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Leo Mai/Juni 2022

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MUSIK<br />

SAM VANCE-LAW:<br />

„Man kann hier<br />

INTERVIEW<br />

anders sein“<br />

FOTO: ALEXANDER COGGIN<br />

Er spricht ganz ausgezeichnet<br />

Deutsch. Das zeigt sich beim<br />

Interview im Konferenzraum seiner<br />

Berliner Plattenfirma binnen weniger<br />

Minuten. „Ich wohne seit zwölf<br />

Jahren in Berlin und setzte es mir<br />

zum Ziel, schnellstmöglich Deutsch<br />

zu lernen“, sagt der Kanadier. „Außerdem<br />

habe ich jetzt einen deutschen<br />

Freundeskreis.“<br />

Sam Vance-Law begeisterte sich bei seiner<br />

allerersten Reise nach Berlin sofort für diese<br />

Metropole. „Eigentlich wollte ich nur meinen<br />

Kumpel für eine Woche besuchen“, erzählt<br />

er. „Doch dann bin ich einfach geblieben.“<br />

Die ersten beiden Nächte verbrachte er in<br />

einem besetzten Haus in der Rigaer Straße.<br />

Da er aus Paris kam, war er High-Fashionmäßig<br />

gekleidet. Die Punks störte das indes<br />

nicht. „Sie boten mir ein Bier an und hingen<br />

mit mir ab“, erinnert sich der Musiker. „Da<br />

habe ich gemerkt: Man kann hier anders<br />

sein – und das ist gut so.“<br />

In Berlin fand Sam Vance-Law als Schwuler<br />

alsbald seine Community, er bekam einen<br />

Plattenvertrag und veröffentlichte 2018<br />

sein Debütalbum „Homotobia“. In seinen<br />

Songs griff der 34-Jährige die Geschichten<br />

anderer auf, er beschäftigte sich mit<br />

unterschiedlichen Facetten des homosexuellen<br />

Lebens. Sein zweiter Langspieler<br />

„Goodbye“ ist dagegen autobiografisch – die<br />

Stücke kreisen um eine Trennung. Das<br />

hebt sie auf eine andere Ebene, denn<br />

Liebeskummer ist ja universell. Das sieht<br />

Sam Vance-Law zwar genauso, trotzdem ist<br />

es ihm ein Anliegen, das Queersein immer<br />

wieder zu thematisieren. „In Berlin oder<br />

anderen Großstädten muss man sicher<br />

nicht mehr darüber reden“, gibt er zu. „Doch<br />

in den meisten Teilen dieser Welt würde<br />

ich wegen meiner Sexualität im Gefängnis<br />

sitzen, geächtet sein oder sogar getötet<br />

werden.“ So etwas ist für ihn natürlich<br />

inakzeptabel: „Ich wünschte, ich könnte<br />

einfach lieben, wen ich liebe.“<br />

Ein glückliches Händchen bei der Partnerwahl<br />

scheint Sam Vance-Law allerdings<br />

nicht unbedingt zu haben, diesen Eindruck<br />

vermitteln zumindest seine neuen Songs.<br />

„Icarus“ handelt davon, dass sein Ex sehr<br />

freiheitsliebend war. Eben kein Beziehungsmensch.<br />

Diese Erkenntnis wird mit<br />

schwelgerischer Musik unterlegt, inklusive<br />

Bläsern und Streichern. Ist das Kammerpop<br />

par excellence? „Ich weigere mich, meine<br />

Musik selber zu klassifizieren“, erklärt Sam<br />

Vance-Law. Immerhin räumt er ein, dass<br />

ihn klassische Werke, mit denen er als<br />

Chorknabe in Oxford aufwuchs, bis heute<br />

beeinflussen: „Ich kenne mich mit der Oboe<br />

viel besser aus als mit der Gitarre.“<br />

Im Endergebnis ist der Singer-Songwriter<br />

musikalisch durchaus recht breit aufgestellt.<br />

Während „Get Out“ als Pop mit Indie-Vibes<br />

daherkommt, lehnt sich die puristische<br />

Klavierballade „Blissful Times“ eher an das<br />

traditionelle englische Volkslied an. „Too<br />

Soon“ driftet dank des Saxofons und des<br />

Fingerschnippens zum Jazz ab. Ist das Sam<br />

Vance-Laws heimliche Leidenschaft? „Ich<br />

höre selten Musik. Also auch keinen Jazz.“<br />

Stattdessen zieht er Stille vor: „Wenn ich<br />

den ganzen Tag mit meinen Ohren gearbeitet<br />

habe, möchte ich danach ein bisschen<br />

Ruhe haben.“<br />

Aus der Großstadthektik zog sich Sam<br />

Vance-Law auch zurück, während er an<br />

seinem aktuellen Album tüftelte. Die<br />

meisten Lieder schrieb er in den schottischen<br />

Highlands, dort konnte er ungestört<br />

komponieren und texten, ohne großartige<br />

Ablenkungen. Er machte lediglich Wanderungen,<br />

ansonsten widmete er sich seinen<br />

Stücken: „Um mich herum waren Schnee,<br />

Regen, Kälte, Depression – das war perfekt<br />

für meine Platte.“ *Dagmar Leischow

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