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Katharina Will: Stiftungen und Reformation (Leseprobe)

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

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2. Das Ulmer Stiftungswesen <strong>und</strong> die mittelalterlichen Messstiftungen 101<br />

In einem Ratsentscheid von 1533 wurde die Umwidmung eines Jahrtags<br />

zugunsten eines Armenhauses festgesetzt. Falls die Stifter des Jahrtags jedoch<br />

bedürftig werden würden, sollten sie einen Teil der Zinsen erhalten. 209<br />

Die drei genannten Beispiele beleuchten exemplarisch die Pluralität der<br />

möglichen Umgangsweisen mit den Messstiftungen. Ein einheitlicher Umgang<br />

lässt sich 1533 noch nicht feststellen. Neben der vollständigen Umwidmung<br />

zugunsten von Bedürftigen ließ sich auch die Aufteilung der Stiftung zwischen<br />

dem Pfarrkirchenbaupflegamt <strong>und</strong> den Erben beobachten. Teilweise wurden die<br />

<strong>Stiftungen</strong> sofort umgewidmet, teilweise wurde der Toddes Pfründeninhabers<br />

abgewartet <strong>und</strong> die <strong>Stiftungen</strong> erst danach umgewidmet. Weder der Rat als<br />

Obrigkeit noch die Stifter <strong>und</strong> deren Familien waren zu einer gemeinsamen<br />

Haltung gelangt. Neben den Familien, diebereits Umwidmungenvorgenommen<br />

hatten, standen andere, die noch nicht handelten.<br />

1534 änderte der Rat seine Haltung, indem er die Kirchenbaupflegeranwies,<br />

fortan keine Zinsen für die Jahrtagsstiftungen mehr auszugeben. 210 Diese Vorgabe<br />

betraf die <strong>Stiftungen</strong>, die vom Rat durch das Pfarrkirchenbaupflegamt<br />

verwaltet wurden. 211 Ein Ratsentscheid von 1537 belegt, dass der Rat nun versuchte,<br />

Informationen zu bestehenden <strong>Stiftungen</strong> zu sammeln: Die Kirchenbaupfleger<br />

hatten ihn unterrichtet,einige Familien hätten die Stiftungsurk<strong>und</strong>en<br />

verloren <strong>und</strong> könnten sie ihm nicht vorlegen. Diese Familien sollten unter Eid<br />

Angaben zu ihren <strong>Stiftungen</strong> machen, wobei der Rat insbesondere an der Höhe<br />

der Zinsen interessiert war. 212 Es deutete sich an, dass der Rat allmählich dazu<br />

tendierte, <strong>Stiftungen</strong> umzuwidmen.<br />

Zu dieser Zeit veranlassten weitere Ulmer Familien dieUmwidmungen ihrer<br />

<strong>Stiftungen</strong> – etwa einer Pfründenstiftung, die zukünftig zu einem Teil der Stifterfamilie<br />

<strong>und</strong> zu einem Teil dem Pfarrkirchenbaupflegamt überlassen werden<br />

sollte. 213 Die Zinsen einer anderen Stiftung sollten hingegen bis zum Erlöschen<br />

der Stifterfamilie – bis zum Toddes letzten Familienmitglieds – an diese ausbezahlt<br />

werden <strong>und</strong> erst danach an das Pfarrkirchenbaupflegamt fallen. 214 Der<br />

Umgang mit den mittelalterlichen Messstiftungen blieb also variantenreich.<br />

209<br />

StadtA Ulm A[6821],3,Nr. 7. In Nürnberg hatte vor allem das Gutachten Osianders <strong>und</strong><br />

anderer diese Handlungsweise nahegelegt. Ihr wurde teilweise entsprochen (vgl. S. 72).<br />

210<br />

StadtA Ulm A[6821], 4,Nr. 12.<br />

211<br />

Vgl. S. 100.<br />

212<br />

StadtA Ulm A[6821], 7,Nr. 20.<br />

213<br />

StadtA Ulm A[6821], 5,Nr. 15.<br />

214<br />

StadtA Ulm A[6821], 7,Nr. 21.

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