Leo Mai/Juni 2022
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12 Szene<br />
MAXYM MARUSENKO / NURPHOTO / AFP<br />
FOTO: ANDREA RONCHIN / NURPHOTO / AFP<br />
KOLUMNE VON<br />
FELIX MÜLLER<br />
SELTSAME ZEITEN:<br />
Krieg, Tunnel und ein Stadion<br />
AZ-Lokalchef Felix Müller über die<br />
besondere Beziehung der Stadt<br />
zu Kiew, Münchner Tunnel-Ärger und die<br />
Frage, warum die Sanierung des Sechzgerstadions<br />
doch noch scheitern könnte.<br />
Der Krieg ist in diesen seltsamen Wochen<br />
überall. Er hat so vieles verändert. Doch in<br />
München ist er besonders präsent. Weil,<br />
natürlich, in Großstädten erstmal besonders<br />
viele Geflüchtete landen – übrigens<br />
keineswegs nur wie im Klischee mit dem<br />
Zug, ich sehe neuerdings auch sehr viele<br />
Autos mit ukrainischen Kennzeichen.<br />
Und im Münchner Fall auch deshalb, weil<br />
sehr viele Menschen eine Beziehung zu<br />
unserer Partnerstadt Kiew haben. Das gilt<br />
natürlich auch und ganz besonders für die<br />
Community, die gegenseitigen Besuche<br />
bei den CSD-Paraden in den vergangenen<br />
Jahren waren ja nur einer von vielen<br />
Bezugspunkten.<br />
In einer der beeindruckendsten Stadtrats-<br />
Sitzungen überhaupt war nun Vitali<br />
Klitschko, der Bürgermeister von Kiew,<br />
(per Video-Schalte) dabei. Eine ganze<br />
Dreiviertelstunde lang berichtete er eindrücklich<br />
vom Kriegsgeschehen in seiner<br />
Stadt. Eher er wieder Leben retten muss,<br />
wie er es sagte. Im Norden der Stadt seien<br />
gerade wieder Bomben gefallen. "Wieder<br />
viele Verletzte, wieder viele Tote." Nach<br />
Klitschkos Rede erhob sich der Stadtrat für<br />
Applaus.<br />
Doch es bleibt nicht bei symbolischen<br />
Gesten. Viele Münchner spenden in diesen<br />
Woche, helfen ehrenamtlich den Flüchtlingen<br />
– etliche Initiativen, etwa auch aus der<br />
Gastro-Szene – liefern selbstorganisiert<br />
Sachspenden an die ukrainisch-polnische<br />
Grenze. Und auch der Stadtrat beschließt<br />
etliche Millionen Euro, insbesondere um<br />
den Menschen zu helfen, die in München<br />
landen.<br />
Manchmal unwirklich, dass unterdessen<br />
auch der ganz normale Alltag weitergeht,<br />
natürlich auch der politische im Rathaus.<br />
Ein großes Thema dabei auch in diesem<br />
Monat wieder: Tunnel! Die Grünen wollen<br />
weiter gar keine mehr bauen, OB Dieter<br />
Reiter (SPD) zeigt recht deutlich, was er<br />
davon hält – und erklärt in der AZ sogar, er<br />
sorge sich davor, dass BMW irgendwann<br />
den Standort aufgeben könne, wenn nicht<br />
mal ein Tunnel gebaut wird im Münchner<br />
Norden,<br />
Gemeinsam begraben Grüne und<br />
SPD iM Stadtrat hingegen das Projekt<br />
Tunnel durch den Englischen Garten wohl<br />
endgültig. Inzwischen führt man dafür insbesondere<br />
die vielen Bäume ins Feld,<br />
die dafür (mutmaßlich) gefällt<br />
werden müssten. Die Aktivisten,<br />
die jahrelang für<br />
eine Wiedervereinigung<br />
der beiden Park-Teile<br />
gekämpft haben, ein<br />
vorgeschobenes Argument.<br />
Und auch der<br />
Bezirksausschuss vor Ort<br />
will sich nicht zufrieden<br />
geben, fordert wenigstens<br />
eine ausführliche Information<br />
vom Rathaus über die Hintergründe ein.<br />
Die Hintergründe sind auch bei einem<br />
anderen Großprojekt etwas neubulös,<br />
das in diesen Wochen wieder mal für<br />
Schlagzeilen sorgte: die Sanierung des<br />
Grünwalder Stadions. Das soll für stolze<br />
80 Millionen Euro modernisiert werden.<br />
Klingt viel. Aber die Stadt will es dauerhaft<br />
in einen Zustand bringen, mit dem sich<br />
auch im Profifußball Geld verdienen lässt.<br />
Vip-Logen soll es geben, mehr Sitzplätze,<br />
eine komplette Überdachung – und einen<br />
deutlich bessseren Schutz vor Licht<br />
und Lärm für die Nachbarschaft. Klingt<br />
eigentlich gut und nach einem Geschenk<br />
der Stadt insbesondere für den TSV 1860.<br />
Doch offenbar knirscht es weiter gewaltig<br />
zwischen den Löwen und dem Rathaus,<br />
das Projekt könnte sogar noch ganz scheitern.<br />
Und das, obwohl der Stadtrat sich in<br />
diesen Wochen wieder parteiübergreifend<br />
für das Projekt ausgesprochen hat.<br />
Knackpunkt sind die künftige Miete und<br />
die Frage, wie lang sich die Löwen an das<br />
Stadion binden müssen, damit die Stadt<br />
saniert. Sport-Bürgermeisteirn Verena Diet<br />
(SPD) hat klargemacht dass sich der TSV<br />
für zehn Jahre fest verpflichten müsste.<br />
Nach Angaben der Stadt darf dort<br />
aber kein Erstliga-Fußball mehr<br />
gespielt werden. Vertragsbedingungen,<br />
die Sechzig<br />
nach eigenen Angaben<br />
nicht akzeptieren<br />
kann – wie soll man sich<br />
dazu verpflichten, nicht<br />
einmal in zehn oder<br />
15 Jahren wieder in der<br />
Ersten Liga zu kicken? Eine<br />
Mitteilung der Löwen kurz<br />
nach einem Stadtrats-beschluss<br />
pro Ausbau kommt im Rathaus extrem<br />
schlecht an. „Da gibt man doch gerne<br />
77 Milllionen aus...“, twittert SPD-<br />
Fraktionschefin Anne Hübner vielsagend.<br />
Dann halt nicht, wenn ihr nur meckert,<br />
soll das wohl heißen. Nun gibt es eine<br />
Frist von einem Jahr. Bis dahin müssen<br />
sich die Löwen und die Stadt geeinigt<br />
haben, damit es weiter geht...<br />
FOTO: PRIVAT