Hinz&Kunzt 350 April 2022
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Leselounge<br />
#6<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Auf ein Getränk mit …<br />
Jens Eisel<br />
Der Autor trifft unsere Kolumnistin auf eine<br />
Orangen limonade und spricht über<br />
die Genese seines neuen Romans „Cooper“.<br />
Jens Eisel wirkt fast entschuldigend,<br />
als er mir gesteht, dass er<br />
gar kein Lieblingsgetränk habe.<br />
Meist trinke er Wasser. Wir sitzen<br />
in der „Torrefaktum Kaffeerösterei“ in<br />
Altona und bestellen weder Kaffee noch<br />
Wasser, sondern Orangenlimonade. Ein<br />
wenig freue ich mich darüber, sie ist einfach<br />
ein makelloser Durstlöscher.<br />
Dan Cooper, um den es in Jens<br />
Eisels neuem Roman „Cooper“ geht,<br />
hätte wohl anstelle von Orangenlimonade<br />
einen Bourbon Soda bestellt.<br />
Jedenfalls ist das eines der wenigen<br />
Dinge, die man über Cooper weiß. Das,<br />
und dass er Stunden nach dieser Getränkebestellung<br />
in einer Boeing 727<br />
aus dem Flugzeug sprang, nachdem er<br />
TEXT: NEFELI KAVOURAS<br />
FOTOS: IMKE LASS<br />
es zuvor entführt, ein Lösegeld von etwa<br />
200.000 US-Dollar erpresst hatte und<br />
dann für immer verschwand.<br />
Man mag kaum glauben, dass Eisel<br />
sich nicht einfach eine Krimigeschichte<br />
ausgedacht hat, aber tatsächlich ereignete<br />
sich der Fall 1971 in den USA.<br />
Dan Cooper hinterließ viele Fragen,<br />
Jens Eisel hat sie literarisch beantwortet.<br />
Beinahe vier Jahre hat er an seinem<br />
Roman gearbeitet, dessen Handlung<br />
sich lediglich über einen Tag erstreckt.<br />
Jens Eisel ist dafür nach Amerika<br />
gereist, hat den Ort unter der vermeintlichen<br />
Absprungstelle Coopers<br />
und den Flughafen besucht, von dem<br />
die Maschine startete, und er hat in<br />
Motels geschlafen, die genauso aus<br />
HINZ&KUNZT N°351/MAI <strong>2022</strong><br />
sahen wie man sie aus amerikanischen<br />
Serien kennt.<br />
In „Cooper“ ist Dan Cooper nicht<br />
die klare Hauptfigur, der Roman wird<br />
kaleidoskopisch aus der Sicht des Flugzeugentführers<br />
Cooper, einer Stewardess<br />
und einem Piloten erzählt. Um<br />
sich für diese Erzählperspektive zu entscheiden,<br />
musste Jens Eisel einen Umweg<br />
nehmen. Er begann den Roman so<br />
zu schreiben, wie er seine vorherigen<br />
erarbeitet hat: aus einer Perspektive, in<br />
diesem Fall der von Cooper – bis er<br />
schlagartig merkte, dass er nicht das erzählte,<br />
was ihn eigentlich literarisch interessierte:<br />
welche Auswirkungen das<br />
Ereignis auf mehrere Figuren hat. „Ich<br />
hatte schon etwa 100 Seiten geschrieben,<br />
als ich merkte, dass es so nicht<br />
funktionierte. Alles musste verworfen<br />
werden.“ Die Limo hat er schon zur<br />
Hälfte ausgetrunken, als mir Jens Eisel<br />
vom Gefühl des Scheiterns erzählt.<br />
„Das war ein krasser Moment. Ich war<br />
mir sicher, ich würde den Roman nicht<br />
mehr hinkriegen. Ich dachte, meine<br />
Karriere als Schriftsteller ist vorbei.“<br />
Normalerweise arbeitet Jens Eisel<br />
mit einem Plan, den er durchzieht.<br />
Aber der Umweg hatte auch etwas Gutes:<br />
„Ich zweifle oft daran, ob ich einen<br />
Text nicht hätte besser machen können.<br />
Bei dem Roman dachte ich mir aber<br />
am Ende: Das hast du ganz schön gut<br />
gemacht. Eben weil ich durch dieses Tal<br />
des Scheiterns gegangen bin.“<br />
Die Glasflaschen sind leer, als wir<br />
darüber reden, dass im Scheitern auch<br />
etwas Schönes liegen kann, wenn man<br />
die Angst davor beiseitelässt. Und ich<br />
freue mich jetzt schon darauf zu hören,<br />
welche ungeplanten Umwege Jens Eisel<br />
in Zukunft noch beim Schreiben begegnen<br />
werden. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Lesetipp:<br />
Das Buch, das Jens<br />
Eisel am häufigsten<br />
gelesen hat, ist wohl<br />
„Der alte Mann<br />
und das Meer“ von<br />
Hemingway. Vor allem<br />
den Sound findet er wahnsinnig gut.<br />
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