Fokus Spinnenangst plagt viele Menschen, sie zählt denn auch zu den häufigsten Phobien. Die Angst vor Spinnen äussert sich in leichtem Unbehagen, Ekelgefühlen bis hin zu panischer Angst mit körperlichen Symptomen. Zudem zeigen Betroffene ein starkes Vermeidungsverhalten, was zu Einschränkungen im Alltag und psychischer Belastung führen kann. Angst kennen wir alle. Es ist eine menschliche Grundemotion, um uns vor Gefahren zu schützen. Doch ist dies bei Spinnen auch angebracht? Betroffene wissen meistens, dass ihre Angst – rational betrachtet – übertrieben ist, und doch sind sie ihr ausgeliefert. Die Ursachen von Arachnophobie sind individuell sehr unterschiedlich, und es gibt diverse Theorien zu ihrer Entstehung. Vielleicht hatten unsere Vorfahren mit viel gefährlicheren Spinnen zu tun, und uns wurde diese Angst evolutionär mitgegeben. Phobien entstehen häufig in jungen Jahren, die Angst kann durch Beobachtung erlernt worden sein. Oder es gab ein traumatisches Erlebnis, das sich ins Gedächtnis eingebrannt hat. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, was sicherlich auch an der Erziehung liegen kann. Mädchen werden eher in Schutz genommen, Jungen zur Konfrontation animiert. Zudem werden Spinnen in Filmen und Geschichten gerne als angsteinflössende und ekelerregende Monster dargestellt. Doch Spinnen sind faszinierende Tiere und spielen in unserem Ökosystem eine wichtige Rolle. Nur gehören sie für uns in die Natur und nicht in unsere Häuser. Sich der Angst stellen Zur Überwindung der Spinnenangst gibt es wirksame Behandlungsverfahren wie die Expositionstherapie. Betroffene nähern sich therapeutisch angeleitet den gefürchteten Tieren, um die Angst schrittweise abzubauen. Denn bleibt man länger in der Situation, wird die Angst von ganz alleine abnehmen. So werden korrektive Erfahrungen gesammelt, und man lernt, neu mit der Angst umzugehen. Diese Therapieform wird jedoch selten in Anspruch genommen. Betroffene setzen sich nur ungern echten Spinnen aus, zudem ist die Durchführung logistisch aufwändig. Daher wird vermehrt mit virtueller Realität (VR) gearbeitet, mit der sich die angsteinflössenden Situationen simulieren lassen und die Annäherung virtuell geübt werden kann. Doch die VR-Brillen haben noch lange nicht alle unsere Haushalte oder Therapiepraxen erreicht. Was wir mittlerweile jedoch fast alle besitzen, ist ein Smartphone. Mit der Technologie der erweiterten Realität (Augmented Reality, AR), die mit der VR verwandt ist, lassen sich die virtuelle und die reale Welt verbinden. Hier setzt die App Phobys an. Phobys basiert auf der Expositionstherapie und verwendet ein realistisches 3-D-Spinnenmodell, das mit der Kamera des Smartphones in die reale Umgebung projiziert wird. Wie in einer Therapie kann die schrittweise Annäherung an Spinnen virtuell, aber eben in der realen Welt geübt werden – auf dem Sofa, im Keller oder im Therapieraum. Die zehn Trainingslevel mit spielerischen Elementen nehmen graduell an Intensität und Schwierigkeit zu. Jedes Level endet mit einer Bewertung von Angst und Ekel. So wird entschieden, ob das Level wiederholt werden sollte oder ob zum nächsten fortgeschritten werden kann. Phobys wurde in einer klinischen Studie mit 66 Spinnenängstlichen untersucht, von denen die Hälfte in Eigenregie für zwei Wochen zu Hause mit der App trainierte. Vor und nach der Trainingsphase wurde der Schweregrad der Spinnenangst durch klinische Interviews und Fragebögen erfasst. Zudem gab es einen Verhaltenstest mit einer echten Spinne. Dabei näherten sich die Teilnehmenden so weit möglich einer Spinne und bewerteten Angst und Ekel. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass ein Konfrontationstraining mit der App die Spinnenangst reduziert und das Verhalten in einer realen Spinnensituation positiv verändert. Zudem übertrugen sich diese Effekte auch auf den Alltag. Eigene Betroffenheit schafft Innovation Die Entwicklung einer solchen App verlangt ein interdisziplinäres Team, um psychologisches Fachwissen und App-Design zu verbinden. Doch die Idee entwickelte sich nicht nur aus Interesse an diesem innovativen Forschungsfeld, sondern auch aus Betroffenheit. Ich litt jahrelang selbst unter Arachnophobie und wurde dann im Masterstudium in einem Forschungsprojekt zu VR und Spinnenangst hart damit konfrontiert. Also unternahm ich diverse Selbstexpositionsversuche mit Bildern, in VR und mit echten Spinnen. Es war anstrengend und herausfordernd, doch es gab auch Erfolgserlebnisse, und heute begegne ich Spinnen fast angstfrei. Nebst dem Interesse an der Forschung zu Apps war dieser Abbau meiner eigenen Spinnenangst eine grosse Motivation, in meinem Doktorat Phobys zu entwickeln, so dass sich auch andere Personen ihrer Spinnenangst stellen können. Seit September 2021 ist die App für iOS und Android mit zwei Gratistestlevel und dem Training für CHF 5.– erhältlich. Seitdem liessen sich über 55 000 Downloads verzeichnen. Etwa 20 Prozent der interessierten Personen kaufen auch das Training, um sich ihrer Spinnenangst zu stellen. Das Prinzip der App birgt grosses Potential. Es kann auch auf weitere Phobien angewendet werden; die Pläne dafür sind schon in Bearbeitung. Phobys ersetzt keine Therapie und soll bei zu starker Spinnenangst auch nicht alleine genutzt werden. Aber die App bietet eine niederschwellige Alternative für Spinnenängstliche, Expositionsübungen in Eigenregie durchführen oder auch als Ergänzung oder Auffrischung einer Therapie. Sie bietet Hilfe zur Selbsthilfe und motiviert zur Auseinandersetzung mit der Angst in der erweiterten Realität, bis Begegnungen mit Spinnen auch in der realen Welt leichter werden. Mehr Informationen zu Studie und zur App auf www.phobys.com 26 2/22 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
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