein interdisziplinäres Team, um psychologisches<br />

Fachwissen und App-Design<br />

zu verbinden. Doch die Idee entwickelte<br />

sich nicht nur aus Interesse an diesem innovativen<br />

Forschungsfeld, sondern auch<br />

aus Betroffenheit.<br />

Ich litt jahrelang selbst unter Arachnophobie<br />

und wurde dann im Masterstudium<br />

in einem Forschungsprojekt zu VR<br />

und Spinnenangst hart damit konfrontiert.<br />

Also unternahm ich diverse Selbstexpositionsversuche<br />

mit Bildern, in VR<br />

und mit echten Spinnen. Es war anstrengend<br />

und herausfordernd, doch es gab<br />

auch Erfolgserlebnisse, und heute begegne<br />

ich Spinnen fast angstfrei. Nebst dem<br />

Interesse an der Forschung zu Apps war<br />

dieser Abbau meiner eigenen Spinnenangst<br />

eine grosse Motivation, in meinem<br />

Doktorat Phobys zu entwickeln, so dass<br />

sich auch andere Personen ihrer Spinnenangst<br />

stellen können.<br />

Seit September 2021 ist die App für<br />

iOS und Android mit zwei Gratistestlevel<br />

und dem Training für CHF 5.– erhältlich.<br />

Seitdem liessen sich über 55 000 Downloads<br />

verzeichnen. Etwa 20 Prozent der<br />

interessierten Personen kaufen auch das<br />

Training, um sich ihrer Spinnenangst zu<br />

stellen. Das Prinzip der App birgt grosses<br />

Potential. Es kann auch auf weitere Phobien<br />

angewendet werden; die Pläne dafür<br />

sind schon in Bearbeitung.<br />

Phobys ersetzt keine Therapie und soll<br />

bei zu starker Spinnenangst auch nicht alleine<br />

genutzt werden. Aber die App bietet<br />

eine niederschwellige Alternative für<br />

Spinnenängstliche, Expositionsübungen<br />

in Eigenregie durchführen oder auch als<br />

Ergänzung oder Auffrischung einer Therapie.<br />

Sie bietet Hilfe zur Selbsthilfe und<br />

motiviert zur Auseinandersetzung mit der<br />

Angst in der erweiterten Realität, bis Begegnungen<br />

mit Spinnen auch in der realen<br />

Welt leichter werden.<br />

Mehr Informationen zu Studie und zur<br />

App auf www.phobys.com<br />

26<br />

2/22 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>

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