Hinz&Kunzt 350 April 2022
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Wie geht Frieden?<br />
Gerade können die ukrainischen Soldatinnen<br />
und Soldaten ihr Recht auf<br />
Selbstverteidigung sehr effektiv durchsetzen.<br />
Allerdings werden die Teile<br />
der Ost-Ukraine, die von Russland militärisch<br />
kontrolliert werden, kaum zurückzugewinnen<br />
sein, dafür fehlen die<br />
Kräfte und das Material. Wir müssen<br />
Russland dazu bewegen, sich auf Verhandlungen<br />
einzulassen.<br />
Nach den Massakern von Butscha<br />
haben Sie selbst getwittert: „Mehr<br />
Waffen, mehr Sanktionen, mehr Geld.“<br />
Was aber bringen mehr Waffen, wenn<br />
der Krieg nicht militärisch gewonnen<br />
werden kann?<br />
Es gibt Zeiten, in denen man entscheiden<br />
muss, auf welcher Seite man steht.<br />
Es ist der absolut richtige Weg, sich in<br />
dieser Situation an die Seite der Ukraine<br />
zu stellen und dazu beizutragen, dass so<br />
wenig ukrainisches Gebiet wie möglich<br />
in russische Hände fällt, um weitere<br />
dieser absolut schrecklichen Gräueltaten<br />
zu verhindern.<br />
Wieso hören wir dann immer wieder<br />
Berichte, dass Deutschland bei Waffenlieferungen<br />
auf der Bremse steht?<br />
Die Bundesregierung unterstützt die<br />
Ukraine neben finanziellen Mitteln<br />
auch mit Waffen, mit denen sich die<br />
ukrainische Bevölkerung verteidigen<br />
kann. Die Bundeswehr prüft genau, was<br />
sie alles liefern kann, ohne die Gewährleistung<br />
der Sicherheit Deutschlands<br />
zu gefährden. Wir liefern alles, was<br />
möglich ist.<br />
Wenn Waffen allein nicht zum Ziel<br />
führen: Müssten jetzt nicht alle<br />
Register an Sanktionen gezogen<br />
werden, um den Krieg schnellstmöglich<br />
zu beenden? Nicht nur die Ukraine<br />
fordert einen Stopp aller Rohstoffimporte<br />
aus Russland.<br />
Wir werden die Abhängigkeit der Bundesrepublik<br />
von russischen Gas- und<br />
Ölimporten sukzessive reduzieren. Wir<br />
müssen aber auch die Frage im Blick<br />
behalten, inwiefern wir das der deutschen<br />
Bevölkerung zumuten können.<br />
Als Bundesregierung müssen wir die<br />
Sanktionspakete so schnüren, dass sie<br />
vor allem Russland treffen und nicht<br />
uns selbst.<br />
Ihre Regierung hat unter dem Eindruck<br />
des Angriffskrieges 100 Milliarden Euro<br />
Sondervermögen für die Bundeswehr<br />
angekündigt. Die Entscheidung kam<br />
quasi über Nacht – hätte man nicht<br />
eine breite gesellschaftliche Debatte<br />
führen müssen, bevor man so eine<br />
„Zeitenwende“ ausruft?<br />
Wir sehen sehr hohe Zustimmungswerte<br />
für das Sondervermögen der<br />
Bundeswehr. Die breite Mehrheit der<br />
Bevölkerung befürwortet die Erhöhung<br />
des Verteidigungsetats. Über viele Jahre<br />
wurde die Bundeswehr in dem Glauben<br />
an internationales Recht in Teilen zurückgebaut.<br />
Wir sehen jetzt, dass die<br />
Aggression nicht nur der Ukraine gilt,<br />
sondern auch unserer eigenen Sicherheit<br />
und unserer Art, wie wir leben wollen.<br />
Daher brauchen wir in dieser Zeit<br />
Streitkräfte, die dem Auftrag gerecht<br />
werden können, uns zu verteidigen.<br />
Der deutsche Verteidigungshaushalt<br />
belief sich 2014 noch auf 32 Milliarden<br />
Euro, bald sollen es 75 Milliarden Euro<br />
sein. Braucht die Bundeswehr wirklich<br />
so viel Geld für die Landesverteidigung?<br />
Meine Überzeugung ist, dass die Bundeswehr<br />
auch als Einsatzarmee in internationalen<br />
Konfliktgebieten stabilisierend<br />
wirken können muss. Zudem<br />
müssen wir selbst Wehrhaftigkeit ausstrahlen,<br />
um deutlich zu machen, dass<br />
wir uns im Ernstfall verteidigen können.<br />
Dafür müssen wir die Bundeswehr<br />
anders aufstellen. Wir brauchen mehr<br />
Waffen, mit denen wir üben können –<br />
in der Hoffnung, sie niemals zum Einsatz<br />
zu bringen. Das ist klassische<br />
Abschreckung.<br />
Wie wollen Sie verhindern, dass<br />
aus dem Ausrüsten der Bundeswehr<br />
ein neues Wettrüsten wird?<br />
13<br />
Es geht uns nicht um ein Wettrüsten<br />
oder ein Aufrüsten. Wie Russland darauf<br />
reagiert, ist aus meiner Sicht<br />
nachrangig. Putin ist ja derjenige, der<br />
uns dazu bringt, diese Schritte gehen<br />
zu müssen. Es führt kein Weg daran<br />
vorbei, zu zeigen, dass wir uns wehren<br />
können und wollen.<br />
„Es ist an<br />
Russland, den<br />
ersten Schritt<br />
zu gehen.“<br />
Blicken wir mal in die Zukunft:<br />
Was glauben Sie, wie kann eine neue<br />
Friedensordnung nach dem Ukraine-<br />
Krieg aussehen?<br />
Ich würde mir sehr wünschen, dass wir<br />
zu dem Status zurückkommen, bei dem<br />
wir vorher waren: Dass alle Länder dieser<br />
Welt die Grenzen anderer Staaten<br />
anerkennen und wir über internationale<br />
Organisationen und Verträge zu einem<br />
friedlichen Zusammenleben kommen.<br />
Momentan halte ich dies leider<br />
für relativ unrealistisch.<br />
Der Weg wäre also: Erst Stärke<br />
zeigen und auf dieser Basis zurück<br />
zur Diplomatie zu finden?<br />
Als Staatssekretärin im Verteidigungsministerium<br />
ist für mich die oberste<br />
Priorität die Sicherheit aller Menschen<br />
zu gewährleisten, die in Deutschland<br />
leben. Das ist auch die Aufgabe der<br />
Bundeswehr. Die Aufgabe der Bundesregierung<br />
wird zukünftig sein, nach<br />
dem Krieg auf dem internationalen<br />
Parkett Rüstungskontrolle und Abrüstung<br />
wieder zu fördern. Aber es ist an<br />
Russland, den ersten Schritt zu gehen. •<br />
benjamin.laufer@hinzundkunzt.de