Dübener Wochenspiegel - Ausgabe 9 - Jahrgang 2022
Dübener Wochenspiegel - Ausgabe 9 - Jahrgang 2022 mit den gewerblichen Sonderthemen "Männertag" sowie "Gesundheit/Freizeit/Fitness/Kosmetik"
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16 11. Mai 2022
UNTER VIER AUGEN
(Bad Düben/Wsp/kp). Das Arbeitszimmer
ist überschaubarer geworden.
Die Regale sind nicht mehr so vollgestopft
wie in den Jahren zuvor. „Ich
habe begonnen, einen Großteil meines
Fundus in sachkundige Hände zu geben.
Ein paar wichtige und persönliche
Erinnerungen bleiben jedoch bei mir“,
verrät Günter Tempelhof. Der Bad
Dübener begeht noch in diesem Jahr
seinen 70. Geburtstag – am Weltfriedenstag,
dem 1. September.
Mit Blick aufs Alter reifte der Gedanke,
sich von den unzähligen Akten, Ausrüstungsgegenständen,
Fahnen und sonstiger
dreidimensionaler Technik zu trennen,
die vor allem die Militärgeschichte
Bad Dübens ab dem Dreißigjährigen
Krieg darstellen. „Ich beginne so langsam,
die gesammelten Dinge geordnet
abzugeben. Wir haben drei Kinder. Wie
soll ich das gerecht aufteilen?“, fragte er
sich. Die Lösung: Alles wanderte und
wandert in Museen der Region sowie
die Leipziger Universitätsbibliothek,
wo er bereits einen eigenen Vorlass
hat. Zudem liegen inzwischen all seine
Dokumente digitalisiert vor. Die beiden
Söhne und die Tochter im Alter von 39
bis 49 bekommen die entsprechenden
Festplatten überreicht.
Nochmal zurück zum Arbeitszimmer:
Hier hat alles seine Ordnung. Die
Stifte liegen feinsäuberlich aufgereiht
zwischen den beiden Monitoren.
Daneben stehen vier Stempel griffbereit.
Das alles kommt nicht von
ungefähr. Der gebürtige Hallenser ist
nach eigenen Aussagen streng katholisch
in ganz einfachen Verhältnissen
– der Vater war Fabrikarbeiter, die
Mutter Hausfrau – erzogen worden.
Mit zwölf Jahren ging er nicht mehr
in die Kirche, suchte stattdessen die
Nähe zur FDJ und zur GST. Nach dem
Schulabschluss absolvierte er in Kleinmachnow
bei Berlin eine Lehre zum
Facharbeiter für Wasserbautechnik,
wurde anschließend Lehrfacharbeiter
und wollte zur Volksmarine.
Am 1. November 1971, also vor etwas
mehr als 50 Jahren, verschlug es ihn
jedoch nach Bad Düben. „Ich bin aus
heutiger Sicht der Dienststellenältes te“,
weiß Tempelhof. Im Bataillon der Chemischen
Abwehr 3 (ehemalige Heidekaserne
im Ortsteil Alaunwerk) machte er
Karriere. Erst war er als Gruppenführer,
dann als stellvertretender Zugführer in
der sogenannten Duschanlage 66 für
das Entgiften und Entseuchen im eventuellen
Fall zuständig. Später arbeitete
er als VS-Stellenleiter unter hohem Geheimnisschutz
und hatte somit genauso
viel Einblick wie ein Kommandeur.
Ein Fachschulstudium Mitte der 1980er
brachte ihm den Titel Ingenieur-Ökonom.
Fortan war Tempelhof als Kaderbearbeiter
eingesetzt.
Bad Dübens „Schwedenkönig“ räumt auf
„Unter vier Augen“ heute mit: Günter Tempelhof
Günter Tempelhof in seinem Arbeitszimmer: Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges an Geschichte angesammelt.
Von vielem hat sich der Bad Dübener Hobbyhistoriker jedoch bereits getrennt. Ein Großteil seines Fundus wanderte und
wandert in umliegende Museen sowie die Leipziger Universitätsbibliothek.
Foto: (Wsp) Phillipp
„Als die Wende kam und viele einfach
aus dem Dienst ausscheiden konnten,
musste ich alles mit abwickeln. Das
war teilweise auch emotional nicht
ganz einfach“, blickt er zurück. Aus
dem Stabsfähnrich der NVA wurde der
Hauptfeldwebel der Bundeswehr. Die
Chance, in der Bundesrepublik Berufssoldat
zu werden, war verschwindend
gering. Daher schied er nach einer Station
als Spieß in Dessau Ende Januar
1993 in Ehren aus.
