Hinz&Kunzt 350 April 2022
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Wie geht Frieden?<br />
FOTO RECHTS UNTEN: DEPAUL INTERNATIONAL<br />
Etwa 1,5 Millionen Menschen verloren damals ihr Zuhause.<br />
Aufgrund des russischen Angriffs sind bis Anfang <strong>April</strong> mehr<br />
als vier Millionen Menschen ins sichere Ausland geflohen.<br />
Die humanitäre Krise zwingt Romenska und ihre<br />
Kolleg:innen zu Veränderungen: „Wir versuchen unsere<br />
Arbeit neu aufzustellen. Der Plan ist, das Hostel weiter zu<br />
betreiben und den obdachlosen Menschen weiter Essen<br />
anzubieten. Wenn auch in anderer Form.“ Statt warmer<br />
Suppen geben die Freiwilligen mittlerweile Lunchboxen aus –<br />
in Kiew und auch in zerstörten Nachbarstädten. Außerdem<br />
bereitet die Organisation jetzt auch Essen für die ukrainischen<br />
Streitkräfte zu.<br />
Hilfe für Obdachlose leisten noch andere in der Ukraine.<br />
Etwa die Organisation „Depaul International“, die<br />
Unterkünfte in Odessa und der zweitgrößten Stadt der<br />
Ukraine, Charkiw, betreibt. Vor allem Charkiw ist heftigen<br />
russischen Raketenangriffen ausgesetzt. Pater Vitaly Novak,<br />
Vorstandsmitglied von Depaul Ukraine, organisiert die<br />
Arbeit der NGO und fährt Lastwagen mit Hilfsgütern durch<br />
das Land. Trotz der ständigen Gefahr. „Vor dem Krieg habe<br />
ich für Obdachlose in verschiedenen ukrainischen Städten<br />
gearbeitet. Jetzt gibt es in der ganzen Ukraine ein Bedürfnis<br />
nach Hilfe. Mein Leben hat sich komplett geändert“, sagt<br />
Pater Novak. „In dieser Zeit des Krieges braucht jeder<br />
Mensch in erster Linie einen sicheren Ort zum Leben,<br />
Lebensmittel, Wasser, medizinische Versorgung. All das<br />
brauchen die Menschen, die weiterhin in den Städten sind,<br />
die weiterhin bombardiert werden. Sie haben all diese<br />
Bedürfnisse. Jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde.“<br />
Depaul konzentriert sich darauf, den Menschen zu helfen,<br />
denen der Krieg das Zuhause genommen hat. Die Organisation<br />
sammelt Spenden für provisorische Aufwärmstationen<br />
und stellt Lebensmittel für jene zur Verfügung, die auf der<br />
Straße leben. „Wir versuchen, so viel wie möglich zu organisieren,<br />
um die Menschen, insbesondere aus den Brennpunkten<br />
in der Ostukraine, in Sicherheit zu bringen“, sagt Pater<br />
Novak: „Es gibt Tausende von Menschen, die seit Wochen<br />
unterirdisch in der U-Bahn in Charkiw leben. Wir wollen<br />
diese Menschen so gut wie möglich erreichen.“<br />
Depaul hilft auch an der slowakischen Grenze, wohin<br />
viele Menschen geflohen sind. Die slowakische Regierung<br />
hatte zwar angekündigt, dass alle ukrainischen Flüchtlinge<br />
auch ohne gültige Reisedokumente ins Land einreisen können.<br />
Doch das war zunächst nicht möglich und führte zu langen<br />
Schlangen an der Grenze, sagt Juraj Barát, stellvertretender<br />
Direktor von Depaul Slovakia. „Es war schrecklich für<br />
Menschen mit Kindern. Es gab keine Toiletten, und wir<br />
hatten Glück, dass es nicht regnete. Es war eiskalt und fror<br />
immer noch über Nacht, und die Leute mussten dort<br />
warten“, sagt er. „Die Leute hatten Angst, auf die Toilette zu<br />
gehen oder Essen zu holen, weil sie ihren Platz nicht verlieren<br />
wollten.“ Auch in der Slowakei musste sich Depaul wegen<br />
des Krieges neu aufstellen.<br />
„Eigentlich sind wir ein sozialer Dienstleister und keine<br />
humanitäre Organisation. Aber das ändert sich jetzt.“ Die<br />
Freiwilligen seien kreativ und auch für riskante Einsätze<br />
offen. Alle paar Tage wagten sich Freiwillige in die Ukraine,<br />
um mit Hilfslieferungen zu unterstützen. „Es war nicht sehr<br />
schwer, die Menschen davon zu überzeugen, in die Ukraine<br />
zu gehen. Wir haben nur gefragt wer will, und die Leute<br />
haben ihre Hände gehoben“, sagt Barát.<br />
Auch angesichts der Schrecken des Krieges und der<br />
traumatischen, oft zermürbenden Arbeit: Viele Freiwillige,<br />
die ihr Leben der Hilfe von Menschen auf der Straße gewidmet<br />
haben, erhalten sich eine Art Trotz. „Die Helden sind<br />
Menschen, die in der Armee kämpfen, und alle, die für die<br />
Ukraine bleiben, die nicht aufgeben wollen. Alle sind jetzt<br />
vereint und tun alles, um unsere Heimat zu schützen“, sagt<br />
Pater Novak. „Wir stehen fest, halten unsere Obdachlosenheime<br />
und unsere Dienste am Laufen, damit wir die Menschen<br />
weiterhin unterstützen können. Es ist wichtiger denn je.<br />
Wir werden erst gehen, wenn wir keine andere Wahl haben.“ •<br />
lukas.gilbert@hinzundkunzt.de<br />
Olga Romenska und ihre Kolleg:innen verteilen Nahrungsmittel<br />
im zerstörten Borodjanka (oben). In Charkiw betreibt<br />
Depaul Unterkünfte und Luftschutzbunker (unten).<br />
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