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Katharina Will: Stiftungen und Reformation (Leseprobe)

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

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1. N/rnberger Stiftungswesen <strong>und</strong> die mittelalterlichen Messstiftungen 53<br />

tung wurde der Zusammenhang zwischen Glauben, guten Werken <strong>und</strong>Seligkeit<br />

im Sinne der Wittenberger Theologie beschrieben. 13 »Dann Christum zu lieben,<br />

dem allein zu vertrauen <strong>und</strong> dem negstenzutun, wie ich glaub, das mir Christus<br />

getan hat, das ist der einig recht weg, frumm <strong>und</strong> selig zu werden, <strong>und</strong> ist kein<br />

anderer.« 14 Zu den »von Christo ungepotene[n] werk« wurden unter anderem<br />

Mess- <strong>und</strong> Kirchenstiftungen gezählt. Diese <strong>Stiftungen</strong> wollte der Rat 1522 zwar<br />

noch in ihrer alten Form bestehen lassen, erhoffte sich aber, dass sie mit der Zeit<br />

in das Almosen fließen würden. Neue <strong>Stiftungen</strong> sollten hingegen sogleich an das<br />

Almosen gerichtet sein. 15 Damit deutete sich bereits in der Almosenordnung an,<br />

welche Stiftungsarten zukünftig ins Leben gerufen werden sollten.Andie Stelle<br />

von <strong>Stiftungen</strong> für die Seligkeit sollten <strong>Stiftungen</strong> zugunsten des Nächsten treten,<br />

welche nach Maßgabe der Almosenordnung in Testamenten errichtet werden<br />

sollten. 16 Die Almosenordnung bewertete die mittelalterlichen <strong>Stiftungen</strong> ausmenfürsorge<br />

im deutschen Reich vom Beginn der Frühen Neuzeit bis zum Ende des Dreißigjährigen<br />

Krieges [1495–1648], Berlin 2010, 108 f.; Isenmann, Stadt, 590–593). Die genannten<br />

Elemente finden sich auch in der Ordnung von 1522. Zu der Frage nach dem Einfluss<br />

der reformatorischen Bewegung auf die Almosenordnungen vgl. Felix Pischel, Die ersten<br />

Armenordnungen der <strong>Reformation</strong>szeit, in: Deutsche Geschichtsblätter 17 (1916), 320–330.<br />

13<br />

Zur Frage, inwiefern die Ordnung reformatorische Impulse aufnahm vgl. Theodor<br />

Strohm, Armenordnung der Stadt Nürnberg 1522. Einleitung, in: Ders./Michael Klein (Hgg.),<br />

Die Entstehung einer sozialen Ordnung Europas 2. Europäische Ordnungen zur Reform der<br />

Armenpflege im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert, 57. Demnach beruhte die Ordnung auf »lutherische[m],<br />

humanistische[m] <strong>und</strong> reformkatholische[m] Gedankengut«. Diese These kann hier nicht<br />

ausführlich erörtert werden. Auf die Bedeutung des Humanismus für die <strong>Reformation</strong> ist<br />

bereits hingewiesen worden (vgl. S. 50, Anm. 4). Die Deutung, die theologische Erörterung<br />

über die Gründe für das Almosengeben sei zu allgemein, um als katholisch oder lutherisch<br />

interpretiert zu werden, trifft nicht zu (gegen Edward Lloyd Rice, The influence of the <strong>Reformation</strong><br />

on Nuremberg’s provisions for social welfare, 1521–1528, Ann Arbor/Michigan<br />

1975, 291: »The discussion is too general to be definitely interpreted as Catholic or Lutheran.«<br />

Ähnlich Luyga, Armenfürsorge, 112; vgl. Isenmann, Stadt, 593).<br />

14<br />

Sehling (Hg.), Kirchenordnungen 11,1, 23.<br />

15<br />

A.a. O., 29; vgl. Otto Winckelmann, Über die ältesten Armenordnungen der <strong>Reformation</strong>szeit<br />

(1522–1525), in: Historische Vierteljahrschrift 17(1914/15), 219; Isenmann, Stadt,<br />

592. Auch Luther sprach sich in der Leisniger Kastenordnung für diese Maßnahme aus<br />

(Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe. Schriften 12, Weimar 1891, 18).<br />

16<br />

Die Almosenordnung spielte in diesem Kontext auf Mt 25,31–46 an: »Es würdet auch […]<br />

ein jeder christenmensch am jüngsten tag solicher werk halben, nemlich: ob er umb Christus<br />

willen seine negsten dürftigen armen <strong>und</strong> notleidenden geliebt, sie gespeist, getrenkt, beklaidt,<br />

heimgesucht <strong>und</strong> in summa inen hilf <strong>und</strong> handreich erzaigt hab […] rechenschaft<br />

geben müssen« (Sehling [Hg.],Kirchenordnungen 11,1, 23.30). Auf die Interpretation dieser<br />

Bibelstelle wird insbesondere in Kapitel III. Die Pluralität des Stiftungswesens zurückzukommen<br />

sein.

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