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Katharina Will: Stiftungen und Reformation (Leseprobe)

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

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3. <strong>Stiftungen</strong> im Mittelalter 23<br />

Die Interpretation der <strong>Stiftungen</strong> als Beitrag zur Seligkeit lässt sich in diejenige<br />

spätmittelalterliche Frömmigkeit einordnen, welche die Religiosität als<br />

quantifizierbar <strong>und</strong> damit berechenbarverstand. 50 Wieder Beitrag der <strong>Stiftungen</strong><br />

zur Seligkeit im Einzelnen gedacht wurde, stellte sich erst durch die kirchengeschichtliche<br />

Perspektive heraus: Bereits die Stiftung selbst galt als verdienstvolle<br />

Tat. Darüber hinaus würden die liturgische Memoria sowie die Fürbitten<br />

der Stiftungsempfänger ihren Teil zur Rechtfertigung der Stifterin oder des<br />

Stifters beitragen. 51 Eine Präzisierung der Gr<strong>und</strong>these, dass <strong>Stiftungen</strong> einen<br />

Anteil an der Seligkeit erwirken könnten – etwa durch Beobachtung regionaler<br />

Unterschiede oder die Beschreibung einer Transformation 52 in temporaler Hinsicht<br />

–,wurde in der Stiftungsforschung bislang nicht vorgenommen. Zahlreiche<br />

mittelalterliche Theologen hattenimKontext der Frage nach dem Almosengeben<br />

auf die Bedeutung der inneren Einstellung hingewiesen. 53 Ob die mittelalterlizum<br />

Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, St. Ottilien 2002, 206–209. Einen vergleichbaren Standpunkt<br />

vertrat beispielsweise Thomas von Aquin (vgl. Foerstl, Almosen, 23). Bereits im antiken<br />

Christentum lässt sich der Rückgriff auf merkantile Sprache in diesem Kontext beobachten.<br />

Gr<strong>und</strong>legend war dabei die Überzeugung, dass eine irdische Gabe im Jenseits<br />

vervielfacht zurückgezahlt würde (vgl. Brown, Schatz, 149–151).<br />

50<br />

Vgl. Volker Leppin, Die fremde <strong>Reformation</strong>. Luthers mystische Wurzeln, München 2016,<br />

27 f.; Berndt Hamm, Die Dynamik von Barmherzigkeit, Gnade <strong>und</strong> Schutz in der vorreformatorischen<br />

Religiosität, in: LuJ 81 (2014), 97–100; Thomas Kaufmann, Die Sinn- <strong>und</strong><br />

Leiblichkeit der Heilsaneignung im späten Mittelalter <strong>und</strong> in der <strong>Reformation</strong>, in: Johanna<br />

Haberer/Berndt Hamm (Hgg.), Medialität, Unmittelbarkeit, Präsenz. Die Nähe des Heils im<br />

Verständnis der <strong>Reformation</strong>, Tübingen 2012, 14 f.19–21.<br />

51<br />

Vgl. Berndt Hamm, »Zeitliche Güter gegen himmlische tauschen« – VomSinn spätmittelalterlicher<br />

<strong>Stiftungen</strong>, in: Udo Hahn/Thomas Kreuzer/Susanne Schenk/Gury Schneider-<br />

Ludorff (Hgg.), Geben <strong>und</strong> Gestalten. Brauchen wir eine neue Kultur der Gabe?, 56. Auf die<br />

Bedeutung des Almosens als verdienstvolles Werk sowie der Fürbitten durch die Bedürftigen<br />

hatte beispielsweise Thomas von Aquin hingewiesen (vgl. Foerstl, Almosen, 23).<br />

52<br />

Zur Verwendung des Transformationsbegriffs für die Veränderungen im Stiftungswesen<br />

im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert vgl. S. 198.<br />

53<br />

Thomas von Aquin vertrat die Ansicht, dass ein Almosen aus Nächstenliebe <strong>und</strong><br />

Barmherzigkeit, also aus Mitleid mit den Bedürftigen, gegeben werden sollte. Indem sich der<br />

Almosenspender in die Lage der Bedürftigen hineinversetzte, würde er von Mitleid erfasst<br />

werden (Thomas von Aquin, Summe der Theologie. Zusammengefaßt, eingeleitet <strong>und</strong> erläutert<br />

von Joseph Bernhart. Dritter Band. Der Mensch <strong>und</strong> das Heil, Stuttgart 2 1954, 151.161;<br />

vgl. Foerstl, Almosen, 31–39; Andreas Keck, Das philosophische Motiv der Fürsorge im<br />

Wandel. VomAlmosen bei Thomas von Aquin zu Juan Luis Vives’ De subventione pauperum,<br />

Würzburg 2010, 66–70). Der Hinweis auf die Bedeutung der innerlichen Frömmigkeit kann<br />

aus gegenwärtiger Perspektive als Gegenposition zur Annahme der Quantifizierbarkeit der<br />

Religiosität verstanden werden. Das Spätmittelalter war von beiden Tendenzen geprägt.<br />

Gelegentlich lassen sich beide Traditionen in ein <strong>und</strong> derselben Quelle beobachten. Sie

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