Direkt im Anschluss konnte der dreifache
Familienvater sein Hobby zum
Beruf machen. Als „Jungkoch im gehobenen
Alter“, wie er sagt, fand er im
Paulaner, einer der ersten „Wessi-Gaststätten“
in Leipzig, eine Anstellung.
Erst als Koch, später als Produktionsleiter
im Catering und mit bis zu 17
Lehrlingen „unter meiner Fuchtel“
verbrachte Tempelhof hier fünf „sehr
interessante Jahre“. Den schon länger
gehegten Wunsch von der Selbstständigkeit
setzte der Kurstädter dann
Ende des letzten Jahrtausends um. Nach
einem Jahr Vorbereitung wurde das
Kurhaus pünktlich zum 99. Deutschen
Wandertag im Jahr 1999 wiedereröffnet
– leider nur mit schleppendem Erfolg.
Bereits drei Jahre später landete er in
der Insolvenz. Nach einem weiteren
unglücklichen Jahr als angestellter
Geschäftsführer der Burgschänke „Goldener
Löwe“ ging es in die Lutherstadt
Wittenberg, wo er als stellvertretender
Küchenleiter bei der Kursana tätig war.
„Und dann folgte im Jahr 2009 der
Hammerschlag“, erzählt Tempelhof
und wird dabei sichtlich emotional.
Am 6. Mai, um 8.27 Uhr wird ihm in
der Küche schwarz vor Augen. Der
damals 56-Jährige fällt zu Boden, bekommt
die aufkommende Hektik um
ihn herum jedoch noch mit. Im Krankenhaus
dann die Schockdiagnose:
bösartiger Hirntumor. „Man hat mir
in Dessau damals zweimal das Leben
gerettet“, berichtet er in bewegtem
Tonfall. Mit großem Glück konnte sich
Tempelhof, der seitdem EU-Rentner
ist, davon erholen. „Ich war immer der
Auffassung, die grauen Zellen müssen
angeregt werden. Daher habe ich seitdem
nur nach vorn geschaut, mich
richtig in die Arbeit reingefressen“,
beschreibt der heute 69-Jährige.
Mit Arbeit meint er sein zweites Hobby,
das somit mehr und mehr in den
Mittelpunkt rückte, nahezu zur Berufung
wurde. Zur Militärgeschichte Bad
Dübens, dem Dreißigjährigen Krieg
und Schwedenkönig Gustav Adolf
wird kräftig recherchiert, gesammelt,
strukturiert und dokumentiert. „Etwa
1.000 Seiten über das Leben Gustav
Adolfs habe ich zusammengetragen.
Diese Dokumentation übergebe ich
beispielsweise an die Festung Magdeburg“,
erzählt Tempelhof. Die herausragendste
Arbeit stellt sicherlich
die Projektkoordination der Sonderausstellungen
anlässlich 400 Jahre
Dreißigjähriger Krieg im Jahr 2018
dar. Neun Museen in Sachsen, Franken
und Tschechien konnten über 36.000
Besucher willkommen heißen.
Tempelhof ist Mühlenpreisträger,
erhielt 2007 für seine Verdienste den
Ur-Krostitzer Jahresring und wurde
für den Sächsischen Bürgerpreis vorgeschlagen.
Drei Chroniken hat er
bislang geschrieben: über die Firma
Kühne, die Schützengilde und die
Leipziger Firma Wiewald. Zudem
war er maßgeblich am Buch „Die
Chemiker der NVA und der Grenztruppen
der DDR“ beteiligt und gestaltete
die Festzeitung zu 150 Jahre
Hotel National mit. Aktuell arbeitet
er zusammen mit Dr. Eberhard Ulm
und Grunas Ortschronist Rico Nauditt
an einer umfassenden Publikation
zum Reichsarbeitsdienstes in unserer
Region. Danach soll Schluss sein. Das
habe er seiner Frau Jutta versprochen.
Der Goldenen Hochzeit im Jahr 2024
soll schließlich nichts im Wege stehen.
i
Dübener
WOCHENSPIEGEL
Kurz gefragt!
Lieblingsessen:
Wild in jeder Form
Lieblingsgetränk:
Ur-Krostitzer Bier
Lieblingsrestaurant:
Hotel „National“
Lieblingsurlaubsregion:
Schweden
Lebensmotto:
Ich gebe mich nicht mit Halbheiten
zufrieden.
Drei Personen, mit denen Sie gern einmal
zu Abend essen würden:
• Jörg Uhle-Wettler (ehem. Pfarrer in
Bad Düben)
• Michael Czupalla (ehem. Landrat)
• Hubert von Goisern (Musiker)