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Hinz&Kunzt 350 April 2022

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Wie geht Frieden?<br />

Frage ist doch: Was können wir sinnvoll<br />

tun, damit der Krieg so schnell wie<br />

möglich zu Ende geht? Und der geht<br />

dann zu Ende, wenn Russland endlich<br />

zu ernsthaften Verhandlungen bereit<br />

ist. Die Erfahrungen aller Kriege der<br />

vergangenen 50 Jahre zeigen: Militärisch<br />

endet ein Krieg erst, wenn beide<br />

Seiten kriegsmüde sind – und das<br />

dauert Jahre. Deswegen brauchen wir<br />

etwas, das schneller hilft.<br />

Die Verhandlungsposition der Ukraine<br />

ist doch aber umso stärker, je besser<br />

sie militärisch dasteht!<br />

Rein militärisch betrachtet führt militärische<br />

Stärke nicht zu einer Verhandlungslösung,<br />

weil einer immer gerade<br />

am Gewinnen ist und deswegen kein<br />

Interesse an Verhandlungen hat. Das<br />

denke ich mir nicht aus: Da kann ich<br />

nach Syrien gucken, da kann ich auf all<br />

die anderen Kriege gucken …<br />

Wie sieht denn Ihrer Ansicht nach<br />

die richtige Antwort auf den Krieg aus?<br />

Diplomatie?<br />

Ich frage mich seit Wochen, wieso alle<br />

nur über Russland und die Nato reden.<br />

Die Welt ist viel größer! China und Indien<br />

sind nicht glücklich mit dem Krieg.<br />

Man müsste eine diplomatische Offensive<br />

starten, damit sie eine Vermittlerrolle<br />

einnehmen.<br />

Aber China und Indien haben klar gemacht,<br />

dass sie weiter wirtschaftlich mit<br />

Russland zusammenarbeiten wollen …<br />

…und gerade China wird sich niemals<br />

gegen Russland stellen. Darum geht es<br />

nicht. Wenn Scholz und Macron da mit<br />

Angeboten anklopfen würden, könnte<br />

ich mir gut vorstellen, dass diese Länder<br />

bereit wären, Einfluss auf Russland<br />

auszuüben. Indien zum Beispiel hat aktuell<br />

Interesse an einem Wirtschaftsabkommen<br />

und an Technologietransfer,<br />

da könnte Europa Angebote machen.<br />

Das kann scheitern, aber ich finde es<br />

falsch, dass das nicht versucht wird. Das<br />

Zweite sind die Wirtschaftssanktionen ...<br />

... von denen Putin sich bislang offenbar<br />

nicht in seinem militärischen Handeln<br />

beeinflussen lässt.<br />

Weil sie ihn bislang nicht richtig treffen.<br />

Der Kreml hat sich auf genau dieses<br />

Szenario vorbereitet. Worauf er sich<br />

nicht vorbereitet hat, ist ein Importstopp<br />

von Kohle, Öl und Gas. Auch<br />

heute wurden wieder mehrere 100 Millionen<br />

Euro dafür nach Russland überwiesen.<br />

Jeden einzelnen Tag.<br />

Da würde Wirtschaftsminister Habeck<br />

entgegnen: Wenn wir das alles stoppen,<br />

haben wir Hunderttausende Arbeitslose<br />

zusätzlich.<br />

Dann muss man auch laut aussprechen:<br />

„Nein, wir wollen lieber, dass die Menschen<br />

in der Ukraine sterben, als dass<br />

wir hier 100.000 Arbeitslose haben!“<br />

Das ist gerade die Position in Deutschland,<br />

und ich finde die falsch. Der Importstopp<br />

würde nicht morgen und<br />

nicht übermorgen zum Kriegsende<br />

führen, aber es würde Putin relativ<br />

schnell so weh tun, dass die Wahrscheinlichkeit<br />

für eine Lösung steigt. Waffenlieferungen<br />

sind in dieser Situation ein<br />

Politikersatz.<br />

Sie haben einen Appell dagegen unterschrieben,<br />

dass die Bundeswehr ein<br />

Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden<br />

Euro bekommt. Finden Sie nicht,<br />

dass die Demokratie sich verteidigen<br />

können muss – und zwar auch gegen<br />

Feinde von außen?<br />

Doch, finde ich. Aber dafür braucht<br />

die Bundeswehr nicht mehr, sondern<br />

weniger Geld. Ich habe kein Problem<br />

mit einer Bundeswehr, die dafür ausgerüstet<br />

ist, dieses Land und seine Nachbarn<br />

im Osten zu verteidigen. Wir<br />

brauchen aber keine Bundeswehr, die<br />

15<br />

dazu in der Lage ist, an zwei Orten<br />

irgendwo in der Welt gleichzeitig Krieg<br />

zu führen. Es gibt sehr viele Waffensysteme,<br />

die wir nur für Auslandseinsätze<br />

und nicht für die Landesverteidigung<br />

brauchen – das macht die Bundeswehr<br />

so teuer.<br />

„Waffenlieferungen<br />

sind ein<br />

Politikersatz.“<br />

Wie kann man sicherstellen, dass<br />

aus dem Ausrüsten der Bundeswehr<br />

kein Wettrüsten wird?<br />

Gar nicht. Das Allerschlimmste an<br />

den 100 Milliarden ist, dass sie der<br />

Einstieg in ein neues Wettrüsten sind.<br />

Natürlich wird Russland dagegenhalten.<br />

Wir sind sofort wieder in den<br />

1970er-Jahren, in denen es eine Spirale<br />

ohne Ende gab. Wir müssen uns doch<br />

jetzt die Frage stellen, wie wir in<br />

50 Jahren leben wollen – hochgerüstet<br />

in einem kalten Krieg?<br />

Russland hat gerade alles Porzellan<br />

zerschlagen – schwer vorzustellen,<br />

wie eine stabile Nachkriegsordnung<br />

aussehen kann.<br />

Im Moment vertraue ich der russischen<br />

Regierung keinen Millimeter – und ohne<br />

Vertrauen kann man keine vernünftige<br />

Friedensordnung herstellen. Trotzdem:<br />

Wir müssen in der Nachkriegszeit<br />

langsam anfangen, dieses Vertrauen zu<br />

bilden. Und die 100 Milliarden würden<br />

genau das verhindern. •<br />

benjamin.laufer@hinzundkunzt.de

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